Manafonistas

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Archives: Februar 2024

2024 16 Feb

guitar lady from d.c.

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Den Namen Mary Timony hatte ich schon vorher gehört, aber noch nie ihre Musik. Sie hat am 23.2. ihr neues Album Untame the Tiger am Start und von den drei bereits hörbaren Songs, hat mir The Guest am besten gefallen. Phantastische Gitarrenarbeit, eine tolle eher herb-spröde Stimme, die etwas zu erzählen hat. Sie musste zuletzt einige schwere menschliche Verluste erleiden, was man der Musik nicht unbedingt sofort anhört. Obwohl diesem Lied schon. Mit von der Partie ist Dave Mattacks, der Drummer von Fairport Convention! To be watched.

 

2024 16 Feb

New Blue Sun

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Lautlos schieben sich die Blätter des virtuellen Dschungels auseinander und ein paar Augen mit länglichen Pupillen werden im phosphoreszierenden Dunkel sichtbar. Hyperfuturistisch archaische Flötentöne und scheinbar zufallsgenerierte Trommeln schlagen durch den aufkommenden Nebel. I Swear, I Really Wanted To Make A „Rap“ Album But This Is Literally The Way The Wind Blew Me This Time bekennt der Musiker während die milchsonnigen Blätter zu hyperboliodem Staub zerfallen und ein pulsierendes Licht sich zwischen den knorrigen Stämmen hindurchschlängelt. Leise unaufdringlich und dennoch ganz nah The Slang Word P(*)ssy Rolls Off The Tongue With Far Better Ease Than The Proper Word Vagina. Do You Agree? Kein Ausweichen, der virtuelle Dschungel ist tief, die Songtitel bizarr, plakativ und anschaulich und der verhaltene Beat würde in jedem Rap-Song bestens als Intro oder Bridge funktionieren. Aber diesmal stand der Wind anders, weiter in das Weglose hinein. That Night In Hawaii When I Turned Into A Panther And Started Making This Low Register Purring Tones That I Couldn’t Control … Sh¥t Was Wild. Die Glühwürmchen schimmern in zunehmender Größe wie helle Lampions, drängen sich in das Bewusstsein, öffnen sich weit in die vermeintliche Monotonie der Virtualität und lassen Geister der Parallelwelt ihre fließenden amorphen Tänze in leuchtenden kortikalen Bahnen, die nach warmem, feuchten Boden riechen und den Hörer freundlich umschließen, irgendwo im Zeitlosen durchschweben. Dreams Once Buried Beneath The Dungeon Floor Slowly Sprout Into Undying Gardens. Exzellente Fourth World Music, da gibt es nicht mehr zu sagen, nur zu hören!

 
 

2024 16 Feb

3 homegrowns

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Hier ist er also!

(Meine Vorfahren waren Trüffelschweine!)

 

2024 15 Feb

Die Strasse zu Gabriel

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Hinsichtlich des körperlichen Erlebens waren mir zwei Gedanken stets wichtig. War es Georges Moustaki, vom dem ich vor Jahrzehnten schon den entscheidenden Hinweis bekam, oder war es ein anderer weltberühmter Chansonnier? Auf die Frage, wie er das Älterwerden bewältige, meinte der nämlich schlicht: „Ich versuche, mich zu verausgaben.“ So lautet ein anderer Spruch, tief verankert im Hippocampus, der Schaltzentrale für biografisches Gedächtnis und somit auch Garant für die Gewissheit, wer ich bin: „Wenn du tanzen willst wie ein Afrikaner, darf dir keinerlei Bewegung peinlich sein.“ In der Musik Peter Gabriels steckte immer viel afrikanischer Rhythmus. Was ihn von einigen Songwritern abhebt, ist die in dieser Klangwelt enthaltene body performance: Tanzen um das Lagerfeuer, böse Geister vertreiben, die Traumata der Kindheit heilen. Nun kehre ich zurück in diese Welt, antizipiere sie durch Tanz, will viele Songs natürlich selber spielen, auch das gehört zur Antizipation: nachahmen wollen. Gabriels Stimme ist eine Bank. Seit Genesis haben sich seine Songs verändert. Sie sind weniger verspielt, kubistisch aufgesplittert und ins Fabelwesen driftend, vielmehr griffiger geworden: Kinderlieder, Abzählreime, Symmetrien. Subtil schwingt auch das Gefühl von Verlorensein mit, ferner die Sehnsucht nach Heimat und Verbundenheit. „Mercy Street“ aus dem Album So wäre ein solches Lied. Ist dies nicht auch psychotherapeutische Musik, die Selbstfindungsprozesse wiederspiegelt? Aus den jüngeren Alben gefallen mir am besten die Songs „Don’t break this Rhythm“, „The Road to Joy“ (klingt irgendwie nach David Bowie, Brian Eno produzierte hier zumindest), „Nocturnal“ und „i/o“ – letzterer auch lyrisch ein grosser Wurf.

