Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2023 14 Jun

HUIS CLOS auf der grünen Insel

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 13 Comments

 

 

Die Rezensenten können sich bei diesem Film schwer einigen – die Einschätzung reicht von „schräger Komödie, makabrem Melodram bis zu schwarzhumorigem Buddymovie“ und will angeblich Einblicke in die Mentalität irischer Insulaner liefern. Ich denke, dies wird dem Film nicht gerecht, der einen immer wieder schaudern lässt. Es geht hier nicht um individuelle Reibereien und Kränkungen, sondern um ein Lehrstück, wie sich militante Psychodynamik entwickeln kann –  und sich sowohl im persönlichen als auch globalen Kontext leider oft genug entwickelt.

Es beginnt mit einem Konflikt zwischen Freunden, genauer zwischen einstigen Freunden: einer davon, Colm, möchte sich aus der Beziehung lösen um Zeit für andere Dinge zu haben, ein nachvollziehbares menschliches Bedürfnis. Aber schon beginnt der Diskurs maligne zu entgleisen. Der etwas geistesschlichte Leftover Padráic fühlt sich verletzt und zurückgewiesen. Der Konflikt mündet in eine eskalierende Gewaltspirale, die den Zuschauer zunächst fassungslos macht.

Die Kamera arbeitet mit dem Aufspüren und Akzentuieren von Gegensätzen – die claustrophobische Enge des Zusammenlebens im Dorf, das nichts Idyllisches an sich hat, der Pub, in dem man sich trifft, in dem aber jeder allein am Tisch sitzt. Dagegen abgesetzt: die  Bilder von lockender Weite, sonnenbestrahlten Wolken, sowie der Freiheit des Meeres unter einem immer düsteren Himmel. Und dann dieser harmonischer Soundtrack, der Sehnsüchte weckt, und die Möglichkeit eines Entkommens suggeriert, das die Bewohner nicht zu nutzen wissen, die sich wie Kampfhunde ineinander verbissen haben. In der Ferne tobt allerdings auch der irische Civil War, wir haben 1923, der Bezug zum Kriegsgeschehen ist damit hergestellt.

Das Zusammenleben der Inselbewohner ist eine Aneinanderreihung von Verletzungen, narzisstischen Kränkungen, Übergriffen und Grenzüberschreitungen. Ständige Blicke durch Türen und Fenster nehmen den Zuschauer mit in das Spiel und gewähren Einblicke in Innenräume, die Kamera umkreist lauernd die Protagonisten. Pádraic – eine zunächst sympathische Figur – fungiert hier als der freundliche Mensch ohne Arg, ein tumber Tor ähnlich wie Parzifal oder Simplicissimus, der die Ränkespiele der Welt noch kennenlernen muss und ihnen wehrlos gegenübersteht. Seine Tiere verkörpern ebenso dieses Prinzip der Unschuld und Gutartigkeit, werden aber, wie Pádraic selbst, zusehends zu Opfern.

Wir erleben die zunehmende Entwicklung Pádraics vom Verlassenen zum Täter, als Colms Aggression zusehends autodestruktiv wird, er sich bei jeder unerwünschten Annäherung von Pádraic einen Finger abschneidet und ihm diesen vor die Tür legt: es entsteht ein sadomasochistischer Clinch mit vielfältigen Möglichkeiten des Zurückschlagens für den Verlassenen. Mit jeder Annäherung kann er Colm wieder verletzen – hier kommt es zur paradoxen Umkehrung in dieser Zweierchoreographie – die Annäherung bedeutet nun nicht mehr Beziehungs- sondern Verletzungswunsch, das Spiel folgt jetzt anderen Gesetzen. Die Racheaktionen der beiden eskalieren bis zum Mordversuch, aber auch hier gibt es noch kein Ende, denn nun ist Pádraic der Unversöhnliche, der den Krieg nicht beenden will.

Seine Schwester, hier Verkörperung des Prinzips der Selbstfürsorge und pragmatischen Vernunft, hat die Insel bereits verlassen und in den freundlichen Weiten ihr Shangri La gefunden, sie lockt ihn, aber Pádraic wird ihr nicht folgen, er wird fortfahren sich zu rächen mit immer weiter ansteigender Aggression. Bedrohlich begleitet wird das Geschehen von eine alten schwarzgekleideten Frau, die die Banshee, die Todesfee der irischen Mythologie, repräsentiert; hier als Zeichen für den alles überdauernden menschlichen Todestrieb geschickt in die Handlung eingeflochten. Sie bleibt auch in der Schlusseinstellung als letzter Eindruck zurück – unzerstörbar, uneliminierbar.

Welche Hilfe von der Religion zu erwarten ist, zeigt die gelegentliche Einblendung einer gesichtslosen Muttergottesstatue – Götter sind hier längst zur Allegorie erstarrt und können nicht mehr helfen, liefern keine halt- und sinngebenden Strukturen mehr in ihren Stadien des Zerfalls, und verstehen es besser Kriege auszulösen als zu verhindern, insbesondere in Irland. Eine weisse Banshee! Und Gott verhüllte sein Angesicht, heisst es irgendwo.

