on life, music etc beyond mainstream
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2023 15 Aug.
Jochen Siemer | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Eigene Musik, looping | 1 Comment
2023 13 Aug.
Alex | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: per pedes | Comments off
C. und ich haben unsere Wanderschuhe geschnürt, die 30 Literrucksäcke gepackt und sind mit dem Zug nach Hamburg gefahren. Zum Aufwärmen für unsere Wanderung auf dem Heidschnuckenweg sind wir heute schon mal die Fischbeker Heideschleife durch die blühende Landschaft gegangen. Zu sehen waren viele Sonntagsausflügler, ein Teich mit ein paar gerade zu blühen anfangenden Seerosen – Monet lässt grüßen – ein Reh, der leere reetgedeckte Stall der hiesigen Heidschnuckenherde, Blaubeeren in rauhen Mengen, sandige Wege, aus den Endmoränen der vorletzten Steinzeit entstandene Hügel, Kanadagänse, Enten usw. Mit anderen Worten wir haben uns langsam akklimatisiert und können morgen die erste Etappe nach Buchholz angehen. Die nächsten zwei Wochen ist beschauliches Tippeln durch die Lüneburger Heide bis nach Celle angesagt.
Endlich einmal wieder sortierte ich den alten Papierkram aus, auch obsolet gewordene Bücher waren dabei, begleitet von der Frage „Was kann weg?“. Ist doch das Entmüllen immer auch ein Enthüllen dessen, woran man festhält und andererseits der Gegenpol zu überflüssigem Konsum: nicht, was man kauft, ist hier die Frage, sondern was loszulassen man bereit ist. Ich fand also im alten Kram ein handgeschriebenes Blatt, hatte ja des öfteren mal gute Textstellen auf diese Weise festgehalten, verinnerlicht und bekräftigt. Ich rätselte herum, von wem denn dieser Text, gut geschrieben und mir aus der Seele sprechend nun eigentlich war, musste die Quelle aufspüren. Sie ahnen es bereits, verehrte Leserin: der Text war von mir selbst. Wenn einem solches widerfährt, dann ist das mehr als einen Asbach Uralt wert: man sollte sich schleunigst von überzogener Selbstkritik befreien, nach dem Motto „Gut sind immer nur die Anderen“. Hierzu gab es kürzlich in dem lockeren Bühnengespräch zwischen dem Kabarettisten Florian Schroeder und dem Philosophen Peter Sloterdijk ein Analogum: der nordische Protestantismus sei ja immer auch mit dem mahnenden Fingerzeig verbunden, sich selbst nicht gut finden zu dürfen, Richtung Süden lockere sich das dann („Mir san mir!“). Bei selbiger Plauderei fand sich auch ein wunderbarer Hinweis zum Gebrauch der Sprache: senkrecht zum Sachverhalt wäre das Gesagte mit dem Ding identisch. Wenn Millionen ein schlechtes Länderspiel sahen, dann sagte der Tautologe Günther Netzer dazu: „Wir haben ein schlechtes Spiel gesehen!“ Wir anderen aber geben uns genüsslich dem schrägen und verspielten Sprachspiel hin, finden auch darin einen Sinn.
2023 12 Aug.
Lajla Nizinski | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off
Finnen von Sinnen
(Eilenberger)
Musikverrückt sind sie sicher. Erst Ende des 19. Jahrhunderts haben die Finnen die Anerkennung ihrer schwierigen Sprache erhalten, davor ging nur Schwedisch. Und wenn die These stimmt, dass der Mensch erst durch die Sprache zu singen begann, dann können sie ihrem intellektuellen Nationalhelden, Johan Vilhelm Snellman wirklich dankbar sein. Dieser Philosoph, ein Hegelianer, machte sich im 19. Jahrhundert viele Gedanken über die finnische Persönlichkeit und deren Nationalcharakter. Seine These war: nur mit einer gemeinsamen Sprache lässt sich etwas bewirken. Als Finnisch Amtssprache wurde, änderten einige ihren schwedischen Namen ins Finnische. Für mich ist das Schwedische, jetzt als Zweitsprache, eine große Hilfe in der öffentlichen Logistik.
Im Sommer ist Finnland für Musikliebhaber sehr attraktiv. Natürlich ist Janne Sibelius all around. Aber dieses Mal achtete ich auf andere Musikii. Im traditionsreichen Café Kappeli sitze ich immer gerne. Ihm gegenüber ist eine Bühne aufgebaut, auf der gerade das ESPANLAVA Festival läuft. Das ist ein von Kulturleuten organisiertes Jazzfestival mit hochkarätigen Jazzmusikern. Der Eintritt ist frei. Als ich vorbeikam, spielte gerade der finnische Bassist Jukka Havistoo. Ein großes Talent. Ich blieb auf den musikalischen Stühlen sitzen.
