Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2023 24 Dez

Such Ferocious Beauty

von: ijb Filed under: Blog | TB | 12 Comments

Auch wenn ich in letzter Zeit eher sporadisch hier als Schreibender in Erscheinung getreten bin und bei so manchen Entwicklungen und Verwerfungen in diesem Blog außen vor blieb, so hoffe ich doch, dass es vielleicht den einen oder anderen gibt, der sich für meinem Jahresrückblick interessiert. Ich selbst war (bzw. bin noch) über die letzten paar Monate in meinem Hauptberuf als Regisseur in einem Spielfilmprojekt [mit starken dokumentarischen Anteilen, im Opernumfeld verankert] in München involviert, für mich eine überaus wertvolle Phase, da ich in den letzten zehn Jahren ausschließlich dokumentarische Filme im Bereich Musik, Kunst, Theater, Schauspiel gemacht habe und mein letztes Spielfilmprojekt (ebenfalls mit dokumentarischen Anteilen) bereits rund zehn Jahre zurückliegt. Ich wollte hier in diesem Blog gerne etwas mehr Einblick in diese Arbeitsprozesse geben, aber meine Zeit hat das leider nicht erlaubt (zumal ich immer parallel an einigen verschiedenen Projekten arbeite und auch noch als Übersetzer berufstätig bin).

Die Produktion an der Bayerischen Staatsoper, die den Rahmen für unsere Filmproduktion gibt, hatte gestern Abend Premiere (mehr Interessantes dazu hier); wir sind noch eine Weile mit der Filmproduktion beschäftigt – das Ergebnis wird voraussichtlich im Juni in den ARD-Mediatheken veröffentlicht. Ich würde gerne bis dahin in Form von Blogbeiträgen etwas mehr Einblick in die Arbeit bieten.

 
 


 
 

Mit Film-Jahresbestenlisten halte ich mich aktuell zurück, da ich gemerkt habe, dass meine Maßstäbe für die qualitative Einordnung hier nicht immer auf Gegenliebe stoßen (teils anscheinend sogar als Affront aufgenommen wurden). Wahrscheinlich ist dies ein wenig damit vergleichbar, wie jemand, dem an einer gewissen sprachlichen Qualität gelegen ist (als Autor/in, Literat/in, Texter/in oder auch „nur“ als versierte/r Leser/in), auch bei interessanten Themen nicht darüber hinwegsehen kann, wenn der Text sprachlich schlecht oder auch nur uninspiriert geschrieben ist (an dieser Stelle direkt „sorry“ für meine Texte). Dies gesagt, habe ich in der Tat nur sehr wenige wirklich langweilige Filme in diesem Jahr gesehen, dafür aber viele sehr empfehlenswerte. Der filmkünstlerisch vielleicht herausragendste unter vielen sehr sehenswerten ist wohl Martin Scorseses Killers of the Flower Moon — für jemanden wie mich, der ich mich seit den frühen Tagen meiner Kinoleidenschaft in das Werk Scorseses immer wieder intensiv vertieft habe und dabei sowohl große Meisterschaft als auch manierierte und unfreiwillig komische Filme fand, zählt dieser neue zum Besten, was die Kinokunst zu bieten hat. Und dass Scorsese in einem Alter von 80 Jahren noch einmal ein derart inspiriertes, souveränes Werk hinlegt, das zudem keineswegs altbacken oder altherrenmäßig daherkommt, hätte ich nicht für möglich gehalten.

Einen interessanten Roman möchte ich auch noch empfehlen: The Guest von Emma Cline. (Hier eine Rezension aus der SZ.) Wie ich beim Film immer besonders danach suche, dass wirklich filmisch (d.h. nicht literarisch oder dialoglastig) erzählt wird, so sprechen mich Romane immer dann besonders an, wenn sie auf Weisen erzählen, die ureigen literarische Mittel nutzen, wie sie etwa im Film nicht zum Einsatz kommen können. Dazu zählen oftmals (inspirierte) unzuverlässige Erzähler/innen, auch wenn das auf so subtile und irritierende Weise geschieht wie in The Guest. Ich bin etwas unentschlossen, wie ich den Schluss des Buches finde (reizvoll oder vielmehr unschlüssig?), vielleicht sollte ich das letzte Kapitel noch einmal lesen, aber wie Emma Cline häufig mit dem nicht Naheliegenden und mit dem Nebensächlichen, Flüchtigen, Leerstellenhaften auf Augenhöhe mit ihrer Hauptfigur erzählt, hat mich sehr angesprochen. Passenderweise fand ich in diesem Beitrag/Gespräch zum Buch eben folgendes Zitat dazu: „I was thinking that Emma Cline’s writing reminded me of Cat Power’s cover of Satisfaction, where she removed the parts that at first glance would seem like the important ones.“

