Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2023 24 Sep

Uncanny Valley

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 8 Comments

Ich habe Angst

in der Unmenge gleicher Nächte herum zu irren

im Deodorant ihrer Achselhöhlen,

wo es von durchsichtigen Wesen wimmelt …

(aus dem Gedicht JETZT von Iona Nicolaie)

 

Welche Bilderwelten öffnen sich, welche Phantasien werden getriggert, wenn man „Uncanny Valley“ liest? Unheimliches Tal ist ein Theaterstück von Thomas Melle, einem deutschen Schriftsteller und Dramatiker. Den Titel für sein Stück hat er japanischen Robotforschern entlehnt, die sich mit der unheimlichen Welt zwischen Mensch und Maschine beschäftigen. Realisiert hat Melle das Stück zusammen mit der mehrfach preisgekrönten Theatergruppe Rimini Protokoll.

Es ist schon ein krasser Einfall, einen humanoiden Roboter allein auf die Bühne zu bringen. Ich konnte zunächst den Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht klar erkennen. Da saß ein Mann in entspannter Haltung, mit gescheiteltem Haar und großen Händen. Er sprach mit menschlicher Stimme, die mich seltsamerweise nervte. Sie klang so echt und passte nicht zu dieser „Puppe“. Ich begann immer aufmerksamer dem Gesagten zuzuhören. Da ging es um Identitätsverlust, um Kontrollverlust oder auch um Fragen wie: Ist das Zufällige menschlich? Erst als Thomas Melle sich in einem Video outet und zeigt, wie man ihm die Maske anfertigt und den Robotkörper über den Kopf zieht, wird mir klar, dass hier ein animatronisches Double von Melle kreiert wurde, das mit seiner Originalstimme zu uns spricht. Seinen Hinterkopf kann ich von meinem Sitzplatz nicht einsehen. Es war anfangs darum gebeten worden, nicht zu fotografieren. Nach dem Ende des einstündigen Stückes, das mit sehr langem Applaus belohnt wurde, sprang ich sofort zur Bühne, um den Maschinenmann zu fotografieren. Sein Hinterkopf war ein einziger Kabelsalat. Ich bin froh, dass ich sowas nicht herumschleppen muss.

 
 
 


 
 
 

Ich bin sicher, dass ich hier der Zukunft zugesehen habe. Mich ängstigt sie nicht. Ich finde sie spannend. Ich bin aber froh, dass ich Herz und Verstand spüre. Und  das andere Stück von Thomas Melle macht mich sehr neugierig: „Das Herz ist ein lausiger Stricher“.

 

This entry was posted on Sonntag, 24. September 2023 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

8 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Interessant! Könntest Du auch noch etwas zum Inhaltlichen schreiben?? Zu welchen Schlüssen ist der Robo gekommen oder hat er nur Fragen aufgeworfen?

  2. Ursula Mayr:

    „Animatronisches Double“ würde heissen: ein elektronisch gesteuertes Abbild. Oder steckte er jetzt selbst da drin?

  3. Lajla Nizinski:

    Thomas Melle erzählt und fragt sein Double. Er spricht über seine bipolare Krankheit, dass es für ihn erleichternd sei, diese an sein Double abzugeben. Sein Avatar spürt ja nichts, er kontrolliert auch nicht. Melle berichtet auf einer Leinwand von einem Gehörlosen, dem ein Implantat eingesetzt wurde und das er abschalten kann, wenn er Stille braucht. Krass. Oder wir hören einen kleinen Vortrag über Alan Turing, der einen Mensch oder Maschine Test entwickelt hat.

    Ja, war alles ferngesteuert. Also ein Roboter, der dem echten Melle sehr ähnelte.

  4. Olaf Westfeld:

    Würde ich auch gerne sehen… vor Jahren mal dieses Buch von Melle über seine Bipolarität gelesen, hat mich beeindruckt.

  5. Uli Koch:

    Die Welt im Rücken landete vor Jahren einmal durch eine Bipolare bei mir auf dem Schreibtisch und allein schon das Intro mit der krankheitsbedingten Vernichtung seiner Bibliothek ist mir als Schmerz in Erinnerung geblieben. Damals war Thomas Melle noch Stadtschreiber von Frankfurt und dem Kampf mit seiner Erkrankung noch sehr hart ausgesetzt.

    Die Idee einen Roboter auf die Bühne zu stellen finde ich genial, weil sie ein Vexierspielen mit einer brandaktuellen Realität treibt und einmal mehr die Frage nach dem originär Menschlichen unter die Haut gehend thematisiert.

  6. Ursula Mayr:

    Roboter sind per se alle unheimlich.
    Bei den Menschen sinds nur ca 20 Prozent.

  7. Alex:

    Das mit den 20% könnte stimmen. Aber ein unheimlicher Roboter ist mir immer noch lieber als ein unheimlicher Mensch. Weil Roboter normalerweise berechenbarer und damit durchschaubarer sind…

  8. Uli Koch:

    Dazu:
    https://exsurrealist.blogspot.com/2023/08/roboteraugen.html


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz