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2023 23 Aug

Regenhunde

von: Olaf Westfeld Filed under: Blog | TB | Tags: , , | 7 Comments

 

Kurz nachdem ich 1992 im zweiten Anlauf meine Führerscheinprüfung bestanden hatte, spielten die Beastie Boys in Vorprogramm von Public Enemy in der Leinemetropole. Das Album „Check Yo Head“ war gerade erschienen. Ich durfte mir das Auto meiner Eltern ausleihen und fuhr gemeinsam mit meiner Freundin dorthin. Übernachten konnten wir in der Asternstraße, bei einem Onkel und einer Tante von mir. Das Konzert war großartig: zwei Bands auf ihrem künstlerischen Zenith. Sehr beeindruckt waren wir auch von dem Publikum: die meisten waren älter als wir, wirkten unendlich cool – und dann wurde auch noch in aller Öffentlichkeit gekifft. Verrücktes Großstadtleben. Am nächsten Morgen blieben wir noch ein bisschen in der Altbauwohnung und waren auch da beeindruckt: meterweise Bücher, Schallplatten und CDs, schöne Bilder an den Wänden, schicke Möbel. Zum Frühstück legte ich ein Album auf, über das ich schon gelesen hatte, „Rain Dogs“ von Tom Waits. Wir haben nicht viel geredet, sondern uns von dieser merkwürdigen Musik einhüllen lassen. Das Album habe ich nie wieder gehört (im Gegensatz zu zahlreichen anderen Tom Waits Aufnahmen), nur das Stück „Clap Hands“ begegnete mir Jahre später auf einem sehr schönen Sampler. Das Foto auf dem Cover habe ich in diesem Jahr auf einer Ausstellung gesehen. Im nächsten Monat wird „Rain Dogs“ auf LP und CD wiederveröffentlicht. Ich bin gespannt.

 

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7 Comments

  1. Olaf Westfeld:

    https://www.theguardian.com/music/musicblog/2011/sep/05/rain-dogs-tom-waits

    Als ich 12 oder 13 Jahre alt war, spielte mein älterer Bruder auf einer langen Heimfahrt im Auto zwei Alben, bei denen ich mir ernsthaft Sorgen um sein ästhetisches Urteilsvermögen machte, ganz zu schweigen von seinem geistigen Wohlbefinden. Ich bin mir nicht sicher, ob ich tatsächlich gesagt habe: „Das ist keine Musik“, aber genau das habe ich gedacht. Ich fühlte mich schwer enttäuscht. Bis zu diesem Moment hatte ich dem Musikgeschmack meines Bruders voll und ganz vertraut, und er hatte mich immer auf dem rechten Weg geführt. Aber jetzt steuerte er wie verrückt auf zerklüftete Felsen der kulturellen Auflösung zu und ich wurde mitgerissen.

    Eines der Alben war, rückblickend betrachtet, ein äußerst zahmer Einstieg in die Tanzmusik, vor der ich damals noch zurückschreckte: Connected von Stereo MCs. Das andere Album, Bone Machine von Tom Waits, war alles andere als zahm. Ich hörte mir Earth Died Screaming mit offenem Mund an und versuchte, dieses gestörte, tierische Gebrüll und das Klappern von Werkzeugschuppen im Hintergrund mit dem zu vereinbaren, was ich als Musik verstand. Ich habe es überhaupt nicht verstanden.

    Als mir ein Freund ein paar Jahre später von Waits vorschwärmte, war ich eher bereit, mich darauf einzulassen. Jetzt schienen mir die Kieselstimme und die betrunkenen und unordentlichen Begleitungen betörend und schön. Ich muss mir meinen Sinneswandel so vorstellen, wie ein Kind, das in seinen Geschmacksvorlieben von süß zu herzhaft übergeht: Das war so, als würde man ein Stück Roquefort statt eines Lollis in die Hand nehmen.

    Mein Lieblingsalbum von Tom Waits ist jedoch nicht Bone Machine, sondern Rain Dogs – obwohl ich, um ehrlich zu sein, zurückgehen musste, um den Inhalt aus der wunderbaren Melange herauszuholen, die Waits‘ drei karrierebestimmende Platten der 80er Jahre in meinem Gehirn gebildet haben, die anderen beiden sind Swordfishtrombones und Frank’s Wild Years. (Verdammt, kein Cold, Cold Ground, kein Innocent When You Dream, kein Telephone Call from Istanbul…)

    Ich kann nicht alle drei Alben zu meinen absoluten Lieblingsalben küren, also ist Rain Dogs – das mit Abstand beste – das ausschlaggebende. Waits hatte zwei Jahre zuvor auf Swordfishtrombones seinen Sound aufgefrischt, indem er nicht mehr nur mit Klavier und Gitarre, sondern mit einer größeren Vielfalt an Instrumenten experimentierte, und auf Rain Dogs erweiterte er sein Repertoire um Pumporgeln, Akkordeons und Streichsägen. Er gewann auch die Talente des Gitarristen Marc Ribot, dessen feuchte kubanische Licks auf Jockey Full of Bourbon perfekt zu Waits‘ souveräner Aufgedrehtheit passen.

