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2023 21 Sep

Die Zigeuner sind lustig … – really?

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 6 Comments

 

Meine erste Erfahrung mit dem fahrenden Völkchen hatte ich in den 70ern in Freiburg. Auf der Kaiser-Joseph Straße hatte ein Stadtbewohner einen Sinti am helllichten Tag erstochen. Die Stimmung in der Stadt war aufgeheizt, weil es sich herumgesprochen hatte, dass die im Rieselfeld zur Verfügung gestellten Wohnungen beschädigt, ausgeraubt und verlassen worden waren.

Meine zweite Erfahrung war in Düsseldorf Heerdt, dort wo der Freigeist Joseph Beuys sein Atelier hatte. Auf einem Plätzchen hatten sich Sinti niedergelassen. Innerhalb eines Tages wurden sie aufgefordert, vor die Toren der Stadt zu ziehen. Das war Mitte der 80er Jahre. Kaum vorstellbar, dass noch vor wenigen Jahren Roma Frauen,  in Tschechien z. B., zwangssterilisiert wurden. In Europa leben etwa 12 Millionen Sinti und Roma. Sinti leben  in West und Mitteleuropa, Roma in Süd und Osteuropa. Beide kamen aus Indien/ Pakistan, seit 600 Jahren leben sie in Europa. Ihre Sprache heißt Romanes. Es gibt sehr viele Subsprachen. Selbst die Sinti und Roma verstehen sich untereinander kaum.

Wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Unsesshaftigkeit, ihrer Bettelei und angeblicher Arbeitsscheu werden sie als diebisch, Gesindel etc bezeichnet. Die Nazis versuchten sie zu vernichten.

In Timisoara spielte eine Roma Band aus Italien. ALEXIAN SANTINO SPINELLI ist der Kopf der Band. Er spielt am Akkordeon. Er ist der einzige Roma Professor in Europa. Er lehrt Romanes. Von ihm stammt das Gedicht “Auschwitz “, das auf dem Rand des Brunnens, der im Gesamtdenkmal zur Erinnerung der Ermordung der Sinti und Roma durch die Nazis angelegt ist, zu lesen ist.

 

Eingefallenes Gesicht / erloschene Augen / kalte Lippen / Stille / ein zerrissenes Herz / ohne Atem / ohne Worte/ keine Tränen.

 

Ich war lange nicht mehr auf einem Konzert, das mich so aufgewühlt hat, so begeistert hat und doch so nachdenklich gestimmt hat.

Die 5 Bandmitglieder – Percussion, Contrabass, Klarinette, Trompete, Violine standen um ein Tischlein, das mit der Romaflagge drapiert war. Die Farbe blau für den Himmel, grün für die Wiesen, das rote Wagenrad für die Freiheit. Davor saß der Maestro SPINELLI am Akkordeon. Er lachte viel während des Spielens, neben ihm sein Sohn an der Geige, er ist der eigentliche Dirigent der Gruppe, bespielt phänomenal souverän sein Instrument. Sehr faszinierend in seinem Gesamtauftritt. Das intensive Konzert war vom Rhythmus galloperender Pferde geprägt, es gab ein paar Tanzlieder, einige Kompositionen von SPINELLI, die dem Sound des Windes entsprangen und viele Echos beinhalteten. Natürlich gedachten sie Django Reinhardt und spielten mit ihren Instrumenten einfachere Stücke, die der große Musiker leider nur noch mit zwei Fingern spielen konnte.

SPINELLI nennt seine Auftritte “Poesie der Kommunikation“. Das ist wunderbar ausgedrückt.

Nach dem fulminanten zweistündigen Konzert bei freiem Eintritt konnte ich mit dem Leiter des interkulturellen Zentrums von Timisoara sprechen. Er hatte die Roma Band eingeladen. Er ist auch Roma. Ich fragte ihn, ob er mir außer natürlich Django Reinhardt noch andere bekannte Roma nennen könnte. Ja, Charly Chaplin, Yul Brunner, Johnny Depp. Ob Romanes in den Schulen unterrichtet wird. Ja immer mehr. Woher eigentlich das Musiktalent und der Musikreichtum komme. Die Volksgruppen kamen auf ihrer Flucht vor Hunger und Kriegen durch viele Länder, deren Musik sie aufnahmen. Sie transportierten quasi diese Melodien bis nach Europa. Ob er mir Filme über sie empfehlen könnte. Ja, zwei von Tony Garlif: „Transilvania“ und „Gadjo Dilo“. Ob er einen Roma Dichter kenne? Ja eine Dichterin (er lachte).

