Manafonistas

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2023 21 Sep

Gehalten von Bäumen

von: Alex Filed under: Gute Musik | TB | Tags: , , | 19 Comments

 

Spirit of Eden (1988) und Laughing Stock (1991), die mit als die ersten Alben des Post-Rock gelten, habe ich beide erst viele Jahre später entdeckt, der Impact dieser beiden Scheiben auf mein musikalisches Weltbild wurde jedoch dadurch kein bisschen geschmälert. Es wäre generell mal interessant, zu welcher Lieblingsmusik man synchron gelebt hat und zu welcher asynchron, also mit Verspätung und, ob das irgendeinen Unterschied macht, ich kam meist spät zur Party, aber davon eventuell später mal mehr. Danach kam dann noch das Mark Hollis Soloalbum (1998), das natürlich alles andere als ein Soloalbum war, mit dem ich jedoch nie so richtig warm wurde, das mir dann doch etwas zu karg und spröde war mit zu vielen Pausen, dazu ein Gesang, der mich an ein waidwundes Reh erinnerte, durchdringend und nur schwer zu ertragen. Danach wartete man vergeblich auf weitere Musik, alles was noch kam, war das mehr oder weniger völlige Verstummen. Am 25. Februar 2019 starb Mark Hollis dann schließlich. Und damit die Hoffnung, dass es jemals noch mehr von dieser großartigen zwischen Klassik, Jazz, Improvisation, Geräuschen, Stille, Folk und Rock balancierenden Musik geben würde.

Und dann kam Corona und der erste Lockdown. Und David Joseph, ein britischer Multiinstrumentalist und Komponist, hatte die Idee, verschiedene Studiomusiker, die zum Teil mit Mark Hollis und Talk Talk kollaboriert hatten, einzuladen, über seine Rhythmusmuster und Akkordfolgen zu improvisieren. Insgesamt stehen 26 Mitwirkende auf der Rückseite der CD im Pappschuber. Darunter auch Phill Brown, der Toningenieur, sowie James Marsh, der Coverdesigner, die wie auch Martin Ditcham an Drums und Percussion und Robbie McIntosh an der Gitarre schon bei Talk Talk mit von der Partie waren. Was soll ich sagen, das Ergebnis, das Instrumentalalbum Solace von Held By Trees, wie sich die Band bzw. das Projekt in Anspielung auf die letzten beiden Talk Talk Cover nennt, das letztes Jahr erschien, ist ein Kleinod an impressionistischer Kammermusik, die auch durchaus rhythmisch sein kann, mit einem melancholischen Touch. Es ergibt sich eine wunderbare Vielstimmigkeit durch die vielen Instrumente und man möchte förmlich baden in diesem organischen, warmen Sound.
 
Übrigens sind die Tracks recht unterschiedlich. Ein Stück, was mich mitnimmt in eine andere, bessere Welt, ist Rain after Sun, allein schon dieses leichte Quietschen beim Akkordwechsel auf der Gitarre, dieses Hingetupfe der Gitarren, das subtile Klavierspiel, dieses ziellose Schweben. Einziges Manko, das Stück hört viel zu früh auf. Gut, dass man im digitalen Zeitalter so einfach Repeat drücken kann. Immer wieder phantastisch der Einsatz des Harmoniums, das so etwas vage Nostalgisches ausdrückt. Ein weiteres Highlight, The Tree of Life, das einen erst in die Tiefe zieht und dann dem Sonnenlicht aussetzt. Man ist hin- und hergerissen zwischen Schwere und Leichtigkeit. Bösartige Menschen könnten sagen, dass diese Musik kitschig ist. Man muss ihnen kein Gehör schenken. Auch der Album Closer The New Earth ist ganz wunderbar, obwohl oder weil man hier einen starken Einfluss der frühen Dire Straits heraushört, David Knopfler ist auch bei zwei Stücken mit am Start, allerdings laut Mitwirkendenliste angeblich nicht bei diesem. Mein Album des letzten Jahres.

 

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19 Comments

  1. Interaktionist:

    Danke! Sofort vorgemerkt.

  2. Jenny Wren:

    https://heldbytrees.bandcamp.com/

  3. Lajla:

    Synchron mit der Musik habe ich nur in den 70er Jahren gelebt. Westcoast Music hatte ja jede heutige Entspannungsübung ersetzt. Auf den vielen Rockkonzerten herrschte eine soziale Synchronisation, die glücklich machte.

