Die Welt ist dunkler geworden. Gewalt, Terror und Tod bestimmen vielerorts das Leben der Menschen, oft aussichtslos und verzweifelt ist ihre Situation. Angst treibt sie vor sich her, sie versuchen zu entkommen, wobei viele dann auf einer oft waghalsigen Flucht ihr Leben lassen und als namenlose Tote auf den Grund des Mittelmeeres sinken. Wir vergessen sie nur zu gerne, aber der Schmerz darüber bleibt in unserem kollektiven Bewusstsein bewahrt. Was würden diese toten Seelen uns sagen wollen, wenn wir ihnen begegneten?
Ankoku Butoh, kurz Butoh, wörtlich der Tanz der Finsternis entwickelte sich in Japan Ende der 60er Jahre und wendet sich mit drastischen Darstellungsformen gegen die „grauenerregende artifizielle Harmlosigkeit und Biederkeit“, die sowohl die klassischen japanischen, wie westlichen Tanztraditionen im Wesentlichen ausmachten. Fast nackt, weiß geschminkt und in Haltungen des Schmerzes und des Schreckens, kontortische Verrenkungen und expressive Spasmen provozierten das Publikum von Anbeginn bis an die Grenze des Erträglichen. Bereits die erste Aufführung von Tatsumi Hijikata, Kinjiki (Forbidden Colours) nach dem gleichnamigen Roman von Yukio Mishima endete in einem handfesten Skandal. Butoh ist eine seltsame Mischung aus Elementen des Nō, des Kabuki, des westlichen Ausdruckstanzes und fiktiven schamanistischen Ritualen, wobei durch den Einsatz des „dunklen Körpers“ entstellter Haltungen das Absurde und Groteske dem banalen Alltag des Betrachters einen bizarren Spiegel ketzerisch vorhält, der kein Ausweichen, kein Bagatellisieren, kein Zurück zum normalen Alltag mehr erlaubt.
Die toten Seelen kehren zurück. Was würden sie uns sagen wollen, wenn wir ihnen begegneten? Aus dem primordialen Raum erscheint langsam die Gestalt von Tadashi Endo, sich langsam verdichtend und das Unsagbare in beklemmenden Figuren seines Körpers ausdrückend. Die konzentrierte Spannung in seinem Körper, die kontraintuitiven Bewegungen, die stummen Gesten der Leere und Verlorenheit. Disruptiv, in gebrochenen, präzisen Bewegungen tanzt sich Tadashi Endo in eine rituelle Trance. Nein, er tanzt nicht, er wird getanzt. In einer magischen Choreografie der Finsternis bannt er die Schattenwelt, wird selbst zum Schatten und holt langsam so die Geister der toten Seelen in den dunklen Raum seiner Performance, stellt sich den Abgründen, hypnotisch den Bannkreis tief ins Publikum ziehend. Und wenn wir mit jedem Toten ein Stück unseres Glücks verwirkt hätten, entledigt sich der tanzende Schamane seiner Hüllen und teilt final einen leisen Augenblick des Glücks in einer Befriedung, einem zur Ruhe kommen, einem Gefühl endloser und unfaßbarer Stille.