 

Iva Bittova

BANJO

 

Am Tag, an dem ich geboren wurde, 

kannte keiner in Kuçe einen Takt

des Souls, den Aritha Franklin sang, 

hätte nicht mein Vater mit wirrem Fuß 

ausgelassen den Rhythmus ergriffen

bis seine Milz an den hungrigen Magen schlug

und er mit den Lidern den Schweiß, 

der ihm von der faltigen Stirn rann

aus seinen Augen wischte …

 

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6 Comments

  1. Alex:

    Danke für diesen einfühlsamen Text, Lajla. Das Erste, an was ich denke, wenn ich von Zigeunern höre, ist in der Tat die Musik. Eine Musik mit viel Seele – Aretha Franklin passt da super rein – und viel Körper, oft schwungvoll tänzerisch, häufig aber auch unheimlich berührend. Es scheint mir auch bezeichnend, dass sie, die ja nie eine wirkliche Heimat gefunden haben, in so etwas Flüchtigem wie der Musik brillieren. Ein im wahrsten Sinne phantastischer Film über den Romakosmos war Le Temps des Gitans von Kusturica von 1988, fand ich. Das Romalied Ederlezi (Version von Bregovic) haben Alexian Santino Spinelli nicht gespielt, oder?
    P.S. „Holocaust Gedenkstätte“ ist etwas missverständlich, da dachte ich jetzt erst an das Holocaust-Mahnmal südlich vom Brandenburger Tor.

  2. Lajla:

    Ja Alex, etwas ungenau. Hab Folgendes gegoogelt: Der Brunnen gehört zu dem Gesamtdenkmal für die Sinti und Roma, die im Nationalsozialismus ermordet wurden. Das Gedicht von SPINELLI heißt “Auschwitz”.

    Ich weiß nicht, ob die Alexian Group das Lied von Bregovic gespielt haben. Ich kenne es nicht, konnte es also nicht erkennen. Ich hätte zu gerne gewusst, wie sein Sohn heißt, den Namen muss man sich einfach merken.

  3. Lajla Nizinski:

    Ja ich werde hier, angesichts der vielen Roma, die ich täglich sehe, für das Thema sensibilisiert. Mir gefallen die Frauen, die aufrecht in ihren bunten Röcken mit langem gepflegtem Haar herumlaufen.

    Ich weiß nicht, ob SPINELLI dieses Lied gespielt hat.

    Ich habe mir auf YouTube die Filme Gadjo Dilo I und II von Tony Gatjef angeschaut. Darin gefallen mir die Frauen auch sehr. Wild und frei, anmutig und zornig. Und die Spanierinnen aus der WM Mannschaft machen einen Hype wegen einem Kuss.

  4. Christoph:

    Iva Bittova schätze ich sehr, kenne sie aber vor allem als Musikerin. Es gab paar wunderbare Szenen mit ihr in dem Dokumentarfilm „Step Across the Boarder“ über Fred Frith (der Film ist ohnehin sehenswert). Ich habe sie solo live vor ca. 30 Jahren in Freiburg gesehen in einem kleinem Café und 1999 auf dem Moers Jazz Festival im großen Zelt. Beide Auftritte waren unvergesslich.

    Sehr empfehlen kann ich ihre früheren Alben: „Ne Nehledej“, „Bittová & Fajt“ und „Bílé Inferno“. Ein Album von ihr wurde auch auf ECM veröffentlicht (Fragments). Ich erwähne es weil ECM hier im Forum so geschätzt wird. Die früheren Alben gefallen mir aber besser.

  5. Lajla:

    Ja, Iva ist auch Musikerin. Ich habe extra ein Gedicht von ihr hier bevorzugt, um zu zeigen, dass Roma auch schreiben können. :)

  6. ijb:

    Iva Bittová ist auch noch auf einem zweiten, m.E. sogar noch viel besseren ECM-Album vertreten. Dabei handelt es sich um ein Portrait-Album des Komponisten Vladimír Godár, das 2005 in Zusammenarbeit mit dem slowakischen Label Pavian Records produziert und von Eicher/ECM international größer herausgebracht wurde:
    https://ecmrecords.com/product/vladimir-godar-mater-iva-bittova-milos-valent-marek-stryncl-solamente-naturali-bratislava-conservatory-choir/
    Für mich war es damals eine tolle Entdeckung.

    Iva durfte ich vor ein paar Jahren einmal bei einer Studioaufnahme mit Fotoapparat und Videokamera begleiten. David Rothenberg organisierte diese Studiosession mit Marilyn Crispell und Benedicte Maurseth (die zu dem Zeitpunkt (2019) auf Book Promotion Tour unterwegs war) in Woodstock. Ich glaube, ich habe die Aufnahme sogar irgendwo, aber leider wurde sie bis heute nicht veröffentlicht, weil sich kein Label fand, das das Album herausbringen wollte.


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