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2023 21 Juni

Aus dem Newsletter von Berthold Seliger

von: Olaf Westfeld Filed under: Blog | TB | 17 Comments

Der neue Kultursenator Berlins, Joe Chialo (CDU), hat im Oktober 2022 in einem „Pioneer“-Podcast auf die Frage, welche Band die CDU wäre, geantwortet: „Rammstein!“
Nun gut, die Aussage ist schlecht gealtert, was aber meinte (und wusste?) Herr Chialo von Rammstein? Meint er die Texte von Lindemann und Merz? Meint er die Theatralik von Show und Parteitag? Oder gar …

Rätsel über Rätsel. Die CDU ist Rammstein – muss man auch erstmal drauf kommen …
 
 

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17 Comments

  1. Alex:

    Das war Wahlkampf. Der wollte die alte Tante interessanter machen als sie ist. Und Rammstein hat mir schon in Lost Highway – das war 1997 – Angst gemacht. Dass so was in Deutschland und anderswo jetzt durchgeht, hat mich damals gewundert und erschreckt. Die große Frage wird sein, ob die Gerichte ihm etwas handfest nachweisen können. Selbst wenn nicht, ist Rammstein als Band erledigt und das ist gut so.

  2. ijb:

    In Berlin hat die neue CDU-Regierung diese Woche erklärt und angekündigt, dass sie die vielen, enorm wertvollen Radwege in der ganzen Stadt (die erst ein den letzten 3-4 Jahren so richtig etabliert wurden, häufig verbreitert, und häufig vor allem mit einer Sicherheits-Begrenzung zum Autoverkehr bei den großen, vielbefahrenen Straßen) jetzt wieder rückgängig machen will. Das sei nicht im Sinne der Bürger. Kein Witz.

  3. Michael Engelbrecht:

    Das glaube ich jetzt nicht, Ingo, okay, ich glaube es doch.
    Herr Wissing, dieser Vollpfosten, wird applaudieren.

  4. ijb:

    @Alex
    Selbst wenn nicht, ist Rammstein als Band erledigt und das ist gut so.

    Leider nein. Ich habe die letzten Wochen sehr viel online zu dem Thema gelesen, auch von vielen Freunden/Fans der Band. Der Rückhalt für die Band ist so enorm stark, dass die jeden Unfug überstehen werden. Es ist ja nicht nur so, dass viele Fans und Verteidiger sagen, die Vorwürfe seien gar nichts Neues; das sei in Fankreisen schon seit vielen Jahren bekannt (kein Wunder, Festivalmacher haben derartiges bereits vor mindestens 13 Jahren von Rammstein-Besuchen etwa in Kanada berichtet) und „jetzt auf einmal soll es ein Problem sein“? Außerdem müsse man naiv sein, wenn man bei einer Person wie Lindemann (und seinen Bühnenshows, seinen Texten/“Gedichten“ und seinen (pornografischen) Videos) bei den Backstage-„Parties“ Blümchensex erwarte. Kein Witz; sowas hab ich nicht selten gelesen.
    Überhaupt schreiben viele „Rammstein – jetzt erst recht“, und sogar die Albenverkäufe haben wieder zugelegt.

    Ich gehe davon aus, dass aus den juristischen Anstrengungen nichts Handfestes rauskommen wird (siehe viele vergleichbare Fälle), und offenkundig wissen die Rammsteine das auch. Kein Wunder hüllen sie sich zum allergrößten Teil in Schweigen, sagen sogar, sich gegenseitig umarmend, offen auf der Bühne „das wird vorüberziehen“.

    In meinen Augen ist an dem Fall – ungeachtet dessen, wie problematisch die Vorfälle tatsächlich gewesen sein mögen – vor allem so bestürzend zu sehen, in welchem Umfang – noch immer und aktuell wieder vehementer – systematisierte Frauenverachtung und -ausbeutung nicht nur von tausenden Männern und Frauen derzeit unter dem albernen Verweis auf „Früher gab’s das auch schon“ und „ist doch alles nicht verboten“ und „Die Mädels wissen, warum sie hinter die Bühne gehen“ nicht nur gutgeheißen, sondern sogar nachdrücklich unterstützt werden.

