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on life, music etc beyond mainstream

2023 25 Apr

Mit erhobenen Händen

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 19 Comments

 

Ursprünglich hatte Christian Petzold für seinen Film Die innere Sicherheit den Titel Gespenster vorgesehen. In einer der stärksten Szenen des Films, an einer Straßenkreuzung, werden diese Gespenster sichtbar. Im Audiokommentar spricht Petzold davon, dass in deutschen Filmen die Jeanshosen, Turnschuhe und T-Shirts schon nach einem Jahr so wirken wie die Mode von vor einem Jahr. In französischen Filmen sei das nicht so. Julia Hummer muss ein blassgelbes unförmiges Sweatshirt tragen, auf dem eine Biene auf einem Surfbrett balanciert. Besonders unauffällig ist das nicht. Die Musikauswahl ist grandios. Jeanne geht den Klängen nach, steigt die Treppe hoch, betritt zaghaft Paulines Zimmer und fängt dann auch damit an, sachte ihre Hüften zu wiegen, schon wieder eine Zigarette anzuzünden und ein paar Bemerkungen fallen zu lassen, die lässig wirken sollen. Der schönste Song aber umrahmt den Film. How can we hang on to a Dream, von Tim Hardin, aus dem Jahr 1966.

 

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19 Comments

  1. Lajla:

    Gerade gestern Abend sprachen wir über die nicht akzeptable Haltung der Deutschen Filmakademie gegenüber Petzold. Wir, das waren der junge Filmemacher Lukas Nathrath und ich. Lukas ist 32 Jahre alt und hat mit seinem Film “ Letzter Abend” den Max Öphüls Preis 2023 gewonnen.

  2. Martina:

    Ich dachte an deine Bemerkung, dass Petzold so viel Wert legt auf die Musikauswahl, als ich über „Die innere Sicherheit“ nachdachte. Was ist das denn für eine nicht akzeptable Haltung, die du andeutest?

  3. ijb:

    Ein bissiger Kommentar zur deutschen Filmakademie bzw. deutschen Filmförderung (mal wieder) von Rüdiger Suchsland, wenn auch nur ganz am Rande über Petzold, hier:

    Titanic voraus! – Nicht nur die Berlinale, auch der deutsche Film hat den Eisberg erreicht. Außerdem: On the way to LA sponsored by Netflix und Ausblicke auf die Zukunft bei einem Frank­furter Kongress

    Petzold meinte mal – und ich bin ziemlich sicher, das war bei einer Vorführung von „Die innere Sicherheit“ (seinem, glaube ich, offiziell ersten Kinofilm) an der (damaligen) HFF Potsdam, er sei ein großer Musikliebhaber. Deshalb gebe es so wenig Musik in seinen Filmen. Und allenfalls ganz wenige, sehr präzise ausgesuchte Songs. In „Toter Mann“ sorgte die erlesene Songauswahl dann dafür, dass der mit verhältnismäßig moderatem Budget vom Fernsehen finanzierte Film keine Kinoauswertung bekommen konnte, weil die Musikrechte fürs Kino zu teuer waren. (Ich erinnere mich, dass er das damals ebenfalls bei einer HFF-Vorführung des Films erzählt hat; Beleg aber auch hier.)

  4. Lajla:

    @ Martina. Das war Twyker. Ingo beantwortet deine Frage.

  5. Martina Weber:

    Danke für den Link, Ingo. Bin an folgendem Zitat hängengeblieben:

    „»Midcult« nennt er mit Umberto Eco diese Erbau­ungs­li­te­ratur für die besseren Kreise, sprich: für Kuratoren, Kenner, Konsu­menten dessen, was jeweils gerade angesagt und hip ist, ein gutes Gesprächs­thema und Distink­ti­ons­merkmal im Party­plausch, aber sonst nicht weiter provo­kativ oder gar störend.

