Sich gegenseitig ausschliessende Gegensätze wie die von frei/ungestüm/multiphonisch/verzerrt und leise/lyrisch/schwebend/ verfeinert/temperiert gehören bei jüngeren, aber auch bei nicht wenigen älteren Musikern im Bereich kreativer Musik schon länger der Vergangenheit an. Das gehört wohl zur Entwicklungsdialektik und zum Drang der Kunst, Grenzen/Schranken kreativ zu überwinden. Neue Ausdrucksweisen, die von einer Generation erobert und kultiviert wurden, sind für nachfolgende Generationen ‚leicht‘ übersehbar und beherrschbar und können dann unvoreingenommen(er) (in neuen Kontexten) eingesetzt werden. Weiters sind Musiker jüngerer Generationen auch in der Lage, in verschiedenen Domänen zu agieren, die sich früher weitgehend ausschlossen.
Sogenannte extended techniques im instrumentalen wie im vokalen Bereich finden nach ihrer Eroberung und Etablierung zusehends Verwendung als funktionale Expressionsmittel, d.h. nicht die tonale Zuspitzung oder Überspitzung und Entgrenzung an sich ist der Ausdruck, sondern ihr Einsatz zum Ausdruck eines Gefühls, einer Stimmung, eines inneren Konflikts etc.in einem Narrativ. Der Einsatz von Elektronik hat dazu geführt, dass akustische Instrumente heute anders gespielt werden (können) und andere tonale Bereiche erobert haben. Mitunter können akustische Instrumente heute elektronischer klingen als elektronische Devices usw.. Auch der Gegensatz zwischen Kompositionen und Improvisation wandelt sich im produktiven Wechselspiel zwischen beiden.
Eine ganze Reihe von Extended Techniques wie Live-Elektronik, die im Jazzbereich üblich sind, sind von Komponisten wie Luigi Nono und Karlheinz S entwickelt worden. Naja, und die Geschichte der Musiker von Can, die den Schlüssel zur elektronischen Wunderkammer beim WDR hatten und nachts dort rumwerkeln durften, dürfte bekannt sein. Auch die Geschichte, dass Karlheinz S nicht so auf Rockmusik zu sprechen war, aber im Blindfold-Test umstandslos Stücke von Can ausmachte und guthieß. Das sind dann Gegensätze, die produktive, fruchtbare Übergänge zeitigen können.