Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: September 2023

2023 30 Sep

„mikado 30/9/23“

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audio

 
 

2023 25 Sep

Xylouris Xystery

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Die Disco im Nebengebäude war fast leer. Ganz anders als die Location zu der uns eine langjährige Freundin, die zufällig auch in Heraklion weilte, kurz vor Mitternacht gelotst hatte mit der Bemerkung, dass ihr Bauchgefühl ihr sagte, es werde sich lohnen. Hier sollte ein Konzert der Enkel des berühmtesten kretischen Musikers Nikos Xylouris stattfinden und es sollte eine Überraschung in mehrfacher Hinsicht werden.

 
 
 

 
 
 

Der Saal war reichlich gefüllt, Eintritt frei. Die Zuschauer zu meiner Überraschung allesamt höchstens halb so alt wie ich. Auf dem Programm traditionelle kretische Musik, zwei kretische Lauten, eine Lyra, Gesang. Wer um Mitternacht anfängt zu spielen ist mir gleich sympathisch, da sind ganz andere Stimmungen in den Stunden nach Mitternacht und ich habe die besten Konzerte meines Lebens fast alle in den dunkelsten Stunden der Nacht gehört. Drei gutgelaunte junge Männer betraten die Bühne und wurden mit tosendem Applaus begrüßt und los geht die Reise in die Tiefen der traditionellen Musik Kretas, die sich nicht als europäische Musik, sondern viel mehr als ganz eigenständige, eher orientalische Kunstform versteht, die von dem Großvater zweier der Musiker, Nikos und Adonis Xylouris, zu neuen Höhen und internationaler Bekanntheit gehoben wurde. Der Dokumentarfilm A Family Affair (Trailer) berichtet sehr einfühlsam davon. Akustische Musik mit orientalischem Gesang, die fernab einer Tonalität nicht mit Kadenzen spielt, sondern hypnotisch-repetitive Muster fast minimalistisch entwickelt, zu denen auf der Lyra melismierende Melodieschleifen die einzelnen Stücke vorantreiben. Teilweise scharfe Beats, schnelle, groovende Rhythmen, fast rockig. Hier ein schönes Beispiel dafür: Meraklina. Doch die Atmosphäre hatte etwas ganz besonderes: da bestellten die Gäste literweise Whisky an ihre Tische, versanken in Konversationen, Scherzen und teilten ein freudiges Zusammensein, ohne der Musik gegenüber unachtsam zu werden. Also Musique d’Ameublement im tiefsten Satie’schen Sinne. Schon begann ich mich zu wundern, dass diese wirklich wunderbar tiefgründige traditionelle Musik so viele junge Menschen anzog, als das Ganze noch eine kräftige Steigerung erfuhr: einige Zuhörer standen auf, eilten nach vorne und begannen in geordneten Kreistänzen die komplexen alten kretischen Tänze zu der Musik. Schneller und schneller, die komplizierten Schrittfolgen tief verinnerlicht, eskalierte der Tanz langsam bis zum Höhepunkt einige junge Männer in eine sehr artistische Form eines orientalischen Schuhplattlers ekstatisch tanzend verfielen, immer einer nach dem anderen, wild, dionysisch und fast akrobatisch. Welle um Welle der Musik und des Tanzes, des fröhlichen Beisammenseins und Redens, Stunde um Stunde bis tief in die Nacht hinein. Die Stimmung der Musiker wurde besser und besser, die Musik intensiver und dichter und es pendelte sich diese äußerst eigentümliche Stimmung zwischen vitalstem Feiern alter Traditionen (die jungen Zuhörer kannten alle Texte auswendig und sangen mit, wenn es sich gerade mal anbot), sozialem Event a la Musique d’Ameublement und einem Rockkonzert in völlig harmonischer Synthese ein. Eine außergewöhnliche Erfahrung, die mir schmerzhaft bewusst machte, was es bedeutet in einem Land zu leben, das seine Tradition (und hier rede ich nicht von reaktionärer Deutschtümelei) nicht nur verraten, sondern auch unwiederbringlich verloren hat.

 
 
 

 

2023 24 Sep

Uncanny Valley

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Ich habe Angst

in der Unmenge gleicher Nächte herum zu irren

im Deodorant ihrer Achselhöhlen,

wo es von durchsichtigen Wesen wimmelt …

(aus dem Gedicht JETZT von Iona Nicolaie)

 

Welche Bilderwelten öffnen sich, welche Phantasien werden getriggert, wenn man „Uncanny Valley“ liest? Unheimliches Tal ist ein Theaterstück von Thomas Melle, einem deutschen Schriftsteller und Dramatiker. Den Titel für sein Stück hat er japanischen Robotforschern entlehnt, die sich mit der unheimlichen Welt zwischen Mensch und Maschine beschäftigen. Realisiert hat Melle das Stück zusammen mit der mehrfach preisgekrönten Theatergruppe Rimini Protokoll.

Es ist schon ein krasser Einfall, einen humanoiden Roboter allein auf die Bühne zu bringen. Ich konnte zunächst den Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht klar erkennen. Da saß ein Mann in entspannter Haltung, mit gescheiteltem Haar und großen Händen. Er sprach mit menschlicher Stimme, die mich seltsamerweise nervte. Sie klang so echt und passte nicht zu dieser „Puppe“. Ich begann immer aufmerksamer dem Gesagten zuzuhören. Da ging es um Identitätsverlust, um Kontrollverlust oder auch um Fragen wie: Ist das Zufällige menschlich? Erst als Thomas Melle sich in einem Video outet und zeigt, wie man ihm die Maske anfertigt und den Robotkörper über den Kopf zieht, wird mir klar, dass hier ein animatronisches Double von Melle kreiert wurde, das mit seiner Originalstimme zu uns spricht. Seinen Hinterkopf kann ich von meinem Sitzplatz nicht einsehen. Es war anfangs darum gebeten worden, nicht zu fotografieren. Nach dem Ende des einstündigen Stückes, das mit sehr langem Applaus belohnt wurde, sprang ich sofort zur Bühne, um den Maschinenmann zu fotografieren. Sein Hinterkopf war ein einziger Kabelsalat. Ich bin froh, dass ich sowas nicht herumschleppen muss.

 
 
 


 
 
 

Ich bin sicher, dass ich hier der Zukunft zugesehen habe. Mich ängstigt sie nicht. Ich finde sie spannend. Ich bin aber froh, dass ich Herz und Verstand spüre. Und  das andere Stück von Thomas Melle macht mich sehr neugierig: „Das Herz ist ein lausiger Stricher“.

 

 

 

Meine Erfahrung mit Zigeunern (mit Sinti und Roma-Bezeichnungen habe ich Probleme, weil ich nie weiss welcher Gruppe derjenige angehört, von dem die Rede ist – früher wussten viele es selbst nicht oder es war ihnen egal. Sie waren stolz auf die Bezeichnung „Zigeuner“) begann im Studium in Würzburg, als wir noch die Welt retten wollten und in einem Stadtteil von Würzburg, den man heute Problemviertel nennen würde, mit Sozialarbeit begannen. Damals hiess es „Zupferviertel“, heute „Klein-Moskau“. Dort gab es überwiegend Kasernen mit Besatzungssoldaten, Sozialbauten und aus dem Betrieb genommene Kasernengebäude, in denen dann Menschen wohnten, Wasser und Klo auf dem Flur, es wurde nie saubergemacht. Dort lebten arme Familien, Frauen mit Kindern unterschiedlichster Couleur, die wiederum von den Soldaten lebten und verarmte alte Leute. Die weissen Soldaten nannte man die Zupfer (Baumwolle), die schwarzen Bimbos und die Zigeuner eben die Zigis. Es wohnten viele Zigis dort, seit Generationen sesshaft in Würzburg, sie unterschieden sich in nichts von den anderen Bewohnern und ihre Namen klangen sehr „deutsch“: Weiss, Lehmann, Winterstein, Herzberger, Grünblatt.