 

2024 14 Feb

Romanische Kirche I

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Für Ursula: Ich stelle gerade fest, dass die erste Kirche auf meiner heutigen Wanderetappe die romanische Kirche von Mörshausen aus dem 12. Jahrhundert war. Ich habe das gar nicht so richtig registriert. Sie ist die älteste Kirche im Altkreis Melsungen. Heute evangelisch. Innen habe ich einen Pilgerstempel in meinen Pilgerausweis gestempelt. Es war recht dunkel dort, so dass ich die große Attraktion der Kirche, den Schmerzensmann, eine gotische Säule, nicht gesehen habe. Allerdings gibt es ein Bild in meinem Pilgerführer. Er sieht recht harmlos aus, hat die Arme über der Brust verschränkt und ein kurzes Höschen an. Ein Bild im Internet finde ich nicht.

 

2024 14 Feb

Winterspaziergang

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Ich bin seit Freitagabend auf dem knapp 200 km langen Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg unterwegs. Auf dem Weg jede Menge Kirchen, Kunst, Natur und natürlich auch Menschen, zumindest an den Etappenzielen. Darüber und vieles mehr schreibe ich etwas und klebe ein paar Bilder rein in mein Fastenwandertagebuch. Wer Lust hat, mir virtuell zu folgen, ich würde mich freuen. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich übrigens entschlossen, hier weiter mitzumachen. Gemeinschaftsblogs sind einfach eine tolle Sache und ich möchte gerne weiter zu diesem Gedankenaustausch beitragen.

 

2024 11 Feb

Ein Rückblick auf 2023

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Das Jahr 2023 war spannend und es ist viel passiert. Nicht nur hier auf dem Blog, sondern auch in der Kulturwelt. Es entstanden viele wunderbare und innovative Klänge und Ideen, so dass ich hier nur eine kleine, sehr subjektive Auswahl präsentieren will, von denen aber jedes Album, jedes Buch eine besondere Rolle für mich gespielt hat. Besonders berührt hat mich Ryuichi Sakamoto’s 12 als letzte Skizzen, die doch so vollendet erscheinen, vor seinem Ableben. Immer wieder habe ich über ihn geschrieben und er war musikalisch ein wichtiger Begleiter über wenigstens vier Jahrzehnte. Seine Musik hat mir das Tor zur japanischen Pop- und Ambientmusik mehr geöffnet als jeder andere japanische Musiker.

Von meiner Bestenliste will ich drei Alben noch einmal besonders hervorheben: Da ist einmal die englische Percussionistin Bex Burch, die mit ihrem überwiegend in Chicago eingespielten Debütalbum ein beeindruckendes und sensibles, tiefgründiges Werk vorlegt. Dann ist da Volker Bertelmann a.k.a. Hauschka, der mit Philantropy seinen schon auf früheren Alben eingeschlagenen Weg in der Arbeit mit präparierten Konzertflügeln eine höchst eigenwillige Musik zu kreieren konsequent fortsetzt. Man hört hier die jahrelange Erfahrung in der Produktion von Filmmusik, für die er ja auch 2022 einen Oskar (Im Westen nichts Neues) erhielt. Seine Klangräume sind bilderzeugender, intensiver, cineastischer, ohne dass die Musik in Eigenwilligkeit und Originalität auch nur die geringsten Abstriche zeigen würde. Wunderbar. Und schließlich gibt es eine Reunion (ich stehe Wiedervereinigungen alter Bands gerne skeptisch gegenüber, weil das Reproduktionsbedürfnis hinsichtlich des alten Oeuvres meist verstörend hoch und die innovative Qualität oft eher bescheiden ist) der Krautrockband Agitation Free, die sich nur mit einem neuen Bassisten und sonst in alter Besetzung, neu erfinden und Raum für die zwischenzeitlichen musikalischen Entwicklungen der einzelnen Bandmitglieder gibt. Ein überraschendes, komplexes und vielschichtiges Album im Flow des Augenblicks – Momentum.