 
 


 
 

Nicht ganz so herausragend, aber reizvoll, auch in der Hinsicht, wie eine Protagonistin (in diesem Fall eine junge Fotografin) als nicht immer glaubwürdige Ich-Erzählerin ihre Biografie darlegt, empfand ich Eliza Clarks Buch Boy Parts … wobei es mich erst recht neugierig auf Clarks zweiten Roman Penance (Guardian review) machte, dessen Prämisse und literarische Form ich enorm vielversprechend finde: „How true can ‚true crime‘ really be, she asks us, with every page of this original, provocative novel.“ (review: Confirms the novelist as one of our most exciting new voices) Heute plane ich, mit dem Roman zu beginnen.

Doch nun zur Musik. Ich muss gestehen, dass ich in den letzten zwölf Monaten, speziell in der zweiten Jahreshälfte, so unglaublich viele tolle Alben hören konnte, dass es mir extrem schwer fällt, mich auf eine „Bestenliste“ festzulegen; vor allem kann ich nur schwer eine Auswahl treffen. Dazu kommt, dass ich einige Alben, die ich sicher hervorragend finde, noch gar nicht gehört habe (die Rolling Stones etwa), und ich gerade vorgestern erst eine Ladung 2023er ECM-Alben gekauft habe, die ich entsprechend noch nicht kennenlernen konnte (Strands, Zartir, Scofield, Danish String Quartet, Pärt und einige mehr). Dafür habe ich diesmal endlich eine gute Handvoll aktueller Intakt-Alben erworben, die ich auch sehr schätze. Ein grandioses Album aus dem Vorjahr, das ich verspätet entdeckte und das nachträglich einen Platz in meinen damaligen Top 3 bekommen müsste, muss ich noch erwähnen: Songs of the Recollection von den Cowboy Junkies — eine Kollektion überaus inspirierter, nicht naheliegender Covers von Songs von David Bowie, Gram Parsons, den Rolling Stones, Neil Young, Bob Dylan, The Cure u.a. Grandios schon die Arrangements. 

 
 


 
 

Meine diesjährige Nummer 1 ist immerhin eine klare Sache, eine australische Band um die Sängerin/Songwriterin Romy Vager (RVG steht für Romy Vager Group), auf die ich nur durch einen beiläufigen Hinweis eines anderen Musikfreundes gestoßen wurde. Ich schaute mir auf seine Empfehlung das – in einer coolen Plansequenz gedrehte! –  Musikvideo ihrer Single Midnight Sun an und bestellte mir sofort das Album. Und hörte es in diesem Jahr häufiger als jedes andere. Musikalisch ist das sicher keine große Innovation, aber die Energie und der Witz in Romy Vagers Songs sind einfach famos.

 

  1. RVG: Brain Worms

    Melbourne’s post-punk quartet RVG boldly expands their sound with synths on their third album, Brain Worms, while staying true to their roots. Filled with catchy melodies, driving rhythms, and Romy Vager’s sharp, insightful lyrics, the album evokes the 80s college post-punk era rather than embracing contemporary genre edges. This new direction, characterized by lush orchestration, haunting melodies, and poetic lyrics, demonstrates the band’s growing maturity, solidifying their status as innovators. Brain Worms rewards repeated listens, unveiling depth and complexity over time, inviting introspection and reflection. It’s a sonic journey that transports the listener to a different post-punk era, showcasing RVG’s influence and innovation today. – The Fire Note Blazing Top 50 Albums of 2023