 

 

 

 

Wir richteten eine Vorschulgruppe ein für Kinder, die aus den öffentlichen Kindergärten wegen Verwahrlosung und Aggressivität hinausgeflogen waren, eine Hausaufgabenbetreuung und einen Jugendclub für die Älteren, bekamen Räume die wir erst renovieren mussten, finanziert von der Katholischen Hochschulgemeinde.

Die Zigis lebten überwiegend von Autohandel und -reparatur oder von Sozialhilfe, es gab vier grosse Clans, die sehr gefürchtet waren, auch über die Grenzen des Viertels hinaus. Wir Studenten waren als Helfer bekannt und respektiert, man konnte auch als Studentin unbehelligt nachts durch die Benzstrasse (genannt „Das Tal der langen Messer“) laufen; in den gutbürgerlichen Vierteln ging das für Mädels nicht immer gut aus.

Nachdem die Stadt sich geweigert hatte, einen dringend benötigten Zebrastreifen an der Kreuzung, an der unsere Vorschule lag, zu genehmigen malten wir in der Nacht selbst einen. Die Zigis standen Schmiere.

Die Elterngeneration der Zigis hatten das KZ – meist Dachau – überlebt. Ich arbeitete damals für die Stadtteilzeitung und hatte einmal zusammen mit einem Kommilitonen ein Interview mit dem alten Herzberger (Name geändert, die Nachfahren leben noch dort) über seine Vergangenheit durchgeführt. Ob er Roma oder Sinti war, wusste er selbst nicht, er wollte als Zigeuner bezeichnet werden. Auch er hatte Dachau überlebt. Es begann düster und traurig, aber nachdem seine Frau viertelstündlich eine Runde Slivowitz servierte wurde es zunehmend fröhlicher, am Ende sangen wir die Internationale und anderes Liedgut. Das Tape habe ich noch.

In Würzburg war es noch Usus, dass sich die Ehemaligen SS-Verbände regelmässig in einem Lokal in der Innenstadt trafen – dies wurde auch so in der Zeitung angekündigt (Mitglieder der 4. SS-Sturmtruppe treffen sich am … ). Immerhin 1977.

Herzbergers verfolgten dies aufmerksam und als es mal wieder soweit war, wurde Alarm geblasen und jeder männliche Zigi über 14 machte sich mit einem Knüppel unter der Jacke auf zum entsprechenden Lokal. Ich mit dem Fotoapparat hinterher. Es gab eine filmreife Prügelei, mit reichlich Prellungen und Blutergüssen, angeblich kam niemand ernsthaft zu Schaden. Ein wehrhaftes Volk.

In unserer Studentengruppe mussten wir uns dann mit unserer klammheimlichen Freude auseinandersetzen und ob man Gewalt befürworten darf, wenn sie die richtigen trifft.

Manchmal frage ich mich, wer mehr von unserer Arbeit profitiert hat: Die Kinder unserer Zielgruppe oder die braven Bürgerkinder unter den Studenten, die die dunkle Seite der Welt vielleicht sonst nie kennengelernt hätten. Zumindest sind sie dankbar dafür. Die Kinder lernten die hellere Seite kennen – wir nahmen sie mit in die Uni, unsere WGs, machten Wochenendausflüge mit Gitarre und Lagerfeuer, viele begleiteten wir jahrelang. Beim 25-jährigen Jubiläum sahen wir sie wieder als Erwachsene, uns fiel auf dass sie sprachlich wortgewandter und verbalisierungsfähiger waren, als man sonst vom „Prekariat“ gewöhnt ist. Den Arbeitskreis gibt es bis heute, also über 50 Jahre.

 

Da sitzt das Haustier, abgerichtet,

und es wird ihm klar:

Es gibt auch noch das andre

nicht versklavte Exemplar.

(F.J. Degenhardt, Zigeuner hinterm Haus des Sängers)

 

 

Spirit of Eden (1988) und Laughing Stock (1991), die mit als die ersten Alben des Post-Rock gelten, habe ich beide erst viele Jahre später entdeckt, der Impact dieser beiden Scheiben auf mein musikalisches Weltbild wurde jedoch dadurch kein bisschen geschmälert. Es wäre generell mal interessant, zu welcher Lieblingsmusik man synchron gelebt hat und zu welcher asynchron, also mit Verspätung und, ob das irgendeinen Unterschied macht, ich kam meist spät zur Party, aber davon eventuell später mal mehr. Danach kam dann noch das Mark Hollis Soloalbum (1998), das natürlich alles andere als ein Soloalbum war, mit dem ich jedoch nie so richtig warm wurde, das mir dann doch etwas zu karg und spröde war mit zu vielen Pausen, dazu ein Gesang, der mich an ein waidwundes Reh erinnerte, durchdringend und nur schwer zu ertragen. Danach wartete man vergeblich auf weitere Musik, alles was noch kam, war das mehr oder weniger völlige Verstummen. Am 25. Februar 2019 starb Mark Hollis dann schließlich. Und damit die Hoffnung, dass es jemals noch mehr von dieser großartigen zwischen Klassik, Jazz, Improvisation, Geräuschen, Stille, Folk und Rock balancierenden Musik geben würde.

Und dann kam Corona und der erste Lockdown. Und David Joseph, ein britischer Multiinstrumentalist und Komponist, hatte die Idee, verschiedene Studiomusiker, die zum Teil mit Mark Hollis und Talk Talk kollaboriert hatten, einzuladen, über seine Rhythmusmuster und Akkordfolgen zu improvisieren. Insgesamt stehen 26 Mitwirkende auf der Rückseite der CD im Pappschuber. Darunter auch Phill Brown, der Toningenieur, sowie James Marsh, der Coverdesigner, die wie auch Martin Ditcham an Drums und Percussion und Robbie McIntosh an der Gitarre schon bei Talk Talk mit von der Partie waren. Was soll ich sagen, das Ergebnis, das Instrumentalalbum Solace von Held By Trees, wie sich die Band bzw. das Projekt in Anspielung auf die letzten beiden Talk Talk Cover nennt, das letztes Jahr erschien, ist ein Kleinod an impressionistischer Kammermusik, die auch durchaus rhythmisch sein kann, mit einem melancholischen Touch. Es ergibt sich eine wunderbare Vielstimmigkeit durch die vielen Instrumente und man möchte förmlich baden in diesem organischen, warmen Sound.
 
Übrigens sind die Tracks recht unterschiedlich. Ein Stück, was mich mitnimmt in eine andere, bessere Welt, ist Rain after Sun, allein schon dieses leichte Quietschen beim Akkordwechsel auf der Gitarre, dieses Hingetupfe der Gitarren, das subtile Klavierspiel, dieses ziellose Schweben. Einziges Manko, das Stück hört viel zu früh auf. Gut, dass man im digitalen Zeitalter so einfach Repeat drücken kann. Immer wieder phantastisch der Einsatz des Harmoniums, das so etwas vage Nostalgisches ausdrückt. Ein weiteres Highlight, The Tree of Life, das einen erst in die Tiefe zieht und dann dem Sonnenlicht aussetzt. Man ist hin- und hergerissen zwischen Schwere und Leichtigkeit. Bösartige Menschen könnten sagen, dass diese Musik kitschig ist. Man muss ihnen kein Gehör schenken. Auch der Album Closer The New Earth ist ganz wunderbar, obwohl oder weil man hier einen starken Einfluss der frühen Dire Straits heraushört, David Knopfler ist auch bei zwei Stücken mit am Start, allerdings laut Mitwirkendenliste angeblich nicht bei diesem. Mein Album des letzten Jahres.

 

 

Meine erste Erfahrung mit dem fahrenden Völkchen hatte ich in den 70ern in Freiburg. Auf der Kaiser-Joseph Straße hatte ein Stadtbewohner einen Sinti am helllichten Tag erstochen. Die Stimmung in der Stadt war aufgeheizt, weil es sich herumgesprochen hatte, dass die im Rieselfeld zur Verfügung gestellten Wohnungen beschädigt, ausgeraubt und verlassen worden waren.

Meine zweite Erfahrung war in Düsseldorf Heerdt, dort wo der Freigeist Joseph Beuys sein Atelier hatte. Auf einem Plätzchen hatten sich Sinti niedergelassen. Innerhalb eines Tages wurden sie aufgefordert, vor die Toren der Stadt zu ziehen. Das war Mitte der 80er Jahre. Kaum vorstellbar, dass noch vor wenigen Jahren Roma Frauen,  in Tschechien z. B., zwangssterilisiert wurden. In Europa leben etwa 12 Millionen Sinti und Roma. Sinti leben  in West und Mitteleuropa, Roma in Süd und Osteuropa. Beide kamen aus Indien/ Pakistan, seit 600 Jahren leben sie in Europa. Ihre Sprache heißt Romanes. Es gibt sehr viele Subsprachen. Selbst die Sinti und Roma verstehen sich untereinander kaum.

Wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Unsesshaftigkeit, ihrer Bettelei und angeblicher Arbeitsscheu werden sie als diebisch, Gesindel etc bezeichnet. Die Nazis versuchten sie zu vernichten.

In Timisoara spielte eine Roma Band aus Italien. ALEXIAN SANTINO SPINELLI ist der Kopf der Band. Er spielt am Akkordeon. Er ist der einzige Roma Professor in Europa. Er lehrt Romanes. Von ihm stammt das Gedicht “Auschwitz “, das auf dem Rand des Brunnens, der im Gesamtdenkmal zur Erinnerung der Ermordung der Sinti und Roma durch die Nazis angelegt ist, zu lesen ist.

 

Eingefallenes Gesicht / erloschene Augen / kalte Lippen / Stille / ein zerrissenes Herz / ohne Atem / ohne Worte/ keine Tränen.

 

Ich war lange nicht mehr auf einem Konzert, das mich so aufgewühlt hat, so begeistert hat und doch so nachdenklich gestimmt hat.

Die 5 Bandmitglieder – Percussion, Contrabass, Klarinette, Trompete, Violine standen um ein Tischlein, das mit der Romaflagge drapiert war. Die Farbe blau für den Himmel, grün für die Wiesen, das rote Wagenrad für die Freiheit. Davor saß der Maestro SPINELLI am Akkordeon. Er lachte viel während des Spielens, neben ihm sein Sohn an der Geige, er ist der eigentliche Dirigent der Gruppe, bespielt phänomenal souverän sein Instrument. Sehr faszinierend in seinem Gesamtauftritt. Das intensive Konzert war vom Rhythmus galloperender Pferde geprägt, es gab ein paar Tanzlieder, einige Kompositionen von SPINELLI, die dem Sound des Windes entsprangen und viele Echos beinhalteten. Natürlich gedachten sie Django Reinhardt und spielten mit ihren Instrumenten einfachere Stücke, die der große Musiker leider nur noch mit zwei Fingern spielen konnte.

SPINELLI nennt seine Auftritte “Poesie der Kommunikation“. Das ist wunderbar ausgedrückt.

Nach dem fulminanten zweistündigen Konzert bei freiem Eintritt konnte ich mit dem Leiter des interkulturellen Zentrums von Timisoara sprechen. Er hatte die Roma Band eingeladen. Er ist auch Roma. Ich fragte ihn, ob er mir außer natürlich Django Reinhardt noch andere bekannte Roma nennen könnte. Ja, Charly Chaplin, Yul Brunner, Johnny Depp. Ob Romanes in den Schulen unterrichtet wird. Ja immer mehr. Woher eigentlich das Musiktalent und der Musikreichtum komme. Die Volksgruppen kamen auf ihrer Flucht vor Hunger und Kriegen durch viele Länder, deren Musik sie aufnahmen. Sie transportierten quasi diese Melodien bis nach Europa. Ob er mir Filme über sie empfehlen könnte. Ja, zwei von Tony Garlif: „Transilvania“ und „Gadjo Dilo“. Ob er einen Roma Dichter kenne? Ja eine Dichterin (er lachte).

 

Iva Bittova

BANJO

 

Am Tag, an dem ich geboren wurde, 

kannte keiner in Kuçe einen Takt

des Souls, den Aritha Franklin sang, 

hätte nicht mein Vater mit wirrem Fuß 

ausgelassen den Rhythmus ergriffen

bis seine Milz an den hungrigen Magen schlug

und er mit den Lidern den Schweiß, 

der ihm von der faltigen Stirn rann

aus seinen Augen wischte …

 

2023 15 Sep

Feuer unterm Dach

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Er sei ein Extremist der Desillusionierung, sagt Peter Sloterdijk über sich. In diesem Punkt lässt er sich auch in diesem 80-seitigen Büchelchen nicht lumpen. Das Buch besteht in der ersten Hälfte aus einem Vortrag, den Sloterdijk im Oktober 2022 so bei einem Public-Science-Festival in Luzern gehalten hat. Der Vortrag geht in der zweiten Hälfte des Buchs weiter, ist aber um einige (manchmal recht freidrehende) Passagen erweitert.

Die wenig überraschende Grundidee des Buches besteht darin, dass der „Stoffwechsel des Menschen mit der Natur“ wesentlich von der Nutzung des Feuers bestimmt wurde, was kein großes Problem darstellte, solange es sich um „1 zu 1“-Feuer handelte, also etwa brennende Bäume, die nur einmal verbrannt werden konnten. Bedenklich wurde die Sache, als die Menschen in Brand zu setzen begannen, was Sloterdijk „die unterirdischen Wälder“ nennt — die in Erdöl, Kohle in all ihren Ausformungen, Torf etc. konzentrierte Energie. Deren Nutzung, so der Autor, sei heute, im Angesicht der Klimakatastrophe, zu unserem großen Verhängnis geworden. Prometheus würde sich heute wünschen, uns die Gabe des Feuers verweigert zu haben.

Das ist nun nicht so wahnsinnig überraschend, wenngleich wie immer sehr weit ausholend und mit viel historischem Background vorgetragen. Interessant sind aber einige Nebengleise, die Sloterdijk hier eröffnet — manchmal in Nebensätzen, manchmal sogar in Fußnoten. So zitiert er etwa Georg Herweghs Zeilen „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ herbei, um am Beispiel der „Modernisierungstragödie“ in der Textilwirtschaft, als die Märkte mit Produkten der Maschinenwebstühle die Handweberei in Weltgegenden von Indien bis Schlesien verdrängten“, einen Denkfehler des marxistischen Arbeitsbegriffs aufzuzeigen: Denn in der Tat sind die Arbeiter sehr wohl in der Lage, die Arbeitsprozesse zum Stoppen zu bringen, doch sind sie — anders als von Marx postuliert — niemals diejenigen gewesen, die die Räder in Gang gehalten haben. Das, so Sloterdijk, hat seit dem Beginn der Industrialisierung in Wirklichkeit das Feuer der brennenden unterirdischen Wälder besorgt, beziehungsweise die aus ihm gewonnene Energie.

In einer anderen, durchaus überraschenden These kritisiert Sloterdijk den Versuch von (ebenfalls marxistischen) Theoretikern, moderne Ingenieursintelligenz einfach durch ihre Kennzeichnung als „geistige Arbeit“ der „proletarischen Sphäre anzugliedern“. Die Tätigkeit des Erfindens lasse sich ebenso wie die künstlerische nicht in den Bereich der „Arbeit überhaupt“ einschließen.

Das sind schon interessante Thesen, die einige Überlegungen auslösen. Dass sich Sloterdijk dabei in zunehmend alarmierendem Tonfall der geistigen Welt Bruno Latours und dessen „Gaia“-Konzept nähert, liegt einerseits nahe und überrascht andererseits doch. Und darauf, dass mögliche Auswege aufgezeigt werden, wartet man in diesem Buch vergeblich. Patentrezepte gibt’s nicht. Hätte ich auch nicht erwartet.

2023 14 Sep

Die Kunst zu fliegen

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Es gab da diesen Moment einer Koinzidenz, als in dem Porträt Zero Gravity über das Leben des Saxofonisten Wayne Shorter ein Konzertausschnitt von Weather Report mit den Worten kommentiert wurde, da habe eine Jazz-Formation den Kult-Status einer Rockband erhalten, die Massen seien zu den Konzerten gepilgert und so mancher Musiker hätte es kaum erwarten können, zu Hause dann das, was er hörte, selber auszuprobieren. So ging’s mir auch. Ich hielt es nicht mehr aus, drückte auf die Pause-Taste der Fernbedienung und gab dem starken Drang nach, diese flirrend-elektrisierende Klang-Botschaft am heimischen Verstärker nun augenblicklich auch höchstselbst zu verkörpern: to sing the body electric. Auf dem Fusse folgte die vertraute Ernüchterung von der blossen Einbildung hin zum Fakten-Check: denn zu den Phänomenen des Heimwerker-Musizierens gehört ja oft die Erkenntnis, dass dem Wunsch Grenzen gesetzt sind mangels Technik, Disziplin, Geschwindigkeit. Pat Metheny sprach davon, als Profi habe man in jahrelanger Arbeit seine Hausaufgaben gemacht, erst dann ginge die Post ab. Wayne Shorter, das zeigen solche Porträts ja immer wieder eindrucksvoll, hatte schon lange vor dieser sagenhaften Kultband seine Ausbildung und Übungsstrecke. Er hatte Glück mit dem Elternhaus, konnte gut zeichnen und liess seiner Phantasie freien Lauf. Dann die Verbindung zu Miles Davis, einem Wegbegleiter, der ihn früh aufs grosse Podium hievte, dort wo Jazz-Historie geschrieben wurde, in den angesagten Clubs der damaligen Zeit. Überhaupt kommt es einem so vor, dass gerade die Siebziger Jahre eine Zeit der Pionierarbeit gewesen sei, so wie es die Malerei ja schon vorher war. Kürzlich bestellte ich ein Buch aus dem Antiquariat, dass mich einst stark prägte, nach langem Zögern, denn man will Vergangenheit schlussendlich auch auf sich beruhen lassen: Der Sprung ins Leere – Objet trouvé, Surrealismus, Zen von Christian Kellerer. Das Buch beschreibt die Mechanismen von Veränderung, wann und warum Zeit und Epochen reif für einen Wechsel waren. Lernt man denn nicht fliegen, indem man mutig ins Leere springt? Wayne Shorter, der im Laufe seines Lebens auch zum Buddhismus fand, konnte fliegen wie kein Zweiter.

 


 
 

Sich einrichten in der Zeit

 

Es ist spät. Wir schaufeln den Schnee

Aus den Augen. Der Winter ist der Fachmann

Für’s Altern. Die Tage sind kürzer

Als ein Bleistift. Es wird schon

Früh dunkel in den Köpfen

Hausiert die Vergänglichkeit und die Angst

Vor dem Schlaf. Wach liegst du

Neben mir auf einem Leintuch so weiss

Wie ein Stück Papier. Im Dunkeln

Schlägt die Haut Funkeln. Es knistert.

Dann wird es still. In der Sprache brennt noch Licht und ich höre dich atmen.

In meinem Gedicht über das Unsichtbare

Und das Sichtbare darin

 

(von dem rumänischen Dichter Horst Samson)

 
 


 

2023 11 Sep

acoustic mikados

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„mikado 11/9/23“

 

[„… neulich entwarf ich ein stück und nannte es „acoustic mikado“. eine spur aufnehmen, spontan eine zweite oder dritte hinzu – auf das vorangehende jeweils direkt und ohne korrektur reagierend. es könnte der beginn einer serie werden. mikado spielten wir ja als kinder schon gerne. es ging nicht allein um geschicklichkeit, sondern auch um das spiel mit dem zufall. hinzu kommt der ewige reiz des recordings, die anschliessende konfrontation mit dem ergebnis, folglich die möglichkeit reflexiver abstandnahme und einsicht …“]

 


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