 
 

    1. Ryuichi Sakamoto – 12
    2. Biosphere – Inland Delta
    3. Brian Eno – Top Boy
    4. Bex Burch – There’s Only Love And Fear
    5. Midori Takada & SHHE – MSCTY V&A Dundee
    6. Hans Joachim Roedelius/Arnold Kasar – Zensibility
    7. Vince Clarke – Songs Of Silence
    8. Hauschka – Philantrophy
    9. Agitation Free – Momentum
    10. Fabio Anile/Stephan Thelen – Music For Piano And Strings
    11. Kayhan Kalhor/Toumani Diabate – The Sky Is The Same Colour Everywhere
    12. Ami Dang – The Living World’s Demands
    13. Eivind Aarset & Jan Bang – Last Two Inches Of Sky
    14. The Gurdjieff Ensemble, Levon Eskenian – Zartir
    15. Fred Again.. & Brian Eno – Secret Life
    16. Sonar – Three Movements
    17. The Pitch & Jules Reidy – Neutral Star
    18. African Head Charge – A Trip To Bolgatanga
    19. Raz O’Hara – Tyrants
    20. Nils Økland/Sigbjørn Apeland – Glimmer
    21. Craven Faults – Standers
    22. Sebastian Rochford/Kit Downes – A Short Diary
    23. Alva Noto – Kinder Der Sonne
    24. Kai Schumacher – Tranceformer
    25. Ensemble 0 – Jojoni (Made To Measure, Vol. 49)
    26. Laurel Halo – Atlas
    27. John Cale – Mercy
    28. Peter Kruder/Roberto Di Gioia – “- – – – – – – – – -“
    29. Penguin Cafe – Rain Before Seven…
    30. Trees Speak – Mind Maze
    31. Grandbrothers – Late Reflections
    32. Eraldo Bernocchi/Hoshiko Yamane – Sabi
    33. Lol Tolhurst/Budgie/Jacknife Lee – Los Angeles

 
 

      

 

Dieses Mal muss es aber noch einen Unterpunkt zu meiner Best-Of-Music-Liste geben: Female Voices. Einige bemerkenswerte Alben mit sehr unterschiedlichen weiblichen Stimmen off the beaten Track … von sehr leise und intim über die wunderbare reife Stimme von Dorothy Moskowitz bis hin zu exzentrischen, sehr verwaschenen und unter die Haut gehenden Alben. Und über das Erste wurde hier schon zurecht ziemlich viel geschrieben …

 
 

    1. Arooj Aftab, Vijay Iyer, Shazad Ismaily – Love In Exile
    2. Dorothy Moskowitz & United States Of Alchemy – Under An Endless Sky
    3. Yara Asmar – Synth Waltzes And Accordion Laments
    4. Marta & Tricky – When It’s Going Wrong
    5. Niecy Blues – Exit Simulation
    6. Lucinda Chua – YIAN
    7. Youmna Saba – Wishah
    8. Kate NV – WOW

 

      

 

 

Bei den Reissues machen die Japaner einmal wieder das Rennen, allen voran das Ambient-Album Surround von Hiroshi Yoshimura, der in seinen Liner-Notes vorschlägt, man solle es hören wie Luft, die uns umgibt, in die man eintauchen kann, irgendwo zwischen Klang und Musik, irgendwo zwischen den Geräuschen von Schritten, einer Klimaanlage und dem Klappern eines Teelöffels in einer Tasse. Nur unendlich viel schöner. Und dann mal wieder Ryuichi Sakamoto mit Ongaku Zukan, der Musikenzyklopädie, die als Illustrated Musical Encyclopedia hier im Westen 1984 erstmalig veröffentlicht wurde, damals noch mit einigen anderen Stücken wie Field Works mit Thomas Dolby. Immer noch ein Meilenstein.

 
 

    1. Hiroshi Yoshimura – Surround
    2. Ryuichi Sakamoto – Ongaku Zukan
    3. David Sylvian – Do You Know Me Now?
    4. Satsuki Shibano – Wave Notation 3: Erik Satie 1984
    5. Don Cherry, Dewey Redman, Charlie Haden, Ed Blackwell – Old And New Dreams
    6. Nana Vasconcelos – Saudades
    7. Soft Cell – Non-Stop Erotic Cabaret
    8. Tricky – Maxinquaye (Reincarnated)
    9. Pauline Anna Strom – Echoes, Spaces, Lines

 

 

      

 

 

Schließlich bleibt die Liste meines bevorzugten Lesestoffs im letzten Jahr, wobei ich Metzingers Bewusstseinskultur auch nach kontroverser Diskussion hier auf dem Blog für die wichtigste und bedeutendste Veröffentlichung halte. Doch auch alle anderen Titel berühren Punkte in der öffentlichen und kulturellen Diskussion, die drängend und zum Wohle aller noch möglichst ausgiebig durchdacht und diskutiert werden wollen.

