Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2023 29 Nov.

Wie kommt Mephisto in die Flasche?

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 14 Comments

 

Genauer:

Die Suche nach dem Faden der Ariadne nach dem Öffnen der Büchse der Pandora.

 

Weniger verklausuliert:

Beim Regisseur George Miller weiss man nie so recht, was er als nächstes vorhat – vom ungezügelten Action-Rausch eines Mad Max zum Schmonzettchen über das Schweinchen Babe nun ein Fantasy-Epos mit märchenhaften Obertönen – nach der Romanvorlage Der verliebte Dschinn von A.S. Byatt.

Ein Film über das Wünschen und Begehren im allerweitesten Sinne als opulenter Bilderbogen mit zwei gut aufgelegten Hauptdarstellern angelegt, zwischen denen lediglich die erotische Choreographie nicht so recht knallen will. Zum Ende wirken sie eher wie ein schüchternes Rentnerpärchen, das noch die letzten Tropfen Nektar aus dem Becher des Lebens saugen will und einfach gern miteinander spazieren geht, weil zu allem anderen die Power fehlt.

Auch Tilda Swinton gibt mal nicht irgendeine Form der Eiskönigin, sondern zeigt sich berührbar und will im weiteren Verlauf auch zunehmend berührt werden. Und Idris Elba sieht – als dauerverliebter Kraftbolzen mit sanfter Seele – ohnehin gnadenlos gut aus.

Die Professorin für Narratologie – das gibts wirklich – heisst Alithea (Aletheia ist die Göttin der Wahrheit, was sich jetzt natürlich mit einem Beruf, in dem es um Storytelling geht, ein bisschen beisst, aber wurscht …). Sie kauft sich ein Fläschchen, aus dem ein Dschinn entsteigt, der auch Dschinn heisst und da lange geschlummert hat. Er muss ihr drei Wünsche erfüllen, andernfalls muss er zurück in die Flasche. Problematisch nur, dass die Dame keine Wünsche hat, denn als Narratologin und kluge Frau weiss sie, dass dergleichen frei flottierendes Gewünsche oft schiefgeht; man denke nur an den Fischer und seine Frau.

Der Dschinn – anfangs von raumfüllender Grösse (später schrumpft er auf Menschengrösse) ist vom Nabel abwärts behaart und weist dabei zurück auf Geschöpfe der Mythologie, die die menschliche und die tierische Seite des Menschseins noch unzerrissen in sich tragen wie Faune und Zentauren – durchaus sympathische Burschen, die es verstehen, sich’s gutgehen zu lassen. By the way hätte der alte Schelm aus der Berggasse zu halbbehaarten Dingen, die beliebig grösser oder kleiner werden können, sicher auch eine stringente Deutung aus dem Hut gezaubert und der Geschichte damit einen noch etwas anderen Fokus verliehen –  aber man muss ja nicht alles vulgärfreudianisch angehen.

Der Dschinn erzählt also daraufhin der Professorin sein 3000 Jahre währendes Leben, geprägt von von Verliebtsein, Liebe und Begehren bei sich und anderen – aber auch Geschichten von Mordlust, Gier und Verrat und der dunklen Seite menschlichen Getriebenseins. Im Gegensatz zu Faust, der sich relativ rasch von Mephisto auf das schlüpfrige Parkett der Erotik locken lässt und sodann gleich über das arme Gretchen herfällt, ist die Professorin erst obstinat, obwohl ihr der Dschinn zunehmend wohlgefällt.

Man plaudert zunächst in Hotelbademänteln in der Sprache Homers; der Dschinn ist allerdings ein kybernetischer Organismus (so tönte seinerseits der Terminator, der allerdings als lernende Maschine aus der Zukunft kam, um die Vergangenheit etwas aufzuräumen) und lernt rasch die Sprache. Dann öffnet er die Pandorabüchse und es folgt ein Tsunami an Vignetten aus seinem Leben und Lieben und dem anderer Figuren aus dem Orient, in üppigem Dekor, ein Bilderbogen der Scheherazade, überwältigend für den Zuschauer, der vergeblich nach dem roten Faden sucht wie Ariadne im Labyrinth des Minotaurus. Es wird geliebt, gehasst, geneidet geeifersüchtelt und geschwängert, verfolgt und getötet bis der Bildschirm glüht, der Dschinn muss immer mal wieder in die Flasche und wird auch wieder befreit, da gibt es eine systemimmanente Gesetzlichkeit.

