Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Weiß ist die Farbe der Neutralität und vielleicht auch der Hoffnung. Weiß gestrichene LKWs stehen am Grenzübergang von Rafah und warten auf die Einfahrt nach Gaza, um überlebensnotwendige Hilfsgüter zu bringen. 2015 lieferte aber auch Rußland das entscheidende militärische Material in weißen LKWs in die Grenzregion des Donbass vorgebend humanitäre Hilfsgüter zu liefern. Doch diese Geschichte spielt viele Jahre früher, in den letzten Monaten des 2. Weltkrieges und hat bisher nur wenig Beachtung gefunden. Die Einsicht, dass der Krieg für Deutschland nicht zu gewinnen war, machte sich zunehmend auch in den Köpfen führender deutscher Politiker breit und so gab es auch Bestrebungen die Konzentrationslager aufzulösen, damit sie nicht in die Hände der Siegermächte fielen und so die Verbrechen und das Grauen nach Möglichkeit nicht nachweisbar werden sollte. In dieser brisanten Phase machte der Vizepräsident des schwedischen Roten Kreuzes Graf Folke Bernadotte den Versuch Kontakt zu Walter Schellenberg und Heinrich Himmler aufzunehmen, um mit ihnen über eine Rückführung von überwiegend dänischen und norwegischen KZ-Häftlingen nach Skandinavien zu verhandeln. Er war mit seiner Mission sehr erfolgreich und so konnten in mehreren konzertierten Aktionen etwa 20000 inhaftierte Menschen, darunter auch viele Juden, mit eilends weiß gestrichenen Bussen des schwedischen Roten Kreuzes durch das ausgebombte und weitgehend zerstörte Deutschland gerettet und aus der Einflusszone des zerfallenden Nationalsozialismus gebracht werden. Später wurden die Berichte über das in den Konzentrationslagern Erlebte und über die Evakuierung in den teilweise sehr schnell organisierten Aktionen sorgfältig dokumentiert.

Eigene Interviews mit noch lebenden Zeitzeugen dienten dem dänischen Saxophonisten und Komponisten Benjamin Koppel als Ausgangspunkt für ein fast cineastisches Werk, das sich um einzelne Zitate rankt, die schmerzhaft unter die Haut gehen und dem Vergessen entgegenwirken. Beklemmend in ihrer Einfachheit und durch den einfachen Trick das muttersprachliche Originalzitat von einer Wiederholung in Englisch folgen zu lassen geben die Worte der Überlebenden den Rahmen für die Kompositionen, die mit ihren Spannungsbögen und ihrer akustischen Bildgewalt einen wirkmächtigen inneren Film entfalten zwischen unfassbarer Grausamkeit, einem initiatischen Weg in die Freiheit und den finalen Willkommensgesten, die für die Befreiten ein kaum fassbares Wunder gewesen sein müssen. Ein beklemmendes Album, das in seiner Intensität und Direktheit den Hörer in seinen Bann zieht. Dazu beigetragen haben in überragender Weise die Jazzsängerin Thana Alexa, der Schlagzeuger Antonio Sanchez, der Bassist Scott Colley, der Pianist Uri Caine, Søren Møller an den Keyboards und der Solocellist des Dänischen Nationalen Symphonieorchesters Henrik Dam Thomsen.

 

 

 

This entry was posted on Samstag, 28. Oktober 2023 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

9 Comments

  1. Lajla:

    Mal eine zunächst als wichtig geltende Musikvorstellung. Wo sind die Stimmen der Leidgeprüften, die das verheerende Massaker ihres Landes im Gazastreifen verurteilen?

  2. Jochen:

    Pianist Uri Caine finally mentioned on this blog ;)

    (klingt interessant, werde ich mir anhören …)

  3. Michael Engelbrecht:

    Man assoziiert zu solcher Musik automatisch die Gegenwart.

    Was typisch ist für Stimmen, die beide Seiten sehen, die Opfer der perfiden Hamasattacke, UND die zahllosen Opfer unschuldiger Palästinenser in diesen Tagen im Gazastreifen, hat Angelina Jolie erfahren dürfen.

    Zitat DER SPIEGEL:

    Die Schauspielerin und ehemalige Sondergesandte des Uno-Flüchtlingskommissars Angelina Jolie sorgt sich um die Opfer des Kriegs in Nahost und lehnt die israelischen Angriffe klar ab. »Die Menschlichkeit verlangt einen sofortigen Waffenstillstand. Palästinensische und israelische Leben – und die Leben aller Menschen weltweit – sind gleichermaßen wichtig«, schreibt sie in einem Statement auf Instagram.

