Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 
 

Neulich fand ich in unserem lokalen Bücherschrank, der sonst meine Affinität zum Geschriebenen fast zu sehr befördert, zur Abwechslung mal eine Klangkonserve. Dann, später, eröffnete Applaus das Hörerlebnis und die ersten Töne versetzten mich in einer Zeitreise zurück in einen kalten Abend Ende November 1980. Wiesbaden, Wartburg, eine besondere Konzerthalle. Zu dem oberen Konzertsaal führte eine lange Treppe von deren oberem Ende uns bereits dicke Schwaden süßen Rauchs entgegenschlugen. Nein, ich rede nicht von Sweet Smoke’s Album Just a Poke, dessen legendär verhalltes Schlagzeugsolo auf Silly Sally sich in der Szene damals einer großen Beliebtheit erfreute, sondern von einem anderen Perkussionisten der Extraklasse: Pierre Moerlen, der mit seiner Inkarnation von Gong an diesem Abend konzertierte. Tiefes Durchatmen beförderte einen akzelerierten Bewusstseinswandel in die rauschhaften Dimensionen, in denen der feine Jazzrock uns subtilstens abholte und über die Stücke von Downwind und dem gerade erschienenen Time is the Key (Ard na Greine) über fast zwei Stunden in einer Art entführten, wie es die alten Gong-Alben bereits schon viele Abende zuvor in freudig realitätsflüchtiger Weise getan hatten. Auf welche Weise wir später nach Hause schwebten entzieht sich leider meiner Erinnerung …

 
 
 

     

 

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4 Comments

  1. Jan Reetze:

    An sich sind ja Schlagzeugsoli eher ermüdend, aber wenn Pierre spielt … Er hatte eine klassische Ausbildung und war Mitglied von Les Percussions de Strasbourg, als ihn Daevid Allen für Gong entdeckte. Das einzige, was man ihm vorhalten könnte, wäre, dass er mehr Technik als Feeling draufhatte, aber darin zumindest war er überragend, wie schon sein Solo auf dieser LP zeigt. Ich habe ihn diverse Male live gesehen, mit PMG, mit Tribute, mit Mike Oldfield.

    Allen Könnens zum Trotz blieb ihm später nichts anderes übrig, als Unterricht zu geben und sein Talent an „Miss Saigon“ in Stuttgart zu verschwenden. Und er ist der einzige mir bekannte Musiker, dem es nicht zu blöd war, Gedichte von L. Ron Hubbard zu vertonen.

  2. Alexander Fritz:

    Ard Na Greine erinnert mich am Anfang ziemlich stark an Steve Reich’s Drumming, geht aber dann in eine andere Richtung, das Vibraphonspiel scheint aufwärts gerichtet zu sein, man hat das Gefühl, die Töne werden höher, langsam von Ebene zu Ebene, aber in Wirklichkeit stimmt das nicht. So ähnlich wie bei dem visuellen Effekt bei Bildern von M. C. Escher, wo man meint, die Treppen gehen hoch, aber sie tun es gar nicht. Ein tolles Musikstück, danke dafür.

  3. Uli Koch:

    Dass Pierre Moerlen Gedichte von L. Ron Hubbard vertont hat, Jan, wusste ich nicht – tragisch irgendwie. Sonst mochte ich seine Präzision und seine durchaus eigenständige Musik immer sehr.

    Und, Alexander, ich habe And na Greine immer besonders geliebt, ein Stück zum Abheben. Unter dem Gesichtspunkt einer Escher-Treppe habe ich dieses Stück noch nie gesehen. Das musikalische Pendant dazu wurde 1964 von dem englischen Psychologen Roger Shepard der Musikwelt vorgestellt und wird deswegen als Shepard-Skala bezeichnet. Im Netz findest Du eine Menge schöner Beispiele dafür.

  4. Jan Reetze:

    Na ja, Künstler, die Scientologen sind, gibt es ja einige. Da es zum Konzept von Scientology gehört, dass die Mitglieder möglichst viel Geld heranschaffen sollen, hat Pierre mit der Hubbard-Vertonung dem Verein wohl Tantiemen zukommen lassen wollen. Reich geworden ist Scientology damit wohl nicht. Und wie ich mehrfach gehört habe, war Pierre als Privatperson wohl alles andere als einfach handzuhaben. Da passt Scientology dann schon ins Bild.

    Zu „Ard Na Greine“ hat für mich übrigens immer das anschließende „Earthrise“ gehört. Das macht das Stück erst komplett.


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