  2. Cowboy Junkies: Such Ferocious Beauty  – ranks among the best of the Cowboy Junkies’ work — you can feel the band challenging itself, thriving in the tumult it generates. (Scott McLennan)
  3. Meshell Ndegeocello: The Omnichord Real Book  –  „The premiere jazz label, Blue Note, is her new home (…) but (…) like Ndegeocello’s best music, it is an exhilarating blend of modern R&B, hip-hop, and the soul/singer-songwriter tradition that includes Stevie Wonder and Bill Withers. (…) the best set of Ndegeocello originals since her early run of albums between 1993 and 2003.“ (Will Layman)
  4. Depeche Mode: Memento Mori
  5. Sebastian Rochford / Kit Downes: A Short Diary  –  „a perfect mood piece that will resonate deeply with a broad array of listeners.“
  6. Jorja Smith: Flying or Falling  –  „quite an accomplishment and an excellent vehicle for the singer’s estimable talents. It’s a low-key yet unequivocal triumph.“ (Peter Piatkowski)
  7. Vril: Animist –  „Vril hones in on a dub techno styling that fuses old school Echospace/ Basic Channel minimalism and progressive house to great effect (…) few can match the soul that dwells beneath those sounds (…) fervently bearing the torch of dub techno, whilst also incorporating elements of ambient and experimental house music. (…) an immersive album that blankets the listener with blistering, recurring patterns and tones.“
  8. Irreversible Entanglements: Protect your Light  –  „By turns angry, celebratory, mournful, hopeful, here’s an album for complex times.“ (The Guardian)
  9. Jamila Woods: Water Made Us  – „The music takes on many forms, just like the water referred to in the album’s title. The songs are not just liquid, solid, and gas; they are blood, wine, and soul.“ (Steve Horowitz) 
  10. Nils Økland & Sigbjørn Apeland: Glimmer
  11. Anohni and the Johnsons: My Back was a Bridge for you to Cross
  12. Sofia Kourtesis: Madres  –  The Peruvian producer’s debut album is a shimmery collection of protest chants, club rhythms, and sunlit synths that testifies to dance music’s spiritual nourishment.“ (Steven Arroyo)
  13. Volker Bertelmann: Im Westen Nichts Neues / All Quiet on the Western Front
  14. Blur: The Ballad of Darren  –  What you can immediately say is that The Ballad of Darren feels like it was from their peak years.“
  15. Corinne Bailey Rae: Black Rainbows  –  „An album full of vigorous extremes (her most beautiful, most aggressive and most educational work) that showcases the multi-faceted talents of the reinvented 44-year-old artist.“
  16. Sylvie Courvoisier with Christian Fennesz, Wadada Leo Smith & Nate Wooley: Chimaera
  17. Lankum: False Lankum  –  „Ancient yet trailblazing, it will take you on a Shamanic journey so intense that you will come out the other side feeling like your soul has been washed.“
  18. Peter Gabriel: i/o
  19. PJ Harvey: I inside the old year dying
  20. Lakecia Benjamin: Phoenix   –  [L.B.] returns with a provocative, insightful, musically adventurous album centering on feminism and spirituality.“

 

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12 Comments

  1. ijb:

    21. Elina Duni: A Time to Remember
    22. Shana Cleveland: Manzanita
    23. Bob Dylan: Shadow Kingdom
    24. Lucinda Williams: Stories from a Rock’n’Roll Heart
    25. Deena Abdelwahed: Jabal Rrsas
    26. Loraine James: Gentle Confrontation
    27. Algiers: Shook
    28. Aruán Ortiz Trio with Brad Jones & John Betsch: Serranáas – Sketchbook for Piano Trio
    29. Julie Byrne: The Greater Wings
    30. Laurel Halo: Atlas
    31. Fever Ray: Radical Romantics
    32. The Necks: Travel
    33. Culk: Generation Maximum

  2. ijb:

     
    Wieder/Neu-Entdeckungen:
     