    Zahlreiche Menschen sind sich jetzt nicht zu schade, schier unfassbar systematische (und vor allem über sicher mindestens 15-20 Jahre professionell ausgebaute) frauenverachtende Mechanismen zum Missbrauch ihrer Machtpositionen und ihres gesellschaftlichen Status mit dem vehementen Verweis auf „Das muss ein Gericht entscheiden“ zu entschuldigen, ja sogar im großen Maßstab zu verteidigen.

    Als ob all diese Leute das genau so locker sehen würden, wenn Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld von verschiedenen Aktionen betroffen wären (sei es aktiv oder passiv), die sie verwerflich finden. Das ist so ein Stuss, ehrlich. Eine bessere Verdeutlichung, warum Sozialwissenschaftler/innen dafür den Begriff „Rape Culture“ gewählt haben, kann man kaum bekommen.

    Daher bin ich sicher: Rammstein bleiben uns erhalten.

  5. ijb:

    Mein Unverständnis geht aber auch dahin, dass es, speziell unter den Fans so erschreckend wenige gibt, die sich irgendwo im normalen Mittelfeld, im empathischen Verständniszeigen einpegeln. Ich kann doch auch das Werk von Marilyn Manson oder Roman Polanski oder – um weniger drastische Fälle zu nennen – Jimmy Page, Johnny Depp oder Bill Wyman weiter für sich stehend positiv bewerten, und dennoch eingestehen, dass da Dinge gelaufen sind, die man nicht in Ordnung finden kann.
    Ich muss aber auch gestehen, dass mir bis jetzt einfach nicht bewusst war, wie extrem sich viele Leute mit der „Kunst“ von Rammstein identifzieren. Ich hatte echt immer gedacht, die 50.000 bei diesen Konzerten gehen da mit ner gewissen ironischen Distanz hin und nehmen die grausigen Texte eher so wie Ballermann-Niveau wahr aber doch nicht als „wichtigste“ Band in ihrem Leben, mit der sie sich so stark identifizieren, dass sie diesen oft krass sexistischen und anderweitig fragwürdigen Lindemann-Kram für wirklich große Kunst halten. Das erschreckt mich auch.

    Anfangs konnte man ihnen ja noch zugute halten, dass Stücke wie „Rammstein“ künstlerisch ambivalentes Spiel mit Publikums-Erwartungshaltugen (inkl. vom Publikum mitgebrachten Vorwissen um die Hintergründe von Bandnamen und Textinhalt) und „Huch! Darf man das?“ war. Da kam doch dann aber bald nichts mehr von dem Kaliber – und wenn die bis heute vor 60.000 Leuten jeden Abend auf der Bühne stehen und „Ein Mensch brennt, Fleischgeruch liegt in der Luft / Ein Kind stirbt, die Sonne scheint“ usw. stehen, ist vor der anfänglichen Provokation, inmitten all der Sex/Pussy/MeinTeil/ZickZack/OhneKondom- usw Ballermann-Texte und Songs wie „Adieu“, die man als Zufallshörer nicht von Unheilig unterscheiden kann, nichts mehr übrig. Mir kann keiner erzählen, dass 60.000 Leute jeden Abend die Performance anschauen und sich beim Grölen von „Dicke Titten“ und „Fick fick fick sie richtig“ philosophische, kulturkritische Überlegungen über die Doppelbödigkeit der Texte anstellen.

  6. Marco:

    Wer legt fest, was Kunst und Kultur ist und was nicht? Begibt sich ijb nicht auf das Terrain derjenigen, vor denen er warnt?
    Man muss nicht alles gut finden. Man muss aber auch anderen Menschen nicht alles absprechen. Freiheit ist auch für die Anderen da.

  7. Michael Engelbrecht:

    Diese sehr angemessenen kritischen Gedanken beinhalten überhaupt nicht, dass man sich auf das Terrain der anderen Seite begibt.