Eine „schrullige Farce“ kann ich hier nicht sehen, die Bosheit und Rachsucht drängt sich zunehmend in den Vordergrund und überlagert den durchaus vorhandenen schwarzen Humor. Das – wie ein Rezensent schreibt – „kleine Sterben einer Freundschaft vor der Kulisse des grossen Sterbens im Krieg“ halte ich für Schönfärberei; was wir hier sehen, ist das Entstehen von Kriegen, aus dem Mikrokosmos eines durchaus friedlich lösbaren Beziehungskonfliktes und seiner archaischen Verarbeitung eingedampft. Die Mechanismen der Destruktion sind immer die gleichen.

Eine zutiefst bittere und pessimistische Parabel über den Zustand der Menschheit und ihrer Gewaltneigung, in der alles Gute erstickt, wie der Esel am abgetrennten Finger Colms. Gedreht im Jahr des Ukrainekriegs aus einem von Bürgerkriegen gebeutelten Land. Das hätte Sartre kaum besser hinbekommen, ich denke, er freut sich auf seiner Wolke – zum Rivalisieren mit Mitschreibern neigte er ja nicht – ausser mit seiner Simone, der er als erste Beziehungsamtshandlung die Philosophenkarriere ausredete und sie lediglich bei den Schriftstellerinnen eingeordnet wissen wollte. Die Vorreiterin der Emanzipation liess es sich gefallen und schriftstellerte von da ab.

Wer bei „Im Westen nichts Neues“ auf Distanz ging – und das waren einige, auch verdiente Rezensenten –  wird es hier nicht mehr schaffen. Man baut in diesem Film weniger Reizschutz auf als im Kampfgetöse vom „Westen“, und das Geschehen trifft sodann mitten in die Weichteile.

Und der Film ist nicht vorbei, wenn das Licht angeht, die Gruppendiskussionen waren langwierig. Am besten hinterher noch von Karl Kraus „Die letzten Tage der Menschheit“ auflegen (mit Qualtinger) –  eine schöne Abrundung für einen misanthropismus-  und gallensaftgenerierenden Abend.

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13 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Im Westen Nichts Neues Und Banahees of Inisherin: zwei Arten, mit Filmen zu erschüttern, beide sehr, sehr gelungen imo. Wie deine Analyse. Also, ähem, gelungen, nicht erschütternd😉

    Was diesen Film mit Colin Farrell angeht, da spielt auch die Tradition des Absurden Theaters mit hinein. Da kann mancher Distanz aufbauen, weil es ja soooo grotesk erscheint…

    In beiden Filmen spielen die Soundtracks eine exzellente Rolle…

  2. Jörg R.:

    Schöne Analyse, Uschi!
    Hast Du “ Three billboards“ gesehen?

  3. Michael Engelbrecht:

    Oder „Wer Gewalt sät“ von Sam Peckinpah, 1971.

    Das Schöne an Uschis Besprechungen ist die Mischung aus knallharter genauer Analyse ins scharfem Witz.

    Die psychoanalytische Sprache wird hier nicht als abgeschottetes System verwendet, sondern diskursoffen. Solche Besprechungen sind Einladungen, keine Verkündungen.

  4. Ursula Mayr:

    Danke, Micha!
    Die “ Billboards“ reichen leider nicht an die Banshees heran, beschäftigen sich aber auch mit dem “ Zurückschlagen“, was man aber einer Mutter nach dem Mord an ihrer Tochter eher zugesteht als den beiden Käuzen. Eine unterhaltsame Erzählung, kein Subtext, sag ich mal.

  5. Michael Engelbrecht:

    Einspruch, euer Ehren! Zwar ist der Banshee Film vilschichtiger angelegt, aber Billboards besticht durch eine erzählerische Wucht und Geradlinigkeit, die auf allen Ebenen überzeugt, von der Kamera über die Schauspieler bis hin zum Drehbuch.

    So straightes Kino kann eben auch Tiefe erzeugen… du bist da ständig in der Story drin… be Banshee gerätst du leichter in die was bedeutet das wohl-Haltung beim Zuschauen, Billboards überzeugt mit der ohne jedes Gramm Fett servierte, verdammt guten Story. Bei diesen drei Filmen war bei mir der Flowfaktor bei BILLBOARDS am höchsten.

  6. Ursula Mayr:

    Für das Flow – Rating bist naturlich Du zuständig, Euer Durchlaucht, da gerätst Du schneller hinein als ich. Ja, eine verdammt gute Story, keine Frage, aber auch mitgetragen von der Hauptdarstellerin.

