Manafonistas

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Archives: Dezember 2023

In seiner neuen Arbeit enthüllt Daniel Clowes wieder eine Welt hinter unserer geteilten Realität. „Monica“ erschien Anfang Oktober 2023 und ist Daniel Clowes‘  vielschichtigste Graphic Novel und die mit dem weitesten Interpretationsspielraum.

Vordergründig, auf der am leichtesten zu erzählenden Ebene, erzählt „Monica“, wie man es bei diesem Titel auch erwarten würde, die Lebensgeschichte einer Person namens Monica, oder jedenfalls einen Teil davon, denn was am Ende passiert und ob und wie es weitergeht, bleibt in der Schwebe. Die Lebensdaten lassen sich anhand äußerer Ereignisse festlegen. Da Monicas Mutter Penny in der Flower Power Zeit sexuell sehr aktiv war und Monica bei der Rückkehr eines Vietnamsoldaten etwa fünf Jahre alt, liegt es nah, dass Monicas Geburt so um das Jahr 1970 liegt. Im letzten Kapitel arbeitet Monica ihre Familiengeschichte und wie sich diese auf ihre Lebenshaltung ausgewirkt hat, über Skype mit einer Psychotherapeutin auf. Zeitlich befinden wir uns hier einige Jahre nach der ersten Pandemie. Wahrscheinlich ist Monica in dieser Zeit Mitte 50. Nach den frühen Kindheitsjahren im Hippie-Umfeld erfährt Monica das größte Trauma ihres Lebens. Der Versuch, mit diesem Trauma umzugehen, führt im Erwachsenenleben zu unvernünftigen Entscheidungen, die Monica auf gefährliches Terrain führen. Ich halte mich hier bewusst auf einer abstrakten Ebene, um nicht zu viel zu verraten.

Das zentrale Thema, das die Graphic Novel auf verschiedenen Ebenen durchspielt, ist die Suche nach den eigenen Wurzeln. Die Suche nach der Mutter, dem Vater, die Suche nach dem Heimatort, dem Elternhaus, die Suche nach Identität. Der Weg ist – wie von erfahrenen Daniel Clowes Lesern gewohnt – auch ein Trip durch Träume und Alpträume, wir durchqueren verlassene Orte und Flughafenhallen, wir erleben kultische Handlungen, Stimmen aus dem Jenseits und grausame Verbrechen. Spiritualität ist Verlockung und Bedrohung zugleich. Tagelang sind wir mit einem Toyota unterwegs. Wir verlieren die Orientierung über Zeit, Raum und Identität. Auch das Glück hat hier seinen Platz, und auch, ganz zaghaft, die Liebe.

 
 

 
 

Durch das gesamte Buch ziehen sich Irritationen. Diese entstehen auf der einfachsten Ebene durch Platzieren von Pannels an einer Stelle, an der sie eigentlich nicht hingehören. So findet sich auf S. 61 unvermittelt ein Wal, übersät mit zahlreichen Verletzungen wie von Harpunen, und zehn Seiten später erzählt jemand Monica die Geschichte einer Region, wobei auch der Walfang erwähnt wird. Die Einblendung des ersten Wals bekommt dadurch etwas von einer Vorahnung oder einer Intuition. Unbewusstes oder halb Bewusstes dringt immer wieder ins sichtbare, gewöhnliche Leben ein. Die Welt und Monicas Biographie werden präsentiert als ein Netz feiner, leicht zu übersehender Bezüge. Diese Technik, die auch dazu beiträgt, der Graphic Novel einen Zusammenhalt zu geben, ist charakteristisch für das Buch. Dass die weniger offensichtlichen Verknüpfungen von Leuten, denen sie ihre eigene Lebensgeschichte erzählt, leicht übersehen werden, sagt Monica selbst: „They always seemed to glaze over at the intricacies of the narrative.“ (S. 100) Daniel Clowes reflektiert in Monicas Gedanken also seine eigene Methode.