Der Zuschauer verliert sich im Visuellen, die Logik bleibt auf der Strecke – bzw man kommt mit dem Denken nicht mehr hinterher, wer jetzt sich in wen verguckt hat und warum. Aber wer fragt danach in einer Märchenstunde? Gefühle sind mit Logik ohnehin nicht zu fassen und der Film vermittelt uns ihre Schönheit, Potenz und Schrecklichkeit und ihr Zerstörungs- und Aufbaupotential über die Jahrtausende – auch ein bisschen mit Augenzwinkern dargestellt, einer ironischen Distanz, die die Bildgewaltigkeit und das Jagen der Menschen nach Befriedigung angenehm bricht und nicht zurückschreckt die Lächerlichkeit so mancher Begehrenden auch mit rüberzubringen. Und manche weibliche Protagonistinnen scheinen durchaus Persönlichkeitsanteile von Alithea zu repräsentieren.

 

 

Die Professorin ist beeindruckt; allerdings beginnt jetzt der Dschinn zu schwächeln, der elektromagnetische Wellensalat der Neuzeit, der in der Grosstadt auf ihn einstürmt macht ihm gesundheitlich zu schaffen und zerstört langsam seine Struktur. Er ist gezwungen, die Professorin zu verlassen, die aber dankbar ist, dass sie ihr Seelenleben wieder entdeckt hat und Wünsche formulieren kann, so dass der Geist nicht wieder in die Flasche muss; hier tröpfelt etwas Rührseligkeit in die Melange aus Sehnsüchten und Begierden, das Paar geht gelegentlich noch zusammen spazieren – zuletzt gemeinsam in den Sonnenuntergang wie weiland Winnetou und Old Shatterhand.

Ein Cliffhanger, der durchaus ein Sequel möglich erscheinen lässt, Regisseure müssen schauen wo sie bleiben. Und ein merkwürdig zurückgenommenes Ende nach all den rauschhaften Erlebnissen, aber somit auch eine Parabel für das Schicksal menschlicher Triebregungen: Zuerst riesig, beängstigend, fremdartig und raumfüllend nachdem sie aus ihrem jeweiligen Behälter ausgebrochen sind, dann von einer Person mit hinreichender Ich-Stärke verbalisierbar und handhabbar gemacht, bis sie sich erschöpft haben und in einer harmonischen Altersliebe ihr Ende finden – das Schicksal vieler Lieben. Somit wäre der Dschinn zu lesen als externalisierter Persönlichkeitsanteil von Alithea, der durchaus Wünsche hat und sich von ihrem Verstand nicht einreden lässt, sie wäre mit allem fertig – ein Thema das alle fühlenden Menschen höheren Alters bewegt.

Der Film gibt auch Hinweise auf Hintergründe. Beim Betrachten des Fotoalbums von Alithea sieht man Bilder einer glücklichen Ehe, dann das Ultraschallbild eines Fötus – danach leere Seiten. Hier wurde etwas beendet und in eine Scheinzufriedenheit überführt bis … – ja bis der Dschinn hereinplatzte und wie einst Mephisto darauf hinwies, dass Herr Doktor mal mit der Denkerei aufhören und etwas Sex haben sollte – ohne das Drama jetzt allein auf diesen simplen Focus eindampfen zu wollen, aber die Gretchenverführung ist eben nun mal die Zentralheizung dieses Werks.

Und der Dschinn als Repräsentant unseres Trieblebens darf in Freiheit bleiben, solange der Mensch sich etwas wünscht, wer aufgehört hat zu wünschen hat ihn für immer eingesperrt. Es muss eine Fusion zwischen Triebkraft und wünschendem Objekt stattfinden, damit es zu einer Erfüllung kommen kann bzw die Triebkraft sich in einer Handlung befriedigendend operationalisieren kann – ein furztrockener Psychosatz den dieser Film in seinen bunten Metaphern viel schöner visualisiert. Wenn wir aufhören zu wünschen, passiert nichts mehr. Möge uns dann ein guter Dschinn besuchen, gerne auch gleich im Bademantel.

 

This entry was posted on Mittwoch, 29. November 2023 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

14 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Deine Filmkritiken sind schöne „Pflichtlektüre“. Wenn ich nicht zu den Ehemakigen gehören würde, würde ich mir einmal den Spass machen und dein Alias werden, heisst, einen Film unter deinem Namen besprechen, und das Ziel wäre, dass jeder Leser denkt, du seist mal wieder in Hochform. Das wäre eine schöne „challenge“, auch die psychoanalytische Sprache trefflich zu wuppen. Aber natürlich mehr Hommage als Parodie:)

    Ich überlege, nachdem ich viel schmunzeln musste bei der Lektüre, den Film für 3,99 Euro bei prime auszuleihen. Er könnte mir gefallen. Was dagegen spricht, ist meine Wikipedia-Lektüre der Filme des workaholic George Miller. In der Regel sind mir seine Filme zu effekbeladen und aufgebrezelt. Überinszeniert. Mit dem Mad Max Film Fury Road zB kann man mich jagen, und der einzige Film, an den icn mich erinnern kann und den ich fesselnd fand, war ein für Millers Verhältnisse erstaunlich minimalistisch inszenierter Film: Dead Calm – Totenstille, ein wirklich guter Thriller, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

    Bis vor kurzem dachte ich, ich hätte einen neuen Star am Regiehimmel gefunden, Damien Chazelle, drei Filme sah ich von ihm, jeder Film ein Knaller, ein Deepburner, bis ich den geballten Schwachsinn seines bislang letzten Filmes sah… Babylon – Rausch der Exstase. Kommte den Film nur eine quälende halbe Stunde ausfallen, sooooo brunzdoof fand ich „Babylon – Rausch der Exstase“ – der Mist hat dann tatsächlich noch „Roter Himmel“ an die zweite Stelle meiner Filmfloperlebnisse des Jahres verdrängt. Der dritte Filmflop war „Barbie“, der vierte, komplett asynchron, „Once Upon A Time In Hollywood“, um den ich seit 2019 einen Bogen machte, bis ich ihm dann doch, typische Hippie-Regression, eine Chance gab. Fehler. Ogottogott.

    Also, Tilda, Idris, was mache ich nun mit euch? Let‘s wait and see! Und, ähem, Uschi, am 24. Januar kommt „Poor Things“ in die Kinos – ein gefundenes Fressen für dich, oder wie heisst „gemähte Wiese“ auf Urbayerisch?

  2. Ursula Mayr:

    A gmahde Wiesn – und Barbie ist gar nicht so schlecht. Und mich zu kopieren ist ein hohes Ziel.
    Mit Chazelle kann ich auch nicht soviel anfangen und LaLaLand schiebe ich vor mir her wie die professionelle Zahnreinigung.

  3. Ursula Mayr:

    Oh Gott, Poor things ist ja Lanthimos. Hoher ZQF! Zur Erinnerung: Zuschauerquälfaktor!
    Prozentueller Anteil der Zuschauer der nach spätestens 15 Min. abgehauen ist und sich in der Kneipe neben dem Kino besäuft.

  4. Olaf Westfeld:

    Wenn Du Once Upon A Time In Hollywood eine zweite Chance gibst, solltest Du im Hinterkopf haben, dass es sich in Wahrheit um einen Hundefilm handelt – dann ist er gleich viel besser imho.

  5. Ursula Mayr:

    Film oder Serie??

  6. Michael Engelbrecht:

    Film. Von Quentin Tatantino. Und ich habe da nicht mal ein Drittel ausgehalten. An einen Hund kann ich mich nicht erinnern. Und das war meine private Liste der Flops vielgelobter Filme:) Barbie hat auch einen hohen MQF (Michaelquälfaktor), geht gar nicht, wenn ein Film mich kalt wie Thunfisch lässt. Mist, ich habe morgen meine professionelle Zahnreinigung…

  7. Michael Engelbrecht:

    Ich krieg gerade wohl noch ne Brad Pitt Allergie. Der schwirrte bei Chazelle UND Tarantino rum.

  8. Ursula Mayr:

    Nur wegen einer Pitt – Allergie muss man keinen Tarantino in die Tonne treten. Der hat in jedem Fall prima plots. Dem haben wir zu verdanken dass die Junge Generation jetzt zumindest weiss dass Hitler in einem Kino in Paris gegrillt wurde. Wenn das kein Qualitätsmerkmal ist..

  9. Michael Engelbrecht:

    Das war kein In die Tonne Treten. Ich nehme es ernst, wenn mich etwas massiv langweilt, und suche dann nicht den künstlerischen Ausdruck, sondern die Stop Taste.

  10. Ursula Mayr:

    Der bei weitestem grösste Schnarcher von Tarantino war eindeutig The Hateful Eight.

  11. Jörg R.:

    You made my day!!!

  12. Michael Engelbrecht:

    Über The Hateful Eight kann ich mich final äussern, dennn den Film habe ich in voller Länge gesehen. Tolles altes Breitwandformat, ein kurzer, aber beachtlicher Showdown, und leider ein sturzlangweiliger Film mit theatralisch überlangen Dialogen. Selbstverliebter Schrott.

    No pardon for boredom.
    Keine Dankbarkeitsbindungen für alte Meriten.

    Long live „Silverado“!!! So geht Western.

  13. Olaf Westfeld:

    Hateful Eight ist wahrlich schnarchlangweilig. Da fehlt der Hund. Silverado hab ich als großartig in Erinnerung, das letzte mal aber vor ewigkeiten gesehen.

  14. Michael Engelbrecht:

    Das ist das Tolle: man kann Silverado viermal im Leben sehen, und jedesmal ist es anders – und wie neu. Und da gibts auch einen Hund!


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz