Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2023 6 Aug

Therapietheater

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Comments off

„Ohne Freud wäre Woody Allen nur ein Trottel und Tony Soprano nichts weiter als ein Gangster, gäbe es zwar einen Ödipus, aber keinen Ödipuskomplex.“

(Eva Illouz, Die Errettung der modernen Seele)

 

Auf einer Bank im Schatten sitzend beobachtete ich eine junge, recht attraktive Frau, die schwergängig und mit leicht hängendem Kopf ihr Bike voranschob, als ob es kein Gefährt sei, das sie in die Zukunft leite, sondern Ding-Symbol für eine unerlöste Vergangenheit: ein Altlasten-Fahrrad. Ihre zu warme Jacke wirkte dabei wie eine Rüstung aus Blei – ein merkwürdiges Bild an diesem herrlichen, heißen Sonnenmittag. „Resilienz ist ja auch eine nicht zu vernachlässigende Ressource!“ sprach sie in ihr verkabeltes Handy. Könnte ein Dialog sein zwischen Therapeut und Klient, dachte ich bei mir, Samuel Beckett hätte ein absurdes Bühnenstück daraus gemacht. Gestern hingegen auf YouTube ein Radiogespräch mit der Ärztin und Psychologin Mirriam Priess, das mich vollends überzeugte. Keine Nabelschau, aber die Notwendigkeit der Aufarbeitung des Milieus, in dem man seine frühesten Tage verbrachte. Galt die Wertschätzung, wenn überhaupt vorhanden, dem eigenen Wesen und der eigenen Gestalt? Oder war sie mit der Forderung nach Leistung und Anpassung verbunden – als Ersatz für Liebe, aus dem dann später auch Burnout entstehen könne: weil man die Fähigkeit zur Abgrenzung nicht erlernt habe. Stattdessen ein Leben lang anfällig bleibe gegenüber Einschüchterungen und Übergriffen, mit der Gefahr, sich ausnutzen zu lassen. Zudem oft im Affekt überreagierend mittels mangelnder Coolness – so meine Worte. Es bleibt eine leichte Skepsis hinsichtlich der Wahrheiten und Halbwahrheiten im psychologischen Diskurs. Dass sowohl die Probleme wie auch deren Lösungen zu Fetischen werden können, an denen man haften bleibt, das wusste schon Karl Kraus. Die Soziologin Eva Illouz schrieb ein Buch zu den Phänomenen einer durch-psychologisierten Gesellschaft: Die Errettung der modernen Seele. Das Fatale an Narziß war doch, dass seine Spiegelung in Unbeweglichkeit verharrte und die Szenerie nie wechselte, im vorgegebenen Kontext verbleibend. Aber Humor hilft, auch Theater spielen – und der Hinweis Krishnamurtis, dass Konflikte Zeitverschwendung seien.

 

This entry was posted on Sonntag, 6. August 2023 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

Sorry, the comment form is closed at this time.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz