Manafonistas

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2023 24 Jan

Zwei „Klavierstunden“ mit Brad

von: Manafonistas Filed under: Blog | TB | 13 Comments

 

Wenn Jazzmusiker sich an Popklassiker ranmachen, habe ich meist ein ungutes Gefühl, und oft genug wird meine dunkle Ahnung bestätigt. Es wird edel, betont edel, es wird gepopswingt. Herbie Hancock hat einmal albumweise grosse Popsongs swingifiziert („New Standards“) – ermüdend, kaum besser als diese pompösen „classic nights“, in denen manch geschätztem Inhalt einer Jukebox mit klassisch geschulte Geschwelge zu Leibe gerückt wird. Peter Gabriel inszenierte vor Jahren auch mal grosse Lieder mit Klassik-Korsett – so löscht man das Feuer und bayreutifiziert das Ungebändigte. Man verlässt sich auf Gänsehautmelodien und brezelt sie auf mit dem „Apparatus Classicus“ – keinerlei Brechungen, nur Geschmacksverstärker aus Pavlovs Hundehütte!

 

Stunde 1

 

Jetzt also Brad Mehldau, und ein Album voller Beatles-Interpretationen. Gut, ich kenne erste zwei Songs davon, das Lied mit dem Walross, und den herrlich altmodischen Schlenker von Paul McCartney, „Your Mother Should Know“, aus der „Magical Mystery Tour“, tatsächlich der Beatles-Film, den ich, warum auch immer, von ihren „Lustspielfilmen“ am meisten mochte, vielleicht wegen dem Busfahrer Ivor Cutler (ein ganz spannender „storyteller“, und ich hatte fast Tränen der Rührung in den Augen, als ich an der South Bank eine zufällige Begegnung von Robert Wyatt, Alfie, und Ivor erlebte, bei der ich mich diskret zurückhielt. Ivor hatte unvergessliche Spuren auf Robert Wyatts „Rock Bottom“ hinterlassen – and he was such a lovely person (manchmal weiss man sowas auch aus medialer Distanz!). Ich schweife ab.

 

Stunde 2

 

Jedenfalls ist es eine Freude, Brads zwei „Klavierstunden“ zu lauschen. Der Moment, der mich besonders schmunzeln liess: wenn Brad über  „strangeness“ in etlichen späteren Songs der Beatles spricht, und wie unbehaglich er sich anfangs mit „I am the Walrus“ fühlte. Wie gut wird das Album wohl werden, das in der ersten Februarhälfte bei Nonesuch rauskommt – warten wir mal ab. Könnte mal zur Abwechslung ein richtig gutes Jazzopus voller Oldies werden – more sophisticated, please, than just „only tasteful“! Oder vielleicht am Ende doch nur eine ganz nette Geschichte?

 

This entry was posted on Dienstag, 24. Januar 2023 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

13 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Ja! Man sollte die Dinge nicht ihrer Wurzeln berauben.

  2. Henning Bolte:

    Um Alben vom Typ „X plays The Beatles“ hab ich schon immer einen groBem Bogen gemacht. Solche Alben bedienen marketingmäBig bestimmte weniger anspruchsvolle Käufergruppen. Dasselbe gilt für Alben vom Typ „X plays Bach“ etc..

    „X plays B“ ist in meinen Augen generell doof als Titel, künstlerisch gesehen.

    Bill Frisell wählte vor über 10 Jahren titelmäBig einen anderen Weg:“ALL WE ARE SAYING“ (Savoy Jazz (2011), produced by Lee Townsend).Besetzung: Bill, Greg Leisz (steel g.), Jenny Scheinman (vln), the great Tony Scherr (b), selbst ein groBartiger singer songwriter und der herrliche Schlagzeuger Kenny Wollenen! Die Gruppe hat das auch live gespielt und erst war ich skeptisch, aber es stellte ich als wunderbar und so manches Mal magisch heraus. Heisst: es passierte was und machte was.

    Tony Scherr und Kenny Wollenen waren auch in der Band von Musikern aus dem Jazzfeld unter der Regie des unnachahmlichen HAL WILLNER, die 2004 das Leonard Cohen Tribute „I’m Your Man“ spielte: die Gruppe Sexmob um Trompeter Steven Bernstein (my man) erweitert durch Streicher.