 
 

    1. Thomas Metzinger – Bewusstseinskultur
    2. Kohei Saito – Systemsturz
    3. Manfred Spitzer – Künstliche Intelligenz
    4. Gregor Hasler – Higher Self
    5. Thomas Metzinger – Der Elefant und die Blinden
    6. Helena Barop – Der grosse Rausch
    7. Lisa Feldman Barrett – Siebeneinhalb Lektionen über das Gehirn
    8. Markus Rüther – Sinn im Leben

 

2024 10 Feb

Danke für den Fisch

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Anker geworfen

doch nur vorübergehend

Offene Weite

 

 
 

Einer flog übers Kuckucksnest! Olle Kamelle?

Eher nicht – gestern mal wieder angeguckt. Es geht noch!!

Nach dem 1962 erschienenen Roman von Ken Kesey funktioniert der 1975 gedrehte Film von Milos Forman immer noch, ohne dass sich das graue Gespenst der Langeweile hereinschlängelt. Schon der Titel – eine Zeile aus einem Nonsens-Abzählreim gibt Rätsel auf, wenn man bedenkt, dass der Kuckuck keine Nester baut. Es wird über etwas geflogen, das gar nicht existiert – macht aber Sinn, wenn man bedenkt, dass diese psychiatrische Station auch den Charakter eines Nestes besitzt, in dem verschiedene Kuckuckseier abgelegt wurden, die ursprünglich nicht dorthin gehörten und aus denen dann überwiegend Zombies geschlüpft sind. Cuckoo ist in den USA auch ein Synonym für „verrückt“.

 

Zunächst:

Trotz des genialen Jack Nicholson in der Rolle des charismatischen, nicht zu bändigenden und unwiderstehlichen Tunichtguts McMurphy gehört der Film nicht zu meinen Favoriten – zu viele Klischees, zu vorhersehbar, eindimensionale Typen: Der schlitzohrige Rebell, die fiese Oberschwester Ratched, deren Name schon so kratzig klingt, dass da Mildred auch nichts mehr hilft – und mit einer Frisur, mit der sich problemlos zwei Teufelshörner kaschieren liessen. Dann der dauerschweigende Chief, (der Rezensent von Rolling Stone nannte ihn den Häuptling der Herzen), der verklemmte Stotterer und zahlreiche skurril-sympathische Psychofreaks, die sich temporäre Freiheit erkämpfen und in McMurphy ihren Guerillaführer im Klapsmühlendschungel finden. Eher eindimensionale Figuren als gebrochene Charaktere, eher nahe an der Knallcharge, aber als Team unschlagbar und genial aufbereitet vom Regisseur, der später sogar Mozart vom Joch der Idealisierung befreit und genial gegen den Strich gebürstet hat; (davon später ein Weiteres), der hat sich auf seiner Wolke dann sicher tierisch gefreut, vermutlich sitzt er aber eher in der Hölle bei den interessanteren Leuten – wer würde schon mit Mutter Theresa diskutieren, wenn er Sartre haben kann oder gar Nietzsche, der sieht darüber hinaus auch noch gut aus.

Der Film verstand es, den Nerv der Sechziger- und Siebzigergeneration zu treffen – die Rebellion der Unangepassten gegen ein gnadenlos autoritäres System, im Mikrokosmos einer psychiatrischen Klinik in vitro zu beäugen. Dabei trägt er eine etwas verquere Botschaft: Der Unangepasste wird seines Frontallappens beraubt, der angepasst Schweigende erlangt die Freiheit, weil er die Gunst der Stunde zu nutzen weiss, vielleicht vom Instinkt des Indigenen geleitet. Erweist sich das System also als stärker? Eine reaktionäre Botschaft? Ein kurzes Aufleuchten einer kleinen Freiheit vor der brutalen Niederwerfung?

Im Roman ist der schweigende Häuptling der Erzähler, im Film fungiert er als Folie zu McMurphy, zieht die passive Verweigerung der offenen Rebellion vor und versteht abzuwarten; er entkommt dem Kuckucksnest, begleitet von einem Habichtsschrei – vermutlich dem Triumphschrei seines Krafttiers und verschwindet in den Wäldern. Und er entkommt als einziger; der unreflektiert laute Rebell ist tot.