  8. ijb:

    @Marco

    Ich sage keineswegs / bin keineswegs der Ansicht, dass Lindemanns Gedichte oder Lyrik keine Kunst seien (oder seine Pornos, meinetwegen; ich hab mir die auch angeschaut). Und zu unserer Kultur gehören sie zweifelsfrei, klar. Ich bin nur der Meinung (persönliche Meinung!), sie sind wirklich echt schlecht. Dass große Zeitungen wie DIE ZEIT sich ernsthaft mit diesen Texten befassen und diese als Kunst rezipieren, okay, kann man machen. Man muss aber auch sehen, dass diese Gedichte niemals von einem Verlag solcher Reichweite herausgebracht worden wären, wenn da nicht der Name eines weltberühmten Rockstars auf dem Cover stünde. (Das sage ich, weil ich Frauen und Männer kenne, deren Werke mit sehr ähnlichen Themen mit dem Verweis abgelehnt werden, sie seien nicht eindeutig gegen Gewalt positioniert, moralisch zu ambivalent).
    Vermutlich wären die Texte in anderen Fällen auch als sexistisch und vergewaltigungsverharmmlosend bezeichnet worden. Aber bei Lindemann „weiß“ ja jeder, das ist ja nur ein lyrisches Ich….

    Bei der aktuell auch teils geführten Diskussion, die Kunstfreiheit werde durch den Umgang mit Lindemann beschnitten, kann ich nur sagen: Wenn solche Gedichte bei einem großen Verlag rauskommen, überregional rezipiert werden und auf Beststellerlisten auftauchen, kann mir niemand erzählen, die Kunstfreiheit werde in Deutschland beschnitten. Ich find’s halt nur schade, dass die Werke einfach so wahnsinnig simpel und plump sind und man sich in der Diskussion jetzt nicht für einen Künstler einsetzen kann, der wirklich was Gewagtes oder Raffiniertes macht. Im Vergleich sind die Alben/Texte von Marilyn Manson ja pulitzerpreis-verdächtig.

    Ich hatte bislang nie was gegen Rammstein. Mir waren sie einfach herzlich egal. Ich dachte halt, kann man sich anhören, wenn man will. Aber einfach weil ich dachte, dass das Publikum die Sachen nicht für das beste hält, was textlich aus Deutschland kommt (wie ich derzeit nun in echt vielen Kommentaren lese). Das finde ich dann doch einfach traurig.

  9. ijb:

    Aber letztlich möchte ich gar nicht viel über Lindemanns/Rammsteins Kunst urteilen. Wie gesagt ist mir das eher gleichgültig.
    Ich bin eher doch erstaunt, von wie vielen zehntausend Leuten das jetzt ernsthaft so genial empfunden wird wie ich vielleicht über die Texte von Dylan reden würde. Und wie viele Leute sich wegen der Kunst für Lindemann stark machen. Wenn ich z.B. rausfände, dass der Sänger von Arcade Fire seine Position auf unangenehme Weise ausgenutzt hat und sehr junge Frauen mies behandelt hat, kann ich doch ebenso Kritik an der Person üben und die Musik/Texte der Band trotzdem verteidigen.

  10. Marco:

    Doch Michael, wenn ich aufgrund meiner Meinung und Ansicht anderen Menschen ihre eigene Meinung und Kompetenz abspreche oder in Frage stelle und das auch öffentlich mache, dann sende ich Signale. Möchte sich hier jemand rechtfertigen müssen für das, was er gut findet? Radikale Systeme stellen in Frage und fordern Verbote. Offene Systeme können das andere auch aushalten, wenn sie es schon nicht verstehen können/wollen.

  11. Norbert Ennen:

    Ich gebe Michael Recht. Man wandert in dieser Diskussion um Rammstein auf dem schmalen Grad zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit und Gedankenspielen auf Precht/Nuhr Niveau.

  12. Michael Engelbrecht:

    Ich spreche niemandem eine eigene Meinung ab, Marco. Also jetzt mal ein bisschen runterkommen.