    Was aber wäre jener Midcult eigent­lich im (deutschen) Kino? Christian Petzolds Filme viel­leicht, die auf wahn­sinnig saubere, puri­ta­nisch aufgeräumte Weise zugleich unan­greifbar sind und unendlich lang­weilig und tiefere Bedeutung eher behaupten, als tatsäch­lich schaffen?“

    Den Kritikpunkt, unangreifbar zu sein und tiefere Bedeutung eher zu behaupten als sie zu schaffen, kann man auch auf andere Kunstwerke übertragen. Finde ich erstmal interessant als Gedanke. Würde aber nicht sagen, dass diese Kritik auf die Filme von Petzold, die ich kürzlich (wieder-)gesehen habe (YELLA, GESPENSTER, DIE INNERE SICHERHEIT) zutrifft.

    Bemerkenswert sind noch Petzolds Überlegungen zur Kleidung. Wenn ich an Filme von Jacques Rivette denke, zum Beispiel SECRET DEFENSE, hat die Kleidung tatsächlich etwas zeitloses. Falls sich jemand für den klassisch französischen Zugang zu stylischer Kleidung interessiert, empfehle ich auf youtube die Beiträge von Justine Leconte (auf englisch).

  6. Ursula Mayr:

    Ich ersuche hiermit, mich hier heraushalten zu dürfen. Ich finde Petzold schwer erträglich samt seiner chronischen Nina Hoss mit dem ewig beleidigten Gesicht.
    „Weil es so formschick gemacht ist, wird es für Kunst gehalten“ sagte einmal Volker Elis Pilgrim – Friede seiner Asche – über Fassbinder.

  7. Martina Weber:

    In DIE INNERE SICHERHEIT und GESPENSTER spielt sie aber nicht mit.

  8. ijb:

    In ROTER HIMMEL auch nicht.

  9. ijb:

    Wenn wir schon dabei sind, hier eine ausführliche und sehr genaue Analyse mit Kritik:
    „Garantiert einer der besten Filme 2023: ROTER HIMMEL“ sagt:

     

     
     

    „Diesen Film muss man gesehen haben!“ sagt der Rezensent. „ROTER HIMMEL ist ein genialer Film auf mehreren Ebenen, der von den Bedingungen des Menschseins und Künstlerseins handelt.“

  10. Martina Weber:

    Danke für den Link, Ingo! ROTER HIMMEL scheint ein ausgezeichneter Anlass dafür zu sein, mal wieder ins Kino zu gehen. Ich schau gleich mal, wo der Film hier läuft.

  11. Ursula Mayr:

    Okay, ich komm mit! Aber dieses Coming-of-Age-Geniesel und Der-letzte-Sommer-vorm Erwachsenwerden hab ich eigentlich zur Genüge konsumiert. Bin gespannt, ob man dem Thema noch etwas Neues abringen kann. Sonst guck ich lieber nochmal American Grafitti. Aber wenigstens nicht die Allzweck-Nina.

    Bei uns läuft er noch nicht, aber vielleicht kann einer der Stadtfräcke hier berichten.

  12. Michael Engelbrecht:

    In den Film komme ich nicht mit. Das Genre gibts hier nur noch ab und zu auf der Couch, aber nicht dafür ins Kino, egal, wie toll er sein soll. Noch lieber als Amercan Grafitti ist mir natürlich Absolute Giganten (D, 1999). Mir ähnlicher als der Hauptdarsteller in der Rolle) war mir kaum jemand im letzten Sommer vorm Erwachsenwerden:) – ausser Mel Gibson in Leathal Weapon 1😂

  13. ijb:

    Ich habe den Film noch nicht gesehen, schaue ihn nächste Woche an (kenne aber ansonsten das gesamte Werk von Petzold). Dass es um „Der-letzte-Sommer-vorm Erwachsenwerden“ ginge, hatte ich ehrlich gesagt so auch bislang gar nicht aufgefasst (interessiert mich auch nicht wirklich, dieses Genre). Wären die Figuren (alle um die 30) dafür denn nicht ein wenig zu alt?!

  14. ijb:

    Also, nachdem ich grad mal in zwei, drei Rezensionen reingelesen habe: Ich denke, das mit dem „letzter-Sommer-vorm Erwachsenwerden“ ist ein Missverständnis. Filme wie „Absolute Giganten“ und „American Graffiti“ wären mir jedenfalls nicht als Vergleichbares eingefallen. Ich denke auch, die Referenzen liegen eher anderswo. Lass(t) mal was hören (bzw. lesen), wenn ihr (bzw. du, Martina) den Film gesehen habt.

    Das hab ich grad gefunden (EPD Film). Klingt gut, finde ich:

    Christian Petzold schlägt in seinem neuen Film – bei der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet – ungewohnte Töne an: In einem Ferienhaus an der Ostsee entspinnt sich zwischen fünf Menschen eine Sommerkomödie, während am Horizont Waldbrände heraufziehen (…)

    Nach all der Leichtigkeit bekommt Roter Himmel zuletzt dadurch eine dramatische Wendung. Den Film durchziehen Motive der deutschen Romantik, die zudem typisch Petzoldsche Motive sind: der Wald, das einsame Haus, die Träume.

    Die Geschichte vom endlosen Kreisen um sich selbst, von Sehnsucht und Eifersucht, während man gegenüber dem Rest der Welt so lange blind bleibt, bis die Katastrophe da und alles zu spät ist – sie passt nur zu gut in unsere Zeit. Umso beeindruckender die Zärtlichkeit und Nonchalance, mit der Petzold eine so humorvolle éducation sentimentale ins Desaster und dieses wiederum in die Sphäre der Kunst überführt.

    Bei Arte(?) übrigens zur Zeit: Dominik Grafs großartig unkonventioneller Film „Fabian“. Wird sicher nicht jeder/-m zusagen, aber in seiner Kompromisslosigkeit und Eigenwilligkeit wirklich ein Werk, das aus dem gegenwärtigen (deutschen) Kino positiv heraussticht.

  15. Martina Weber:

    Ich dachte, du hättest ROTER HIMMEL schon auf der Berlinale gesehen, Ingo. Allzu viel möchte ich über den Film nicht wissen, nur so viel, um einen Eindruck über die Stimung und die Personen zu bekommen. Den Trailer habe ich gesehen, ein paar Texte überflogen (war schon fast zu viel), die Analyse des Rezensenten, der neben der grünen Lampe sitzt, aber nicht. In Frankfurt läuft der Film heute an, in meinem kleinen Lieblingskino (malsehnkino). Wir schauen ihn uns die nächsten Tage an.

  16. ijb:

    Nee, bei der Berlinale hat das nicht in meinen Plan gepasst. Aber wenn ein Film ohnehin recht zügig danach im Kino läuft, schau ich mir den normalerweise eh nicht beim Festival an; eher schaue ich Filme, die man sonst eher nicht mehr so einfach (im Kinosaal) zu sehen bekommt.

    Ich mache das auch so: Wenn ich weiß, dass ich einen Film auf jeden Fall anschauen werde, lese ich vorher auch keine Besprechungen, versuche dann auch, die Trailer zu vermeiden (was bei diesem Film ziemlich unmöglich war, weil der wirklich seit 6-8 Wochen bei jedem Kinobesuch gezeigt wird) oder mir solche Videos anzuschauen. Da ich den Rezensenten schon länger kenne, weiß ich aber, dass seine Analysten enorm fundiert sind, und wenn er, was selten vorkommt, auch mal richtig begeistert von einem Film ist, dann kann man sicher sein, das hat Hand und Fuß, was er sagt. Deshalb hab ich den Beitrag ungesehen hier geteilt, für Leute, die entweder eh nicht vorhaben, den Film zu sehen (und dann vielleicht umgestimmt werden) – oder eben zum hinterher Schauen.