Lasst nicht die roten Hähne flattern ehe der Habicht schreit – sang Degenhardt 1974 in seiner Ballade von Joss Fritz, dem Bundschuhführer, der immer warnte vor der Hast. Dabei dürfte Forman Degenhardt kaum gekannt haben.

Nun muss Literatur nicht immer politisch agitieren – ich war als Studentin etwas zu lange mit einem radikalen Mitglied einer Marx/Lenin-Gruppe verbandelt, da stossen mir gescheiterte Freiheitskämpfe immer noch sauer auf; die proletarische Revolution hat gefälligst zu gelingen, da kann man keine derart pessimistischen Botschaften in die Welt setzen. Aber Belletristik kann auch einfach Realität abbilden, mit Sprache spielen, eine Geschichte erzählen, ein Psychogramm erstellen.

Was ist das hier also für eine Geschichte?

Zunächst ist der Film ein Männerfilm: eine geschlossene Gesellschaft von Herren mit ihrer spezifischen Spiel- und Witzkultur und ihren Initiationsritualen, alle durchaus sympathisch in ihrem Wiedererwachen hin zu einer neuen Lebensfreude und Widerstandskraft; anrührend auch die temporäre Epiphanie und Mannwerdung von Billy Bibbitt, von der Oberschwester aber rasch wieder gekappt und in den Muttersohnstatus zurückgepfiffen, mit tödlichen Folgen, wie wir sehen mussten.

 
 

 
 

Aber es ist auch ein Männerfilm in der Zeichnung des Frauenbildes, die Frauen – fiese Schwester mit Schleppenträgerin und willige dauerkichernde Prostituierte – dienen eher als fleischgewordene Angst- und Wunschphantasien von Männern und formen sich nicht zu glaubhaften Figuren mit Individualität. Die Oberschwester, der Würgeengel der Psychiatrisierten, kann als Opfer einer verfehlten Personalpolitik gesehen werden – eine Frau eine Station mit schwer gestörten und emotional ausgehungerten Männern regieren zu lassen ist natürlich ein Unding, die kann nur mit Verhärtung und Spiess-Umdrehen überleben.

Ich ertappte mich beim Betrachten als etwas gespalten, mental intellektualisierend und mit eigenen Erfahrungen als Praktikantin in dergestalten Einrichtungen beschäftigt – McMurphy, die Testosteronbombe, hätte mir seinerzeit Angst gemacht; gleichzeitig agierte ich auf der Handlungsebene in der Identifikation mit dem Häuptling: Ich verursachte eine kleine Überschwemmung mit verschüttetem Mineralwasser, es wurde mit einer redundanten Menge an Papiertaschentüchern aufgewischt (der Film endet in einer vom Häuptling verursachten wesentlich grösseren Überschwemmung) und mein Einfall, in Ermangelung eines Putzlappens ein Kissen auf die Wasserlache zu legen, erinnert nun auch sehr stark an die Schlusssequenz.

Das Ende – d. h. die Tötung aus Menschlichkeit am lobotomierten McMurphy durch den Häuptling, der diesen mit einem Kissen erstickt, wurde aus Zeit – oder anderen Gründen von den Mitguckern nicht mehr thematisiert.

Die Frage, was den Regisseur getrieben haben könnte, diesen Roman zu verfilmen, findet vielleicht eine Antwort in Formans Biographie: Seine Eltern waren tschechische Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime und beendeten ihr Leben im KZ Auschwitz, der damals Elfjährige wurde von Verwandten grossgezogen. Als junger Mann erfuhr er, dass sein Vater nicht sein leiblicher Vater war sondern ein tschechischer Jude, so war er selbst doppelt gefährdet.

Der Stoff einer – wenn auch gescheiterten – Revolution gegen ein mörderisches und totalitäres Regime lag ihm sicher von daher am Herzen, vielleicht hat ihn auch eine frühe Rettungsphantasie für die gefährdeten Eltern angetrieben und Miss Ratched wäre sicher eine hocheffektive KZ – Wärterin geworden.

McMurphy und der Chief – einer die Blaupause des anderen – formen den Film auch zu einem Buddy-Movie. Sie lernen sich auf einer kindlichen Ebene kennen, beim Baseballspielen und Kaugummiteilen, und der Chief teilt mit ihm sein grosses Geheimnis, von da ab wirken sie aufeinander bezogen und zusammengeschmiedet.