    Popsongs finden natürlich im Jazz reichlich und alle Nase lang kreativ Verwendung. Keith Jarrett hat das ja jahrelang mit seinem Standard Trio gemacht. In der jüngsten Geschichte nervt das manchmal vor allem wenn Gruppen meinen, Radiohead Songs oder Björk Sachen spielen zu müssen, um sich interessant zum machen. Es zeigt sich dann klar, dass es sich um unterschiedliche (lebensgeschichtliche ) Energiefelder handelt.

    Eine andere Sache ist aber wenn Jazzmusiker in Rockgruppen etc. mitspielen vice versa. Es gibt da ja eine schöne Serie von Fällen,u.a. Sonny Rollins live bei Leonard Cohen oder Charles Lloyd, der mit den Beach Boys tourte, Don Cherry, der bei Ian Dury and The Blockheads spielte oder Paul Motian, der Teil der Band von Arlo Guthrie auf Woodstock war. Und dann natürlich Joni Mitchell –> Pat Metheny, Jaco PAstorius genaus wie Charles Mingus. Die beiden Felder sind reichlich miteinander verwoben. Etc.etc.

  3. Henning Bolte:

    https://youtu.be/or0rkm6xiig

  4. Olaf Westfeld:

    War mir unbekannt, vielen ! Dank für den Hinweis:
    https://youtu.be/j2T274bXIxU

  5. Henning Bolte:

    https://www.leonardcohenforum.com/viewtopic.php?t=6529

    https://www.discogs.com/release/19078285-Various-Leonard-Cohen-Im-Your-Man-Motion-Picture-Soundtrack

  6. Michael Engelbrecht:

    Erst das Album, dann die Bewertung:)

    Man kann mt jedem Material Grossartiges machen. Wie Coltrane einst ein uraltes Thema hernahm und MY FAVOURITE THINGS daraus machte, und zwar sehr facettenreich, bis free, stete Verwandlung…. Wie schlägt was, sozusagen:)

    Die beiden Piano“Stunden“ von Mehldau sind klug und interessant. Ob er dann auf Strecke mit dem Album mehr die Nostalgie bedient als das Subversive, sprich: Unerhörte, man wird hören.

    Besser als Hancocks New Standards ist es schon jetzt, nach dem Hören von zwei Stücken…

    Frisells Beatles, sie waren nicht meins:)

    Und: einige Jazzer wollen sich nicht interessant machen, wenn sie Radiohead spielen, sie lieben einfach ihre Songs. Und Radiohead Songs sind gutes Futter für spannende Bearbeitungen.

    Aber, back to the Beatles, das hier ist was Feines Dave Liebman 1975 within you without you, eine Weihnachtserinnerung:

    https://www.youtube.com/watch?v=Ubo_v_ghykI

  7. Henning Bolte:

    Keine Sorge! Meine Bemerkungen beinhalten keinerlei Bewertung der Musik des noch erscheinenden Albums von Brad Mehldau.

    Frisells Unternehmen richtete sich auf die Musik von John Lennon.

    In der Tat geht viel im Jazz aus der Bearbeitung von Stücken aus der Populärmusik hervor – bei Charlie Parker wie bei John Coltrane. Selbst „Love Supreme“ hatte ja was mit Richard Rogers zu tun. Erhellung der Gründe für diese verbreitete Praxis bedürfte eines eigenen Beitrags.

    Und, hier noch eine kleine Abschweifung in die andere Richtung:

    https://youtu.be/Cp37NgqlhQ0

  8. Michael Engelbrecht:

    Tolle Summertime-Version…

    Nicht eingängig, aber wundervoll, MINGUS, von Joni. Das ganze Album

  9. Henning Bolte:

    Ja, und ja, Mingus und MINGUS. Die Assoziationskette führt dann zu einem der berühmten Alben, inszeniert von Hal Willner (1956-2020)

    Weird Nightmare: Meditations on Mingus (1992)

    a tribute to Charles Mingus , featuring instruments designed and built by American composer Harry Partch. Mit einer wahrlich bunten Mischung von Mitwirkenden:

    Bill Frisell, Vernon Reid, Henry Rollins, Keith Richards, Charlie Watts, Don Byron, Henry Threadgill, Gary Lucas, Bobby Previte, Robert Quine, Leonard Cohen, Diamanda Galas, Chuck D, Francis Thumm, Elvis Costello

    Willner mischte, vereinte in seinen Albuminszenierungen immer Musiker aus beiden Sphären. Merkwürdigerweise gab es auf „Weird Nightmare“ keine Mitarbeit von Joni Mitchell

  10. Michael Engelbrecht:

    Hal Willner, von Covid erwischt.