    1. Cowboy Junkies: Songs of the Recollection
    2. Neil Young: Chrome Dreams
    3. Tricky: Maxinquaye Reincarnated
    4. Westernhagen: 75/75
    5. Bob Dylan: Fragments – Bootleg Series #17 (Time out of Mind)
    6. Elton John: Honky Château 50th Anniversary Edition
    7. Neko Case: Wild Creatures
    8. Barry Altschul, Joe Fonda, Jon Irabagon (3dom Factor): Tales of the Unforeseen
    9. Keith Richards: Talk is Cheap // Main Offender Live Album
    10. Amina Claudine Myers: The Circle of Time („In terms of depth, spirit, originality, and diversity, this is the recording that best brings those vibrant elements of Amina Claudine Myers‘ musicianship to ultimate fruition.“)
    11. Bill Frisell: History, Mystery („this double-disc, 90-minute, 30-piece suite encompasses the full range of Frisell’s musical past and his influences, obsessions, and storylike vision. ‚History, Mystery‘ is an ambitious work; it’s full of elliptical, riveting moments, shape-shifting colors, and multivalent textures. Frisell’s inherent love of formal lyricism, expansive harmonics, and divergent musical histories reflects his tireless passion for tracing sources.“)
    12. Nona Hendryx: Skin Diver („Fans of her previous work may be taken aback by this record, but the dense, almost ambient, soundscapes she constructs and her always great singing make this a satisfying foray into uncharted territory“)
    13. Belgrad
    14. Prince: Diamonds and Pearls (Box mit unveröffentlichten Songs)
     

  3. ijb:

    Zehn Albenempfehlungen „außer Konkurrenz“ (da ich in der einen oder anderen Weise beteiligt war bzw. aus persönlichem Kontakt voreingenommen bin):
     
    Eivind Aarset & Jan Bang: Last Two Inches of Sky
    Frode Haltli & Avant Folk: Triptyk
    BlankFor.Ms, Jason Moran, Marcus Gilmore: Refract
    Ingar Zach: Strumento Di Etimo Incerto
    Pjev, Kit Downes & Hayden Chisholm: Medna Roso
    T.ON plays Herzog | Muche | Nillesen ‎
    John Raymond & S. Carey: Shadowlands
    Bobo Stenson Trio: Sphere
    Jan Bang: Reading The Air
    Erlend Apneseth Trio With Maja S. K. Ratkje: Collage
     

  4. Henning Bolte:

    Danke Ingo für’s Absatz-Textbild!

    Ich verstehe bis heute die Anwendung des Hitparadenprinzips auf gewertschätzte Musik des vorübergehenden Jahres NICHT. Ein Kollege, Bret Sjerven, schlug vor kurzem vor, ‚BEST‘ mal wegzulassen und nur noch neutral zu operieren im Sinne von „My 20 Albums of 2023“. Das fand ich einen guten Zug und dann gucke und lese ich auch lieber. Auch Platzierungen passen eigentlich nicht mehr in die Zeit! Ich habe lieber ein paar erhellende Worte dazu, etwa wie die von Dir zu Romy Vager. Platzierungen sind, wenn die Worte erhellend sind, auch vollkommen unnötig denn man kann dann selbst entnehmen, wie hoch etwas vom Autor geschätzt wird. Das war früher in Zeiten ohne *** auch so. Wenn klar geschrieben wurde, wusste man wieviel Sterne es sind. Sterne und Platzierungen können auch zu Falschmünzerei führen.

    Eine Liste ‚ausser Konkurrenz‘ macht für mich auch keinen Sinn. Gerades weil Du dabei involviert warst/bist, ist es extra interessant und in dem Fall ist es kein (ver)dinglich(t)er Tonträger. Musik hat nach Bartók nix mit Sport zu tun. Hitparaden sind ein Instrument der Vermarktung und gut für unselbst- ständige Would-Be-Hipster und Trendfolger. Ja, manchmal guck ich mir Hitlisten an, um zu sehen, wohin die Masse nicht nur geführt wird, sondern auch folgt. Das sind aber ganz andere Prozesse. Aber gut, dass meine Aktivitäten und Faszinationen weitgehend vor, hinter, neben etc. Tonträgern liegen, dürfte mittlerweile auch hier auf Manafonistas klargeworden sein.

    P.S. Mit dem Bild von Lakecia Benjamin stimmt was nicht

  5. ijb:

