Morgens gleich zwei Schocks. Die Klamotten sind nicht richtig getrocknet und heute Morgen ist Regen angesagt. Kein Spaß morgens in feuchte Socken zu steigen, aber was will man machen und außerdem schneller als auf dem warmen Körper trocknen die Sachen nirgends. Das heiße Teewasser tröpfelt langsam aus dem Automaten, Geduld ist angesagt. Es sind gefühlt Horden von Wanderern im Hotel und wir sind so ziemlich die letzten, die frühstücken und sich auf den Weg machen, als draußen schon fast die ersten Tropfen fallen. In Buchholz-Zentrum wird uns in einer Drogerie eröffnet, dass Bandagen schon seit längerem nicht lieferbar seien. Es trifft sich gut, dass das rechte Knie eigentlich nicht mehr schmerzt. Den Regen nutzen wir für eine Capuccinopause, drei rüstige Rentner, die im selben Hotel übernachtet hatten, tun selbiges. Wir treffen sie heute immer wieder, sie laufen etwa in unserem Tempo, man hört sie von weitem, da sie permanent reden, zwei Schwaben aus Göppingen (Märklin und Handball) bei Stuttgart und ein Bremer. Sie bleiben oft stehen und machen viele Pausen, sie machen es richtig, wollen heute bis Wesel (ca. 28 km), da sie vorher keine Unterkunft gekriegt haben.
Hinter Buchholz kommen wir in einen Mischwald und nähern uns der Höllenschlucht, einem periglazialen Trockental. Am Wegesrand wieder viele Pilze. Léo Gantelet, der einen sehr empfehlenswerten Verbindungsweg zwischen der Via Gebennensis (Genf – Le Puy) und der Via Tolosana (auch voie d’Arles) initiiert hat, schrieb mal davon, dass nach vielen Kilometern Wanderns irgendwann der Weg anfängt, unter den Füßen hinwegzugleiten. Das ist sozusagen das Satori des Wanderers. In diesem lichten Mischwald auf weichem Boden komme ich diesem Zustand schon recht nah. Ich würde es allerdings anders formulieren. Meine Beine gehen von alleine, die Wandermaschine übernimmt, ich werde gewandert. Kurz nach dieser umstürzenden Erkenntnis bin ich natürlich mal wieder umgeknickt, hingeflogen und weich gefallen.
Von der Höllenschlucht geht es hinauf zum Brunsberg, dem Dach der heutigen Etappe mit 129 m. Wanderwege aus allen Richtungen laufen auf diese mitten in der Heide stehende Erhebung zu, es ist hier ein reges Treiben. Wir machen eine kurze Trinkpause, lauschen dem Wind, der durch die vereinzelt herumstehenden Birken weht. Wenn man genau hinhört, kann man ein ganz leises Summen vernehmen. Die kleinen Heidebienen schwirren von Erikablüte zu Erikablüte. Man sieht viele durch im Kreis aneinander befestigte Holzlatten geschützte Wacholdersträuche, die angepflanzt wurden und so nicht von den Schafen gefressen werden können. A propos, der Boden ist überdeckt mit den rundlichen, dunkelbraunen Hinterlassenschaften der Heidschnucken, sie können nicht so weit sein, wir sind ihnen dicht auf der Spur.
Unsere Mittagspause machen wir auf dem Pferdekopf (78 m), wo die rüstige Rentnertruppe kurz nach uns eintrifft. Eine Wolke über uns verliert einige Tropfen, ansonsten bleibt es für den Rest des Tages trocken. Hier sind wir wieder mitten in der violett blühenden Heide. Wir kommen an zwei Weihern vorbei, wo blaue Libellen unterwegs sind. Nun geht es auf einem breiten Sandweg durch das Büsenbachtal zum Schafstall, einem beliebten Café mit kleinem Laden, wo wir ein kleines Kopfkissen mit Kräutern und Duftpflanzen für ein Geschenk erwerben. Der weitere Weg ist wenig ersprießlich. Wir gehen neben Straßen auf hartem Untergrund zum Supermarkt in Handeloh und dann noch nach Höckel, unserer Airbnb-Unterkunft. Dort treffen wir unsere Gastgeberin, die gerade die Pferdekoppel „entäppelt“, damit der Boden nicht zuviel Stickstoff bekommt und die Pferde genug zu grasen haben. Wir lassen den Abend draußen auf der Terrasse vor unserer Einliegerwohnung bei Pizza und Bier ausklingen.