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2024 15 Feb

Die Strasse zu Gabriel

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | 2 Comments

 

Hinsichtlich des körperlichen Erlebens waren mir zwei Gedanken stets wichtig. War es Georges Moustaki, vom dem ich vor Jahrzehnten schon den entscheidenden Hinweis bekam, oder war es ein anderer weltberühmter Chansonnier? Auf die Frage, wie er das Älterwerden bewältige, meinte der nämlich schlicht: „Ich versuche, mich zu verausgaben.“ So lautet ein anderer Spruch, tief verankert im Hippocampus, der Schaltzentrale für biografisches Gedächtnis und somit auch Garant für die Gewissheit, wer ich bin: „Wenn du tanzen willst wie ein Afrikaner, darf dir keinerlei Bewegung peinlich sein.“ In der Musik Peter Gabriels steckte immer viel afrikanischer Rhythmus. Was ihn von einigen Songwritern abhebt, ist die in dieser Klangwelt enthaltene body performance: Tanzen um das Lagerfeuer, böse Geister vertreiben, die Traumata der Kindheit heilen. Nun kehre ich zurück in diese Welt, antizipiere sie durch Tanz, will viele Songs natürlich selber spielen, auch das gehört zur Antizipation: nachahmen wollen. Gabriels Stimme ist eine Bank. Seit Genesis haben sich seine Songs verändert. Sie sind weniger verspielt, kubistisch aufgesplittert und ins Fabelwesen driftend, vielmehr griffiger geworden: Kinderlieder, Abzählreime, Symmetrien. Subtil schwingt auch das Gefühl von Verlorensein mit, ferner die Sehnsucht nach Heimat und Verbundenheit. „Mercy Street“ aus dem Album So wäre ein solches Lied. Ist dies nicht auch psychotherapeutische Musik, die Selbstfindungsprozesse wiederspiegelt? Aus den jüngeren Alben gefallen mir am besten die Songs „Don’t break this Rhythm“, „The Road to Joy“ (klingt irgendwie nach David Bowie, Brian Eno produzierte hier zumindest), „Nocturnal“ und „i/o“ – letzterer auch lyrisch ein grosser Wurf.

 

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2 Comments

  1. Alex:

    Danke für den Text, Jochen. Das mit dem sich Verausgaben und dem Tanzen kann ich voll nachvollziehen. Das Verausgaben finde ich so faszinierend, weil man sich danach stärker, weil gelassener fühlt, obwohl man doch gerade alle seine Kräfte aus der Hand gegeben hat. Paradox und damit so herrlich die simple Logik und Rationalität außer Kraft – da ist es wieder das Wort – setzend. Es ist so ähnlich wie mit dem Geben. Je mehr man gibt, desto innerlich reicher wird man.

    Das Tanzen konnte ich nie, wollte ich immer lernen, habe auch ein paar Versuche gemacht, bin aber nie über Anfängerkurse hinausgekommen. Aber sich tänzerisch ausdrücken zu können, muss sich sehr gut anfühlen. Dann ist man wirklich mit seinem eigenen Körper vereint und es sind da nicht der denkende Mensch und der körperliche Mensch getrennt.

    Zu Peter Gabriel. Ja, es stimmt für einen über Siebzigjährigen hat er immer noch eine phantastische Stimme, die immer noch ihre charakteristische Androgynität hat. Ich war in meiner Jugend Fan der frühen Genesis, der ersten fünf Alben bis „Selling England by the Pound“, was ich am häufigsten gehört habe und wo Musik für mich metaphysisch bzw. transzendental wurde. Wie da immer mehr aufeinandergeschichtet wird und ein unbeschreibliches Energielevel erreicht wird, hat mich sehr fasziniert.

    Da stießen sie ins Überirdische vor. Dahinein habe ich mich verkrochen nach der Schule als Pubertierender. Ab „The Lamb Lies Down on Broadway“ war es mit meiner Liebe für Genesis vorbei. Es kam dann zwar noch „A Trick of the Tail“ mit Phil Collins, genaugenommen mein 1. Genesisalbum, ich habe die frühen Alben nicht als „Zeitgenosse“ gehört sondern, weil ich noch zu jung war, 5 Jahre später.

    Und auch der gesamte Output des Solo-Gabriel hat mich nie wieder so gepackt wie der Anfang. Von den neuen Songs, die Du angibst, finde ich „Road to Joy“ am interessantesten. Das erinnert mich in seiner Polyrhythmik stark an den körperlichen, „afrikanischen“ Post-Punk der Talking Heads ca. „Fear of Music“ und später dann live in „Stop Making Sense“. Auch damals war Brian Eno beteiligt. Ein toller Tanztrack, bei dem ich Lust kriege, auf der Tanzfläche ganz viele peinliche Bewegungen zu machen.

    P. S. Der Titel ist genial. Ich dachte erst, es ginge um den Erzengel …

  2. Uli Koch:

    Bei Peter Gabriel habe ich die exzentrische Seite immer am meisten geliebt, das skurrile Texte und Outfits mit eigenwilliger Musik derart verband, dass bei der Musik von Genesis bis zu Gabriels Ausstieg und bei seinen ersten 4 Soloalben gleich ein Film in meinem Kopf mitablief. Meinem absoluten Lieblingssong, einem echten Lifer, The Family and the Fishing Net liegt zudem der genial bearbeitete Rhythmus eines äthiopischen Hochzeitsliedes zugrunde …


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