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2023 10 März

Die Geschichte von Eden Ahbez (1)

von: Manafonistas Filed under: Blog | TB | Comments off

„Erst 1995 – dem Jahr, in dem Eden starb – erblickte sein einziges Album, 35 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, ein zweites Mal das Licht der Welt. Bob Keane, der Gründer von Del-Fi Records, hatte seit der Wiederbelebung seines Labels bereits acht Jahre Zeit gehabt, es neu aufzulegen, aber sein Zögern sprach Bände. Zwar hatte Eden mit seinen Liedern echte Hits gelandet, aber andere hatten sie interpretiert, vor allem „Nature Boy“, ein Nummer-1-Hit von Nat ‚King‘ Cole aus dem Jahr 1948, auch heute noch ein immer wieder aufgegriffenes Kapitel im Great American Songbook. „Eden’s Island“ hingegen, eine konzeptionelle Kuriosität, verkaufte sich nur ein paar hundert Mal, und obwohl Ahbez‘ unkonventioneller Lebensstil die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog, bestand er darauf, das Album zu Fuß zu touren.

Doch die Zeiten ändern sich, und vermutlich erkannte Keane das Easy-Listening-Revival Mitte der 90er Jahre als Grund für die Wiedergeburt von Eden’s Island. Was ist schließlich exotischer als eine Proto-Hippie-Suite über eine mythische Insel? Mit Tiki- und Latin-Einflüssen, dem Quaken von Ochsenfröschen und seiner Bambusflöte, die Vogelgezwitscher und Stammesrufe erklingen ließ, erinnerte das Stück stark an Martin Dennys Quiet Village, während seine blättrige Sentimentalität die Technicolor-Nostalgie des Südpazifiks wiedererweckte.

Dieser eskapistische, berauschende Cocktail befriedigte jedenfalls die käsigen Schwärmereien der Lounge-Champions der 90er Jahre. Die Wiederauferstehung von Eden’s Island war jedoch erst der Anfang. Heutzutage wird es von so unterschiedlichen Musikern wie Agnes Obel und Lias Saoudi von Fat White Family gepriesen, der extra nach Kambodscha reiste, um es in angemessener Umgebung zu hören.

Dass es sich dabei um eine Strandhütte handelte, in der man „Pillen an der Bar kaufen konnte“, sagt viel über die Schwächen der Platte aus. Nicht, dass man Drogen bräuchte, um die wesentlichen Reize des Albums zu schätzen; seine Höhepunkte sind in der Regel die ruhigeren Momente, wie sein unerwartet meditativer, freier Streifzug in der Mitte von „La Mar“ oder das kultivierte Klavier von „Island Girl“, unter dem ein Guiro unruhig pulsiert, während „Myna Bird“ einfach so sanft wie eine Brise ist.“ (soweit der erste Teil von Wyndhams Rezension, mit Deepl und hier und da etwad freizügig übersetzt)

 

 

Meine kleine Erleuchtung, was Miles Davis betrifft, ereignete sich bei Schummerlicht in Marokkos Kinderzimmer. Natürlich waren wir schon ungebändigte Teenager, die sich bei den Monkees im Fernsehen abrollten, und dann einfach den elektrischen Magus im Fillmore East auflegten. Mir ein Rätsel, dass wir beide da so schnell die Zugänge fanden. Dass diese Phase des Trompeters für altgediente Jazzfans zumeist einen Kulturschock darstellte, bekamen wir nicht mit. Wir waren zu jung,um „Birth of the Cool“ mitzuerlebt zu haben.

Aber bald schon fand sich, lang vor dem Abitur, eine alte Miles Davis-Platte bei mir ein, die nie so berühmt wurde wie andere seiner ganz frühen Alben, aber ich liebte sie. Sie stammte aus meinem Geburtsjahr, glaube ich, 1955, und wenn mir später zufällig so eine Lp in die Hände fiel, aus dem Jahr, als ich etwas voreilig auf die Welt kam, sah ich mich in der Wiege rumschreien, und parallel, an einem ganz anderen Ort der Welt, im Tonstudio eine Handvoll Jazzmusiker vor mir. Ein Spiel von Gleichzeitigkeiten.  Da begegnete ich Eden zum ersten Mal, auf „Blue Moods“, denn Miles spielte da, übrigens in Gegenwart eines traumwandelnden Vibraphonisten (Elvin Jones und Charles Mingus waren auch dabei), Nature Boy. Traumverloren.

