Das MAGNET FESTIVAL brachte mich vor einer Woche zum dritten Mal nach Wiesbaden. Das erste Mal liegt weit weit zurück und geschah im Jahre 1969. Damals wurden musikalisch Grundsteine gelegt, Grundsteine im Musik machen und Musik erleben wie sich darüber austauschen. Mit ein paar alten Schulfreunden aus Südniedersachen machte ich mich auf den Weg nach Wiesbaden, um Tim Belbe zu besuchen. Ich hatte gerade mit meinem Studium in Göttingen angefangen.
Spuren der Vergangenheit
Tim Belbe? Saxophonist Tim Belbe (1944-2004), der Himmel habe ihn selig, war der Frontmann, die Rampensau der Krautband XHOL CARAVAN. Ich sage Krautband, weil es eigentlich keine Rockband war. Hervorgegangen aus der Band Soul Caravan, die amerikanische Soul Music spielte (u.a. als Opener von und mit amerikanischen SouLmusikern wie Aretha Franklin, King Curtis & The Kingpins und Carla Thomas) ging Xhol Caravan damals in die Richtung von langen improvisierten tripping Jams. Eine Band aus Deutschland, die Soul Music spielte und dann überging zu tripping Jams, das war nun wahrhaftig total neu.
Keine Ahnung, wie wir nach Wiesbaden kamen (trampen?) und wie dann zu Belbe. Wahrscheinlich waren einige der Freunde im Jahr zuvor bei den berühmten Essener Song-Tagen gewesen, wo sich neben Zappas Mothers die neuen Krautgruppen wie Guru Guru Groove, Amon Düül, Embryo, Tangerine Dream und eben Xhol Caravan tummelten. Ich durfte da nicht hin, aber mit dem Beginn meines Studiums war der Weg frei für entsprechende abenteuerliche Unternehmungen. Wir landeten im Stadtteil Erbenheim, wo die Gruppe als Kommune zusammenlebte, eine Lebensform, mit der man sich damals radikal gegen alles Hergebrachte abzusetzen begann. Von Wiesbaden habe ich wenig gesehen. Jedenfalls hab ich keine lebendige Erinnerung daran. Wir tauchten in die ‚fremde‘ Welt der Kommune ein und versuchten uns zurechtzufinden. Belbe und die Seinen waren so stoned, dass uns als durchaus erfahrenen kleinstädtischen Gebrauchen aus der niedersächsischen Provinz die Sinne schlackerten. Inmitten der Haschischschwaden machte Belbe uns Jüngeren klar, worum’s ging in der Musik und im Leben. Erfahrung direkt vor Ort an der Quelle also. Die Gruppe hatte nach ihrem Soul Caravan Album gerade Electrip, das erste Xhol Caravan Album (mit dem Hermaphroditen-Cover) rausgebracht. Es gilt als erstes Krautrock Album.
Die Musik war, wie der Titel schon indiziert, stark elektrifiziert. Es wurde nicht nur mit Wawa und anderen Effekten gearbeitet. Auch die Saxophone waren elektrifiziert. Es war also alles, was heute bei einem neuen Festival wie dem Magnet Festival eine Rolle spielt, damals bereits in nuce vorhanden. Due Gruppe machte eine wechselvolle Entwicklung durch, tritt aber Genaus so wie Guru Guru und Embryo immer noch auf. Nachzulesen ist das im sehr informativen Gespräch mit zwei Bandmitgliedern, dem Saxophonisten Hans Jürgen Fischer und dem Bassisten Klaus Driest.
Hier AUDIO von ELECTRIP
Das Folgealbum Hau-Ruk wurde dann bezeichnenderweise im Göttinger CENTER aufgenommen, ein Spielort, den ich noch sehr lebendig und konkret vor Augen habe. Das CENTER war neben dem Jungen Theater, the place to be. Dort spielte von Guru Guru Groove bis Brötzmann alles, was damals relevant war, a really tripping place.
Und damit wär ich auch schon bei musikalischen Zentrum der damaligen freien Szene dort, der GALAXY DREAM BAND von Gunter Hampel (1937), einem Urgestein der deutschen und internationalen Freejazz- Welt, deren Mitglieder sich in meiner direkten Nachbarschaft, in der Philipp-Reis-StraBe, betriebsam tummelten. Dazu zählten Hampels Lebensgefährtin, die Vokalistin Jeanne Lee, der Klarinettist RobinsoPerry Robinson, der Drummer Steve McCall, der Violist/Bratschist Tom Marcus. Dazu gesellten sich Anthony Braxton, Marion Brown und Willem Breuker. Hampel arbeitete zu der Zeit sowohl in Göttingen als auch in New York und in Amsterdam, kehrte aber immer wieder in die Philipp-Reis-StraBe zurück. Ich hab die Gruppe in verschiedensten Besetzungen damals zahlreiche Male live erleben können.
In Erinnerung geblieben ist mir besonders eine magistrale live Vorstellung von Waltz For 11 Universes in a Corridor (klingt noch immer im Kopf). Die Platte hat mich in viele Jahren begleitet und will immer mal wieder gehört werden. Die Platte ist allerdings ‚kleiner‘, gespielt von einem Trio aus Gunter Hampel, Jeanne Lee und Tom Marcus. Dazu muss man allerdings wissen, dass Hampel ein Multiinstrumentalist ist und Bassklarinette, Vibraphon, Querflöte und Piano spielt. Es gibt eine vielstimmige Version der Galaxy Dream Band aus dem Jahre 1972 beim NDR Jazzworkshop
VIDEO GALAXY DREAM BAND concert
Anfang der 80er Jahre spielte Hampel in New York mit Musikern wie u.a. Curtis Fowlkes, Bob Stewart, Bill Friesel, und Barre Phillips und natürlich mit deutschen Cracks wie Albert Mangelsdorff und Manfred Schoof.
So bin ich unversehens von Wiesbaden zurück nach Göttingen gelangt. Dazu gibt es noch eine Reihe von Geschichten, die später noch erzählt werden können.