    Ganz sicher spreche ich bestimmten Menschen ihre „Kompetenz“ ab, wenn sie menschenverachtend (heisst: bestimmt Menschen verachtend), und faschistoid daherkommen. Da sende ich jedes Signal gerne.

  13. Lajla:

    Sloterdijk hat ein ganzes Buch zum Thema Feuer geschrieben. Sicher ist die Feuerhorrorpictureshow von Rammstein die allererste Attraktion. Till Lindemann könnte durchaus auch als Mephisto auf der Theaterbühne durchgehen. Dass sich der böse Bub aus Sachsen, der von einem soliden Handwerk – Tischler und Korbmacher – herkommt, sich vor allem selbst inziniert und sich gar Dichter nennt, ist doch alles erlaubt. Wenn die girlies sich geehrt fühlen, einmal ihrem Idol nahezukommen und dabei die Affaire Weinstein nicht präsent haben, sei die Naivität mit Fanleidenschaft entschuldigt.

    Ich habe mich als Bobbyfan bei einem Hamburger Parkkonzert auch in row Zero (;) begeben, um das Maskengesicht meines Idols studieren zu können. Auch bei einem Neil Young Konzert stand ich mal ganz vorne, nicht um den Gummitwist besser zu sehen, sondern weil ich in den Blick von Young verliebt war. Hätte er mich ausgesucht, mit ihm hinter die Bühne zu kommen…. Damals gab s noch kein Weinstein.

  14. ijb:

    wenn ich aufgrund meiner Meinung und Ansicht anderen Menschen ihre eigene Meinung und Kompetenz abspreche oder in Frage stelle und das auch öffentlich mache, dann sende ich Signale. Möchte sich hier jemand rechtfertigen müssen für das, was er gut findet? Radikale Systeme stellen in Frage und fordern Verbote. Offene Systeme können das andere auch aushalten, wenn sie es schon nicht verstehen können/wollen.

    Ich bin nicht sicher, ob sich diese Kritik (noch) auf mich bezieht. Ggf. zur Klarstellung wiederhole ich gerne (was ich oben bereits geschrieben hatte) noch einmal:

    Als jemand, der sich jederzeit für eine Trennung von (Kunst-)Werk und Privatperson einsetzt, nicht zuletzt übrigens auch aus einer eigenen Vorliebe für Werke, die provozieren, Ambivalenz zeigen, subversiv sind, sehe ich sicherlich keine Veranlassung, dass sich jemand dafür rechtfertigen müsste, weil er/sie die Alben von Rammstein gut findet. Im Gegenteil: Auch wenn ich deren Musik ziemlich langweilig (Malen nach Zahlen), das Songwriting redundant, die Texte formelhaft und die Provokations-Nummer von wirklich subversiven Bands wie Laibach abgekupfert finde, würde ich mich, selbst wenn Lindemann von einem Gericht schuldig gesprochen würde (was ich nicht annehme), dafür einsetzen, dass jede/r das Rammstein-Werk weiterhin genau so hören darf wie bisher. Würde ich auch auch bei Marilyn Manson tun (dessen Werk ich zwar deutlich interessanter, seine Person aber deutlich unsympathischer finde) oder bei vielen anderen genannten. Ich glaube prinzipiell an die Intelligenz des Publikums – und wenn doch jemand Werke aufgrund sexistischen oder abwertenden Gehalts hört/schaut, hilft dagegen ein Verbot genauso wenig wie ein Verbot gegen Alkohol oder Kokain.

    Ich glaube nicht, dass ich mich zu wenig mit dem Werk von Rammstein beschäftigt habe, als das jemand sagen könnte, ich verstünde es einfach nicht und wollte es nicht aushalten.

    Nein, was mich bestürzt, ist ja eben, dass es aktuell nicht wenige Leut /Fans gibt, die mit Verweis auf Lindemanns Werk vorab die Naivität oder Dummheit jener Frauen aburteilen, die sich aktuell kritisch zu Wort melden (zumeist gut dokumentiert und inhaltlich für mich durchaus stichhaltig, aber das ist ja sogar untergeordnet – jede/r hat ein Recht darauf naiv zu sein, die Kritik darf doch nicht von vornherein die Stärkeren, Mächtigeren, Einflussreicheren in Schutz nehmen und sich gegen die Schwächeren richten!)…

    …und dass ich jetzt erst begriffen habe(1), wie stark sich, laut eigenen Aussagen, ein großer Teil der Rammstein/Lindemann-Fangemeinde offensichtlich mit ihm/ der Band (nicht dem Werk!) identifiziert, daher so gerne backstage / ins Hotel mitgehen will(2) und dass deshalb(?) viele Fans vehement und nachdrücklich Lindemanns bzw. Rammsteins privaten und doch recht ausführlich dokumentierten problematischen, längst systematisierten Umgang mit Frauen(3) entschuldigen, sogar gutheißen und verteidigen, oft genug mit dem Verweis darauf, dass das „früher“(4) bei Sinatra, Rolling Stones, Van Halen, Tokio Hotel usw. auch schon bekannt und normal gewesen sei. Ich habe sogar mit Leuten gesprochen, die sagen, sie bewundern Lindemann für diese Art Machtausübung, auch wenn die mutmaßlichen Berichte wahr sein sollten.

    (1) war mir bislang einfach nicht klar, ich dachte, die massenwirksame Attraktivität der Band hat wirklich mehr so einen Jahrmarktscharakter, eben auch wegen der Show
    (2) teils eben auch mit klarem Verweis darauf, dass man um die „dunklen Seiten“ der Privatperson Lindemann wisse – und auch obwohl Lindemann kein junger attraktiver Popstar wie z.B. Tokio Hotel (oder damals andere Rockstars) ist, sondern teils im Alter der eigenen Großaltern
    (3) jetzt wie gesagt mal unabhängig von mutmaßlich justiziablen Vorfällen
    (4) Da denke ich als erstes: Früher hatten Frauen kein Wahlrecht, früher mussten Frauen ihren Ehemann fragen, ob sie arbeiten dürfen, „früher“ (1990er Jahre?) war Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar… Wie kann man allen Ernstes so argumentieren?

  15. Olaf Westfeld:

    Stimme Ingo zu. Mir ist Rammstein auch egal – dass führende Vertreter der Berliner CDU sich mit denen indentifizieren wirft allerdings kein gutes Licht auf die Band;).
    Und ja – Rammstein in Lost Highway hat mir auch ein bisschen Angst gemacht. Ich war seit einem halben Jahr als Student in den USA als ich den Film im Kino sah… und brauchte ein paar Sekunden um zu realisieren, dass da auf einmal Deutsch aus den Lautsprechern kam. Verstörend.

  16. Jan Reetze:

    Seltsam, dass in diesem Zusammenhang immer wieder der Begriff “Macht” auftaucht — Machtausübung, Machtgefälle, Machtmissbrauch.
    Welche “Macht” hat denn ein Musiker? Den habe ich mit meinem Eintritt dafür bezahlt, dass er da auf der Bühne steht und sein Zeug singt. Er kann mir keine Aufträge erteilen, mich nicht in sein Büro beordern, mir keinen Job vermitteln, nicht über mein Einkommen bestimmen oder mich irgendwie bedrohen. Er kann mich nicht einsperren, mich sonstwie bestrafen oder auch nur disziplinieren.
    Welche “Macht” kann der also haben, wenn nicht die, die ich selbst ihm einräume?
    Keine.
    Ich rede nicht von kriminellem Handeln, Drogen, K.o.-Tropfen etc. Das ist natürlich strafbar und eine Angelegenheit für Polizei und Justiz.
    Man nennt das Eigenverantwortung. Jeder Mensch kann “Nein” sagen und sich aus einer Situation zurückziehen, wenn man merkt, dass sie in eine unerwünschte Richtung läuft. Aber solange es erwachsene Menschen gibt, die nicht mal in der Lage sind, auf ihre eigenen Füße zu achten, so lange wird es vorkommen, dass sie Dinge tun oder zulassen, dass sie getan werden, die sie im Nachhinein bereuen.
    Ich lese immer wieder, dass über eine Herabsetzung des Wahlalters auf 16 oder sogar auf 14 nachgedacht wird. Ob das wirklich eine gute Idee ist, wenn man gleichzeitig davon ausgehen muss, dass man die Leute vor sich selber schützen muss, sobald sie in eine Stresssituation geraten?