Ein weiteres Beispiele für Bezüge, die man erst beim zweiten Lesen entdeckt: Die Vision „Would I come upon an airtight room filled with dead bodies?“ (S. 72) erfüllt sich (S. 34). Auch die Form eines „Cone“ kehrt wieder, einmal in den Worten eines Unbekannten, der die kleine Monica zu etwas locken will („How would you like to go on a celestial journey inside an enchanted ice cream cone?“, S. 23), und viele Jahre später in einem fremden Gebäudekomplex als Tunnel zwischen Gebäuden, ein Tunnel, der sich einfach zuspitzt und endet. Und auch dies sind die, die süchtig sind nach den tiefen Welten des Daniel Clowes, gewohnt: Personen tauchen im Buch in völlig verschiedenen Lebensaltern und Zusammenhängen auf. Auch aus diesem Grund ist ein mindestens zweimaliges Lesen – und sorgsames Anschauen der Bilder, auch des Namens auf einem Grabstein – für ein vertieftes Verständnis des Buches sehr zu empfehlen.

Nicht immer lösen sich irritierende Bilder oder Szenerien auf. Mehrere Kapitel, die nicht direkt Monicas Geschichte erzählen, stehen scheinbar ohne Zusammenhang da. Im fünften Kapitel („The Incident“) hat einer der (Ex?)Freunde von Monicas Mutter Penny den Auftrag, einen Jugendlichen zu seiner Mutter zurückzubringen. Wahrscheinlich ist dies derselbe junge Mann, der im dritten Kapitel nach vier Jahren Abwesenheit (vermutlich wegen des Vietnamkriegs) in sein Heimatdorf zurückkehrt. Das verbindende Element mit Monica ist die Suche nach den Wurzeln.

 
 

 
 

Das Papier der Buchseiten selbst ist kapitelweise unterschiedlich gefärbt. Manche Kapitel sind auf weißem Papier, andere weisen einen leichten Beigeton auf, wieder andere einen stärkeren Beigeton. Möglicherweise hat dies etwas zu bedeuten. Es kann aber auch genausogut sein, dass es nichts bedeutet.

Widersprüche und nicht miteinander Vereinbares sind weitere Mittel im Spiel der Verwirrung. Als Monica aus dem Koma erwacht, erklärt ihr der Arzt, dass sie auf Stück Glatteis ins Schleudern geraten ist. Es war aber doch Sommer, als Monica im Auto die Rückreise vom Sommerhaus ihrer Großeltern antrat?

Mit „Monica“ präsentiert Daniel Clowes ein Land (die USA), das außer Kontrolle geraten ist. Schon die bloße Existenz Monicas ist ein Beweis für eine nicht geglückte Kontrolle, versuchte Penny doch stets eine Schwangerschaft sowohl durch die Einnahme der Pille als auch durch ein spermientötendes Gel zu verhindern.

Dass Daniel Clowes in größeren zeitlichen Zusammenhängen denkt, zeigen auch die ersten und letzten Doppelseiten des Buches. Vorne präsentiert er eine Urwelt, lange bevor der Mensch sie betrat, mit roten Meeren, Felsen, undefinierbarem Urformen von pflanzlichem oder tierischen Leben und düsteren Wolken. Die hinteren Doppelseiten zeigen die Spuren, die Menschen hinterlassen: Die Twin Towers stürzen zusammen, Menschen sind deformiert und in zerfetzter Kleidung, sie schlagen aufeinander ein, gleichzeitig bedroht von Atombombe, Tsunami und einer erbarmungslos glühenden Sonne.

„And the world opens, like a wound in the soil“. So beschreibt ein Soldat im ersten Kapitel, das zwei Kameraden im vietnamesischen Dschungel im Gespräch zeigt, während um sie herum der Krieg tobt, einen Horrortraum. Versehentlich las ich das letzte Wort anders: „And the world opens, like a wound in the soul.“ Auch so fügt es sich ein, und auch dieser Satz ist wie eine Vorhersehung zu einem anderen Pannel, in dem Monica den Anweisungen einer Stimme aus einem Lautsprecher folgt.

Mit „Monica“ zeigt sich Daniel Clowes auf dem Höhepunkt seiner Kunst. Das Buch hält uns den Spiegel vor. Es ist ein Juwel, ein Meisterwerk.

 
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Seit Mitte 2013 schreibe ich auf Einladung von Michael auf diesem Blog. Nach zehneinhalb Jahren und mehr als 400 Beiträgen verabschiede ich mich mit diesem Text.

Hier ist der Link zu meinem Autorenprofil im Autorenlexikon auf Literaturport.de. Wer ganz herunterscrollt, findet eine thematisch sortierte Liste meiner Blogbeiträge auf Manafonistas (über Filme, Bücher, Graphic Novels sowie von mir geführte Interviews etc.) [Die Liste wird noch ergänzt.]

 
 

 

2023 31 Dez

Mein Serienjahr

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10/10

Succession – Final Season Four (wow) 

 

9/10

1883 – Limited Series (paramount+)

1923 – Limited Series (paramount+)

Weissensee – All Four Seasons (netflix / ard+)

 

8/10

Ted Lasso – Season Three (apple tv+)

Beef – Season One (netflix) 

The Marvelous Mrs. Maisel – Final Season Five (amazon prime)

The Americans – Season Two (amazon prime)

 

7/10

The White Lotus – Season Two (wow) 

Transatlantic – Miniserie (netflix) 

Last Exit Schinkenstrasse (amazon prime)

Luden – Miniserie (amazon prime) 

Tulsa King – Season One (paramount+)

Tage, die es nicht gab – Limited Series (ard) 

Slow Horses – Season Two (apple+) 

 

6/10

Shrinking – Season One (apple tv+)

The Last of Us – Season One Ep 1-7 (wow) 

Justified – Season Three (freevee)

 

5/10

Yellowjackets -Season One Ep 1-8 (wow)

Poker Face – Season One Ep 1-6 (wow) 

 

2023 29 Dez

Soft Drumming

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2023 29 Dez

Haiku-Songs

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Oft, wenn ich nach einer perfekten Radtour, die einer in die Landschaft skizzierten Zeichnung gleicht, in den heimatlichen Hafen zurückkehre, fällt mir ein Fragment aus einem Song von David Sylvian ein: „Circle through the room.“ Der Song heisst „Alphabet Angels“ und entstammt dem Album Dead Bees on a Cake. In ihm wohnt das taoistische Prinzip: eine freie, doch ebenso lyrisch ansprechende Fährte, ohne Wiederholung, ohne Symmetrie. Man fühlt sich erinnert an den nicht reproduzierbaren Pinselstrich chinesischer Malerei. Wie gerne hätte ich mir noch viel mehr gewünscht von dieser Machart (es folgte dann auf Manafon mit „125 Spheres“ – etwas rabiater – eine Komposition von ähnlicher Natur). Liegt nicht auch im Mangel der gelbe Ginster der Erleuchtung, wie es der Neurologe Detlef Linke einmal schrieb? Gerade in Zeiten digitaler Vervielfältigung wünscht man sich ja Selbst-Begrenzungen zurück. Diese eine Linie, this fine line. Eine Synthesizer-Melodie folgt dem gesanglich vorgetragenen Vers, umrahmt von Donnerschlag und feinen Explosionen. Buchstaben-Engel oder das scheue Reh auf der Lichtung: gelungene Metaphern für flüchtige Inspirationen, die es gilt, am Schopfe zu packen. Dichterinnen und Autoren wissen, wovon ich spreche: von dem, was sich der Kontingenz entzieht. Das Einmalige ist nämlich nicht beliebig.

 

2023 29 Dez

Workplace(s)

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Through the past seven years a lot of live drawings have been created during concerts of festivals through Europe (Aarhus, Amsterdam, Berlin, Groningen, Haarlem, Heidelberg, Katowice, Kristiansand, Ljubljana, Mannheim, Moers, Ludwigshafen, Parma, Rotterdam, Saalfelden, Skopje, Strasbourg, Trondheim, Wiesbaden, Wroclaw, Zürich). In the beginning i worked for a while with a drawing pad on my lap, sometimes even in the dark. It soon evolved, i got invitations and expositions, my workplace and materials broadened and my working was projected on a screen during the musical performance (a.o. Rotterdam, Amsterdam, Mannheim, Wiesbaden, Berlin, Parma). My first major expositions took place in Katowice (Gallery Engram), Heidelberg (Tandem Art Space), Rotterdam (Goethe Institut) and Kalisz (Centrum Kultury). 

 

 

 

 

The most intense working was at The International Piano Festival in Kalisz (Poland), at the Trondheim Jazzfest and at the Parma Frontière Festival in Parma in an old Abbey (Abbazia di Valsarena) with the 19piece Chironomic Orchestra. In Kalisz i did live drawing for four nights and covered every night three concerts in a row. After each concerts the drawings were presented in the exposition space of the venue. 

 

 

 

 

There were also cases of direct interaction with musicians (in Rotterdam in duo with drummer Sun-Mi Hong, in Berlin with Austrian group Synesthetic 4 and in Wiesbaden in the trio Whispers&Cries with percussionist Sofia Borges and vocalist/cellist Sanem Kalfa). More of that work is upcoming. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

Die Weihnachtszeit bringt unweigerlich das Wiederaufbraten betagter Schinken mit sich wie Sissi, Der kleine Lord, den noch etwas weniger gut abgehangenen Herrn der Ringe und eben – Ben Hur (den wir als respektlose Münchner Hinterhof-Bambsn damals den „Hurenbeni“ nannten). Diesmal aber nicht den unsäglichen Pomp von 1959 mit dem holzgeschnitzten Charlton Heston, dem Herrn mit der grossen Klappe – vor allem, wenn es ums US-Waffenrecht geht, das er immer prima fand. Und der beim historischen Wagenrennen seine Rolex anbehielt – historischer fault und running gag, leider später rausgeschnitten, wär heut noch der Brüller.

Zwei neue Hauptdarsteller tragen den Film in den Rollen von Ben Hur und Messala, die diesmal nicht – wie seinerzeit – so all american aussehen, als wären sie gerade in Texas frisch vom Mustang geklettert, beide im Verein mit dem bewährten und zu allem brauchbaren Morgan Freeman, der bisher noch jede Rolle prima gewuppt hat. Ansonsten spielen No-Names, auch bei den Frauen, die kurz vorher noch in den Heisskleber und danach ihre Schmuckkassette gefallen sind und sich darin gewälzt haben – aber ist ja auch Weihnachten, überall hängt viel zu viel.

Also insgesamt ein erfrischendes neues Ensemble, nur Pontius Pilatus sieht aus wie der Typ, den man täglich in der Sozialpädagogenmensa beim Müsliessen trifft, entsprechend harmlos, etwas kindlich cholerisch und unfähig, die Zerrissenheit darzustellen, die sich der historische Pilatus schliesslich von den Händen zu waschen versuchte. Leider bleibt wenig Neues zu entdecken, wenn man davon absieht, dass der Beni schon zu Anfang des Filmes mit seiner Esther irgendwie verheiratet oder verbandelt ist und die sich etwas hinziehende Liebesgeschichte des 59er Originals diesmal wegfällt. Die war seinerzeit so spannend wie eine Schüssel Kartoffelbrei und man vermisst eigentlich nichts.

Ansonsten wird die an sich brauchbare Thrill-Story trotz heutzutage möglicher überbordender filmtechnischer und digitaler Möglichkeiten und Emmerichereien 1:1 brav von der Erstfassung abgekupfert, nur in etwas gedeckteren Farben, nicht knallig, kitschig, hollywoodbunt. Aber keine neue Tiefe, keine Doppelbödigkeit, kein neues Ausdeuten der Konflikte auch unter dem Gesichtspunkt der gegenwärtigen Geschehnisse in Palästina, keine psychologische Feinzeichnung insbesondere der gebrochenen Figur Messalas – ein weites Betätigungsfeld wäre das gewesen. Nicht mal special-effects.

Einzig Jesus imponiert – keine blonde Engelsgestalt mit blitzblauen Augen, eher dunkel, düster, finster und verzweifelt und im Kreuzgang sieht man wirklich, dass hier jemand zu Tode geschunden wird. Ein Mann mit einem Gesicht, das die Ahnung gegenwärtiger und kommender Qual ausdrückt. Dies nun ein wirklicher Unterschied zur alten Fassung, in der er kein Gesicht, dafür gepflegtes duftiges Langhaar und eine frisch gewaschene Kutte sowie dramatische Musikuntermalung verpasst bekam. Ein Gott ohne Gesicht – eigentlich der muslimische Modus. Hier hat er eines.

Und jetzt folgen die klassischen zwei Begegnungen von Ben Hur und Jesus mit der Wasserschale, dann Kreuzigung und die Heilung von Ben Hurs Mutter und Schwester vom Aussatz – und nun haut der Regisseur rätselhafterweise den Schnelldurchlauf rein. Das ganze Geschehen um Christus rast vorbei, als würde sich der Regisseur mit dem schwer zu behaltenden Namen Bekmambetow (Vater Kasache, die sind grösstenteils Muslime, Mutter russische Jüdin, sicher alles nicht einfach) genieren, von einer zentralen Figur der christlichen Religion erzählen zu müssen. Dabei hätte er es problemlos weglassen, uminterpretieren, das Hollywood-Pathos brechen oder irgendetwas anderes daraus machen können. Nichts davon.

Stattdessen wird der filmisch gut angelegte Christus schnellstens gekreuzigt, stirbt Sekunden später und dann donnert der Film überstürzt dem Ende entgegen, als wäre dem Produzenten das Geld ausgegangen. Oder als hätte der Regisseur Konflikte mit diesem zutiefst christlichen Thema gehabt – seine Abstammung würde es erklären, aufgrund ihrer religiösen Zuordnung dürften beide Eltern mit dieser Figur ihre Schwierigkeiten gehabt haben, falls sie Religion praktizierten.

Leider wissen wir das nicht, es wäre vorstellbar, dass diese Verbindung der Eltern dadurch konflikthaft gewesen sein könnte und das innere Christusbild – ob man nun dran glaubt oder nicht, man hats einfach – entsprechend unscharf und ambivalent besetzt sein könnte. Das Leben von Regisseuren beginnt in den Biographien immer erst nach dem Studium – vermutlich um die Psychoanalytiker zu ärgern, die ihrem Trüffelschwein-Modus nachgehen wollen. Soweit der Spekulatius. Die Songs sind eher der Popmusik entlehnt und passen hier so gut wie ein Kreuznagel ins Auge.

Wer sein Christusbild erweitern möchte:

 
 

 
 

Dazu sei verwiesen auf den 1973 gedrehten Film Jesus Christ – Superstar von Norman Jewison – von der Machart her eine Rockoper beziehungsweise eine Aneinanderreihung fetziger Songs und Tanzszenen in rasendem Tempo, deren Drive man sich nicht entziehen kann. Dieser Film wagt eine Ausdeutung der historischen biblischen Marionettenfiguren, verleiht ihnen ein Seelenleben und eine Tiefendimension, die sie plötzlich interessant macht.

Christus ist hier nicht das Opferlamm, sondern ein rebellischer, oft widerspenstiger Kerl, der seinen Vater auch im Garten von Gethsemane noch zur Rechenschaft zieht.

 

„God, thy will is hard
But you hold every card
I will drink your cup of poison
Nail me to your cross and break me
Bleed me, beat me, kill me
Take me now, before I change my mind.“

 

Eindrucksvoll auch seine Überforderung beim Andrängen der vielen Kranken, die geheilt werden wollen – er stösst sie schliesslich weg:

 

„There’s too much of you,
There’s too little of me!“

 

Judas ist Sozialrevolutionär, brennt für die Befreiungsbewegung, die von Jesus ursprünglich begonnen wurde, der sich dann aber mehr und mehr Gott zuwandte anstatt gegen die Besatzung zu kämpfen.

 

„All your followers are blind
Too much heaven on their minds“.