 

 

Somit handelt der Film auch von Vaterschaft: Der Klinikdirektor ist als Vaterfigur gütig, aber schwach – und durchschaut die Ränkespiele seiner Pflegedienstleitung nicht.

McMurphy versteht es, in einem Haufen geduckter Mitpatienten wieder so etwas wie durchsetzungsfähige Männlichkeit entstehen zu lassen beziehungsweise diese zumindest in den Status eines rebellierenden Jugendlichen zu führen. Der Chief (Veteran aus dem 2. Weltkrieg, den die Demütigung und Landnahme seines Vaters durch Regierungsbeamte depressiv machte) nimmt zum Ende als väterlicher Freund etwas Furchtbares auf sich, um den dahinvegetierenden McMurphy zu erlösen.

Das Mütterliche existiert als Zerrbild, kristallisiert in Schwester Ratched, die niemand aus ihren Klauen lassen kann und das Thema wird verstärkt durch das immer wieder zitierte Phantasma von Billys Mutter, die das genauso wenig erlaubt.

In Werken von Künstlern, die den Vater früh verloren oder ohne diesen aufgewachsen sind, wimmelt es im Oeuvre oft von sich ergänzenden Vaterfiguren unterschiedlichster Couleur. Ich nenne hier Tolkien und die 8 Gefährten, mit denen Frodo Beutlin durch die Lande zog und die unterschiedliche Erziehungs- und Bildungsaufgaben an ihm zu vollbringen hatten, bis ein gestandenes Mannsbild aus dem Kleinen wurde, der dann zwar nicht die Welt, aber zumindest Mittelerde retten konnte. Zu einem Sexualleben reichte es bei ihm allerdings nicht, er verschwand lieber mit Gandalf, Bilbo und Elrond in die nebligen Weiten Valinors, vermutlich zu erneuter romantischer Männerbündelei. Allerdings ist auch die schöne Galadriel mit von der Partie, vielleicht wächst sie ja dann in die Rolle von Schwester Ratched hinein, gottlob hat sie aber ihren Männe Celeborn dabei, der hier hoffentlich Grenzen zu setzen versteht.

Den irdischen Anteil Tolkiens verkörperte der Hobbit Sam Gamdschie, der darauf verzichtete in den Nebel des Unverbindlichen zu entschweben, sondern lieber seine Rosie heiratete, 16 Kinder zeugte und Bürgermeister von Hobbingen wurde. Ob das für Rosie auch genussreich war, ist eine andere Frage.

Tolkien verlor als Vierjähriger den Vater und als Zwölfjähriger die Mutter, war von da ab für den kleinen Bruder verantwortlich, erfüllte also gewissermaßen die Rolle des Seelenhirten und Bodyguards wie sie Sam für Frodo erfüllte.

Ende sidekick!

 

Was mich beim Kuckucksnest zufriedenstellte, war die Rebellion, die meine 68er-Seele erfreute, das nicht nachlassende Kämpfen für ein besseres Leben, der frische Wind, den ein Revoluzzer in ein faschistisches System hineinzublasen versteht, die Hoffnung die er wecken kann. Das greift immer noch!

Passt aber der Film noch in unsere Zeit, in der wir uns doch viele Freiheiten erkämpft haben? Oder ersticken wir jetzt in Anderem, aus dem uns McMurphy vielleicht befreien könnte mit seinem ungebrochenen Spass am Saufen, sinnlichem Sex, Seefahrt, Sport, Streichespielen (wieso geht das jetzt alles mit S an?) und permanenter lustvoller Grenzüberschreitung – am ganz einfachen aber intensiven sinnlichen Leben und Darüber-Begeistertsein, meinethalben nennen wir’s auch das Feiern des Freudianischen Es.

Hat bei Alexis Sorbas auch gut funktioniert – eine ganze Generation bemerkte erst viel später, dass das ein ziemlich egomaner Vollpfosten war – weil er halt so schön am Strand zu tanzen verstand. Der traf auch dauerquatschend und fingerschnipsend den gleichen Nerv.

Greift der Film deshalb immer noch oder würde vielleicht noch besser greifen als früher wenn ihn nur nochmal jemand zur Erprobung desselben in die Kinos bringen könnte?

Dabei hätten wir doch reichlich Freiheiten zu geniessen, zumindest die privilegierten Schichten unter uns. Sogar Gedankenfreiheit haben wir – jetzt bräuchten wir bloss noch die Gedanken.

 


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