    Hallo Henning,

    ja, es stimmt natürlich, dass das „Ranken“, wie es – Stichwort Hipster – heute ja genannt wird, eher an Sport erinnert und mit Kunst und Kultur eigentlich nichts zu tun hat… Ich habe in der Vergangenheit auch schon mal die Zahlen weg gelassen, habe auch diesmal wieder drüber nachgedacht… aber da meine „bestplatzierten“ Favoriten dann doch so klar sind (der Rest der 20 aber irgendwie streckenweise austauschbar), hab ich die Rangordnung doch mal versucht. Ob ich damit einem Trend folge? Weiß nicht, vielleicht ja. Vielleicht aber kann man die Zahlen auch einfach als Liste auffassen – im Sinne von: Ich empfehle folgende 20 Alben…? Und ich muss sagen, dass mir die Sterne-Wertung (1 bis 5, mit ggf. halben Sternen) nach wie vor gar nicht unsympathisch ist. Irgendwie mag ich das Konzept schon (noch), und ich finde es auch ganz nützlich, wenngleich ich die Nachteile daran sicherlich sehe. Fast alle der von mir genannten Alben würde ich allerdings mit 4 Sternen bewerten, außer vielleicht die ersten beiden (mit 5), bei denen die Summe mehr ist als die einzelnen Teile. Daher hilft das Sterne-Setzen zugegeben nicht wirklich was. Bei den „Außer Konkurrenz“-Sachen fiele mit eine Sternchenwertung aktuell schwer. Da fehlt mir (noch) der Abstand.

    „Außer Konkurrenz“ hab ich eher mit Augenzwinkern gemeint – und der entscheidende Grund, die diesmal so separiert nachzustellen, war eher, dass ich einfach so unglaublich viele Alben empfehlen könnte/möchte, die mich sehr begeistern, dass schon mit den 33 Positionen, auf die ich mich nun beschränkte, Probleme habe.
    Ich hab ja nicht mit ganz so vielen Musiker/innen direkt jeden Tag zu tun wie du, und ich bin aber doch noch ein sehr überzeugter Albumhörer – und vor allem Tonträger-Käufer, wofür ich immer n och viel Geld ausgebe, wenngleich das manche im Jahr 2023 skurril finden, wie ich immer wieder erlebe (wenn ich ein Album nicht gekauft habe, findet es normalerweise keinen Eingang in meine „Bestenlisten“, daher fallen aktuell zahlreiche Alben, die ich nur in meinem iTunes habe, erstmal durchs Raster, Fever Ray ausgenommen, weil ich dieses neue Album schon auch kaufen wollte/will).

    Bei den „Außer Konkurrenz“ bin ich mir z.T. auch nicht sicher, ob ich die ebenso beeindruckend fände, wenn ich nicht so viel mit den jeweiligen Musiker/innen zu tun hätte oder an der Produktion oder Vermarktung der Alben beteiligt gewesen wäre: das „Refract“-Album z.B. hat mich während der Entstehung sehr begeistert, auch wegen der Mitwirkenden, die ich da begleiten durfte, aber wenn ich das fertige Werk höre, transportiert sich das nicht ganz so. Ähnlich „Shadowlands“. „Sphere“ fänd ich ohne im Vorfeld mit den dreien unterwegs gewesen zu sein, vielleicht sogar total langweilig, weil ich nicht reingekommen wäre, und ich finde es auch sehr typisch ECM, so dass es mir deshalb nicht ganz so erwähnens-wichtig scheint wie „A Short Diary“ oder „Glimmer“ oder „A Time to Remember“, obwohl ich das Album doch sehr gerne mag, nach dem persönlichen Kontakt über mehrere Tage mit Bobo, Anders und Jon.

    Mit Ingar Zach hab ich (nachdem ich seine Soloalben zuvor allesamt grandios fand) die letzen zwei, drei Jahre sehr viel als Dokumentarfilmer zusammengearbeitet und war unmittelbar bei der Entstehung seiner letzten beiden Alben dabei, „Strumento Di Etimo Incerto“ ist mir daher vielleicht zu nah.
    Ich hab es ehrlich gesagt auch nur ein Mal angehört bislang, wie auch „Triptyk“, nachdem ich Frode ja auch schon seit einigen Jahren gut kenne. Und das Album „Collage“ hab ich sogar noch nicht einmal.

    Tatsächlich war ja geplant, dass ich bei den Aufnahmen von „Chimaera“ mit der Kamera dabei bin – zuerst in Paris (da musste Wadada dann absagen, also hat Sylvie die Aufnahme erst ein wenig verschoben, dann Nate Wooley eingefügt), und dann hatten wir einen Aufnahmetermin in New York, bei dem ich dabei sein konnte , dann wurde der auch wieder verschoben, und dann meinte Sylvie, nachdem ich sie in Brooklyn besucht habe, sie hätte eh kein Budget und wolle ungern das Gefühl haben, dass ich auf eigene Kosten dafür anreise und sie noch nicht mal wisse, wo das Album rauskäme und ob es dann eine mögliche Verwendung für ein Video gäbe.