  7. Michael Engelbrecht:

    Es war nicht nur Frances, auch die andern! 😉

    Für den Flowfaktor ist jeder selbst zuständig, that‘s personal

    Flowfaktor 10, maximal, gibts derzeit bei mir nur für die Serie 1923, mit Hellen Mirren und Harrison Ford.

  8. Michael Engelbrecht:

    Viel mehr als einfach nur git zu unterhalten, hat der Film bis heute Wirkung gezeigt im realen Leben, auch als Teil der Protestkultur. Und das ist einfach richtig gut. Auch eine so straight erzählte Story wie diese hat Oberflächen- und Tiefenstruktur.

    Ìch zitiere aus Wiki:

    Die roten Plakatwände aus dem Film dienten als Vorbild für ver­schie­de­ne Protestaktionen, wie beim March for Our Lives 2018 in San Diego

    Der Film gehört „zu den Vorbildern einer bemerkenswert neuen Protest-Ästhetik“.

    In London waren im Februar 2018 an der Themse oder vor der St Paul’s Cathedral drei mobile Plakatwände zu sehen, die nach den 71 Toten aus dem Brand im Grenfell Tower 2017 fragten: 71 Dead. (71 Tote), And still no arrests? (Und immer noch keine Festnahmen?), How come? (Wie kommt es, dass niemand zur Verantwortung gezogen wird?).

    Nach dem Schulmassaker von Parkland, Florida, lauteten die Texte der drei Tafeln: In der Schule ermordet. Noch immer keine schärferen Waffenkontrollen. Wie kommt’s, Marco Rubio?

    Im Wahlkampf in Rom wurde vor dem Kolosseum vor Bunga Bunga mit Extremisten gewarnt und vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York City wurde nach den 500.000 Toten in Syrien gefragt.

    Einsatz im Schulunterricht:

    Das Onlineportal kinofenster.de empfiehlt Three Billboards für die Unterrichtsfächer Englisch, Deutsch, Ethik, Psychologie, Religion und Rechtslehre und bietet Materialien zum Film für den Unterricht.

    Dort schreibt Kirsten Taylor, der Film stelle ethische und philosophische Fragen zum Thema Schuld und Sühne oder zum Umgang mit Verlust und Trauer.

    Im Fach Englisch könne untersucht werden, mit welchen Elementen verschiedener Genres, so etwa Thriller, Western oder Komödie, der Film spielt und welche dramaturgischen Funktionen der Humor einnimmt. Zudem biete sich eine Figurenanalyse an.

    In Bezug auf Mildred lohne sich ein Vergleich mit Heldinnen antiker Tragödien, und an die Figurenanalyse solle sich eine kritische Diskussion zum Thema Rache und Selbstjustiz anschließen, die aber auch in den sozialkundlichen Fächern oder im Ethik- und Philosophieunterricht sowie in der Rechtslehre angebracht ist, so Taylor weiter.

  9. Martina Weber:

    Three Billboards: die letzten Minuten bringen eine Befreiung, die die Zuschauerin, der Zuschauer auf andere, eigene und weniger dramatische Sitationen übertragen kann. Neben Frances McDormand, die wir (wer ist wir? einige filmbegeisterte Manas) später auch in Nomadland sehen konnten, spielt u.a. auch Woody Harrelson als Detective, den wir als True Detective an der Seite von Matthew McConaughey kennen.

  10. Anonymous:

    Frances McDormand spielt in einer ganz tollen Mini-Serie OLIVE KITTERIDGE die Hauptrolle. Ich mache seit Jahren Werbung für diese Serie aber bisher ohne großen Erfolg. Vielleicht jetzt?
    Und wenn wir schon bei Miniserien und HBO sind, dann bitte gleich die SHOW ME THE HERO anschauen. Große Klasse.
    Grüße
    Christoph aus Frankfurt/M

  11. Ursula Mayr:

    Hab nochmal nachgedacht warum mich die Billboards weit weniger beschäftigt haben als die Banshees: Der Selbstjustiz – Akt der Frau ist nachvollziehbar, sie hat ihre Tochter verloren, sie hat unsere Sympathien, sie bleibt bis zuletzt menschlich und zündet das Haus an weil sie denkt es sei leer. Die Banshee – Kumpels geraten aus einer im Grunde alltäglichen Situation heraus ( wer ist noch nicht verlassen worden? ) in einen Mordrausch bizarrster Art, Pádraic möchte dass sein Exfreund verbrennt. Das weist auf das Abgründige im Menschen zurück, das lässt schaudern .Das geht anders an die Nieren und bleibt anders im Gedächtnis.

  12. Michael Engelbrecht:

    Das Bizarre ist schon sehr sehr bizarr, und nicht alltäglich, und genau das kann bei manchen Distanz auslösen. Wie gesagt, für mich sind das zwei grosse Filme, die beide jede Menge food for thought enthalten. Worth watching twice.

  13. Ursula Mayr:

    Das auf jeden Fall!


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