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2023 20 Jun

Floh des Tages

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | 21 Comments

 

Gestern stiess ich per Zufall (unbewusste Wahl) auf ein Gespräch mit Hans-Peter Hempel, dessen im Reclam-Verlag erschienene Bücher über Yoga und Zen ich einst gerne las: es war wohl die Verbindung mit Gesellschaftskritik, denn der Autor war auch Professor für Politologie. Hempel, geboren 1934, sprach zunächst über seine Kindheit in Berlin – etwas ungeduldig spulte ich vor und sah plötzlich meine eigenen Gedanken gespiegelt: er wunderte sich, dass es so wenig Bücher über das Altwerden gäbe, klar, da sei der Essay von Jean Amery, doch der sei sehr gestelzt geschrieben (ich stimmte zu, wundere mich ja in aller Regelmässigkeit über so manchen gestelzten Jargon vergangener Epochen). Dann erinnerte Hempel an Heidegger, über den er ja ein Buch geschrieben hatte: der Tod sei ein Existential. Und angesichts dessen würde alles Vergangene noch einmal durchgekaut, Szenen vergangener Tage. Alte Bücher würden wieder gelesen, manches unvergänglich aktuell, anderes dagegen: was für’n Quatsch, mit dem man sich da einst beschäftigt hatte! Dass die Ehefrau im hohen Alter zur eigenen Mutter werden könne, die dafür sorge, dass man seine Medikamente richtig einnehme, stimmte ihn bedenklich. Heute nahm ich seine Reclam-Bücher aus dem Regal, mein Flow des Tages. Abends dann wohl erneut ein Julian-Lage-Konzert, im Breitbildformat auf grossem Schirm – und in High End, versteht sich: wir sehen uns!

 

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21 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Das Wortspiel des Titels ist schon mal wunderbar. Guter Humor reicht oft tiefer als gestelzter Jargon. Wie bemerkte Oscar Wilde: brevity is the essence of wit. (Mir sind Leute leicht verdächtig, die dreimal am Tag achtsam sagen.)

  2. Martina Weber:

    „… etwas ungeduldig spulte ich vor …“ – diese Passage, die wahrscheinlich metaphorisch gemeint ist, da ich annehme, dass du das Gespräch digital gehört hast, bringt mich zum Lächeln. Heute und gestern habe ich auch schon so einiges vor- und zurückgespult, da ich zurzeit alte Videokassetten anschaue: The Virgin Suicides, von Sofia Coppola, Die zwei Leben der Veronika, von Kieslowski. Old stuff. Und die Bildqualität ist gar nicht schlecht.

    Bücher übers Älterwerden habe ich bisher nicht gesucht und gelesen, es gibt etwas von Simone de Beauvoir, was sich dann aber auch auf Frauen bezieht.

    Was für ein feiner Text mit einer wundervollen, rhizomatischen Dynamik, Jochen.

  3. Jochen:

    Danke – das Buch von Simone de Beauvoir lobte er in höchsten Tönen, Martina.

    (du bist ja auch noch nicht so alt, würde ich augenzwinkernd hinzufügen)

  4. Ursula Mayr:

    Die Beauvoir ist wirklich gut, aber ein Riesenschinken – und natürlich frauenbezogen.

    Die altern ja anders und haben noch den Schönheitsterror am Hals.

  5. Karsten:

    Es gibt ein Buch von Silvia Bovenschen zum Älter werden, das vor einigen Jahren viel gelobt wurde. Ein Blick in die E-Leseprobe weckte eben schon mal mein Interesse. Hatten wir nicht damals schon mal darüber gesprochen? (fragte der alte Mann).

  6. Jochen:

    „Big Bang“

  7. Michael Engelbrecht:

    Ich bin ein grosser Freund des Buches 4000 Wochen – Das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement, von Oliver Burkeman, das ich schon einige Male verschenkt habe, und gerne auch bestimmten Klienten im Rahmen einer Psychotherapie gebe.