Ich besuchte Rauma, eine kleine Stadt im SW von Finnland. Aufgrund ihrer toll erhaltenen Holzhäuser wurde sie ins Weltkulturerbe aufgenommen. Jedes Jahr im August gibt es hier das FEEL GOOD BLUESFESTIVAL. Es ist eines der größten Festivals in Finnland. Hier hatten große Musiker bereits ihren Auftritt: Canned Heat, John Sebastian, Erja Lyptinen, die Finnin ist auch dieses Jahr wieder on stage. Aktuell spielen außerdem Robert Finley und die große Blueslady Nora Jean Wallace.
90 km nach Norden liegt die Jazzhauptstadt PORI. Im Juli findet dort seit 1966 eins der am besten bekannten Jazzfestivals statt. Es dauert mehrere Tage, der Eintritt zu den über die Stadt verteilten Konzerte ist frei. Über eine Fussgängerbrücke gelangt man vom Zentrum zur Hauptbühne, die auf der “Jazzinsel” Kirjurinluoto liegt. In den vielen zurück liegenden Augustii trafen sich hier die Maestros of the Music: B.B. King, Miles Davis, Carla Bley, Oscar Peterson, Terve Rypdal, Herbie Handcock. Auf dem Catwalk erlesenster Jazzmusik durften dann auch Nonjazzer auftreten: Björn, Nora Jones und in diesem Sommer Robbie Williams.
In dem herrlichen Jazzcafé Pori hatte ich in einer Zeitschrift geblättert und aus GUITAR diese Noten abfotografiert. Monatlich erscheint dieses Heft und monatlich werden 3 Gitarrenstücke zum Nachspielen veröffentlicht. Ich wählte den Song “You never give me your Money“ von den Beatles aus, weil John Lennon lays down some funky rhythm guitar … . Das letzte Foto widme ich Robert Robertson. Ich fand es in einer Biografie über Levon Helm. Die beiden waren wie Zwillinge, heißt es da.
Wenn man in Finnland Gelegenheit hat, fernzusehen, dann fallen die vielen Musiksendungen auf. Hunderte Finnen sitzen irgendwo zusammen und singen “all sång”. Die Energie dieses Rudelsingens springt ja geradezu über aus dem Bildschirm, wie damals die Flying Toasters im Störprogramm.
Ja, weil alle Regisseure Manipulatoren sind. Sie versuchen uns Zuschauer durch ihre handwerklichen und künstlerischen Fähigkeiten dazu zu bringen, in ihren Filmen die Welt so zu sehen, wie sie wollen. Das misslingt schlechten Regisseuren und in schlechten Filmen. In mittelmäßigen Filmen kann es funktionieren, wenn sich Zuschauer und Kritiker mit Wohlwollen auf die Manipulation einlassen, obwohl sie sie durchschauen. Und es kann auf so ungewöhnliche Weise gelingen wie in „Breaking the Waves“, bei dem Kritiker (mehr als das Publikum) die Manipulation erkennen, benennen, sich zum Teil dagegen wehren und ihr am Ende trotzdem nicht entziehen können.
aus Achim Forst: „Breaking The Dreams – Das Kino des Lars von Trier“, Schüren 1998, ISBN: 3-89472-309-2
Früher, als ich anfing, den Weg des Film-Studierens zu beschreiten, durch etliche Kinobesuche und exzessives Studium von Filmkunst in den eigenen vier Wänden sowie dann auch mit Hilfe von Seminaren im Stuttgarter Filmhaus (wofür ich oftmals den nachmittäglichen Sportunterricht auf dem Weg zum Abitur schwänzte), war Lars von Trier einer der prägendsten Regisseure für mich, nicht zuletzt aufgrund seiner „Europa-Trilogie“, deren erster Teil, „Element of Crime“ aus dem Jahr 1984 einer bekannten deutschen Band zu ihrem Namen verhalf und deren dritter Teil, „Europa“ (1991), viele Jahre lang „Lieblingsfilm“ meiner persönlichen Bestenliste war. Mein erstes Praktikum nach dem Abitur machte ich dann auch am Stuttgarter Filmhaus, als einer der Mitarbeitenden am baden-württembergischen Filmfestival „Filmschau Stuttgart“. Als Abschlussgeschenk bekam ich vom Festivalleiter, damals ein junger Mann von stolzen 27 Jahren, das oben zitierte Buch, da er wie ich damals „Fan“ von Lars von Triers Schaffen war.
