Manafonistas

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2023 25 Mrz

Geschichten, die das Meer erzählt (5)

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 14 Comments

 
 

Schon oben vom Berg aus sah ich die edle Linie des Luxusseglers. Drei Masten ragten karg mit den engumwickelten Rahen in den Himmel. Wie viele Segel konnten wohl gesetzt werden? Würde sie in voller Pracht bei mir eine Windjammer Romantik auslösen? Aus der Ferne konnte ich erkennen, dass sie unter der Flagge von Malta fuhr. Am Hafen angekommen, wandte ich mich an die polizeilichen Bewacher, um herauszufinden, wie das kleine Kreuzfahrtschiff heißt. Hier lag also die luxuriöse Sea Cloud II. Ein Passagier schlenderte aus der Sperrzone heraus. Weil er mich so freundlich anschaute, sagte ich: Willkommen auf El Hierro. Er erzählte mir auskunftsfreudig, dass er eine einwöchige Reise auf dem faszinierenden Segelschiff für 5000 EU gebucht hätte. Sie würden nur zwischen den kanarischen Inseln segeln, ohne Motorkraft. An Bord seien 136 internationale Passagiere plus 85 aus dem Personalbereich. Das Essen sei ausgezeichnet, die Weine vom Feinsten und die Kabinen von ansprechendem Design. Die Marmorbäder seien „a bit campy“, ebenso die Sitzecke. Ich wunderte mich über seinen Gebrauch des Wortes „campy“. Scherzhaft fragte ich ihn, ob auch eine Bibliothek an Bord sei und ob er dort die „Partisan Review“ vorgefunden hätte. Er sah mich ein paar Sekunden zu lang an und sagte dann: “Nein, das nicht, aber gestern Abend hätte er über der Soundtrack Liste seines Lebens gesessen, die Idee hätte er aus einer Literatur über Susan Sontag. Welcher Song denn ganz oben auf der Liste stünde, fragte ich mit echter Neugier. „Spam“ lachte er. Spam spam spam von Monty Python. „Wow, wie kommen Sie denn da drauf?“ „Auf dem Schiff fragte mich jemand, ob ich wüsste, was Spam bedeute. Ich fing an zu singen:“ Lovely Spam … Der Song hat mich schon immer begeistert. „Und was steht noch auf Ihrer Liste?“ „Monteverdi.“ Hoppla, dachte ich, das ist jetzt aber nicht camp. Dieser nette Schweizer Dandy, mit seiner Lagerfeldfrisur und seinen glänzenden Marc Darcy Carson Lederschuhen ist sicher highbrow with an interest in mass taste. Susan Sontag hätte sich über dieses Exemplar gefreut.

Inspiriert von dem Gespräch machte ich mich an meine unvollendete Liste vom Soundtrack meines bisherigen Lebens:

 

Anton Bruckner. Das Adagio der 9.

Maria Callas  Ave Maria

Pavarotti Nessum  Dorma

Lucio Dalla  Piazza Grande

Joni Mitchell  Both sides  now

Patti Smith  Because the Night

Nina Simone Feeling Good

The Kinks  Don t forget  to Dance

The Beatles  Days

The Rolling Stones  White Horses

Neil Young  Ohio

Bob Dylan  The Death of Emmett Till

James Taylor and Carly Simon  Close your eyes

The Doors  The End

 

This entry was posted on Samstag, 25. März 2023 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

14 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Liest sich wie ein Traumtext, oder auch schön erfunden. Aber gar nicht campy 😉 meine radio playlist vom kommenden Donnerstag ist ja schon verdammt gut, aber die hier ist schlagbar. „Sunny Afternoon“!

  2. Lajla:

    „Camp“ war ein großartiger, radikaler Gedanke von Sue Sontag, er erlaubte, auch die niedrige- low Kunst= Unkunst schön zu finden. Wenn man heutzutage die Mode und Accessoires der Queers betrachtet, dann sind sie sehr trashy aber phantasievoll ge/verkleidet, voll nach Camp – Geschmack.

  3. Michael Engelbrecht:

    Die Low Kunst berührt oft mehr und tiefer als die High Kunst, weil die High Kunst definiert und ikonisiert und verwaltet wird nach Gutsherrenart. Musikpädagogen, knochenkonservativ, Pfaffen, die falsche Götter brauchen. In der High Brow Vermittlung geht so viel alte Wucht verloren: überall Denkmäler.