Der Name des Komponisten sagte mir nichts. Eine Exot. Klang halt anders als Hammerstein. Oder Gershwin. Eine dermassen versunkene Stimmung, hochmelodisch, verweilend, nie vorwärtseilend. Keiner hat es eilig im Paradies. Eden. Das hatte was. Und erst als dann auch Jon Hassell Nature Boy intonierte, und seine Trompete erstmals wie eine Trompete und nackt wie selten klang, wurde ich neugieriger. Eden. Eden Ahbez. Martini Dry. Martin Denny. Weltenbummler. Hippies auf Kreta. Weiter mit Wyndham und meinem Remix aus Deep L und persönlichen Einmischungen… (m.e.)

 

 

„Am markantesten sind die träumerischen Selbstgespräche in „The Wanderer“ und „Full Moon“, in denen aufrichtige, beruhigende Philosophien inmitten von Marimbas und Supper-Club-Pianos vorgetragen werden. Diese Konstrukte bestätigen Ahbez als den Mann, der „Nature Boy“ geschrieben hat, und nehmen gleichzeitig die wunderbar absurden „Spock’s Thoughts“ von Leonard Nimoy vorweg, eine rührende, böhmische Adaption von Max Ehrmanns inspirierendem Gedicht „Desiderata“ aus den 1920er Jahren. (Na, hier werden ja mal gleich einige Fässer geöffnet, und wer „Desiderata“ kennt, möge bitte einen erhellenden Kommentar schreiben.) 

Die Bedeutung von Edens Album  ist so groß, dass Everland nur das letzte von einem guten Dutzend Labels ist, die Eden’s Island im letzten Vierteljahrhundert veröffentlicht haben. Die Jungs haben es jedoch neu gemastert und 50 Minuten seltenes Material hinzugefügt – Demos, einen Jam, Aufnahmen von zeitgenössischen Künstlern mit weiteren Kompositionen – sowie ähnlich aufschlussreiche Linernotes von Brian Chidester, dem Co-Regisseur einer bevorstehenden Dokumentation. Man kann natürlich immer noch seine Eigenartigkeit und Skurrilität feiern, aber dank dieser Extras wirkt die Platte nun deutlich weniger kitschig und dafür revolutionärer, weniger exzentrisch und mehr vorausschauend, ein ganzes Glaubenssystem inbegriffen.

Auf dem Cover ähnelt Eden Ahbez einem zotteligen Landstreicher. Als Waisenkind, das Ende der 30er Jahre vor der Weltwirtschaftskrise mit dem Zug nach L.A. geflohen war, zog er es tatsächlich vor, unter den Sternen zu schlafen, sich den California Nature Boys anzuschließen, Anhängern der deutschen Lebensreformbewegung des 19. Jahrhunderts. Nachdem er durch seine anonyme Übergabe des Songs Nature Boy“ an Nat King Coles Kammerdiener die Erlaubnis zur Aufnahme erhalten hatte, wurde er schlafend unter dem Hollywood-Schild gefunden. Wenn er bis zu seinem Debütalbum weitere Songs u. a. für Sam Cooke („Lonely Island“) schrieb, gab er an, von 3 Dollar pro Tag zu leben, und zahlte angeblich 30 % der Tantiemen von „Nature Boy“ an den Portier, der den Diener ausfindig gemacht hatte.“  

 

(Im Spiegel findet sich, schon ein paar Jahre alt, eine Geschichte über den „Obdachlosen“ und seinen Millionenhit (bei den Tantiemen wurde er demnach auch von dem berühmten Irving Berlin mächtig übers Ohr gehauen – so erging‘s  ja auch vielen frühen Popbands, ob CCR oder den Kinks.)

 

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