Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2023 13 Mai

Bremen / Lausanne (1973)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 5 Comments

 

 

 

In der Juliausgabe von Mojo hat die Redaktion der drittbesten Musikgazette der Welt (nach Uncut und Wire) für die alte Serie HOW TO BUY… Keith Jarrett ausgewählt, und die Nummer 1 (siehe screenshot) ist die erste aller Jarrett-Kisten. Dieses unfassbar gute Album wird im Sommer Teil der neuen ECM-Analog-Remasters sein.

(Aus einer alten Deutschlandfunksendung:) Jesus hatte eine grüne Kiste dabei. Es war Sommer, im Schulhof versammelten wir uns um ihn. Abiturzeit. Jesus öffnete die dunkelgrüne Box, und sagte: „Sagenhafte Musik. Nur Klavier. Tim Buckley schwärmt von diesem Pianisten. Einer, Jungs, der auch auf dem Weg zu den Sternen ist. Hört euch Starsailor an!“ Jesus hatte gesprochen. In jeder Schule gab es einen, der wegen seiner wilden Matte mit Mittelscheitel, Jesus genannt wurde, wenn er zudem nur über ein Mindestmass von Charisma verfügte. Jesus hatte Ahnung von Musik, und eine scharfe Braut am Start. Da, im Pausenhof, waren wir aber noch schärfer darauf, diese Klaviermusik auf den Plattenteller zu legen. Wir kannten Keith Jarrett und die tollen Alben „Soundtrack“ und „Forest Flower“, bei denen er in der Band von Charles Lloyd Und seine wahnwitzige elektrische Pianomusik in Miles Davis‘ Band. Wie Miles hatte auch Lloyds Gruppe schon lange das Rockpublikum erreicht. Bald liefen Jarretts Solokonzerte aus Bremen und Lausanne endlos auf unseren Plattenspielern. Gleichberechtigt neben „Atom Heart Mother“, „Thick As A Brick“ und „Sgt. Pepper“. Es waren die frühen Jahre von ECM. In den USA wunderte man sich über die Allianz des Pianisten Keith Jarrett mit dem deutschen Produzenten Manfred Eicher. Man sollte sich bald noch viel mehr wundern.

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5 Comments

  1. Henning Bolte:

    Naja, Eicher nutzte geschickt die days off von Miles Davis Tours in Europa, um dann mit Bandmitgliedern von Miles Aufnahmen im Studio zu machen. Diese Anfangsstimmung kann man nicht wiederholend herstellen. Nostalgietrip geht schon.

  2. Anonymous:

    Meine Lieblingsplatten von Keith Jarrett waren immer die fünf Sun Bear Concerts in Japan auf 10 LPs. Da gibt es kakophone Ostinati und wunderschöne, romantische Passagen, die in die Ekstase münden. Bremen/Lausanne hörte sich in der Hinsicht wie eine Vorstufe an. Da fehlte mir etwas die Transzendenz, da war mir etwas zu viel Experiment und Disharmonie und Suchen ohne zu Finden drin. Ich glaube, ich müsste sie nochmal hören, vielleicht bin ich auch nicht tief genug eingedrungen in die Musik. Die SBC habe ich sicherlich hundert mal gehört in meiner späten Teenagerzeit.

  3. Michael Engelbrecht:

    Es gibt ein Drittes zwischen Anfangsstimmung und Nostalgietrip. Und da bewege ich mich hörend am liebsten. Weil: Anfangsstimmung geht nicht (weil: once upon a time) und Nostalgietrip will ich nicht (weil: Seligkeit der Erinnerung verhindert Feuer des Hörens). „Trance-like euphoria“ ist Teil dieses „dritten Hörraums“, aber auch nur eine Facette.

    Meine Jarrettsolofavoriten wechseln ab. Und sicher nicht nur zwischen Bremen, Lausanne und Sun Bear. Egal, was x oder y sagen. Staircase etwa, es muss ja nicht live sein. Und Köln, fucking genius, kann ich auch ohne Nostalgiereflexe hören.

    Da habe ich natürlich keine Liste, und bewege mich intuitiv. Der Gipfel, das Absolute: sowieso nur Konstrukte (imo), die ich nicht brauche. Zum Beispiel: „suchen, ohne zu finden“ (da entsteht bei mir keine Wertung. Der Preis der Freiheit ist nicht immer an Entdeckungen geknüpft. Um da mal jenes geniale Lied zu zitieren… „at last i am free / i can hardly see in front of me“…)

  4. Alexander Fritz:

    Ja, es gibt gute Gründe dafür, wieso das Köln Concert das meistverkaufte Soloklavieralbum der Geschichte ist. Da bin ich bei Dir. Aber die Differenzierung zwischen den Hörräumen kann ich nicht ganz nachvollziehen. Wie soll ich abstrahieren von dem Nostalgiefaktor eines Albums? Meine Hörgeschichte ausradieren? Das klappt nicht, die Erinnerung an das erste Mal wird immer mitschwingen. Für mich gibt es immer nur einen Hörraum und das ist der Hörraum des Jetzt, der meiner Erfahrung nach sowieso viel mehr vom aktuellen Setting und meiner eigenen Stimmung abhängt als von vergangenen Höreindrücken. Aber eins ist klar, wenn ich eine musikalische Passage schon mal kapiert im Sinne von „geliebt“ habe, dann kann ich dahinter später nicht mehr zurückfallen.

  5. Michael Engelbrecht:

    Das stimmt alles, und doch ist es kein Widerspruch zu meinem „dritten Hörraum“: man kann nicht von der Nostalgie abstrahieren, sie ist ein Bestandteil, der immer wieder mal einfliesst, aber mehr auch nicht: dem tiefen Hören gelingt reine Gegenwart in bestimmten Passagen genauso wie man Erinnerungen nicht durchweg aussen vor lassen kann…

    Ein Fliessgleichgewicht, mal hier, mal da, und mal ganz woanders:

    music sends you places –
    you do not (always) know
    the place of arrival!

    Wie in der Meditation. Das gilt nicht zuletzt für persönliche alltime favourites, und das sog. unerschöpfliche Element in ihnen….


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