    Auch die Bandbreite der Musikstile ist groß, und Rain Dogs enthält Kabarettnummern, Country-Songs, Gospel, Polkas, Balladen und Seemannslieder. Waits hat eine Vorliebe für das Theatralische, und die bunt zusammengewürfelte Truppe hier steht am karnevalesken Ende der Dinge, plus traurig blickende Damen und ein Mädchen mit einer tätowierten Träne – „eine für jedes Jahr, das er weg ist, sagte sie“ – am spätabendlichen, romantischen, Edward-Hopper-artigen Ende. (Der Großteil des Albums wurde in einem Keller in Lower Manhattan geschrieben.) (Deepl Translation, K. Fox)

    Oder auch:

    https://www.theguardian.com/music/2023/aug/20/tom-waits-frank-trilogy-reissues-swordfishtrombones-rain-dogs-franks-wild-years

  2. Lajla:

    Ich weiß nicht,wie oft ich mir das Video „Hold on“ angesehen habe. Tom Waits as a jerk in a dusty bowl – singing a ballad about everyday love.

  3. Henning Bolte:

    Tom Waits’ Musik ist von mexikanischem Mariachi durchtränkt. Hat er in Jugendjahren bei Ausflügen über die Grenze absorbiert. Polka ist ja auch im Mariachi drin.

  4. Alex:

    Mein Tom Waits Album ist ganz klar Nighthawks at the Diner von 1975. Ich habe es 1992/93 das erste Mal auf einer sehr guten Anlage mit riesigen Boxen allein bei einem Freund im Dunklen gehört. Vorher hatten wir sicher etwas geraucht. Die Late Night Bar Atmosphäre dieses Livealbums hat mich sofort hineingezogen. Tom Waits erzählt zwischen den Liedern Witze über Biokulturen im Kühlschrank und ähnliches. Er kommt irgendwie authentisch rüber und man merkt, dass er sich sehr wohlfühlt mit seiner verstellten Stimme, die für mich bei den meisten anderen Aufnahmen gekünstelt erscheint. Er ist noch nicht Gefangener seines shticks.

  5. Martina Weber:

    Hier etwas verspätet, da unterwegs, noch eine Bemerkung zum Haupttext „Regenhunde“, was das für eine wundervolle Erinnerung an vermutlich die erste größere Fahrt und Reise nach bestandener Führerscheinprüfung ist.
    Und wie schön, wenn der ältere Bruder – mit Ausnahmen – den eigenen Musikgeschmack prägt.

  6. Olaf Westfeld:

    Mein Onkel war tatsächlich sehr prägend für meinen Musikgeschmack, fiel mir noch mal auf, als ich Deinen Kommentar gelesen habe. Und stimmt: es war wohl tatsächlich die erste längere Autofahrt als Fahrer -auch das fällt mir jetzt erst auf.
    Grundsätzlich mag ich Tom Waits ganz gerne und höre den in Abständen immer wieder, dann gerne auch etwas mehr. Aber ich kenne „nur“ 5-6 Alben. Mein Liebling ist bisher „Closing Time“, das einige sehr schöne Songs, eigentlich Kurzgeschichten, enthält. Nachdem ich mir auch das „Hold On“ Video angeschaut habe, will ich mich etwas näher mit „Mule Variations“ beschäftigen.
    Hier gibt es mindestens einen sehr umfassenden Text über Tom Waits: https://www.manafonistas.de/2015/07/02/tom/

  7. Alex:

    Bone Machine habe ich mir als es rauskam sofort zugelegt und gerade wegen seiner Radikalität sehr gemocht. Als ich dann irgendwann las, dass er seine Stimme von Anfang an verstellt hat und seine wahre Stimme gehört habe, war ich allerdings so sehr enttäuscht, dass ich mir nach Alice kein Album mehr von ihm gekauft habe. So ganz klar ist es mir heute nicht mehr, wieso Authentizität so lange so eine riesige Rolle für mich gespielt hat und evtl. noch spielt.


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