    Und er war wesentlich beteiligt an enem meiner liebsten Frisell-Alben, UNSPEAKABLE…

  11. ijb:

    Die Lennon-Platte von Frisell fand ich tatsächlich auch nicht so bemerkenswert. Da hat der gute Mann, finde ich, doch schon einiges Reizvolleres an Pop- und Rock-Covers gespielt. Seine zehnminütige Version von Madonnas „Live to Tell“ auf dem wunderbaren Album „Have a Little Faith“ ist z.B. super. Aber auch so manches, was er in den letzten zehn Jahren gemacht hat. Richtig grausig fand ich allerdings die – leider wohl letzte – Platte von Herbie Hancock mit seinen Lennon-Verschnitten. Entsetzlich. Seine Joni-Mitchell-Hommage-Platte hat dagegen immerhin noch eine ganz gute Ausbeute von mindesten 50% hörenswerten Stücken. Speziell der Song mit Leonard Cohen.

    Mehldau hat sich in der Vergangenheit ja schon einige Male als inspirierter Beatles-Songs-Interpret erwiesen. Ich habe die meisten seiner vielen Alben mit Pop- und Rock-Covers, und da sind wenige „Fehltritte“ dabei – aber viele Höhepunkte. Radiohead hat er ja besonders häufig gespielt; und ich finde, die sind eigentlich alle gelungen. Die 4-CD-Box mit gesammelten Solo-Live-Performances aus zehn Jahren halte ich da für besonders empfehlenswert. Da sind sogar gleich zwei Solo-Versionen von Radioheads „Jigsaw“ enthalten.

    Ich find’s allerdings immer wieder faszinierend, dass Radiohead bei recht vielen Jazz-Interpretationen erstaunlich gut funktioniert. Selbst bei Julia Hülsmann hat’s gut funktioniert.

    Hancocks „New Standards“ ist kein Meilenstein, aber ein paar schöne Sachen sind dabei. „Thieves in the Temple“ (Prince) z.B.
    Es ist komisch, dass er seitdem nur noch Cover-Alben gemacht hat. So schade. Nach dem „New Standards“ dann ja mit immer mehr und mehr singenden Stargästen… da ist viel Mittelmäßiges dabei.

    Apropos Charles Lloyd: richtig großartig finde ich sein Album mit Lucinda Williams (und Bill Frisell obendrein!), „Vanished Gardens“. Die Neuinterpretationen von Lucinda Williams Songs sind soo toll, vor allem das 12-minütige „Unsuffer Me“, überhaupt eines meiner sehr vielen Lucinda-Favoriten (und sie hat es vor knapp zwei Wochen auch beim Berlin-Konzert gesungen!).

  12. ijb:

    Apropos Hal Willner: Der hat, so erzählte Frisell mir, ja dafür gesorgt, dass Bill bei mehreren Lucinda-Alben mitspielte. Und auch auf Marianne Faithfulls „Strange Weather“, wo er der einzige auf allen (?) Songs vertretene Musiker der Songsammlung ist.
    Auch ein sehr tolles Album (mit vielen Covers, u.a. Dylan), nicht zuletzt auch wegen Frisell, der sogar eine kleines Intro geschenkt bekam auf der Platte.

  13. ijb:

    Brad Mehldau Trades Bach for the Beatles
    The jazz pianist wanders among his old West Village haunts and bumps into a band buddy who owes him cash.

    He had the touch of Bill Evans and the range of Keith Jarrett, but he became known, perhaps above all, for his renditions of canonical rock songs: Radiohead, Jeff Buckley, Neil Young, and, always, the Beatles (a head-spinning solo version of “Martha My Dear”; a fifteen-minute “And I Love Her”; “Mother Nature’s Son” on vibraphone).

    “I always had people telling me, ‘You ought to do an all-Beatles album,’ or ‘You should do the pop American songbook,’ but it felt forced.” He had no qualms about playing the songbook; the jazz greats have always done that. He worried about pandering. “There’s a self-conscious inner voice: ‘See, there he goes with the covers again,’ ” he said. “But, with the right source material, the more you take it apart, the more it opens up.”

    https://www.newyorker.com/magazine/2023/01/30/brad-mehldau-trades-bach-for-the-beatles


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