  17. ijb:

    Ich finde das gar nicht „seltsam“. Gerade, wenn Menschen einem so großen Fan-Tum verfallen, wie das zuletzt einige über ihre Begeisterung für Rammstein/Lindemann schreiben – bzw. wenn man als junger Mensch überhaupt nach Halt, Orientierung, Anerkennung oder Gesehenwerden sucht, ist man für solche Dinge ja besonders anfällig, und wenn man dann die Aufmerksamkeit eines bekannten, allseits beliebten älteren Mannes bekommt, der sich für einen interessiert… geht das doch schnell, dass man (frau) die Eigenverantwortung etwas schleifen lässt.

    Die Frage nach der Macht mag vielleicht nicht für jeden auf der Hand liegen. Für besseres Verständnis empfehle ich, die letzten YouTube-Berichte einer jungen Frau namens „Kayla Shyx“ zu schauen. Oder auch, was andere wie „Rezo“ (ebenfalls YouTube) in dem Fall zum Thema Macht erläutern; da wird die Machtfrage sehr deutlich. Auch im Fall von Win Butler (Arcade Fire) – bei Pitchfork zusammengefasst – wird deutlich, was mit der Macht gemeint ist.

    Zur Frage der Eigenverantwortung ein Link zu einem Kommentar der Autorin Kathrin Schadt, die sich an ihr eigene Vergangenheit als junge Frau auf der Schwelle ins Erwachsenenleben erinnert. Klar kann man von außen, speziell als Mann und speziell als ältere Person („älter“ meint hier: älter als so jung wie die Frauen um die 18 bis Anfang 20, die bei Lindemann gefragt sind), da recht schnell mit der Frage der Eigenverantwortung kommen, und das möchte ich auch nicht in Abrede stellen. So lange alle da bei vollem Bewusstsein und klarem Kopf sind und wissen, worauf sie sich einlassen: Ja, richtig. Dass zwischen einem einflussreichen und weltberühmten Mann um die 60 mit einer riesigen, zuarbeitenden/finanziell abhängigen Entourage und einer plusminus 18jährigen ohne Fürsprecher und Einfluss ein Machtgefälle besteht, liegt doch aber auf der Hand, oder?

    Und wenn man sich die Mechanismen anschaut, mit denen im Fall Rammstein/Lindemann mutmaßlich [wobei es so viele Berichte von so vielen verschiedenen Männern und Frauen gibt, dass ich an dem System eigentlich keine Zweifel habe, zumal sich von der Band auch niemand die Mühe gemacht hat, sich auch nur einmal zu Wort zu melden und zu sagen, dass das Quatsch sei] agiert wurde, muss man doch auch festhalten: Da geht es klar um Macht (inkl. Einschüchterungstchniken). Ich erinnere mich in solchen Fällen dran, wie schon im Fall von Sartre bekannt war, dass er sich für seine wohl zahllosen Affären mit Mädchen bzw. jungen Frauen immer gezielt „beschädigte Frauen“ (nicht meine Formulierung, hatte ich mal gelesen; wenn mich mich nicht irre, war es sogar seine eigene Wortwahl) gesucht hatte, weil er da seine Machtposition gut ausnutzen konnte. Eben dieses gleiche Muster habe ich auch bei vielen anderen ähnlichen Fällen immer wieder gesehen, sei es nun im Fall Win Butler oder Polanski oder bei den Affären, die Woody Allen in seinen 40ern etwa mit der 17-Jährigen hatte, die dann Vorbild für „Manhattan“ wurde (es gibt da eine Autobiografie von ihr), auch in einigen Berichten sehr junger Frauen mit Erfahrungen mit „Marilyn Manson“ kommt das immer wieder vor.


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