    Es wird im April ein fantastisches neues Album von Wadada geben (im Duo mit Amina Claudine Myers), für das ich ein Video mache. Ich habe ihn dazu vor ein paar Wochen nochmal mit der Kamera besucht, in seinem Haus in New Haven. Ich habe das fertige Album schon gehört und empfehle es jetzt schon! Infos und ein Track hier. https://www.thewire.co.uk/audio/tracks/unlimited-editions-red-hook
    Und im September kommt auch endlich das bereits fertige Trioalbum mit Cyrille, Downes und Frisell, das ich ebenfalls begleitet habe, aber noch nicht gehört habe (es gab da eine aufwendige Nachbearbeitung, da die Instrumentierung mit Orgel, Gitarre und Schlagzeug in einer kleinen Kirche in Manhattan nicht so leicht handzuhaben war). Ich hoffe, dass das Album so grandios wird, wie ich es damals erlebt habe.

  6. Henning Bolte:

    Danke Ingo für Deine aufmerksamen Reaktionen und die ebenso aufschlussreichen Informationen, was zusammen Verstehen herstellt. Gut und wichtig. Haha und Inga ja, sehr gut! Versteh auch ganz gut, was Du zu Teilnahme und Wertschätzung sagst. Ich bin auch meistens nicht als Auftragausführer unterwegs. Häufig geb ich mir selbst den Auftrag :-), aber die Übergänge sind wahrscheinlich bei Dir mitunter auch fliessend. Ich habe – angesehen von den Festivalreisen, zu denen ich eingeladen werde – so viel groBartige live Sachen direkt bei mir um die Ecke, dass sich kaum zum Tonträgerhören komme. Ist aber sicherlich auch eine persönliche Temperamentsache. Musik entwickelt sich ja auch nur zum kleineren Teil nicht im Studio oder zuhause, sondern live im Miteinander mit den anderen Musikern und dem Publikum. Wenn Musiker oder die Musik durch Tonträger überleben müsste, wäre die meiste(n) schon am Bettelstab. Aber das ist ein weites Feld …

  7. Lajla:

    Ich war auch eine ganze Weile gegen das Listen. Als ich es dann jedoch unter einem anderen Aspekt betrachtete, nâmlich unter dem attributiven, fingen die Tabellen an, mich geradezu zu faszinieren. Sie sagen doch sehr viel über die Personen aus. Ich würde z.B. gern mal eine Hitliste von Uschi ansehen, ich habe keine Ahnung welche Musik sie mag.

  8. Ursula Mayr:

    Oh,oh….Musik spielt keine grosse Rolle in meinem Leben, drum hab ich mich ja lange geweigert hier beizutreten, ich fürchtete nichts beitragen zu können. Langes Ringen zwischen Micha und mir, das Ergebnis ist bekannt. Aber ich kann Auskunft geben:
     
    – Beatles – konnte man mich immer jagen

    – Lieblingsband: Kinks.

    Dann Stones, Uriah Heep, Pink Floyd, – eigentlich fast alles aus dieser Zeit

    Jazz: Miles Davis, Coltrane

    Sängerinnen: Amy Winehouse, Lady Gaga

    – Schubert und Mozart

    – vor allem: Musik anderer Kulturen, afrikanisch, indianisch, Reggae,Russisch, byzantinische Chöre, Ostkirchevor allem Country and Western, da eigentlich alles. Dave Dudley, Woody Guthrie …

    – Bob Dylan, Bob Dylan, Bob Dylan…Tom Waits, Tom Waits, Tom Waits,

    Ich kann nur nicht drüber SCHREIBEN!

    Manchmal hör ich auch Schnulzen..😔

  9. ijb:

     
    “ … die Übergänge sind wahrscheinlich bei Dir mitunter auch fliessend …“
     
    Auf jeden Fall! Ich bin da wirklich mein eigener Herr. Meine (Regie-)Position als „Auftragsausführender“ ist wohl eher vergleichbar mit dem Konzept, wie viele Musiker/innen Werke als „commission“ für Festivals oder andere Finanzierende entwickeln und aufnehmen.
    Mit Bobos Trio war ich z.B. deshalb drei Tage unterwegs, weil ich ihn vorher angeschrieben hatte, ob ich während der Tour ein paar Fotos von ihnen machen dürfte, und dann fand er die Idee so gut, dass er meinte, er hätte doch gerne neue Fotos; und dann hab ich ECM gefragt, ob ich für sie bei der Gelegenheit nicht was für die Vermarktung des anstehenden neuen Albums filmen solle. Fast immer sag(t)en sie Nein, wenn ich sowas anbiete, selbst wenn ich es auf eigene Tasche zu produzieren anbiete; aber in diesem Fall war es aus irgendeinem Grund willkommen.
    Ich hab dann an einem Tag (in Tübingen) viele Fotos vor dem Konzert gemacht, tags drauf (in Esslingen) das Interview gefilmt, und dann, als Bobo fragte, ob ich nicht doch noch ein paar Bandportraits machen wolle, noch einmal einen Tag später einige Fotos von den dreien in der Stadt gemacht, bevor sie in den Zug stiegen und nach München weiterfuhren.

    Mit meinen Videos für Red Hook verdiene auch nichts (bekomme grad so die Reisekosten zurück); aber für mich ist die Begegnung mit diesen Musikern einfach zu bereichernd, speziell wenn es so alte Meister wie Wadada oder Amina Claudine Myers oder Frisell und Cyrille sind. Daher bin ich da gewissermaßen recht frei, auch wenn es de facto natürlich Arbeit ist. Andernfalls würde Sun für die Aufnahmen wohl einen billigen Videotypen aus New York für zwei Stunden kommen lassen, der weder Reisekosten noch Unterkunftskosten benötigt. Ja, mal sehen, wie das in den kommenden Jahren weitergeht. Ich habe noch Videomaterial für drei anstehende Red-Hook-Albumveröffentlichungen auf der Festplatte, und mal schauen, ob es im kommenden Jahr eine oder zwei neue Sessions gibt, bei denen ich dabei sein kann. Bei ECM wird sich da eher so bald nichts mehr in der Hinsicht ergeben (auch wenn ich mit dem einen oder anderen ECM-Musiker tatsächlich erst kürzlich konkret über solche Optionen gesprochen habe), speziell nachdem ich jetzt mit dem ehemaligen ECM-Producer Sun und seinem neuen eigenen Label arbeite. Das sehen die nicht so gern.

    Konzerte habe ich 2023 auch – für meine Verhältnisse – ungewöhnlich viele besucht. Aber da muss ich leider einfach sagen, dass die Preise für mich als freiberuflicher Normal- oder eher Geringverdiener einfach nicht so wirklich im Verhältnis stehen. Hin und wieder mache ich das, wie bei „my heroes“ Patti Smith, PJ Harvey oder Lucinda Williams, und 30 Euro für einen grandiosen Abend mit Charles Lloyd, Frisell, Irreversible Entanglements, Notwist oder den „Nerven“ sind ja auch vollkommen okay, aber wenn man für Konzerte 50 oder 80 oder gar – wie mittlerweile teils üblich – weit über 100 zahlt, kaufe ich mir für das Geld lieber viele Tonträger; davon habe ich am Ende viele Stunden was, verglichen mit plusminus anderthalb Stunden Musik.

  10. ijb:

     
    “ … Lieblingsband: Kinks …“
     
    Die Kinks hab ich auf ihrer letzten Tour sogar mal live gesehen. War super! Beim Abschied meinte Ray „see you next year“. Das war 1995 oder 1996 – und aus dem „next year“ ist dann nie was geworden.

  11. Ursula Mayr:

    Die konnten Stimmungen einfangen wie selten jemand. Lyriker – oder Maler…
    Huch,jetzt red ich doch über Musik….

  12. Henning Bolte:

    Danke für das Beleuchten von Praxis. Vieles erkennbar für mich. Berappen für Konzerte tue ich aber so gut wie nicht. Allerdings sind Clubs meine Heimat und das gehört zum Netzwerk. Eher selten geh ich in groBe Konzertsäle (und wenn, dann ist Zutritt vorher geregelt). Dafür muss ich dann auch liefern. Das können Fotos sein, auch Posts auf Social Media oder eben Artikel, eben aktivere Teilnahme. Und Clubs sind ja auch immer Begegnungsorte.


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