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2023 29 Apr

Ein paar Skizzen zu Christian Petzolds Film ROTER HIMMEL

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 16 Comments

Das malsehnkino im Frankfurter Nordend war gestern bis auf den letzten Sessel belegt, das Publikum größtenteils Ü65, darunter vermutlich einige jahrzehntelange Christian Petzold-Fans. Kein Spoiler hier, nur ein paar unzusammenhängende Impressionen. Mich selbst hat es gestört, dass ich die ersten fünf Minuten der Handlung durch den Trailer und Querlesen von Texten schon kannte, und einige Bilder, die später auftauchten, auch. Ich habe jetzt auch erstmal nichts gelesen, auch nicht den Flyer zum Film, und die Interpretation des youtube-Filmkritikers neben der grünen Lampe noch nicht angehört. ROTER HIMMEL ist ein ruhiger Film, sehr gute Schauspieler, sehr gute Dynamik, überraschende Wendungen bis zum Schluss. Die Spannungskurve liegt eher subkutan. Der Film hat etwas von einem Eisberg, der einen beträchtlichen Teil seiner Masse verbirgt. Das Unsichtbare, das Erahnte, ist seine Stärke. Wer sich nur ein bisschen informiert hat, kennt wenigstens die Ausgangssituation: zwei Männer, Mitte bis Ende 20, reisen in ein Ferienhaus an der Ostsee. Bis zum Ende blieb mir unklar, warum sie gemeinsam in dieses Haus gereist sind, denn sie wirken nicht wie Freunde. Die beiden und auch die wenigen anderen Hauptpersonen befinden sich – jede Person auf andere Art – in ihrem Leben in einer Art Zwischenphase, und sie gehen verschieden damit um. Der eine der Männer liest am Stand ein Buch, das es, soweit ich mich umgeschaut habe, nicht gibt: Schatten von Reiner Lorenz. Musik wird auch in diesem Film nur spärlich eingesetzt. Im Ferienhaus gibt es einen Plattenspieler, die Melodie erkannte ich aus den Klanghorizonten, ist lange her, dass Michael sie spielte. Im Abspann wurden Tarwater und Ryuichi Sakamoto genannt. Und wenn hier ein Tennisball an eine Hauswand geworfen wird, ist es eine wunderbare Reminiszenz an Stanley Kubricks Shining. Gepflegt wird in ROTER HIMMEL auch die Tradition, eine Geschichte zu erzählen, ein Gedicht aufzusagen und ein altes Fahrrad mit zu vielen Einkaufsnetzen zu behängen. Ein paar Kleinigkeiten empfand ich als nicht glaubhaft, daher nur viereinhalb Sterne.

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16 Comments

  1. Lajla:

    Ach schön, Martina, dass du über deinen Kinobesuch erzählst. Ich beneide dich, dass du schon den Film sehen konntest. Ich mag die Paula Beer sehr. Sie hat einen anziehenden Schalk im Gesicht. Hat sie dir im Film gefallen? Michael, jetzt nicht weiterlesen. Der Film wird mit dem Sommerkino von Eric Rohmetall verglichen. Ist da was dran?

  2. Michael Engelbrecht:

    Ich habe schon beim flüchtigen Huschen über ein paar Sätze zum Film den Rohmerverdacht gehabt. „Leichtfüssiger Ernst“, „beschwingte Alltagsmelancholie“. Superduper, das ist ja nicht das, was ich im Kino suche, das kenne ich schon 😂… – ich ahne, er würde mit Wohlwollen drei Sterne kriegen. Ich freue mich gleich tierisch auf Leathal Weapon 1, ich bin halt nicht so anspruchsvoll🙆🏻🤣

  3. Martina Weber:

    Michael, nicht immer nur drüberhuschen. Der Szene mit dem Plattenspieler würdest du fünf Sterne geben! Und der Musikauswahl :)
    Das Entscheidende über den Film darf man nicht verraten. Das ist alles andere als leichtfüßiger Ernst oder beschwingte Alltagsmelancholie.

    Der Film hat Humor, teilweise wirkt er ansatzweise komödienhaft, nur einen Hauch. Das wird dann aber zum Glück nicht überzogen.

    Paula Beer hat super gespielt, Lajla. Ja, sie hat einen Schalk im Gesicht, deshalb nimmt man ihr das Strenge nicht so ganz ab, wenn sie mal streng sein muss.

    Sommerkino von Eric Rohmetall kenne ich nicht.

