Manafonistas

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2022 31 Dez

Die Klanghorizonte vom 30. März

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Was Höhen – und Breitengrade sowie Stilfragen angeht, liegen die Soundwelten dieser Stunde weit auseinander, und doch ist nichts wild zusammengewürfelt! Zwölf Alben, zwölf Horizonte. Am Mikrofon begrüsst Sie Michael Engelbrecht. Wir beginnen mit dem neuen Album der „roots-bewussten“ wie radikalen irischen Folkband Lankum, und landen schlussendlich in einer Berliner Dubwerkstatt mit dominikanischen Wurzeln. Genug der Vorrede. Ich habe Ian McLynch von Lankum nach ihrer Handhabung irischer Überlieferungen gefragt, und wieso das Werk, als wäre es eine Fälschung, „False Lankum“ heisst.

OTON (1) – Ian McLynch (Lankum) – Der Titel False Lankum ist der Originaltitel des Songs, von dem wir unseren Bandnamen übernommen haben. Und der Grund, warum wir diesen Titel für das Album gewählt haben, ist, dass er alle möglichen Fragen aufwirft… Was ist das wahre Lankum.  Sind wir das wahre Lankum, oder sind wir das falsche Lankum?  Ich glaube nicht, dass es so etwas wie Reinheit gibt, wenn es um traditionelles Liedgut geht. Selbst die Instrumente, die man heute in der irischen Tradition sieht, gab es nicht immer. Wenn man 50 Jahre zurückgeht, dachten einige Leute, Mandoline und Bouzouki seien ein Gräuel für die irische Tradition. Vor 150 Jahren meinten einige Wächter der Kultur, irische Musik bestehe nur aus Flöten  und Fiedeln. Geht man 200 Jahre zurück, gibt es hier keine Fiedel. Es ist eine Geschichte der ständigen Bewegung und der Einflüsse aus anderen Ländern. Also: sind wir hier, um die Tradition zu retten, oder sind wir hier, um die Tradition zu zerstören, oder sind wir vielleicht Jonas, der aus dem Schiff geworfen werden muss.“

M1 Lankum: Netta Perseus

Mod 2 – „Netta Perseus“, aus dem Album „False Lankum“ von Lankum. Die Auswahl der „traditionals“ und eigene Stücke nahmen erste Form an im Martello Tower in Dublin, als Covid die Insel massiv lahmlegte.  Hinreissende Lovesongs wechseln mit dunklem Horror ab. Erdtöne, „Drones“, mischen sich in oft kühne Versionen alter Stoffe. So wie das Meer in viele Songs von Lankum reinspielt, so finden sich Naturklanginsprationen auch im 25. Album von Stephan Micus für  ECM Records.  Seit den Siebziger Jahren Labels erscheint  da dort seine  vielschichtige  Meditationsmusik. Ein Klangsucher, ein Globetrotter. Mittlerweile  70 Jahre alt,  bringt  Micus einmal mehr Instrumente aus diversen Erdwinkeln zusammen, und baut sie mitunter nach eigenen Vorstellungen um. Auf dem folgenden Stück der – den Donnergöttern gewidmeten –  CD „Thunder“,  sind zu hören, alles im Alleingang eingespielt: drei Sarangi, zwei Basszithern, und eine Nickelharpa. Fraglos spirituell befeuerte Musik, aber auch ohne Chi Gong und Feng Shui kann man sich in diese Klänge fallen lassen. „A Song for Zeus“.

M2 – Stephan Micus: A Song For Zeus

M3 – SUSS: Flagstaff, AZ

Mod 3 –  Nach Stephan Micus’ THUNDER eine Gruppe von Spezialisten für Nachtfahrten über endlose amerikanische Highways. Das New Yorker  Trio SUSS hat  sich „Country Ambient“ in ihr Programm geschrieben, und greift auf Einflüsse  zurück, die leicht übermächtig werden könnten – werden sie aber nicht: etwa „Paris, Texas“, Ry Cooders geniale Filmmusik. Oder Brian Enos Ambient-Opus APOLLO, ein Weltraum-Trip mit schwebenden Pedal Steel-Gitarren-Momenten. SUSS liefern ihre Art von „Ambient Americana“ ab mit Dobros, Mandolinen, „field recordings“ und alten  Synthesizern im Gepäck. Wir hörten daraus „Flagstaff, Arizona“ – so manche Städte erhalten hier ihre kleine Nachtmusik.  

 Städte hatte auch der Trompeter Jon Hassell im Sinn, als er 1990 sein Album CITY: WORKS OF FICTION veröffentlichte. Mit seinem verwandelten Trompetensound träumte er von „coffee coloured classical music“, er übertrug Elemente der Gesangslinien des Raga von Pandit Pran Nath in sein  Spiel. Im magischen Realismus von  Italo Calvinos „Die unsichtbaren Städte“ fand er ein literarisches Echo seiner Visionen für CITY WORKS OF FICTION.

Nach Jon Hassells Tod im Juni 2021  erschien nun Musik aus seinem Nachlass – und  was für eine fantastische Edition ist das denn!?  Entweder auf Vinyl die  zwei Doppelalben  „Psychogeography“ und „The Living City“, oder alles zusammen als Doppel-CD,  „Further Fictions“. Musik, die um  das Album von 1990 kreist. Verblüffende Versionen, ganz andere Sphären – und sicher keine Resteverwertung! Alles angereichert mit  Begleittexten der beteiligten Musiker. Aus „Psychogeography“ hier das Stück  „Cuba Libre“ es folgt ein Ausschnitt aus einer alten Deutschlandfunk-Sendung, eine  Interviewpassage  aus dem Jahr 1990:   Jon Hassell erzählte, wie sein Weg vom Nildelta zu den unsichtbaren Städten führte…. 

M4 – Jon Hassell: Cuba Libre

OTON (2) – Jon Hassell in meinem Interview vom Mai 1990, London – „Wenn wir  also in  Städten leben, sollten wir es auf rechte Weise tun. Es gibt ja leider die Tendenz, spirituelles Denken immer mit Ruhe und Stille zu verbinden. In der Vergangenheit habe ich mich oft nach exotischen Orten umgeschaut, aber was passiert,  wenn ich meinen  eigenen Hinterhof betrachte und dort die Verknüpfungen suche. Einige Richtungen führen zur Rap-Musik, in der sich eine neue Art folkloristische Musik aus Materialien bildet, wie sie in der Stadt zur Verfügung sind. Da gibt es eine starke Verbindung zum „Griot“, der afrikanischen Tradition des Geschichtenerzählens. Darum geht es, Dinge aus Dingen entstehen zu lassen, die um dich herum sind, wenn du erwachst: im Urwald sind das der Gesang der Vögel, die fremden Farben, Farben, Haut und Steine im städtischen Dschungel sind es Samples von James Brown, Bruchstücke hiervon und davon.“

M5 – Jon Hassell: Itura

Eine Passage aus MASHUJAA, aus Jon Hassells „The Living City“, aufgezeichnet im September 1989 im  New Yorker „Winter Garden“. Jon Hassells langjähriger Weggefährte Brian Eno sorgte mit seiner Live-Mischung für etwas Besonderes: so, wie er Sounds des brasilianischen Dschungels in die Musik einarbeitet, Stimmfetzen von0 Eingeborenen, exotische Vogelstimmen, entsteht  eine Art  „Dschungelvariante“ von Hassells urbanen Visionen.

M6 –  Brian Eno: Forever Voiceless

Als im letzten Herbst Brian Enos Songzyklus FOREVERANDEVERNOMORE veröffentlicht wurde, gab es da auch in einigen Momenten Vogelstimmen,  doch, passend zu der vielstimmigen Meditation über einen massiv bedrohten Planeten,  waren diese Vogelstimmen mitunter „deepfake“, elektronisch entwickelt. Wie Erinnerungen an ausgestorbene Vogelarten. In betörend-verstörenden Songgebilden wechselten immerzu Passagen der Hoffnung mit existenziellem Pessimismus.  Zeitgenössische Lamentos.  Und nun erscheint am 22. April, am „Record Store Day“, als Schallplatte und Download, die rein instrumentale Fassung,  ohne Brian Enos Gesänge. Der Titel: FOREVER VOICELESS. Die Stimme verschwindet aus den Landschaften, die Wirkung bleibt vielschichtig, unheimlich, beschwörend.

 

M6 – Fortsetzung  Brian Eno: Forever Voiceless

M7 – Roger Eno: Still Day

Nach FOREVER VOICELESS von Brian Eno, das Stück  „Still Day“ aus der ebenfalls in der zweiten Aprilhälfte erscheinenden LP „Rarities“ von Roger Eno. Alles andere als ein Nachklapp zum letztjährigen Album THE TURNING YEAR. Spuren der  Spätromantik treffen  auf Zeitgenössische Ambient Music. Eine Veröffentlichung der Deutschen Grammofon Gesellschaft.

Das australische Trio The Necks ist wie Enos Ambient Music darauf aus, eine bestimmte Textur über einen langen Zeitraum zu umkreisen. In der Grundausstattung sind Chris Abrams, Lloyd Swanton und Tony Buck ein Piano-Bass-Schlagzeug-Trio, aber jederzeit imstande das Instrumentarium zu erweitern, und mittels behutsamer „Post-Production“ ihre Texturen zu verdichten. Nun gibt es dieses Trio seit 1986, und sie  schaffen es einfach nicht, langweilig zu werden: es gibt kaum einen besseren Einstieg in die Welt der Necks als die vier Klangreisen der CD bzw. Doppel-LP TRAVEL. Eine Passage aus dem Stück „Imprinting“ mag ausreichen, eine Vorstellung davon zu vermitteln, das Ausdrücke wie „Trance“ und „Hypnotisch“ für die Tiefenwirkung ihrer Musik keine leeren Worthülsen sind. Wie bemerkt doch der englische Musikjournalist und Buchautor Richard Williams: „Asketisch im Umriss, aber durchdrungen von einer warmen Menschlichkeit, sind ihre Stücke gespickt mit kleinen Offenbarungen auf dem Weg zu einem größeren Gefühl der emotionalen Erfüllung.“

M8 – The Necks (Imprinting)

 

OTON (3) Chris Abrahams –  „Ich habe nie  die Absicht, bestimmte Situationen in der Natur zu imitieren oder klanglich zu gestalten. Dennoch glaube ich, dass es eine starke Verbindung zwischen der sich scheinbar wiederholenden und allmählich modulierenden Natur eines Großteils der australischen Landschaft und der Musik gibt, die wir machen. Ich sehe auch eine Verbindung zwischen mir und Lloyd und Peter, die wir alle an den Ufern des Pazifischen Ozeans aufgewachsen sind, und den ästhetischen Entscheidungen, die wir treffen.“

 The Necks,  ihr Album TRAVEL, und ein Auszug aus einer Email von  Chris Abrahams  – wir haben es in den Klanghorizonten heute mit dem Meer, dem  Reisen. Und mit Doppelalben… willkommen im Land von Aksak Maboul. Marc Hollander und seine Partnerin Veronique Vincent haben der unberechenbaren Historie der „Prog-Punk-Combo“ aus Brüssel ein weiteres Kapitel zugefügt, die Doppel-LP und  CD „UNE AVENTURE DE VV (Songspiel)“. Und das auf dem legendären Label für abenteuerliche Stilkreuzungen MADE TO MEASURE, das Marc Hollander früh in den Achtziger Jahren gründete und vor kurzem wiederbelebte. Gleich wird er etwas zu seiner Vita und seiner Lust and der Collage erzählen – zuerst aber der recht ruhige Auftakt einer wilden Fahrt, Aksak Maboul, UNE AVENTURE DE VV, mit einer Story ganz in der Tradition des Surrealismus.

