Meine erste Erfahrung mit dem fahrenden Völkchen hatte ich in den 70ern in Freiburg. Auf der Kaiser-Joseph Straße hatte ein Stadtbewohner einen Sinti am helllichten Tag erstochen. Die Stimmung in der Stadt war aufgeheizt, weil es sich herumgesprochen hatte, dass die im Rieselfeld zur Verfügung gestellten Wohnungen beschädigt, ausgeraubt und verlassen worden waren.
Meine zweite Erfahrung war in Düsseldorf Heerdt, dort wo der Freigeist Joseph Beuys sein Atelier hatte. Auf einem Plätzchen hatten sich Sinti niedergelassen. Innerhalb eines Tages wurden sie aufgefordert, vor die Toren der Stadt zu ziehen. Das war Mitte der 80er Jahre. Kaum vorstellbar, dass noch vor wenigen Jahren Roma Frauen, in Tschechien z. B., zwangssterilisiert wurden. In Europa leben etwa 12 Millionen Sinti und Roma. Sinti leben in West und Mitteleuropa, Roma in Süd und Osteuropa. Beide kamen aus Indien/ Pakistan, seit 600 Jahren leben sie in Europa. Ihre Sprache heißt Romanes. Es gibt sehr viele Subsprachen. Selbst die Sinti und Roma verstehen sich untereinander kaum.
Wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Unsesshaftigkeit, ihrer Bettelei und angeblicher Arbeitsscheu werden sie als diebisch, Gesindel etc bezeichnet. Die Nazis versuchten sie zu vernichten.
In Timisoara spielte eine Roma Band aus Italien. ALEXIAN SANTINO SPINELLI ist der Kopf der Band. Er spielt am Akkordeon. Er ist der einzige Roma Professor in Europa. Er lehrt Romanes. Von ihm stammt das Gedicht “Auschwitz “, das auf dem Rand des Brunnens, der im Gesamtdenkmal zur Erinnerung der Ermordung der Sinti und Roma durch die Nazis angelegt ist, zu lesen ist.
Eingefallenes Gesicht / erloschene Augen / kalte Lippen / Stille / ein zerrissenes Herz / ohne Atem / ohne Worte/ keine Tränen.
Ich war lange nicht mehr auf einem Konzert, das mich so aufgewühlt hat, so begeistert hat und doch so nachdenklich gestimmt hat.
Die 5 Bandmitglieder – Percussion, Contrabass, Klarinette, Trompete, Violine standen um ein Tischlein, das mit der Romaflagge drapiert war. Die Farbe blau für den Himmel, grün für die Wiesen, das rote Wagenrad für die Freiheit. Davor saß der Maestro SPINELLI am Akkordeon. Er lachte viel während des Spielens, neben ihm sein Sohn an der Geige, er ist der eigentliche Dirigent der Gruppe, bespielt phänomenal souverän sein Instrument. Sehr faszinierend in seinem Gesamtauftritt. Das intensive Konzert war vom Rhythmus galloperender Pferde geprägt, es gab ein paar Tanzlieder, einige Kompositionen von SPINELLI, die dem Sound des Windes entsprangen und viele Echos beinhalteten. Natürlich gedachten sie Django Reinhardt und spielten mit ihren Instrumenten einfachere Stücke, die der große Musiker leider nur noch mit zwei Fingern spielen konnte.
SPINELLI nennt seine Auftritte “Poesie der Kommunikation“. Das ist wunderbar ausgedrückt.
Nach dem fulminanten zweistündigen Konzert bei freiem Eintritt konnte ich mit dem Leiter des interkulturellen Zentrums von Timisoara sprechen. Er hatte die Roma Band eingeladen. Er ist auch Roma. Ich fragte ihn, ob er mir außer natürlich Django Reinhardt noch andere bekannte Roma nennen könnte. Ja, Charly Chaplin, Yul Brunner, Johnny Depp. Ob Romanes in den Schulen unterrichtet wird. Ja immer mehr. Woher eigentlich das Musiktalent und der Musikreichtum komme. Die Volksgruppen kamen auf ihrer Flucht vor Hunger und Kriegen durch viele Länder, deren Musik sie aufnahmen. Sie transportierten quasi diese Melodien bis nach Europa. Ob er mir Filme über sie empfehlen könnte. Ja, zwei von Tony Garlif: „Transilvania“ und „Gadjo Dilo“. Ob er einen Roma Dichter kenne? Ja eine Dichterin (er lachte).
Iva Bittova
BANJO
Am Tag, an dem ich geboren wurde,
kannte keiner in Kuçe einen Takt
des Souls, den Aritha Franklin sang,
hätte nicht mein Vater mit wirrem Fuß
ausgelassen den Rhythmus ergriffen
bis seine Milz an den hungrigen Magen schlug
und er mit den Lidern den Schweiß,
der ihm von der faltigen Stirn rann
aus seinen Augen wischte …