    Eine deutsche Schauspielerin, die ich sehr schätze, ist Karina Plachetka. Zurzeit schaue ich die Videokassetten durch, die immer noch hier sind. Neulich sah ich Karina Plachetka wieder mal in dem Film DIE SPIELWÜTIGEN, in dem vier Schauspieler/innen der Ernst Busch Schauspielschule über einige Jahre begleitet wurden, 1996 bis 2004. Und dann in einem anderen Film, über den ich noch etwas schreiben möchte.

  4. ijb:

    Die ersten fünf Minuten von der Handlung eines Films durch Trailer zu kennen – das ist ja geradezu angenehm wenig! Wie oft habe ich schon Trailer zu Filmen gesehen, die mehr oder weniger den kompletten Film erzählt haben (teils hatte ich den Film vor dem Trailer gesehen, zum Glück!). Ich hatte nach diesem Trailer schon die Befürchtung, dass man wieder viel zu viel (gerade von so einem wohl eher „handlungsarmen“ Film) gesagt bekommt.

    Manchmal sind Trailer ja auch enorm irreführend.
    Der Trailer zu Spielbergs neuem Film (The Fabelmans) etwa ist sagenhaft schlecht und stimmt auf einen vollkommen anderen Film ein. Das sage ich jetzt ohne jede Übertreibung. – Ich hätte den Film aufgrund des Trailers nie angeschaut, hatte deshalb sogar überlegt, ob das nicht ein total schlechter Film sein muss… und ob ich mir den wirklich antun wollte… Dann sah ich den Film – und es ist ein unglaublich guter, vielleicht sogar Spielbergs bester Film. Hätte er doch nur mehr solche Filme gemacht … statt all dieser beliebigen Großproduktionen, bei denen man sich nicht selten wirklich fragen musste, ob man das ganze Geld, die Zeit und die Mühen nicht sinnvoller hätte investieren können, speziell jemand wie Spielberg, der so souverän, ja im besten Fall meisterhaft die Mittel des Kinoerzählens einzusetzen vermag wie nur ganz wenige.

    Aktuell überlege ich, ob ich The Whale anschauen soll. Der Trailer verspricht einen furchtbar blöden, kitschigen Film, aber alles, was ich darüber gelesen habe, deutet einen sehr anderen Film an.

    Karina Plachetka sieht man leider sehr selten, das ist wahr.

    Dass man Paula Beer das Strenge nicht so ganz abnehme, finde ich eine sehr überraschende Aussage. Ich kenne sie bislang ausschließlich aus einer Reihe sehr ernster (weiß nicht, ob ich „streng(er)“ sagen kann) Rollen; daher habe ich das „Schalkhafte“ bislang noch gar nicht an ihr wahrgenommen. Dabei finde ich ausgerechnet den Film, für dessen Hauptrolle sie den Silbernen Bären bekommen hat (Undine), gar nicht so gut.

  5. Martina Weber:

    Ich habe eben nochmal den Trailer von ROTER HIMMEL gesehen und finde, er verrät natürlich einiges, aber nicht zu viel. Ich bin gespannt, was du zu dem Film sagst, Ingo.
    UNDINE habe ich nicht gesehen, heute aber WOLFSBURG, auf DVD, was ich vielleicht vor sehr langer Zeit schonmal gesehen habe, was mich aber umgehauen hat, ähnlich wie DIE INNERE SICHERHEIT. Dagegen ist ROTER HIMMEL weniger gewagt und etwas mehr Mainstream.
    Karina Plachetka arbeitet hauptsächlich beim Staatstheater Dresden.

  6. Ursula Mayr:

    Bei Eric Rohmetall ist vermutlich Eric Rohmer gemeint, zumindest fiel mir der auch gleich ein als ich über den Roten Himmel las. Paula Beer – klasse!
    Jetzt muss ich schauen wie ich nach München komme…..

  7. Michael Engelbrecht:

    By train, dear!

    Wann war ich zuletzt in MÜNCHEN / Schwabing im Kino?

    Mit Hanne im August 82:
    Ein Film von Alan Parker, The Wall, ganz doof

    Mit Christiana anno 76:
    Nashville, von Robert Altman

  8. Martina Weber:

    Von Eric Rohmer habe ich keine Filme gesehen, kann nichts zu einem möglichen Vergleich zum Roten Himmel sagen.
    UNDINE habe ich doch gesehen, mal zufällig im Fernsehen.

  9. Michael Engelbrecht:

    Ericn Rohmer ist die grösste Schlaftablette des Französichen Kinos. Ich habe vergessen, CLAIRES KNIE zu meinen zehn schlechtesten Filmen aller Zeiten (unter den hochgelobten) zu erkären! Er hat auch einige richtig nette Filme gemacht, nette halt!