  4. Olaf Westfeld:

    A-synchronizitäten zur Musik ist tatsächlich mal ein spannendes Feld. Die meisten von uns sind wahrscheinlich nur eine kurze Zeit pünktlich zur Party und hängen dann noch lange in den leeren Räumen rum.

    Ich bin ja auch ein notorischer Zu-spät-kommer, auch altersbedingt, bei Talk Talk war ich ausnahmsweise mal pünktlich. Spirit of Eden lieh ich mir aus der Musikbibliothek auf CD aus und nahm sie damals mit in mein altes Kinderzimmer, dem ich aber mit 14 schon lääääängst entwachsen war. Ich erinnere mich noch an die Kopfschmerzen, die ich nach dem ersten Hören hatte, die daher kamen, dass ich so eine Musik nicht einmal annäherungsweise je gehört hatte.

    Ich hörte die CD wieder und wieder, nahm sie auf Kassette auf (bastelte dazu ein „Cover“ bestehend aus einer schwarz-weiß Reproduktion eines Gemäldes von Dalí, dass ich aus der Tageszeitung ausgeschnitten hatte) kaufte mir dann noch Sketches Of Spain – ich muss im Musikexpress gelesen haben, dass Mark Hollis dieses Album sehr schätzte. Spirit Of Eden ist jedenfalls eines der wichtigsten und prägendsten Alben für mich – kann ich immer wieder hören.

    Laughing Stock habe ich dann erst später mitgeschnitten, als ich mir das Solo-Album besorgt hatte. Das liebe ich auch sehr, bei aller Kargheit und Spröde empfinde ich es als sehr sinnlich.

    Danke für den Hinweis!

  5. Jochen:

    Warum üben Bäume so eine starke Faszination aus? Ich könnte den ganzen Tag Bäume fotografieren. Sie ähneln in ihren Verästelungen dem menschlichen Nervenkostüm. Womit wir bei Talk Talk wären, nie meine Musik (in der Tat: der Gesang nur schwer zu ertragen). Aber die fein spürende Fingerkuppe, wenn sie die Saite zum „quietschen“ bringt, die ewige Suche nach dem „Klang an sich“, die Stille zwischen den Tönen.

    Brilliant Trees von David Sylvian entdeckte ich bei John Peel um Mitternacht. Wollte eigentlich schlafen und war so wach wie lange nicht mehr. Wer war dieser Typ, der wie Brian Ferry klang und von Jean Cocteaus La Difficulté d’être sprach? Sehr synchron gleich am nächsten Tag das Solo-Debüt-Album aus dem Laden auf meinen Plattenteller.

    Später dann auch Oil on Canvas von Japan, die a-synchrone Vorgeschichte. Da hatte der ewige Nachzügler, sich eben noch vorneweg wähnend, mal wieder gar nichts mitbekommen von androgynen Boys im Art Wave Punk.

    Völlig asynchron auch meine späte „Entdeckung“ von Taylor Swift, die ich heute lieber höre als David Sylvian. Changing Times, flowering Trees. Worin sich Sylvian und Swift ähneln: die Genialität des narrative songwriting, in dem sich markante Melodien deshalb einprägen, weil sie Träger einer guten Story sind. Findet man auch bei Steely Dan.

  6. Olaf Westfeld:

    In der neuen Zeit ist übrigens ein langer Artikel über Taylor Swift – keine Ahnung, ob der gut ist, lese ich am Wochenende.

    Ich war nur bei Manafon pünktlich dabei, alle anderen Sylvian Alben habe ich entweder später gehört, die meisten kenne ich noch gar nicht. Aber wie immer bei großer Kunst ist ja die Party auch irgendwie immer im Gange, oder? It doesn‘t stop.

  7. ijb:

    Zu Sylvians Alben kehre ich immer wieder sehr gerne zurück, muss allerdings auch gestehen, dass das im Wesentlichen die Alben der 2000er betrifft. Die früheren sind mir dann doch so stark im „cleanen“ Sound der 80er verankert, obgleich da doch so viele exzellente Leute mitwirken (David Torn, Sakamoto, Kenny Wheeler, Jon Hassell, Czukay)… „Died in the Wool“ finde ich immer noch großartig, aber ab „Wandermüde“ wurde mir das Ganze dann doch zu abstrakt.