OTON (4) –   Eine Figur namens VV klettert aus dem Fenster ihres Zimmers. Sie merkt, dass sie nicht mehr sprechen kann und geht auf eine lange Wander-Reise. In einer orangefarbenen Hütte schläft sie ein und wird mit einem wahren Wortsturm zerstreuter  Buchstaben konfrontiert. Sie verlässt die Hütte und folgt Blutspuren im Sand. In einem Wald wird sie in einen Austausch verwickelt mit einer Reihe an nicht-menschlichen Wesen wie Vögeln, Bäumen oder Felsen.  Gemeinsam mit einer Verbündeten zerstört sie  sie eine physisch wie symbolisch riesige Mauer.  VV dringt in eine, auf keinen Landkarten eingezeichnete, Todeszone ein, die sie in Begleitung ihres Schattens erforscht. Während ihrer Reise kreuzen sich VV‘s Wege mit denen literarischer Geister, bis sie in einer Stadt ihre Sprache wiedererlangt und eine Tür aufstößt….

M9 – Aksak Maboul: track 1, 2, 3 (Anfang)

OTON (5) – Marc Hollander –  Tatsächlich sind meine Limitierungen als Musiker nicht so sehr technischer Art, obwohl es technische Begrenzungen gibt… ich habe nie eine Form von Harmonielehre studiert, ich lernte nie wie viele andere Songs der  Beatles auf der Gitarre zu spielen, ich erfand Sachen, indem ich einfach am Klavier spielte, und schuf so mein kleines System der Harmonien, die also einen recht naiven Ausgangspunkt hatten.  Das wurde mir klar, als ich eine Zeitlang Jazz spielte, aber das funktionierte nicht im „old school“-Sinn. Als ich mein erstes Album machte, ONZES DANSES POUR COMBATTRE LA MIGRAINE, das Aksak Maboul Debut von 1977, wurde mir klar, das ich viele kleine Impressionen von allen möglichen Stilen verwenden konnte, die ich mochte. Ich kreierte ganz eigene Vignetten. Es klappte gut.  Aber es kam die Zeit, da hörte ich 30 Jahre lang auf mit der Musik,  und als ich zu Beginn der Pandemie neu ansetzte, auch mit der Fortführung meiner alten Musikserie MADE TO MEASURE, machte ich eine interessante Entdeckung: denn ich hatte mich mit der ganzen neuen Musik-Software anzufreunden, nichts davon gab es in meinen jungen Jahren. Aber nun knüpfte ich an das Alte mit neuen Mitteln an – diese  Collagen lagen  mir, diese Improvisationen, und dann die Improvisationen herzunehmen und mit ihnen  etwas zu konstruieren.“

Marc Hollander in eigener Sache. Im Hintergrund ein Klassiker seiner „Made to Measure“-Reihe,  „LA DOUXIEME JOURNEE“ von Stephen  Brown und Benjamin Lew aus dem Jahre 1982, unlängst neu aufgelegt. Nun zu einem  Album, das seinen Sinn für das Phantastische abermals mit dunklen Realitäten mischt. Es gibt auch auf der Cd/Lp THEORY OF BECOMING des in Paris lebenden Komponisten Evgueni Alperine einen verwunschenen Wald, den Menschen wegen eines Fabelwesens namens Loplop, halb Mensch, halb Vogel, nur auf eigene Gefahr durchqueren.

Evgueni Alperine, ein Komponist mit russischen und ukrainischen Wurzeln  hält in zehn konzentrierten Kompositionen Horror bereit, Trost, Verwandlung. Einmal die Geschichte einer Stadt im Krieg, dann  Kinderliedartiges aus alter Zeit, dann ein elektronischer Puls, wie ein Soundtrack für einen Jules Verne-Roman. Wir begegnen, wenn ich einzelne Titel als lockeren Leitfaden hernehme, unter anderem einer „kalten Front“, dem „Brief eines Verschwundenen“, einem Szenario „nach dem Sturm“. So divers die Themen, so beeindruckend, dass alles wie aus einem Guss erscheint. Was diese asketisch angelegten Stücke verbindet, ist das Gespür für Wandlungen, für Spuren von Licht in finstersten Zonen. Sowas kann leicht danebengehen, als angestrengtes Grosskunst-Brimborium. In diese Falle tappt Evgueni Alperine nicht.

Das Werk trägt zudem die Signatur „produced by Manfred Eicher“. Als etwas stillere Präsenz war zudem der Alperine aus Bildern von Max Ernst vertraute  seltsame Vogel Loplop zugegen, in den Pariser Studios. Und der kennt die rasanten Flüge, raus aus den Komfortzonen behüteter Hochkultur, hinein in all unsere Wildnisse! La lettre d’un disparu, Der Brief eines Verschwundenen.

M10 – Evgueni Alperine: La lettre  d’un disaparu

Evgueni Alperine und das Album THEORY OF BECOMING. Der Kreis dieser Stunde schliesst sich mit der ab morgen als Download und Doppel-LP erhältlichen Arbeit  TIKIMAN VOL. 1 von Paul St. Hilaire. Wer an den äusseren Rändern des  Reggae- und Dub-Kosmos interessiert ist, kennt das Berliner  Gespann Ernestus & Von Oswald, das in den Neunziger Jahren an Verschmelzungen von Dub und Techno arbeitete, mit der Formation Rhythm & Sound: da wirkte auch ein gewisser „Tikiman“ alias Paul St. Hilaire mit.

Der einst aus der Dominikanischen Republik nach Berlin ausgewanderte  Klangkünstler legt nun ein erstaunliches Werk vor. Klappt man das von eisigen Blautönen dominierte Gatefold-Cover der Doppel-LP auf, scheinen die abgedruckten Texte fast unleserlich, wie vom Hintergrund verschluckt. Teilweise sind sie spiegelverkehrt. Und genau das gehört  ja zu den Betriebsgeheimnissen des Dub: Sprache wird Sound, und so manch fragmentierte Botschaft driftet durch einen unendlichen Raum.  In einem Track nimmt der Text schon fast epische Ausmasse an:Mister, Mister, where are you going… Ich breche  auf zu einem weit entfernten Land..was hast du in der Tasche in der Hand… helfe uns zu verstehen…  Er sagte, ich habe mein Bett in meiner Tasche.“

 Um Exil und Entwurzelung und Einsamkeit  geht es  AUCH auf  Paul St. Hilaires Arbeit  TIKIMAN VOL. 1 – genauso wie  um tanztaugliche Meditationen. Auf dem letzten Track des Albums ist die Fantasie des Hörers gefordert: „Three And A Half“ ist rein instrumental: spielen da „field recordings“ von Wellen hinein, die auf eine menschenverlassene Küste prallen? Wellengeräusche in der Musik, meist Stoff zum Träumen, hier aber tendenziell unheimlich. Oder ist all das, was wir hier hören, rein elektronisch fabriziert? Am Mikrofon bedankt sich Michael Engelbrecht für Ihre Aufmerksamkeit.

M11 – Paul St. Hilaire: Three and a half  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2022 31 Dez

Das Winterquiz der Manafonisten

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„Satie-eske Klavierminiaturen mutieren zu Acid-House-Basslines und phasenhaftem Minimalismus im Stil von Steve Reich; Field-Recordings werden mit Schrottplatz-Jazz gemischt; ein Strawinsky-artiges Sperrfeuer aus dissonantem Klavier mutiert zu einem pulsierenden Latin-House-Groove. Ein atemberaubender Klanggenuss.“

 

 

2022 31 Dez

Ein Manatreffen in Berlin

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Vom 22. bis 25. Oktober werden, nach Lage der Dinge, Ingo, Alex, Olaf und ich in Berlin sein. Alle, die im Oktober unter dem Banner der Manafonisten segeln, sind zu einem Meeting eingeladen. Wir werden voraussichtlich vor dem Eno-Konzert (oder wann auch immer) einen Power Spot aufsuchen, und den Dingen und Gesprächen ihren Lauf lassen. Realistisch rechnen wir mit einem Quintett, Quartett oder Trio. But who knows?

 
 

It’s a fever dream, a nightmare, a fairy-tale, a detective story, an end times story (settled in 1998), a mother-son-story, a father-son-story, a lovestory (no, several ones, but there’s a main one). It’s about friendship, about love and sex („I’m perfectly able to seperate sex from love.“ Says David Boring). It’s about being captivated by a specific feminine ideal and a research where it comes from, it’s about the meaning of life. There’s the narrator’s (David Boring’s) point of view, and sometimes an omniscient point of view (A flaw? Against the law? Nope!). Childhood memories. A remedy. A comic book, torn to pieces. Two appearences of God. Clowes writes like water, as Chris Ware said, and he draws like nature. A considerable portion of the general unconscious. David Boring by Daniel Clowes. I love this work of art.

 
 

2022 31 Dez

The Parsonage Melodies

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Albums können wie Freunde sein, die man gerne ums sich hat und denen man gerne zuhört. In deren Musik man sich zuhause fühlt. Dieses Duo Album ist so eins. Ich höre sie gerade zum soundsovielsten Male seit Tagen, was schon ungewöhnlich ist und sich auch nicht abstellen lässt. Es geht eine wohltuende Ruhe von den Klängen aus, die alle Substanz haben. Ein intimes, wohlklingendes Duo von akustischer Gitarre und Kontrabass. Beim ersten Hören wusste ich nichts über den Hintergrund der Musik. Sie kam mir in der melodiösen Leichtigkeit vertraut vor. Manchmal erinnerte sie mich an Jakob Bro und Thomas Morgan, manchmal hörte ich Echos von Django Reinhardt.

 
 

 
 

Die Klänge sind einladend und singend beschaulich im besten Sinne, vermitteln Einigkeit mit dem Moment des Spielens und den Reminiszenzen, aus denen heraus die Musik entsteht und mit denen die beiden Musiker verbunden sind. Die Musik ist einfach schön, stark und sehr anwesend. Sie entspringt, wie man lesen kann, den Landschaften von Nord-Jütland. Hasse Poulsen, der seit Jahren in Frankreich lebende und arbeitende Däne und findet sich hier zusammen mit seinem langjährigen musikalischen Freund Henrik Simonsen, mit dem zusammen er in Sturm- und Drangzeiten der Welt vielgestaltig auf den Leib rückte. Das macht, dass sie bei inzwischen erreichter Reife so konzentriert und leicht miteinander spielen können. Ja, und das Album ist auf dem Label der Gruppe Das Kapital herausgekommen, der formidablen Gruppe von Poulsen mit Schlagzeuger Edward Perraud und Saxophonist Daniel Erdmann. Auch über die lieBe sich etwas sagen. Demnächst mal! 

 

I haven’t listened to a lot of new music this year, instead opting to make more music and transcribe tunes and learn them. Here are just a few that have caught my ear and also a random short list of television shows that have gotten me thru a fraught year.

 

    1. Ruins and remains- Wolfert Brederode
    2. Isabela – Oded Tsur
    3. Benjamin Lackner- Last Decade
    4. Fossora – Bjork
    5. Steve Reich – Runner
    6. Julia Hulsman – The Next Door
    7. Vermillion – Kit Downes
    8. Charles Lloyd – Ocean trio (saw them a few months back – mesmerizing.)
    9. Aaron Parks – Volume 1 and Volume 2 (superb pair of trio albums)
    10. Esborn Svensson – Home S (short album of found files of Esborn improvising solo piano. An incomplete but compelling glimpse of another side of this underrated pianist and what could’ve been…)
    11. Daydream – Alan Pasqua (possibly released in 2021)  -Beautiful solo album of standards- gorgeous recording as well
    12. Jakob Bro/Joe Lovano – Once Around the Room

 

 

Remasters/re-releases:

You Must Believe in Spring – Bill Evans (excellent remaster of a perfect album.)

Revolver -Beatles (a great remix that pays homage to the original mix but ,makes everything clearer and punchier. Extras are great too, but no surround mix, except streaming Dolby Atmos, which I don’t have access to yet.)

Shows:

Severance (Apple TV) – strikes an incredible balance between sci fi thriller and social commentary while retaining a dark, sly sense of humor. Simply brilliant

Station 11 (HBO Max) – excellent good adaptation of the book. Differs greatly from the book in all the right ways. (Could be from 2121)

Ramy (Hulu) simply one of the most innovative, freshest shows on television. Whatever it is, it isn’t just a comedy, although there are plenty of laughs. Many episodes are purely dramatic. Takes the viewer into worlds most don’t have access to. Courageous writing. Reinvents itself almost in every episode. This year’s Season 3 was the best yet.

Handmaids Tale (Hulu) – Finally caught up thru the 5th Season. Slow moments but redeems itself towards the end of the season. Continues to be a Great show.

 


Besondere  Momente passieren zuweilen, wenn sich, bei der Gestaltung des JazzFacts-Magazins, (fast) alle Teile wie Mosaiksteinchen ineinander fügen. Einen frischen Wind (von nicht so naheligender Seite) bringt Niklas Wandts Beitrag über ein ungarisches Jazztrio, angeblich mit dezenten Anklängen Richtung Prog Rock. Der andere Beitrag von Karl Lippegaus befasst sich mit einer neuen Biografie von Albert Ayler.

A propos „Free Music“: Zu der „woman power“ der JazzFacts vom 12. Januar (Deutschlandfunk, 21.05 Uhr) zählt u.a. das hochspannende Soloalbum der Sängerin und Pianistin Maggie Nicols „Are You Ready“ (das übrigens auch einen Albert Ayler gewidmeten Song enthält – sie ist Jahrgang 1948, war schon 1971 auf dem jüngst wieder aufgelegten Klassiker „Septober Energy“ von Keith Tippetts „Centipede“ dabei – und wo war eine ihrer frühesten Stationen – im Moulin Rouge. Und wenn es klappt mit der Zeit, bringe ich  noch die „Schwarzwaldfahrt“ von Brötz und Bennink unter.)

Drei neue Alben von ECM Records gibt es im Januar, einmal von Mette Henriettes Trio (ts, p, cello), resp. ihrem Album „Drifting“ (ein perfekter Titel!), dann  „A Short Diary“ von Sebastian Rochford, aufgenommen im alten Haus seiner Kindheit in Schottland, und das aus guten Gründen. An seiner Seite der Pianist Kit Downes. Mette und Sebastian habe ich zu ihren Arbeiten befragt.

Das dritte ECM-Album  stammt von dem Bassisten  Anders Jormin und präsentiert eine spannende Verbindung von Lyrik und Jazz, von Improvisation und Folk. Neben der Sängerin und Violinistin Lena Willemark ist auch eine japanische Musikerin an der 25-saitigen Koto mit von der Partie. Die Bandbreite der Lyrik reicht weit, von Tomas Tranströmer über Octavio Paz bis hin zu Lena Willemark selbst (alle Texte liegen in englischer Übersetzung bei). Gesetzt ist, was das weite Feld des skandinavischen Folk-Jazz betrifft, (und als äusserer Rahmen dieser Jazzstunde) auch Uusi Aika aus Finnland. Was Tiefenentspanntheit und traumverlorene  Soundpoesie angeht, könnten sie sich für den nächsten Film von Aki Kaurismäki bewerben. (Update am 12. Januar, 19.00 Uhr – natürlich kann sich jederzeit noch etwas ändern.) 

 

Der Baum des Lebens ist ein lange verschollenes Album, das 1999 nur für den japanischen Markt produziert wurde und über diesen heraus nie bekannt wurde. Das zweite Soloalbum der japanischen Percussionistin Midori Takada beginnt direkt mit hypnotischen Marimbas in einem fremdartigen Rhythmus, der von Stück zu Stück mehr eine Geschichte erzählt als ein Musikstück sein zu wollen, der atmet, ganz fein in den Tempi schwingt, oszilliert, ohne einen musikalischen Halt anzubieten. Eher eine fortlaufende perkussiv-melodische Struktur, die den Hörer in Parallelwelten des eigenen Bewusstseins entführt und ganz im Augenblick gebannt zu halten vermag.

Das Album besteht aus zwei Teilen: dem ersten, in dem Midori Takada alleine mit Marimbas, Bells und Drums tranceinduzierend fast schamanistische Grundlagenarbeit leistet, aus gewohnten Mustern ganz beiläufig herausführt und die Aufmerksamkeit fixiert und dem zweiten, in dem sie zusammen mit dem chinesischen Erhu-Spieler Jiang Jian-hua die Trancen auf neuen Pfaden wandeln und den faszinierten Geist verführen lässt. Hier werden keine esoterischen Klischees bedient, keine ausgetretenen folkloristischen Pattern zitiert, sondern eine Kunstmusik aus dem hyperkulturellen Raum geschaffen, leise und hypnotisch, unprätentiös und immersiv. Für das Reissue ist das Album noch einmal völlig neu abgemischt und gemastert worden, was zu einem beeindruckend transparenten und klaren Klang führt. So ist Tree of Life ein wahrhaftiger Lebensbaum, ein Weltenbaum und hochkarätigstes Juwel moderner experimenteller japanischer Musik.

 

 

 

2022 27 Dez

Ein Sommer im Wildbahnweg (1)

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So begeisterte sich Ian McEwan für L.P. Hartleys „Ein Sommer in Brandham Hall“, dass er sich im Laufe seines Lebens immer wieder an das Buch erinnert fühlte und die darin sich entfaltende „Atmosphäre der Sehnsucht nach vergangenen Zeiten und kindlicher Unschuld.“ Ob mit dem Briten da ein paar Gäule durchgegangen sind, frage ich ich mich schon nach 80 Seiten, denn eins ist mal gewiss: eine Menge kindlicher Durchtriebenheiten und Seelenschmerz pur erfährt und erleidet bis dahin schon unser Protagonist mit Namen Lionel (den er selbst als „überkandidelt“ empfindet). Natürlich gibt es auch rauschhafte Erfahrungen des Kindseins, des Heranwachsens: beim Versinken in diesen Seiten aber ahne ich, dass für beinah jede Art von naivem Staunen und Ergriffensein ein Preis zu zahlen sein wird (und da ich überzeugter „Anti-Calvinist“ bin, ist auszuschliessen, dass ich dem Lauf der Ereignisse eine engstirnige Weltsicht verpasse oder hineinprojiziere). Hartleys Werk ist, neben dem sinnlichen Flow der Sprache (und allem anderen), eine verdammt fein geschliffene Analyse von Klasse (social class), Anpassung und Unterdrückung. Ein Happy End sehe ich da nicht kommen, leider nein, die Andeutungen des Erzählers machen zudem klar, dass alles auf ein erstklassiges Desaster hinausläuft. Toll geschrieben, toll erzählt. Es ist das Jahr 1900. Da sieht man sie schon lebendig vor sich, die Snobs, die „Etonians“, die grosskopferten Vorläufer eines Boris Johnson und seiner Sippschaft, mit ihrem dezenten Grössenwahn. Aber so funktionieren nun mal Reisen in die Kindheit anderer, dass sich das Unbewusste des Lesers seine ganz speziellen Wege bahnt, und einen Abgleich vornimmt mit Räumen der ureigenen Kindheit und Jugend. So geschehen heute Nacht in meinen Träumen, und wohl nicht zum letzten Mal. Plötzlich war es das Jahr 1970, und ich kehre in den Wildbahnweg zurück, ein heisser Sommertag im Dortmunder Süden. (Fortsetzung folgt.)

 
 

Wer traut sich ran? USA, Anfang des 21. Jahrhunderts: Im Städtchen Money in den Südstaaten werden mehrere Männer ermordet: meist dick, doof und weiß. Neben jeder Leiche taucht ein Körper auf, der die Züge von Emmett Till trägt, eines 1955 gelynchten schwarzen Jungen. Zwei afroamerikanische Detektive ermitteln, doch der Sheriff sowie eine Gruppe hartnäckiger Rednecks setzen ihnen erbitterten Widerstand entgegen. Als sich die Morde auf ganz Amerika ausweiten, suchen die Detektive des Rätsels Lösung in den Archiven von Mama Z, die seit Jahrzehnten Buch führt über die Opfer der Lynchjustiz in Money. Eine atemberaubende Mischung aus Parodie und Hardboiled-Thriller, wie es sie bislang in der amerikanischen Literatur nicht gegeben hat. (23. Februar 2023, Hanser Verlag)

 


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