    Oliver Burkeman is, besides many other things, author of The Antidote: Happiness for People Who Can’t Stand Positive Thinking.

    H i e r bringt er zentrale Punkte seines Zeit-Buches „auf den Punkt“ …

    17 minutes of your time required.

  8. Alexander Fritz:

    Ich glaube, dass ich das Bovenschenbuch durchgelesen habe, es ist allerdings nicht viel hängengeblieben. Es gibt von ihr sehr theoretische Bücher wie das über Über-Empfindlichkeit, das eher ein Fehlkauf war. Das Beste an dem Buch war der Titel, Idiosynkrasie hätte den Inhalt besser zusammengefasst.

    Ein phantastisches Buch über das Alter bzw. über die Krankheit, die dann meist irgendwann mal um die Ecke kommt, ist natürlich Arno Geigers Der alte König in seinem Exil, aber das kennt ihr sicher. Er schreibt über die Alzheimererkrankung seines Vaters. Das Beste, was ich je zu dem Thema gelesen habe.

  9. Jochen:

    Stimme zu, Alexander: ihr Buch Über-Empfindlichleit. Spielformen der Idiosynchrasie hatte auch mich enttäuscht. Schade, vom Thema her interessant …

  10. Alex:

    Ich sehe gerade, ein eher schockierendes und sehr schonungsloses Buch über das Altern bzw. genauer die Vergreisung war Claudia Wolffs Letzte Szenen mit den Eltern.

  11. Ursula Mayr:

    Nochmal Beauvoir: Ein sanfter Tod und Die Zeremonie des Abschieds.

  12. Lajla:

    Die Bovenschen ist eine Frau, die ich sehr bewundere. Vielleicht können nur Frauen zusammen so humorvoll alt werden wie sie mit ihrer Partnerin. Ein wundervolles Buch.

    Ottfried Höffe schreibt über das Altern, dass es halt 4 LLLL braucht, um es gelassen hinzukriegen: Laufen, Lieben, Lesen, Lachen. Ich sehe noch nicht ganz so wundervoll gezeichnet aus wie die Mutter von Dürer, aber da komme ich noch hin. 😂

  13. Olaf Westfeld:

    Die Schüler sind immer ziemlich geschockt von der Mutter von Dürer – war sie 63 als er sie gezeichnet hat? – genau so wie von den Eltern von Dix oder Frau und Kind von Holbein. Ich glaube manchmal, das Leben hat unsere Vorfahren anders gezeichnet als uns, sich tiefer eingegraben.

  14. Michael Engelbrecht:

    Ob Lajla das jetzt jetzt als Kompliment sieht, weiss ich ja nicht, Olaf 😂…

  15. Olaf Westfeld:

    Oh ha – Fettnäpfchen Alarm?! Ich glaube, Lajla schwebt weit über den affektiven Äußerungen von 15-16jährigen, die noch keine Ahnung haben … Dürer kam dieses Jahr generell nicht gut an, ist überhaupt nicht immer so – aber so sind die Klassen verschieden. Was allerdings dann doch immer gleich ist, dass in der Unterrichtseinheit den allermeisten Vermeer am besten gefällt …

  16. Ursula Mayr:

    … und jedes Pfund mehr ist ne Falte weniger! 😁

  17. Lajla:

    Naja, ich habe ja noch etwas Zeit. Werde aber jetzt, nach Uschi’s Tipp, das Aussehen von Dürer‘s Rhinozeros anstreben.

  18. Jochen:

    Ich denke, beim Thema Alter, Gewicht und Äusseres tritt man schnell mal ins Fettnäpfchen. Übrigens: auch Dünne können fett sein.

  19. Ursula Mayr:

    Wie geht das??

  20. Jochen:

    Skinny Fat.

  21. Michael Engelbrecht:

    Von Hempel zu Hampel an einem Tag, das hat was.

    Was einem alles einen Flow ins Ohr setzen kann! 🥹


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