  10. Martina Weber:

    Dann scheine ich nichts verpasst zu haben. Dem Namen Eric Rohmer bin ich während meiner Jacques Rivette-Phase vor einigen Jahren natürlich begegnet, aber ich habe das nicht weiter verfolgt. Witzig, dass du ROTER HIMMEL hier bereits als allseits beliebt titulierst. Bisher habe nur ich den Film gesehen. In Anbetracht der aktuellen Filmabende hier mit INNERE SICHERHEIT und WOLFSBURG, wo ich wirklich mitgefiebert habe, obwohl ich INNERE SICHERHEIT schon kannte und mich bei WOLFSBURG nur sehr vage erinnerte, würde ich bei ROTER HIMMEL auf vier Sterne heruntergehen.

  11. Michael Engelbrecht:

    Martina, nicht jeder, der HIER den Film gesehen hat, hält den Finger gleich hoch. Zum Beispiel ich jetzt auch, und ich kann peinziell schweigen, aber bitte: drei Sterne. Une kein bisschen Sternstaub. Die Art von thinking man‘s Goodfeel movie, bei der ich ja sage, ja ja, und ganz nett (s.o.) und ein bisschen überinszeniert. Aber ein guter Film.

    Herr Petzoldt würde ganz anders von Eric Rohmer erzählen, und zwar in höchster Achtung!

  12. Martina Weber:

    Highly tricky 🤣

  13. Michael Engelbrecht:

    Und, ähem, ganz schwer leidet mein flow, wenn ich in einer Geschichte eine dermassen verklemmte Hauptfigur über die Massen serviert bekomme.

    Zitat des Regisseurs, als er und Paula Beer an Covid erkrankt waren:

    In Berlin wurden wir krank. Dann hatte ich Angst. Wenn der Drosten und der NDR nicht gewesen wären. Wir wussten nicht, was aus uns wird. Also jeden Tag Drosten, jeden Tag Tschechow, jeden Tag Éric Rohmer-Filme, die wir geschenkt bekommen hatten von unserem französischen Co-Produzenten Les Films du Losange, die auch die ganzen Rohmer-Filme produziert hatten. Diese Filme von Rohmer, die viel in den französischen Sommern spielen, wo die Eltern keine Rolle spielen, wo man merkt, ich werde jetzt erwachsen, das kann schmerzhaft, aber auch schön sein. Da spielen diese Filme.

    Rohmer, genau!

  14. Martina Weber:

    Yep, charismatisch ist was anderes. Mich hat die – fast schon – slapstickartige Frage nach dem Schwimmen-gehen gestört. Wenn die beiden, die ins Ferienhaus gereist sind, Freunde sein sollten, wussten sie nicht so viel voneinander. Da war schon einiges überzogen oder, wie du schriebst, „überinszeniert“. Auch der Pompeii-Vergleich. Ein Verleger reist auch nicht zu einem Autor, jedenfalls nicht in einem solchen Fall. Und wenn, dann duzen sie sich. Letzteres ist aber vielleicht schon zu streng am Realen gemessen.

    Zu sehr politisch korrekt, auch und gerade im Dramatischen, zu wenig eigenwilliges gewagt. D´accord, es geht in Richtung dreieinhalb Sterne ;)

  15. Michael Engelbrecht:

    Nach meinem dezenten Verriss dieses feuilletonistisch hochgejazzten Films, den ich nach den JazzFacts hier mal niederlegen werde, wird deine Bewertung, dank meiner schlüssigen Gedanken, vielleicht noch um einen halben Stern absacken. Immer gut, wenn man einen interessanten flawed character als Hauptperson hat, aber doch nicht so einen Idioten!!!! 🙇🏻

  16. Martina Weber:

    Normalerweise denke ich länger darüber nach, wenn ich über etwas schreibe. Schnellschüsse beim Schreiben sind selten mein Ding. Hab mich einfach von der Kinodrumherumatmosphäre berauschen lassen, mal wieder mit dem Rad zu einem Filmabend zu fahren, das schöne, alte Kino.
    À propos Fahrrad: Dass die Frau das sehr uncoole Fahrrad zu stark belädt, über einen unbefestigten Pfad radelt, schwankend, und dann fällt, ist wirklich abgegriffen und old school. Auch das aufgesagte Gedicht, etwas überambitioniert. Selbst Lyriker/innen können heutzutage kaum noch Gedichte aufsagen. Höchstens eins von ihren eigenen. Und die message an den Autor, dass das Schreiben (nur) gelingt, wenn es direkt aus dem eigenen Erfahrungsschatz stammt! Ich bin schon nur noch bei drei Sternen.


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