    Leider habe ich erst hinterher erfahren, dass Sylvian vor kurzem mehrere Jahre lang in Berlin gelebt hat. „Blemish“ ist einfach ein vollkommen einzigartiges Album, ähnlich wie die Sachen von Hollis / Talk Talk.

    Zufälligerweise habe ich gerade vor wenigen Tagen die Wiederveröffentlichung der „Spirit of Eden“-LP für einen sehr günstigen Preis (149 Kronen, d.h. ca. 13 Euro) gefunden.
    Hin und wieder gönne ich mir den Luxus, Alben, die ich bereits hundertfach von CD gehört habe und seit Jahrzehnten zu meinen Favoriten zähle, auf LP zu kaufen, wenn sie neu veröffentlicht werden und mir dann irgendwo so günstig über den Weg laufen, bspw. Annie Lennox‘ „Diva“ oder „Welcome to wherever you are“ von INXS.

    Die beiden genießen (leider) nicht vergleichbar uneingeschränkte Wertschätzung wie „Spirit of Eden“ – das ist schon ein Album, dessen Ausnahmeposition wohl jede/r, der/die er es an irgendeinem Punkt im Leben kennenlernt, rückhaltlos anerkennt. Und es ist ja auch in unschätzbarem Ausmaß bis heute einflussreich. Ich hatte vor rund 20 Jahren mal einem älteren Bekannten (er war damals allerdings jünger als ich heute) und Musikliebhaber von Talk Talk erzählt, und er war skeptisch – das wäre doch diese seichte Radiopop-Band der Achtziger, also doch nichts allzu bemerkenswertes… Und als er die Alben dann hörte, tat sich eine große Entdekhung auf.

  8. Michael Engelbrecht:

    Synchronicities since 1965 when I was ten. It has happened before. And after. It happened when I got the most beautiful Christmas gift in days of still being a virgin: Joni Mitchell‘s Blue, and The Allman Brothers Band Live At Fillmore East. I lost my virginity soon. Haha. Not soon enough.

    It happened when I had been with friends, on a long gone December morning of my youth, and someone put on Tago Mago. Oh, Hallelujah! It happened when I listened (the first time) to the White Album, or Return To Forever (nothing as good as the first one), or to the greatest part of the first three hundred ECM albums. It happened when I listened to After The Goldrush (my entry code to the world of Neil Young, in Paignton), Taking Tiger Mountain (By Strategy) (I WAS SO IN LOVE WITH CHRISTIANA, and found my favourite voice of them all, all English, slim, beautiful, a sparp pencil. Eno‘ singing voice.)

    And later, to More Songs About Buildings And Food, On Land and Liberty Belle and the Black Diamond Express. It definitely happened when I listened to Spirit of Eden and Laughing Stock. Time running backwards and forwards, nevermind. It happened when I listened to Rock Bottom and Mahler’s Symphony No. 5. Always love at first sight. Building a home in the wind.

    My love to LAUGHING STOCK is never ending. If i had to chose one of the three late blommers, it would be this.

    Anfang 1998 gab Mark Hollis noch ein paar Interviews, bevor er sich ins private Leben zurückzog. Eines dieser Interviews machte ich, und es drehte sich um sein tatsächlich letztes Album, schlicht „Mark Hollis“ genannt. Als Journalist, der die Freiheit hatte, über 30 Jahre nach der faszinierendsten Musik unserer Tage zu suchen, merke ich, dass ich kein Interesse verspüre, allem gerecht zu werden. Ich werde, neben den Entdeckungen am Rande (gerade am Rande passiert mehr als da, wo sich alle Schlagzeilen tummeln), immer zu jenen Werken zurückkehren, die nicht aufhören, mich zu fesseln, resp. zu öffnen, grenzenlos.
    Das sind gar nicht so viele. Mit hundert bis 250 Alben könnte ich gut meinen Koffer schnüren, und zur „desert island“ segeln. Mark wäre dabei, mindestens mit zwei Werken. Sein Tod hat mich getroffen, nicht aus einer sentimentalen Laune heraus. Viel tiefer. Es war und ist die Musik. Ich bin Mark nur zweimal begegnet, wir wurden keine „buddies“, wir waren Fremde, aber die Herzlichkeit des Hamburger Wiedersehens, sieben Jahre nach dem „Laughing Stock“-Gespräch, belegte die Nachwirkungen der scheinbar so flüchtigen Begegnung in einer Souterrain-Wohnung nahe Angel Station – Mark war extra aus Suffolk angereist, für dieses einzige Interview mit deutschsprachigen Journalisten, Markus Müller und mir.