    Peter Sloterdijk

    Ah, nein, das ist von mir 😂

  4. Ursula Mayr:

    Darum liebe ich low brow Filme. Sie erzählen von den Wünschen der Menschen.

  5. Michael Engelbrecht:

    Let‘s go Nashville with Robert Altman!

  6. Lajla:

    In der Filmwelt bin ich doch gern in der hohen Kunst unterwegs. Werner Schroeter ist so ein Liebling, der mich mit seiner intellektuellen Kunst und opulenter Filmausstattung begeistert. (Goldflocken z. B.)

  7. Michael Engelbrecht:

    Die Gegensätze von Low und High fallen zum Glück oft zusammen, im Sinne eines fröhlichen Leerräumens und Polterns von Schubladen. Ich kann viel aushalten, aber keine Opern, da wird mir übel, was nur aussagt, dass der Kontext von Opern meist nicht stimmig ist.

    Immerhin habe ich ein paar Mal im Film erlebt, dass OPER oder BACHKANTATE mir sehr sehr, naheging… etwa wenn sowas ertönte, während Schroeders Kameramann eine Münchner Puffstrasse entlang fuhr, oder weil ich in der Story so gut mitschwingen konnte, wie bei DIVA von Jean Jacques Berneix.

  8. Martina Weber:

    Wunderbarer Drive im Text, Lajla. Aus deiner Liste habe ich von The Doors The End aufgelegt. „Anmerkungen zu Camp“ (Notes on „Camp“) erschien in Susan Sontags „Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen“. Habe das Buch hier und den Text vor einiger Zeit gelesen. Sontag umkreist den Begriff „Camp“ in 58 Anmerkungen. Zum Kanon des Camp gehört zum Beispiel: „Schwanensee“, Bellinis Opern, Lampen des Glaskünstlers Tiffaniy, der Jugendstil, Schauerromane aus dem 18. Jahrhundert, Caravaggio, Mozart. „Camp ist eine Frau, die in einem Kleid aus drei Millionen Federn herumläuft.“ Und vieles mehr.

  9. Michael Engelbrecht:

    Days? Wohl von den Kinks 😉 grandioser song …

  10. Lajla:

    @Danke Martina. Was für Schätze du zuhause hast, unglaublich.

    @ Michael, Si, correcto Los Kinks.

  11. Martina Weber:

    Irgendwann bin ich auf das Buch aufmerksam geworden, wahrscheinlich über den Essay „Gegen Interpretation“ (Against Interpretation), der erste Text in dem Buch. Es sind intelligente und super geschriebene Analysen über Kunst, Kunstwerke und KünstlerInnen, z. B. auch über Michel Leiris, William Burroughs, über Happenings und über Godards Film „Vivre sa vie“, den ich mir dann auch angesehen hatte. Ich mag dieses unberechenbare Pingpongspiel in der Beschäftigung.

  12. Olaf Westfeld:

    Ja, toller Text, als wäre ich dabei gewesen …

    So wie ich im Wintersemester 1997/98 ein Semester lang bei einem Hauptseminar „Konzepte der Postmoderne“ bei Prof. Dr. Utz Riese dabei war, als einer von zwei Teilnehmern. Der andere Teilnehmer, JT, schien das Seminar, vielleicht auch das Studium insgesamt, deutlich ernster zu nehmen als ich, wirkte sehr ehrgeizig und auch recht competitive. Wir besprachen also einmal die Woche zu dritt in Professor Rieses Büro Texte von Lyotard, Baudrillard, Jameson, Barthes und was weiß ich noch alles … nach den 90 Minuten rauchte der Kopf immer ziemlich.

    Einmal besprachen wir auch „Notes On Camp“ von Susan Sonntag, einer der am besten geschriebenen Texte, hat mich damals am meisten beeindruckt. Ein Referat musste ich auch halten, ich erinnere mich nicht mehr worüber das war – JT hat über eine Stunde frei über „Das Ende der Geschichte“ referiert, mit Hegel Bezügen und allem Zip und Zap.

  13. Michael Engelbrecht:

    Zip und Zap klingt am besten 😂

    Die grosse Susan Sonntag und ich waren uns bei Herrn Handke auch sehr einig – wir mussten gar nicht diskutieren 😉

    Möge das Meer noch viele Stories erzählen!

  14. Lajla:

    Danke Jungs 😉


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