Mit „Breaking the Waves“ (auch angeregt durch Erfahrungen bei der Produktion der Serie „Riget“/ „Geister“) begann in Triers Schaffen eine neue Phase, die sich u.a. darin äußerte, dass er den Schauspielern mehr Raum geben und weniger exzessiv die technische Perfektion ausstellen wollte, für die er damals bekannt war. Für „Europa“ hatte er im Cannes-Wettbewerb drei Preise bekommen – den Sonderpreis der Jury, den „Technik Grand Prix“ und einen Preis für den besten künstlerischen Beitrag – und hatte den Ruf eines sehr technischen, verkopften Kunst-Filmemachers, dessen Filme zwar Bewunderung ernteten und Eindruck hinterließen, doch wollte er daraufhin auch als Autorenfilmer eines emotionalen, einnehmenden Publikumskinos eine größere Zuschauerschar erreichen und als Schauspieler-Regisseur respektiert werden. Lange hatte er wohl eher großen Respekt bis fast Angst vor Schauspieler/innen, vermutlich weil sie ihm nicht so kontrollierbar schienen wie der ganze Technikapparat, das Zitieren der Filmgeschichte und die Filmsprache, deren Anwendung er sich damals bereits bis zur Perfektion angeeignet hatte – wie man anhand von „Europa“ deutlich sehen kann: Der Film ist gleichermaßen Hitchock-Hommage (sowohl was den perfekten Einsatz von Thrillerelementen in manipulativer Hitchcock-Tradition betrifft, als auch im Hinblick auf die extrem komplexe, teils bis in Experimentalfilm-Aspekte hineinreichende Filmsprache) wie intellektuell-distanzierende Befragung dieser ganzen Referenzen, Erzählmittel und Geschichte (der Filmgeschichte wie auch der mitteleuropäischen Geschichte am Ende des Zweiten Weltkriegs). Zur Erinnerung: Hitchcock hat ja mit Truffaut ein ganzes Buch lang über die Manipulationsarbeit des Filmregisseurs gesprochen.
(links „Europa“, rechts „Element of Crime“ )
Natürlich – darf man hier einwerfen – stand Lars von Trier an diesem Punkt seiner Laufbahn keinesfalls der Sinn, zu einem typischen Illusionskino überzugehen, welches auf einmal all die intellektuellen und selbstreflexiven Aspekte seiner künstlerischen Position in die Tonne treten oder verraten würde, nur um sich einer mainstreamigen Traumfabrikation oder Märchenerzählerei (etwa in Form der klassischen Filmgenres) zu Unterhaltungszwecken zuzuwenden. Er musste also einen raffinierten Mittelweg finden, der ihm beides zugleich ermöglichte.
Mit „Breaking the Waves“, das gleichermaßen Melodram wie Melodram-Sezierung ist, gelang Lars von Trier der angestrebte Sprung zum großen Publikum, und der Film war zugleich ein weiterer heißer Kandidat für die Goldene Palme, musste sich dann aber (noch einmal) mit dem „zweiten Preis“, dem Großen Preis der Jury zufriedengeben. Bekommen hat Trier die Palme dann erst mit seinem übernächsten Film, „Dancer in the Dark“, dem man eigentlich vor allem ankreiden kann, dass er das Erfolgsrezept von „Breaking the Waves“ noch einmal, mit etwas anderen Gewürzen (etwa mit miniDV statt mit 35mm und mit Musicalszenen als Verfremdungseffekt), gekonnt aufkocht – und kaum mehr als eine geschickte Variation darstellt, zumal eine letztlich weniger zwingende.
Als ich „Breaking the Waves“ damals beim Kinostart im Kino in Stuttgart sah, war ich gleichermaßen begeistert wie irritiert, ebenso emotional mitgenommen wie auch verärgert – und so scheint es wirklich dem größten Teil der Besucher aller Trier-Filme zu gehen. Ich erinnere mich, welche unglaubliche Wirkung der Film damals in der Filmwelt hatte und wie er sehr viel diskutiert wurde. Und die Musik, die in diesen sehr artifiziellen, Brecht’schen Kapitelbildern zum Einsatz kommt und den Zuschauer ebenso brüsk aus der emotionalen Handlung herausreißt wie ihm direkt ankündigt, was nun als nächstes geschehen wird, hat mich (wahrscheinlich auch, weil ich die durch die Generation meiner Eltern von Kind auf kannte) nachhaltig berührt und ist mir immer stark in Erinnerung geblieben. Ein weiteres, deutliches Element zum Durchbrechen der Vierten Wand sind die regelmäßigen Blicke der Hauptfigur Bess bzw. der Hauptdarstellerin Emily Watson direkt in die Kamera. Als Filmstudent oder Schauspieler/in lernt man früh, dass man dies in jedem Fall vermeiden soll es sei denn, man will die Illusion und Identifikation (unter-)brechen und den Zuschauer in seinem Sitz gewahr werden lassen, dass er hier ja nur ein Schauspiel zu sehen bekommt, eine eigens für ihn mühsam aufgebaute Illusion einer anderen Welt oder Realität. Die Zuschauereffekte des erzählerischen Mittels des Blicks direkt in die Kamera sind, für den Erzähler, schwer kontrollierbar; zumeist wird der sich in seiner Außenposition sicher wähnende Zuschauende sich dieser Position bewusst, vielleicht sogar frustriert darüber, möglicherweise erleichtert, eventuell aber auch verärgert über das Ärgerliche, Anstrengende, Alberne oder hanebüchen Ausgedachte, was ihm gerade dargeboten wird; in gewisser Weise demonstriert der Erzähler – hier: der Regisseur – seinem Publikum, dass es ihm auf den Leim gegangen ist, und er macht diese Manipulation deutlich.
In einem Essay (Seminararbeit) über die Kapitelbilder in „Breaking the Waves“ greift Kathi Hofmann diesen V-Effekt auch auf:
Außerdem schreibt [Manfred Pfister] dieser „Form der Episierung eine anti-illusionistische Funktion“ zu, die eine Identifikation oder Einfühlung des Rezipienten in die Figuren erschwert und somit eine distanzierte, kritische Haltung begünstigt. Das vermittelnde Kommunikationssystem erlaubt überdies eine „direktere Steuerung des Rezipienten, die der kritisch-didaktischen Intention entgegenkommt.“
Ich erinnere mich gut, wie wir an der Filmakademie in einem Kameraseminar bei Reinhold Vorschneider die extrem konstruierte Kameraarbeit von Lars von Triers Filmen jener Zeit auseinander genommen haben – um uns zu vergegenwärtigen, dass dieser Stil keineswegs Ergebnis einer dokumentarischen, spontanen Herangehensweise ist, sondern auch diese „Effekte des Dokumentarischen“ [Ich glaube sogar, das dreiwöchige Seminar trug diesen Titel, zumal wir alle im Praxisteil, dem Drehen von Kurzfilmen auf Zelluloid verschiedenste solcherlei Erzählmittel austesteten.], des Zufälligen sehr überlegt als raffinierte Mittel geplant und eingesetzt werden. Trier bemühte sich in diesen Filmen in allerlei Hinsicht, die Illusion eines vermeintlich nicht geplanten, nicht beherrschten Geschehens aufzubauen (siehe auch: „Idioten“, „Dogville“ usw.), um so den Zuschauer zu suggerieren, dass dies alles „echt emotional“ wäre – nur um diese Illusion dann immer wieder zuverlässig zu zerstören. Letztlich hat er genau dies seit damals immer wieder recht ähnlich weitergeführt, mal stark variiert („Nymphomaniac“, „The Boss of it all“), oftmals eben aber auch unmittelbar an das anknüpfend, was er mit „Breaking the Waves“ erstmals so geschickt erarbeitet hatte. Bspw. findet man in „Melancholia“ und auch „Antichrist“ wiederum die gleiche Handkamera-Ästhetik, verbunden mit einer scheinbar emotional in Auflösung befindlichen Hauptfigur und Lebenssituation – und dann bricht er immer wieder die vierte Wand, um uns zu zeigen: Lasst euch nicht hinters Licht führen, denkt nach, ob ihr glauben wollt, was ich euch hier an Haarsträubendem auftische! Alle Trier-Filme haben neben der extrem konstruierten, pseudo-realistischen Handlung immer diese formale Ebene, in der das Erzählte am laufenden Band reflektiert, hinterfragt, in Frage gestellt, gebrochen, oftmals sogar komplett aufgelöst wird.
Das Verrückte ist, dass, selbst wenn diese Films noch so unfassbar offensichtlich konstruiert sind, streng genommen nicht einmal mehr glaubwürdige, realistische Figuren haben, sondern sogar ausgestellte Figuren-Typen vorführen, ein frappierend großer Teil des Publikums dennoch emotional mitgeht, also mit den Figuren leidet (meist sind es bekanntlich Frauenfiguren). Der ganze Gag ist ja schließlich, dass die Filme genau deswegen erfolgreich sind – obwohl jedem mitdenkenden Zuschauer ja sowas von klar ist, dass uns eine total konstruierte bis hanebüchne Geschichte aufgetischt wird. Ich bin mittlerweile sicher, dass genau das der Punkt ist, an dem sich Triers Publikum in die Bewunderer und die Verärgerten scheidet; er führt uns immer wieder vor, wie einfach wir doch manipulierbar sind.
Trier ist freilich nicht der einzige Autorenfilmer, der Wert auf eine solche selbstreflexive Haltung legt; der Normalfall ist das Sichtbarmachen der Manipulation im Kino und in Serien keineswegs. Michael Haneke etwa betonte häufig, dass er es wichtig findet, dass sein Publikum in jedem seiner Filme die Gelegenheit bekommt, sich bewusst zu werden, dass ihm eine Fiktion präsentiert wird; man findet solche Elemente in allen seinen Filmen, markantestes Beispiel sind sicherlich die Momente in „Funny Games“, wenn die quälenden und mordenden jungen Männer den weiteren Handlungsverlauf besprechen, sich verschwörerisch ans Publikum wenden und in einer Szene sogar mit Hilfe einer Fernbedienung die Filmhandlung zurückspulen, um sich beim zweiten Mal anders verhalten können. RW Fassbinder stellte die Brechtsche Distanz unter anderem durch artifizielle, offensichtlich gestelzte, nicht naturalistische Theatersprache her, in Christian Petzolds und Atom Egoyans Filmen kommen beispielsweise Bilder von Überwachungs- bzw. Videokameras zum Einsatz, auch sprechen die Figuren ihr Spielen oder die Rollen, die sie verkörpern, oft selbst an. Besonders raffiniert ist das Deutlichmachen des Manipulierens von audiovisuellen Erzählungen aktuell in Christopher Nolans „Oppenheimer“ zu sehen. Letztlich würde ich sogar so weit gehen zu sagen, dass genau dies zentrales Thema des Films ist: Aufzuzeigen, dass jede Meinung, jedes Urteil, jede Geschichte, jede Nacherzählung oder Bebilderung geschichtlicher Ereignisse, die uns die audiovisuellen Medien (bzw. die dahinter steckenden Erzählenden) glauben machen wollen, nichts anderes als eine von bestimmten Interessen manipulierte ist.
2023 8 Aug.
Olaf Westfeld | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Bücher, Finnland, Im Saal von Alastalo, Volter Kilpi | 10 Comments
Ich lese in den Sommerferien gerne lange Bücher. Es darf dabei ruhig etwas anspruchsvoller sein, ich mag das auch um die Ausdauer zu trainieren. Lesen transportiert mich nicht nur in andere Welten, im Idealfall finde ich dort auch noch zweite, dritte, … Heimaten.
In diesem Sommer bin ich dabei, eine sehr harte Nuss zu knacken. Obwohl mir Volter Kilpis Im Saal von Alastalo (1933 veröffentlicht) gut gefällt, habe ich mehrmals ans Aufhören gedacht. Auf tausend Seiten wird eine Handlung erzählt, die sich über sechs Stunden in einem Raum erstreckt. Eine Figur braucht zum Beispiel dreißig Seiten, um sich die richtige Pfeife aus dem Regal zu suchen. Die Handlung ist der Ausgestaltung der Charaktere untergeordnet. Mir gefällt das durchaus, die Personen werden mir sehr vertraut und ich erlebe viel über Verhandlungen und Gruppendynamik, aber es ist sehr reduziert und natürlich langatmig.
Dann ist da noch die Sprache. Lange, verschachtelte Sätze und zahlreiche Wortschöpfungen, die dem Übersetzer sicher besonders Freude gemacht haben. Um meine Lesemotivation zu erhalten, habe ich mal 200 Seiten lang ein paar Begriffe aufgeschrieben, wie zum Beispiel Gedankenei, Anfallslachen, Hustenkeuchen, Heilhäutigkeit, Gemütsglieder, Blickverschiebung, Mundbenutzung, Kehlenbegießung, Freudenfärbung, Glattglanz, Menschenwiesel, Blickfutter, augensündig, Herzbündel, Schwarmstärke, Schönwettergold, Sternenvieh, Funkenhaar, Schimmerwangen, Augenblau, Glücksschwellung, Sonntagsdröhnen, Gedankenbohnen, Gedankentagwerk, Gehirnwinkel, Halsklarinette, Gedankenschwall, Augenspitzen, Wortwelpe, Rückenbewusstsein, Blitzschleuder, Fingerspitzen des Herzens, Gläservolk, Gedankenkikeriki, Gedankenwirbel, Gesichtstafel, Wörterschnauben, Missgunsthaut, Verstandesfaser, Gemütsrinde, Lippenlaunen, Geistesfedern, Verstandeshatz, Lachverständnis, Herzenswinkel, Sprechgefilde, Herzenskäfig, Anerkennungsbutter, Reizgeschmack, Gemütsblaubeeren. …
Ich bin jedenfalls auf Seite 766 angekommen, die nächsten 300 schaffe ich auch noch. Dann habe ich leider nur ein Buch in diesen Sommerferien gelesen – aber die anderen werden ja auch nicht schlecht.
2023 7 Aug.
Lajla Nizinski | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 5 Comments
Da dehnen sich des Nordlands
düstre Wälder.
Uralt – geheimnisvoll in wilden
Träumen:
In ihnen wohnt der Wälder großer
Gott.
Waldgeister weben
heimlich in dem Dunkel
(aus der sinfonischen Dichtung TAPIOLA von Jean Sibelius)
Ich bin in Tapiola, der finnischen Gartenstadt im Westen von Helsinki. Ich liebe schönes Design. Ich besitze ein paar Objekte meiner Begierde, wie z. B. den Damenfūllfederhalter von Montblanc, einige Bauhausstühle und eine Wellenvase von Alvar Aalto. In den Diskussionen mit Künstlern kommt meine Vorliebe für schönes Design immer schlecht weg. Ich denke, dass die Architektur eine hohe Kunst der Kreativität ist, vorausgesetzt, sie wurde nicht nur unter dem technischen Aspekt geschaffen. Ich bin in Tapiola, um die Perle urbanen Designs zu erkunden. Der Brite Ebenezer Howard war der Erfinder der Gartenstadt. Er verkehrte mit Ralph Waldo Emerson, der ihn genauso inspirierte wie Thoreau, der bekanntlich das Experiment WALDEN durchführte. In Howards Überlegungen ging es um die Verwirklichung einer harmonischen Verbindung von Stadt und Land. Er erfand dafür den Begriff town-country. Ein Schüler und Kollege von Alvar Aalto folgte seinen Ideen. Arno Ervi war der Chefdesigner von Tapiola. Sein Blick fiel zunächst auf die grüne Landschaft, in die er Häuser unterschiedlicher Größe und verschiedenen Materials hineinsetzte. Er schuf ein Zentrum, das wie eine Mall funktionierte, ein Kulturzentrum mit Konzertsaal, Bibliothek und Schwimmbad. In den Wäldern rund um das Towncenter entstanden Sozialwohnungen und Gebäude von hohem Niveau. Die Idee war ja, Menschen aus verschiedenen Schichten im Grünen anzusiedeln. Das urbane Design, Gebäude+ Mensch+Natur ist hier sehr gelungen. Doch es gibt Risse, die die frühen Architekten, Alvar Aalto, Arne Ervik oder auch Tolvo Paatela nicht bedacht haben. Der zunehmende Autoverkehr zerteilt die Waldlandschaft mit den breiten Autostraßen, die vielen Parkplätze können nur noch halb versteckt wahrgenommen werden. Wohin rollen die vielen Autos und Busse? Hinüber auf die andere Seite der Gartenstadt, Richtung Helsinki. Der Designerbogen hätte nicht futuristischer erfolgen können. In dem Account-Tower sitze ich im 20. Stock auf einer Terrasse des Restaurants mit dem trefflichen Namen LUCY IN THE SKY. Der weite Blick zeigt die typische finnische Landschaft: viel Wasser, viel Wald. Dazwischen ein modernes individuelles Stadtbaudesign. Die glatte Modernität, die sich an der Alvar Aalto Universal zeigt, wird von einer dreist anmutenden Architektur von Pietila gestört. Das Dipoli Gebäude besteht aus einem Steinhaufen, der die Zerbrochenheit von Design hervorhebt, außerdem benutzte er viel Kiefernholz, Kupfer und verschiedene Steine. In dem wundervoll designten Haus befindet sich ein Restaurant. Diese Architektur ist für mich eher a peaceful path to real reform.
„Ohne Freud wäre Woody Allen nur ein Trottel und Tony Soprano nichts weiter als ein Gangster, gäbe es zwar einen Ödipus, aber keinen Ödipuskomplex.“
(Eva Illouz, Die Errettung der modernen Seele)
Auf einer Bank im Schatten sitzend beobachtete ich eine junge, recht attraktive Frau, die schwergängig und mit leicht hängendem Kopf ihr Bike voranschob, als ob es kein Gefährt sei, das sie in die Zukunft leite, sondern Ding-Symbol für eine unerlöste Vergangenheit: ein Altlasten-Fahrrad. Ihre zu warme Jacke wirkte dabei wie eine Rüstung aus Blei – ein merkwürdiges Bild an diesem herrlichen, heißen Sonnenmittag. „Resilienz ist ja auch eine nicht zu vernachlässigende Ressource!“ sprach sie in ihr verkabeltes Handy. Könnte ein Dialog sein zwischen Therapeut und Klient, dachte ich bei mir, Samuel Beckett hätte ein absurdes Bühnenstück daraus gemacht. Gestern hingegen auf YouTube ein Radiogespräch mit der Ärztin und Psychologin Mirriam Priess, das mich vollends überzeugte. Keine Nabelschau, aber die Notwendigkeit der Aufarbeitung des Milieus, in dem man seine frühesten Tage verbrachte. Galt die Wertschätzung, wenn überhaupt vorhanden, dem eigenen Wesen und der eigenen Gestalt? Oder war sie mit der Forderung nach Leistung und Anpassung verbunden – als Ersatz für Liebe, aus dem dann später auch Burnout entstehen könne: weil man die Fähigkeit zur Abgrenzung nicht erlernt habe. Stattdessen ein Leben lang anfällig bleibe gegenüber Einschüchterungen und Übergriffen, mit der Gefahr, sich ausnutzen zu lassen. Zudem oft im Affekt überreagierend mittels mangelnder Coolness – so meine Worte. Es bleibt eine leichte Skepsis hinsichtlich der Wahrheiten und Halbwahrheiten im psychologischen Diskurs. Dass sowohl die Probleme wie auch deren Lösungen zu Fetischen werden können, an denen man haften bleibt, das wusste schon Karl Kraus. Die Soziologin Eva Illouz schrieb ein Buch zu den Phänomenen einer durch-psychologisierten Gesellschaft: Die Errettung der modernen Seele. Das Fatale an Narziß war doch, dass seine Spiegelung in Unbeweglichkeit verharrte und die Szenerie nie wechselte, im vorgegebenen Kontext verbleibend. Aber Humor hilft, auch Theater spielen – und der Hinweis Krishnamurtis, dass Konflikte Zeitverschwendung seien.
„Die Beseitigung des Egos in den Äußeren Hebriden“. – Rings a bell? Kleiner Tipp: Es ist mehr als acht Jahre her und hat mit dem Blog zu tun. Tatsächlich war es ein Arbeitstitel oder schon der Titel unseres einst geplanten Buches der Manafonisten. Ein Projekt, das die damalige Crew ein paar Wochen oder Monate begeistert hat, bis es von der Tagesordnung verschwand. Über das Stichwort „Hebriden“ in der Suchfunktion habe ich Teil 2 und Teil 3 einer organisatorischen Mail vom Juni 2015 gefunden. Die Äußeren Hebriden liegen im Nordwesten Schottlands. Ein Gespür für diese Region vermittels Lars von Triers Film „Breaking the Waves“: Gras, Wind und Meer bilden die Koordinaten einer archaischen Landschaft und eine ziemlich frische Brise kommt hinzu. Der Untergang der jungen, frisch verheirateten Bess Anfang der 70er Jahre wird in sieben Kapiteln und einem Epilog erzählt, die jeweils mit einem Kapitelbild eingeleitet und einem Rocksong der sechziger und siebziger Jahre untermalt werden. Das sind die Songs (im Film werden sie nur jeweils etwa eine Minute angespielt):
Mott The Hoople: All the Way to Memphis
Python Lee Jackson: In a Broken Dream
Jethro Tull: : Cross Eyed Mary
Procol Harum: A Whiter Shade of Pale
Leonard Cohen: Suzanne
Elton John: Goodbye, Yellow Brick Road
Deep Purple: Child in Time
David Bowie: Life on Mars
Ja, es geht! Aber warum geht’s? Wenn doch so vieles schon nicht mehr geht! Bei Woody-Allen-Komödien geht’s zum Beispiel nicht mehr. James Dean geht auch nicht mehr, zumindest bei mir nicht. John Wayne ging noch nie. Nouvelle Vague ging immer, aber jetzt auch nicht mehr. Bunuel staubt auch schon etwas ein. Rocky Horror geht merkwürdigerweise immer noch, läuft seit seinem Erscheinen ununterbrochen in München in einem kleinen Flohkino an der Isar jeden Sonntag und die chronifizierten Fans finden sich sonntags ein mit Taschenlampen, Regenschirmen, Kochbeutelreis, Wasserpistolen, Klopapier und den anderen Accessoires. Muss man nicht mitschleppen, dafür gibt’s Fanpackages an der Kasse. An meinem Geburtstag nächstens will ich da hin! Mein Mann weiss es nur noch nicht, aber gleich weiss er’s …
Clint Eastwood geht immer, aber nur als Schauspieler, nicht als Regisseur.
Warum funktioniert ein Kultfilm einer längst vergangenen Epoche immer noch und hat nichts von seiner Faszination verloren? Wobei fraglich ist, ob er nur bei den angejahrten 68ern noch geht oder auch bei jüngeren Generationen. Wäre mal ’ne Doktorarbeit wert!
Warum funktioniert Easy Rider immer noch ungebrochen in unserem Emotionshaushalt? Vielleicht weil es mehr eine Komposition ist als ein Film? Ein ständiges Fliessen, es geht weiter und immer weiter: gone, gone, gone beyond; gone beyond beyond – die Herz-Sutra; der Film hatte für mich schon immer eine buddhistische Anmutung. Über alles Hinausgehen hinausgehen, kein Haiku, aber ein Koan. Der Film fliesst wie ein Fluss. Egal, was gerade passiert ist, man kann es wieder verlassen und es geht weiter, wird transzendiert und das nächste flüchtige Ziel angesteuert und wieder verlassen. Das nimmt den Dingen die Schwere. Gleichzeitig sehen wir auch eine Innenansicht, Seelenbilder und – bewegungen, die wohltuende Illusion, sich selbst entkommen zu können und sich in psychedelischen Bildern aufzulösen oder mit ihnen zu verschmelzen, die Freiheit durch das Aufgeben der eigenen Grenzen. Der Soundtrack ist dabei natürlich nicht wegzudenken, er fliesst mit dem Geschehen. The river flows …
Das hat mir bei Wim Wenders immer so gefehlt: Der Drive! Bei ihm kleben die Figuren am Boden, bei Easy Rider schweben sie tänzerisch einen Meter oben drüber. Ein grosser Wurf von Dennis Hopper hinter der Kamera, vor ihr eher in einer Sancho-Pansa-Rolle agierend – sympathisches Understatement. Und der nette Sidekick mit der Kreation eines neuen Verbums: to bogart.
Mit Jack Nicholson als ausgefuchstem saufenden Anwalt und Peter Fonda als stillem Grübler mit einem Händchen für die Frauen – ein furioses Trio. Hinzutretende Frauen werden natürlich wieder verlassen, hier klingt das Klischee des in den Sonnenuntergang reitenden Helden wieder an, ein bisschen Freddy Quinn, ein bisschen Winnetou, ein bisschen Irgendeiner wartet immer!; Freiheit war damals noch Männerfreiheit.
Der psychedelische Trip im Hippiecamp wirkt dabei als einziges Element etwas unbeholfen. Eher, als versuche sich Hopper symbolüberladen in Sachen Surrealismus, ohne einen wirklichen Draht dazu zu finden – oder als hätte er nie etwas wirklich Gutes geschluckt. Das können andere besser, auch ohne jemals einen Trip eingeworfen zu haben.
Aber egal – es geht weiter und immer weiter, man will zum Karneval nach New Orleans. Ist das jetzt das Shangri-La? Nein, da wartet nur der Pusher – aber es kann ja wieder weitergehen, neue Räume tun sich auf, flüchtige Begegnungen blitzen auf und verglühen wieder. Das Böse kristallisiert sich in den Sesshaften, den Unbewegten, den konservativen Hinterwäldlern, in ihren eigenen Grenzen erstickt und brutalisiert, die nur kurz aufscheinen, denen es aber gelingt, das Leuchten eines anderen Lebensentwurfs zu zerstören.
Den Tod sehen wir von aussen, die Kamera geht auf Distanz, von weitem sehen wir zerschmetterte und brennende Überreste, keine Leichen, kein Blut. Wo sind die beiden Ermordeten? Wir müssen doch trauern! Die Kamera schwenkt in den Sommerhimmel. Natürlich sind sie schon längst wieder unterwegs auf ihren Harleys in den sundown und ins nächste Abenteuer. To some other town …
In den Olymp, wo die Mythen hausen!
Und jetzt steckt Euch eine an und dann:
„Don’t bogart that joint, my friends!“