    Wir hatten auch eine Fussballverbindung, er zu Tottenham Hotspur, ich zu Borussia Dortmund, und immer wenn die Clubs gegeneinander spielten, konnte ich mich mit jeder Niederlage leicht abfinden, weil ich Mark Hollis auf der anderen Seite wähnte. Er wurde nah des Stadions an der White Lane in Tottenham geboren, und ich glaube, sein Gesicht gefunden zu haben, auf einem Foto aus dem Jahre 1968. Wir waren beide 13, und ich kann mich täuschen. 5th October 1968. Tottenham Hotspur legend Jimmy Greaves scoring the winning goal against Leicester City, in a five goal thriller at White Lane.

    Wir hätten, da bin ich sicher, über genau dieses Spiel sprechen können, er hat es nie vergessen, aber wir sprachen über die Kugel, die Silke Bischoff tötete. Ein Lied aus Mark Hollis hat das Drama von Gladbeck zum Thema, in diesem Album voller Klagelieder, auch wenn einmal der Frühling vorbeischaut.

    @ Olaf: du wirst sehr synchron sein, wenn ich dir Ende des Monats Roger Enos neues Albums (VÖ 13.Oktober) mitbringe ins Restaurant Robert am Rheinufer, netterweise sandte mit die DGG zwei Exemplare. Zuweilen ist mir Roger zu süss auf seinen Platten, aber es gibt einige, die treffen mich start to end mitten ins Herz (um es simpeldimpel zu sagen). Und genau das ist der Fall bei THE SKIES THEY SHIFT LIKE CHORDS. I think we will synchronize, Alter! 😅

  9. Olaf Westfeld:

    Another sychronicity: das erste Return To Forever Album ist bei mir auch eingeschlagen. A-synchronicity: das war erst in den 80ern, wahrscheinlich kurz nach Spirit oh Eden.
    Und ich habe genau so wie Ingo mir das Album irgendwann auf LP nachgekauft… und auch genau so einen Freund damit überrascht, der sich wunderte, warum dieser seichte Pop bei mir rum stand.

  10. Martina Weber:

    Interessante Überlegung, ob man Kunst zur Entstehungszeit oder später wahrnimmt. Ich denke, es macht schon einen Unterschied, weil ein Kunstwerk auch den Zeitgeist aufnimmt, auch wenn es im besten Fall etwas Zeitloses hat. „Spirit of Eden“ habe ich, veranlasst durch deinen Text, Alex, nach längerer Pause nun zwei Mal hintereinander gehört. Immer noch wundervoll.

  11. Michael Engelbrecht:

    Das Feld des synchronen und asynchronen Hörens hat viele Schichten… wie unfassbar, als mir SGT. PEPPER (als Beispiel) 1966 oder 1967 begegnete, in der Zeit des Erscheinens, da gingen so viele unbekannte Türen auf. Ich hörte addicted als 11 oder 12 Jähriger, drei Wochen – jeden Morgen zu Honig Smacks!!! (Keine spirituellen Offenbarungen, hingegen joie de vivre pur!!!!)

    Heute höre ich es in gloriosem Surround Sound, klanglich perfekt. Der Sound in meiner Höhle ist halt klasse. ABER: ist das alles nur re-make re-model?, das perfekte re-make?!

    Ach ja, es ist nun scheinbar asynchrones, historisches Hören, der Nostalgiefaktor mischt sich hinein… und ich höre es mit den Ohren des viel älteren Ichs…

    … und so, wie es Godard einmal zum Kino sagte, dass man da, im Film, dem Tod bei der Arbeit zusehen könnte, so ist ein Teil von mir beim Hören von SGT. Pepper TODAY durchaus in der Gegenwart, und auch hier gehen immer noch neue Türen auf, so gut ist die Musik, so reich in meinen Ohren, nur heisst es heute: Die Schönheit der Lieder aufnehmen und zugleich LOSLASSEN. Let it be. Leben heisst sterben lernen, schrieb Michel de Montaigne.

