In Lichter des Toren schrieb Botho Strauss eindrücklich über die Vorzüge des Dummbleibens. Kleine prosaische Vignetten, die nicht lyrisch sind und doch etwas freischwebend Assoziatives beim Leser auslösen, das Interpretationen offen lässt. Auch hinsichtlich des Gebrauchs der Dienste Google und Wikipedia könnte dies eine Rolle spielen, weil nämlich die Gefahr besteht, dass sie einen aseptischen, sterilen Bildungshorizont eröffnen, der in ortloser, wegloser und geschichtsloser Weise darauf verzichtet, sich Wissen durch das Machen von Fehlern (eine aktive Handlung, kein Befingern auf der Screen) und das Sammeln von Erfahrung anzueignen. Niemals möchte ich auf all die szenischen Erinnerungen verzichten, wann und unter welchen Lebensumständen mir Entdeckungen oder Erkenntnisse zuflossen. Stattdessen steht nun ständig alles zur Verfügung, wie Billigramsch in einer Grabbelkiste, lädt ein zum Overload. Is the Internet a storykiller? Laut Rilke, um noch einen zweiten Dichter herbei zu zitieren, hat ein Jedes seine Zeit. Der digitale Kosmos hingegen eröffnet eine Unzeit, die Dinge zu Undingen (Byung-Chul Han) degradiert und durch die Aussparung von zeitgemässem Erfahrungswissen eine massive Indifferenz schafft. Alles ist gleich: Bomben schlagen in der Ukraine ein, Flüchtlingsboote kentern im Mittelmeer, während benachbarte Titelzeilen verkünden, dass Frau Krause aus Berlin ihren Hund abgöttisch liebt, oder dass man Nudeln am besten bissfest kocht. Der brandaktuelle Blogeintrag von gestern ist schon heute kalte Suppe und auf dem grossen Müllberg Instagram stapeln sich millionenfach die Fotos. Neulich googelte ich den mir unbekannten Begriff Abgleich, der bislang kein Bestandteil meines Wortschatzes war. Wenn beispielsweise jemand einen Kommentar oder eine Mail schreibt, dann findet kaum Abgleich statt: Klarstellungen und Korrekturen wie im persönlichen Gespräch, auch das instinktive Abtasten des Gesprächspartners fehlen. Was kann man sagen, was sollte man verschweigen? Die Worte kommen beim Gegenüber nicht eindeutig an, oft herrscht das Flaschenpost-Prinzip. Missverständnisse und Fehlinterpretationen wuchern, das Gesagte versinkt in einer wagen Zwischenwelt, einem Geisterraum oder um ein biblisches Motiv zu bemühen: im medialen Fegefeuer. Ein Strohfeuer, das sich zum Flächenbrand ausbreitet. Es wundert nicht, wenn einen zuweilen die Lust befällt, ins analog gesicherte Diesseits zu entfliehen, diese neue Gartenzwerg-Idylle. Wer erinnert sich noch an diesen erlösenden Ort, wo wir einen Körper haben und von Natur aus fehlbar sind? Wo wir basteln und sortieren, uns zusammenraufen, streiten, lieben. „Stolpern und Stottern“ – dies sei die dem Menschen angemessene Daseinsform, schrieb der Soziologe Dietmar Kamper. In der Welt von Null und Eins ist so etwas schwerlich abzubilden, dort machen Musk und Porno die Musik. Ein Mädchen geht an mir vorbei, hält ihr Smartphone vor die Nase, schaut in ihr eigenes Gesicht. Was sucht sie dort? Ich nehme ein Buch zur Hand, schon bin ich bei mir.