Manafonistas

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2023 3 Jan.

335 Langspielplattengedichte

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 

Als Enrico Ruaz 2014 in Madrid seine „335 Langspielplattengedichte“ – genau das war der simple spanische Titel – veröffentlichte, bekam er einen der höchsten spanischen Lyrikpreise dafür und grosse Anerkennung. Bis heute der bestverkaufte Lyrikband des 21. Jahrhunderts in Spanien mit rund 50,000 Exemplaren. Er hatte selbst zuvor über Jahre für „El Pais“ Woche für Woche Plattenrezensionen geschrieben (nur Vinyl wurde von ihm besprochen) und war es leid, immer wieder über eigene, mitunter stereotype Formulierungen zu stolpern. Die Titel der Gedichte trugen allein den Namen des jeweils gewählten Albums, dahinter in Klammern der Name des Künstlers und das Erscheinungsjahr. Eine tolle Idee und einige tolle Gedichte, die eine und andere Übersetzung habe ich mit Freude gelesen. Nicht nur erlaubte ihm diese Form eine andere sprachliche Anmutung – er trieb seine Freiheit so weit, dass er etwa auf Muito von Caetano Veloso, einen Songtext des Albums hernahm und damit, singend, die Eingangshalle des Prado „erfreute“ – die mitgeschnittenen Reaktionen einiger Passanten wurden Teil des Poems. So entfernt sich manches Gedicht von dem Objekt einer „Besprechung“, aber Ruaz stellte in einem Interview mit einem On-Line-Magazin dar, dass es sich allein um Lieblingsplatten handelte, um „Objekte des täglichen Gebrauchs“ – von Joao Bosco bis Codona, von 13th Floor Elevator bis Klaus Schulze. Ich habe die Gedichtform auch immer wieder mal gewählt für ein Album, aber daraus gleich so ein literarisches „opus magnum“ zu machen, auf diese Idee kam ich nicht. Und jetzt wäre es nur, wie sagen es die Engländer so schön, ein „rip-off“! Einmal sprach ich mit Konrad Heidkamp über eine anstehende Rezension (war es ein Album von Labradford?) und er sagte mir sinngemäss: „Wenn ich nichts über die Band finde, ausser Plattitüden, bleibt nur die pure Lyrik.“ Enrico Ruaz hat von 2000 bis 2012 an diesem opulenten Band gearbeitet, und viele der Texte haben Eingang in moderne Formen des Kunst- und Musikunterrichts gefunden.

 

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