    Wir schauen den Film am Montag an. So von der Handlung und den Figuren her interessiert er mich auch nicht wirklich, aber da Petzold „eine sichere Bank“ (auch wenn ich manche Filme von ihm weitaus mehr mag als andere) ist und wenig deutsche Regisseure auf solche Weise erzählen, schaue ich die alle. Er selbst hat mal gesagt, er habe gar nicht so das Interesse, total unterschiedliche Filme zu machen (wie das andere Regisseure tun), er fände eher so Gesamtwerke spannend, bei denen sich die einzelnen Werke auf eher feine Weise voneinander unterscheiden, wie beispielsweise bei den Gemälden von Rothko.

  17. Michael Engelbrecht:

    Ah, der Herr mit der Filmabnalyse, der gern zum marxistischen und psychoanalytischen Besteck greift. Den habe ich vor einiger Zeit öfter gehört – und meine Schlussfolgerung ist (bei allem fundierten Wissen, das bei ihm einfliesst)

    Ja, ähem, brauche ich nicht so…

    Bin oft ganz anderer Meinung zu einzelnen Filmen als er. Da gewinnt er auch nicht bei mir mit grosser Beredsamkeit.

    Generell ein grosser „Serienfeind“, liess er vor einiger Zeit nur eine natürlich extrem kunstvolle Sereie gelten, wie hiess sie noch gleich, die übrigens bei mir durchfiel aufgrund ihrer Überfrachtung und ihres overloads mit Bedeutungen…seine genrelle Serienkritik teile ich schon mal gar nicht…

  18. ijb:

    Auch ich bin häufig anderer Meinung zu Filmen als er (siehe zuletzt „Tár“), aber das finde ich gar nicht so entscheidend fürs Anschauen. Was seinen Kanal auszeichnet, ist u.a., dass er in erster Linie analysiert und weniger urteilt bzw Filmkritik/Meinung bietet, womit er sich schon sehr stark absetzt von dem, was sonst so im Kultur- und Filmjournalismus üblich ist. Im Herzen ist er natürlich überzeugter Linker (nicht im Sinne der gegenwärtigen Strömung „Lifestyle-Linke“), was seine Analysen manchmal (etwas zu sehr) einfärbt. Aber dass er sich mehr als das Gros der derzeitigen Filmbesprechenden die Mühe macht, ideologische Subtexte, (Erzähl-)Strukturen und Figurenzeichnungen sowie allerlei gesellschaftsrelevante Zwischentöne in Filmen erst einmal herauszuarbeiten, finde ich, macht seinen Kanal durchaus wertvoll. Das fehlt leider in den meisten Filmbesprechungen total.

    Seine Abneigung gegen Serien muss man ja nicht teilen; ist ja auch nur eine Meinung unter vielen. (Ich kenne auch mehrere Filmemacher, die einfach dem Konzept der Serien nichts abgewinnen können oder wollen. Interessanterweise sind das häufig Leute, die viele Filme schauen und zugleich eine besondere Leidenschaft für die „klassische“ Literatur haben.)
    Aber er betont ja auch, dass er persönlich im Grunde eben einfach keinen Zugang dazu findet und daran auch bislang kein großes Interesse hat, weil ihn die kürzere Form des Films mehr anspricht, und er macht das nicht zu einer allgmeingültigen Aussage. Daher für alle, die den Kanal nicht kennen: Ich würde ihn nicht als „Serienfeind“ bezeichnen.

  19. Michael Engelbrecht:

    „Serienfeind“ ist pointiert, aber treffend imo – der Unsinn, mit dem er das unterfüttert, macht für ihn natürlich Sinn. Homöopathisch dosiert, ist er gut zu ertragen, sympathisch ist mir sein Duktus ohnehin nicht.


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