    Und wer nicht dahindämmert, sich in alten Kreisen dreht, und bereit ist mal aus dem Hotel California auszuchecken, der Nostalgiefalle zu entkommen, der kann mit dieser uralten Musik, die den Soundtrack des Lebens für so viele schrieb, eben auch manche Art des Loslassens praktizieren – it is SO deep.

    Es hat halt auch einen ganz eigenen Schmerz, zwei Toten beim Singen und Gitarre und Bass spielen zu lauschen. (Das ist lange nicht alles.)

    Da hat natürlich jeder seine ganz eigenen lebensbegeleitenden Alben. Spirit of Eden taugt dazu sicher auch sehr gut. Don‘t spotify your life😅

    Weil so viele früh starben, und ich kannte ein paar in Dortmund, gab es auch jene Alben, die uns schon damals erzählten, dass die Welt voller thin places sei, wie die Engländer es sagen, und ein solches Album war und ist PINK MOON von Nick Drake. Im Jahre 2023 hat diese thin places P J Harvey erkundet auf ihrem jüngsten Werk. Deepest stuff.

  12. Uli Koch:

    Synchronizität bei Musikhören ist ja vor allem ein soziales Event. Miteinander einen speziellen Sound zu hören verbindet und lässt ein Lebensgefühl teilen, again and again in steigender Intensität. Asynchrones Hören offenbart manche Juwelen, die dann aber oft keinen Kontext mehr haben, keinen lifeflow. Japan und Sylvian habe ich synchron gehört, oft genau mit dem Erscheinen und war direkt drinnen in der Musik, auch wenn ich sie beim heutigen Hören zwar mit der gleichen Faszination, aber viel mehr asynchron erlebe.

    Talk Talk war hingegen immer in der Peripherie, meine Klassenkameraden liebten es (aber immer weniger bei den letzten beiden Alben) und ich entdeckte diese einzigartige Musik sehr viel später für mich, einsam und asynchron. Die Begeisterung war da und hält an, insbesondere zu dem Mark Hollis-Album. Held by Trees war letztes Jahr dann wieder synchron, ein Einholen der verpassten Gelegenheiten – aber wunderbare Musik …

  13. Alex:

    Seltsam wie Erinnerung funktioniert bzw. nicht funktioniert. Es stimmt, es hat eine Weile gedauert bis ich in das Mark Hollis Album richtig reingekommen bin. Die ersten beiden Lieder hatten mich eigentlich fast von Anfang gepackt, aber danach dauerte es. Meine erste negative Erinnerung hatte sich irgendwie im Gedächtnis erhalten, dass mich das Album dann doch gekriegt hat, hatte ich vergessen bzw. verdrängt. Ich höre es gerade nochmal. Es ist ganz wunderbar. Ruhiger, intimer, zurückgezogener, impressionistischer und nicht melodietrunken wie insbesondere Laughing Stock und nicht expressiv wie Spirit of Eden. Der teilweise fehlende Rhythmus scheint mir anfangs den Weg in diese Musik versperrt zu haben. Und die Pausen sind gar nicht so lang. Im Gegenteil, sie könnten fast noch länger sein. Und seine Stimme ist auch nicht so weinerlich wie ich sie erinnerte. Er haucht ins Mikro, als würde er seiner Geliebten ins Ohr flüstern. Oder einem Kind ein Schlaflied singen. Sehr schön auch die etwas schräge, disharmonische Klarinette, die einen punktförmig-diskreten, leicht avantgardistischen Gegenpol setzt zu den ruhig fließenden Instrumenten. Auch für mich ein Album für die Insel. Der Vergleich mit Pink Moon, ebenfalls einem finalen, kargen, konzentrierten Album ist absolut gerechtfertigt, Michael.