    Jolie verurteilt dort auch die Aggression der Hamas deutlich. »Was in Israel passiert ist, ist ein Terrorakt.« Dies rechtfertige aber nicht die unschuldigen Opfer im Gazastreifen. In den Kommentaren zu dem Posting gibt es nur wenig Verständnis für Jolies Bemühen um eine Position, die eine Eskalation verhindern möchte. Sowohl Unterstützer Israels als auch von Palästina werfen ihr vor, nicht genug Solidarität zu zeigen.

    Dass so eine zutiefst humane Position wie die von Angelina Jolie auf wenig Zuspruch stösst, zeigt, wie sehr auf Konfrontation und Schwarzweissmalerei die derzeitige politsche Diskussion gebürstet ist.

  4. Henning Bolte:

    Die Nazis hatten riesige Gebiete besetzt und hatten zunehmend ein ERNÄHRUNGSPROBLEM für die Armee wie für die Bevölkerung. Dazu gibt es sehr gediegene Untersuchungen.Die Nazis haben auf verschiedene Weisen versucht das Problem zu lösen, ohne aufgeben zu müssen. Die Wirtschaft gab auch nicht mehr viel her, es war eine vollkommen einseitige Kriegswirtschaft mit allen Tricks.

  5. Henning Bolte:

    Wir befinden uns in einer Situation, in der kontrafaktische Glaubenssätze Hochkonjunktur haben u die grausamsten Blüten treiben. Die Wirklichkeit wird uns alle einholen, wenn Gaza in Schutt u Asche liegt (was es ja schon längst der Fall ist). Mit welchen Waffen vermag ich nicht zu sagen. Was Guiterrez laut ausgesprochen hat, war bitter nötig. Der Gazastreifen hat eine Oberfläche von 386km2, das ist nicht mal 20x20km. Da gibt’s nicht viel Wahlmöglichkeiten, was wo untergebracht werden kann.

    Man hat in Palestina seine eigenen Dämonen geschaffen und jetzt sind sie auf einmal real. Auf was anderes war man mental nicht mehr vorbereitet.

    Es sieht nicht gut aus. Ich empfinde es als eine sehr, sehr belastende Situation. Wegen der vielen Opfer und der zunehmenden geistigen Verwirrung. Es ist wohl die extremste Situation, die ich in meinem Leben mitgemacht habe. Es wird Schindluder mit der Historie getrieben. Und der Begriff ‚Ausmerzung‘ spült wieder hoch!

    Ich bin ab morgen beim Jazzfest Berlin (wo ich ja, zusammen mit Peter Margasak, Programmberater bin) und werde da mit Nour Sokhon, einer elektronischen Musikerin aus Beirut zusammenarbeiten. Auf dass wir den Mut nicht verlieren.

    P.S. Palästina ist seit langen Zeiten der Name des Landstriches zwischen Afrika und dem Nahen Osten, auch Levante genannt. Er war lange Zeit Teil des Osmanischen Reiches, das vor mehr als 100 Jahren zerfiel. Was danach geschah, in DER Tinte sitzen wir immer noch.

  6. Michael:

    Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) meldet, dass seit Beginn des Krieges 64 seiner Mitarbeiter getötet wurden, darunter ein Mann, der zusammen mit seiner Frau und acht Kindern bei einem Angriff am späten Montag getötet wurde.

    »Dies ist die höchste Zahl von Uno-Mitarbeitern, die jemals in einem Konflikt auf der ganzen Welt in so kurzer Zeit getötet wurden«, sagte Sprecherin Juliette Touma der Nachrichtenagentur The Associated Press. »Das UNRWA wird ohne diese Kollegen nicht mehr dasselbe sein.«

  7. Henning Bolte:

    die jüdische gemeinschaft in den Niederlanden und das jüdische museum in Amsterdam haben die verwendung von Judensternen durch den israelischen Botschafter in der UNO als unangemessen und unschicklich bezeichnet.

  8. Henning Bolte:

    Es sieht danach aus, dass die israelische Regierung waffen an die jüdischen Siedler im Westjordanland ausgeteilt hat. Inzwischen sind in den letzten Tagen mehr als 100 Palästinenser dort in Siedlungsnähe getötet worden

  9. Anonymous:

    Eno at Royak Festivak Hall performing SHIPS, and a look at war

    The encore takes us back to darker matters: Another Day On Earth’s “Bone Bomb”, inspired by an aspiring Palestinian suicide bomber and an Israeli medic treating the victims, is followed by an impassioned speech on the raging Israel-Hamas conflict. After urging the audience to join the call for a ceasefire, Eno – his voice catching with emotion, or perhaps it’s just the cold he’s suffering with – tells us that most of the profits from the evening will be going to the charity Medical Aid For Palestinians.

    They end with another two songs from Foreverandevernomore, both radically rearranged and reimagined, before a lengthy standing ovation and a number of curtain calls. It’s been an hour and a half, but it feels a lot shorter. For a man who’s spent his life presenting his experiments, this feels like one of the most successful.

    Tom Pinnock


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