Nach einem fürstlichen Frühstück machen wir uns gegen halb zehn auf und gehen an den Kiesteichen vorbei (Foto Seerosen) zurück zum Angelbecksteich, wo wir den Weg gestern verlassen hatten. Dort kommen wir in einer Holzhütte mit Aussicht auf den Teich ins Gespräch mit zwei betagten Brüdern aus der Gegend und der Frau des einen, die überrascht sind, dass wir die ganze Strecke von Hamburg bis Celle zu Fuß machen. Der eine Bruder ist vor 70 Jahren in den Ruhrpott gezogen und hat den Akzent angenommen. Unser Weg durch den Wald ist nun dreigeteilt. In der Mitte die Autopiste, links der geschotterte Weg für Radfahrer und Fußgänger, rechts der sandige Reitweg. Wir gehen meist auf der Piste, da es kaum Verkehr gibt und es dort am wenigsten Mücken gibt.
Wir kommen nun am Dehningshof vorbei, vor dem ein Mann eine Zigarette raucht, den ich aus der Ferne für eine Statue halte, weil er sich kaum bewegt. Wir befinden uns hier auf der im 19. Jahrhundert von Postkutschen viel genutzen Celler Heerstraße und der Dehningshof war eine Ausspannstation, wo die Pferde gewechselt wurden. Am Waldesrand stehen zwei Buchen (Foto), die, weil sie kein Harz enthalten, den Waldbrand von 1975 – bis heute der größte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – überlebt haben. Der Weg zieht sich weiter durch den Wald hoch zum Citronenberg. Hier ließ der Überlieferung nach ein Kreuzfahrer den Einheimischen seine kranke Tochter zur Pflege und brachte als Dank anschließend Zitronen mit. Nach den Wildecker Teichen kommen wir an einer weiteren Ausspannstation, dem Forsthaus Kohlenbach (Foto) vorbei, das von einem jungen Paar bewohnt wird. Direkt nach dem Krieg hatte sich hier Eichmann unter falschem Namen einquartiert und war als Waldarbeiter tätig gewesen.
Unsere Mittagspause machen wir in einer halboffenen Schutzhütte, die an einer Kreuzung von Waldpisten liegt. Wir sind gerade beim Essen unserer belegten Brötchen, da taucht aus dem Nichts ein Radfahrer auf. Er fängt sofort an, überschwänglich zu reden, guckt auf seinen Tacho bzw. das GPS-Gerät und meint, er hätte jetzt auf den Meter genau die Hälfte seiner Tour, 111 km absolviert. Es stellt sich heraus, dass er an Orbit 360 teilnimmt, einer in der Coronazeit gegründeten Initiative, die gravel Rundtrips vorsieht, die man nachfahren kann. Wer 10 Orbits geschafft hat, nimmt an der Verlosung eines sehr guten Backroadrades teil. Er scheint da ziemlich weit vorne zu liegen. Wir tauschen uns ausgiebig über Radferntouren und Fernwandern aus und nachdem er die Kette geölt hat, schwingt er sich wieder aufs Rad für die nächsten 111 km, die er heute noch vor sich hat. Er wusste übrigens gerade mal, dass er in der Lüneburger Heide war, ansonsten hatte er von der Außenwelt wenig mitbekommen. Ich gebe ihm noch den Tipp mit, in Wilsede zumindest den 1 Km-Abstecher zum Totengrund zu machen.
Kurz nachdem wir wieder auf unserem Weg sind, fängt es an zu regnen und hört bis zum Ende der Etappe auch nur noch kurz für 20 Minuten auf. Wir spannen die Regenschirme auf und stellen uns, als der Regen stärker wird, ein paar Minuten an einem Hochstand unter. Man hört nun in der Ferne großkalibrige Schüsse. Wir gehen direkt auf einen heute privat betriebenen Schießplatz zu. Neben uns ein Standortübungsplatz der Bundeswehr, vor dessen Betreten aufgrund von Blindgängern gewarnt wird. In Scheuen treten wir plötzlich aus dem Wald und stehen vor einer großen, kurz geschnittenen Wiesenfläche, einem Segelflugplatz. Durch eine Siedlung kommen wir – nach gut 20 Km rechtschaffen erschöpft – zu unserer Unterkunft, direkt an der verkehrsreichen Hauptstraße nach Celle gelegen. Eine junge Ukrainerin, die kaum deutsch spricht, öffnet uns unser Zimmer.