  14. Olaf Westfeld:

    Ja – so erinnere ich das Album auch – danke!
    Und das mit dem synchronen Musikhören ist wirklich vielschichtig. Ich bin mir nicht sicher, ob es vor allem ein soziales Event ist. Persönlich höre ich ja gelegentlich noch synchron zum allgemeinen Geschehen Musik (also: das was gerade erscheint/erschienen ist und nicht nur alte Aufnahmen), aber Musik als soziales Event spielt doch in meinem Leben immer weniger eine Rolle. Klar: ab und an mal ein Konzert, gelegentlich eine Party… aber das war es auch. Die meiste Musik höre ich alleine, bzw. mit Familie. Und da ist es dann egal, ob es eine ECM LP aus den 70ern ist oder das neue PJ Harvey Album oder Wildberry Lillet -oder nicht?!

  15. Anonymous:

    Na denn, noch einmal dies:

    https://www.manafonistas.de/2019/03/13/ein-fluegel-aufgeloest-in-licht-eines-der-letzten-interviews-von-mark-hollis-1998/

  16. Uli Koch:

    Ohne einen Kontext ist es doch ohne Bedeutung aus welchem Jahr ein Album stammt, ausser für die eigene Bereitschaft mich auf Neues einzulassen oder mir altes zu Gemüte zu führen. Der Austausch und wenn er sich auf ein stilles gemeinsames Hören beschränkt macht meines Erachtens ob Musik synchron oder asynchron ist … und nicht nur die faktische Kohärenz mit dem Erscheinungsdatum.

  17. Jochen:

    Für mich gab es in den letzten Jahren, neben dem „nostalgischen“ Hören und der Neugier auf Neues noch ein Drittes: das Analysieren und Antizipieren von geschätzten Songs mittels (Nach-)Ahmung.

    Das ist nochmal eine ganz andere Dimension, gelingt manchmal, oftmals aber nicht, weil technische Fähigkeiten nicht ausreichen. Wenn’s gut läuft, ist man richtig „drin“: da verbringt man schonmal zweidrei Stunden mit nur einem Lied.

    Hundert Wiederholungen (repeats) werden dabei nicht als solche empfunden, da man immer tiefer in die Materie einsingt, ähm: einsinkt. Knifflig wird’s an Stellen, wo es hakt, weil man beispielsweise einen Akkord nicht raushören und genau identifizieren kann.

    Wenn man am Ende bestenfalls auf ein Rätsel-lösendes Online-Sheet zurückgreifen kann, ist man dann oft verblüfft, wie einfach doch die Lösung ist. Das Gehör ist wesentlich diffuser als das Auge und spielt so manchen Streich.

  18. Alex:

    Das kann ich sehr gut nachempfinden, Jochen. Ein Lied selber zu spielen ist natürlich noch einmal ein riesiger Quantensprung gegenüber dem reinen Hören egal ob synchron oder asynchron, egal ob das erste Mal oder nostalgisch. Da ich kein Instrument beherrsche, bleibt mir nur das Singen oder Pfeifen. Im Nachpfeifen bin ich glaube ich besser, da improvisiere ich auch gerne ein bisschen, aber das Singen ist erfüllender. Ich trau es mich nur meist nicht. Und das hat gute Gründe. In der Kirche geht es übrigens, nicht nur weil meine Stimme sich da im Chor verliert, sondern auch, weil es erwartet wird von mir und normal ist. Außer zu Hochzeiten, Taufen, Begräbnissen und evtl. zu Weihnachten gehe ich allerdings kaum in die Kirche. Eigentlich schade.

  19. Michael Engelbrecht:

    Na, das sehe resp. höre ich etwas anders.

    Das vollkommene Aufgehen Im Hören ist ein Idealzustand, und wer ganz versunken hört, lauscht, mit nur wenigen Ablenkungen, der ist im Bereich des Deep Listening.

    Zur Musik zu spielen, oder sie mit- oder nachzupfeifen, kann auch die eine oder andere Versunklenheit mitbringen, ist aber nicht der Königsweg. Das gibt es einige, und jeder wähle den, der ihm am besten tut.

    O, meine Güte. Wie habe ich mich in den letzten Wochen auf die reissue von Swordfishtrombines gefreut. Damals mit der Platte gelebt (synchron) wie mit einer neuen Geliebten. Und jetzt, asynchron: Gänsehaut fast wie damals. Nichts hat die Musik für mich verloren mit der Zeit. Aber natürlich: the first cut is the deepest.


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