 

Nach dem Verrat an Jesus hadert Judas ebenso mit Gott:

 

„Oh God – I‘ ve been used!
And you knew it all the time!
God, I never know
Why you chose me for your crime!
For your foul, bloody crime!“

 

Die verliebte Maria Magdalena sieht sich einem Mann gegenüber, den sie nicht fassen und begreifen kann, was dazu führt dass sie sich zunehmend selbst nicht mehr begreift.

 

„I dont know how to love him
I dont see why he moves me
I have changed
I’ve really changed
In this past few days
When I’ve seen myself
I seem like someone else.“

 

Zunächst tut sie was der Mensch eben tut – das Phänomen in bekannte Schemata einordnen zu wollen:

 

           He‘ s a man

           He’s just a man

           And i’ve had so many men before

           In very  many ways

           He’s just one more

 

Die verändernde Macht von Beziehung und ihre Nichtfassbarkeit!

Pilatus ist kein Feigling, der Christus ausliefert, er fühlt sich angerührt und möchte ihm helfen, scheitert aber an der wilden Entschlossenheit eines Opfers, das seinen Weg zu Ende gehen muss und will.

 

Die, if you want to

You misguided martyr

Die, if you want to

You innocent puppet.“

 

Auch er setzt sich mit der ihm zugewiesenen Rolle auseinander:

 

„And then I saw
Thousands of millions
Crying for this man
And then I heard them mentioning my name
And leaving me the blame.“

 

Herodes, gerade bei einer Beach-Party, nimmt Jesus ohnehin nicht ernst:

 

„Prove to me that you’re divine
Change my water into wine
Prove to me that you’re no fool
Walk across my swimming pool“.

 

Die Apostel in der Nacht in Gethsemane wachen nicht mit Jesus, sondern zwitschern einen und träumen von künftigen Ruhm:

 

„And when we retire we will write the gospels
So they still talk about us when we’ve died“.

 

Da menschelts, da wird’s interessant, da kann diskutiert werden, da ist Gott wirklich Mensch geworden, wenn man es so ausdrücken will. Hier ist das Neue Testament ein grausames Drama eines gnadenlos funktionalisierenden und manipulierenden Gottes, in dem Motive und Sinn nicht erkennbar werden. Gott spielt seltsam mit der Welt.

Viele Religionslehrer erkannten das Potential dieser Geschichte und gingen mit ihren Schulklassen ins Kino. Und in andere Filme, die nachfolgten.

Bei der Konfirmation meiner Nichte im biederen Prien am Chiemsee sang der Schulchor doch glatt:

 

„Always look on the bright side of life.“

 

 

 


 
 

SUNNY KIM  <<Liminal Silence>> Earshift Music 

 
 

The music of this Australian album hovers between delicate manifestations of mundane song formats and spiritual spaciness of  eternal ghosts’ spheres. Together with New York guitarist Ben Monder and Los Angeles pianist Vardan Ovsepian, Melbourne vocalist Sunny Kim created the exceptional cosmic music of her album  <<Liminal Silence>> by means and around a voice that is challenging the air and thereby enters  i n t o  as well as emerging  f r o m  a deeper space on the vibrations of light and sound. It never gets lost in suggestively rustle and sough, it always reaches down to the very ground of the matter, to the essence with great intensity. Or, as Peter Knight, the former Artistic Director of the Australian Art Orchestra put it: „it is ethereal and yet always utterly visceral.“  Kim herself is a quite active member of AAO meanwhile. 

 

In almost an hour containing 10 pieces, the music draws listeners into liminal sound experiences from different angles, groundworks and breaths of life. For Sunny Kim silence is the origin of the living and houses the inner truth of ourselves. As a human being of sharp and clear mind in congruence with her body and soul, she formulates and speaks out: “Liminal Silence is a communal meditation on the nature of silence, the cycles of birth and death, and our innermost aspiration for change within.” 

 

The album comprises a diversity of pieces from the blissful “Living Within the Ocean” to the transcendental “Liminal”,  the balladesque “Fall” or the dramatic “Poland, 1948”. None of the album’s pieces resolves harmonically in conventional way. The pieces are kept open, are stretching, wandering/wondering with and along the underlying current of heartbeat, blood circulation, imagination and consciousness, sensing expansions, thresholds and the glow of light, concentrating on these and illuminating them through the shades and intensities of their connecting voices. They masterfully cover a range from deep dark to brilliantly bright with the manifold fractures and transitions of light and sonic color in between and have trance-inducing potential (but is no ambient/mood music). The triangle of Kim, Osvepian and Monder is a heavenly match. Armenia born Osvepian from Los Angeles might be less known in Europe. Being part of the Peter Erskine Trio and having recorded with Berlin violinist Biliana Voutchkova indicate his range, that’s worthwhile to explore. 

 

There are joint and individual compositions as well as a lovely interpretation of Brian Shankar Adler’s composition “Living Within The Ocean”. Lyrics are taken from William Blake, Rumi and Sun Do Kim.  

 

(c)

2023 27 Dez

SUNNY KIM #1

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„Ethereal yet utterly visceral, Sunny Kim begins with three notes, repeated and picked up by her sampling device. The darkness around her seems to breathe.“

(Peter Knight, former Artistic Director of Australian Art Orchestra)

 
 

(c)

2023 27 Dez

NACH(T)KLANG

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(c)

2023 26 Dez

Songs of Silence

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Zuerst ist da Raum, weit und leer. Als ob es da etwas zu antizipieren gäbe, was diese Stille nicht stören will, sich ihr nur leise zur Seite stellen, sie sichtbar machen und und den Raum subtil erweitern möchte. Den Blick nach innen gerichtet und sich doch jeder Nuance der Außenwirkung bewusst öffnet sich aus dem Nichts Cathedral in die Weite, ganz einfach, schwebend und dennoch vielschichtig. Ambientmusik vom Feinsten von einem Meister, von dem man dies als Debütalbum am allerwenigsten erwartet hätte. Vince Clarke gründete Depeche Mode mit, stieg dort aus, als die Band Fahrt aufnahm, spielte kurzzeitig mit Alison Moyet als Yazoo und dann aber 1985 mit Andy Bell in dem erfolgreichen Langzeitprojekt Erasure. Synthie-Pop also, charttauglich und kommerziell. Und jetzt ein stilles, subtiles und diskretes Album nach 53 Jahren Bühnenpräsenz in dem die Erfahrung auch mit leisen Tönen große Bilder zu erzeugen ohne dass er irgendjemanden noch etwas beweisen müsste, zum Tragen kommen. White Rabbit ist ein von einem leisen analogen Sequenzermotiv getragene Tranceinduktion, die in dem dazugehörigen Videoclip eine psychedelisch-dystope Gesellschaftskritik am Leben der immer mehr zunehmenden smombiehaften Mutanten langsam eskaliert. Auch jedes folgende Stück eröffnet eine sehr eigenständige Perspektive, schwebt durch das feinste Gewebe des weiten Raumes fast wie ein Nebel, Imminent, oder entführt in ferne Welten des Red Planet, atmosphärisch inspiriert von den Soundtracks zu den Blade Runner-Filmen. Zweifelsohne der Höhepunkt des Albums ist aber The Lamentations of Jeremiah mit Reed Hays am Cello, das zeit- und schwerelos wie ein urzeitliches Klagelied erklingt. Auch der Rest des Albums, bis man von Last Transmission sanft abgesetzt wird, birgt eine Ambient-Miniatur nach der anderen, die in fast cineastischer Intensität in stets neue akustische Landschaften entführen, deren Pastelltöne wie Vielschichtigkeiten das Bewusstsein in einen Raum einsaugen, den Ambient noch nie zuvor betreten hat. Dagegen wirkt das aktuelle Album seiner früheren Mitstreiter von Depeche Mode Memento Mori kommerziell und flach, muss man hier doch erst einmal die Hälfte durchhören, bis langsam auch einmal spannendere und gewagtere Stücke kommen.

 
 
 

 


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