Manafonistas

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2022 22 Nov.

Von der Weser in den Schwarzwald (Zwei Klangreisen aus dem Jahr 1977)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 

 

Was verbindet „Low“, „Marquee Moon“, „The Survivors‘ Suite“, „Transeuropa Express“, „Running On Empty“, „Before And After Science“, „Aja“, „Exodus“ und „Heart Of The Congos“? Nun, diese Alben aus dem Jahr 1977  sind mit der Zeit allesamt „Klassiker“ geworden. Aber wenn man das Bedeutende nicht nur am lauten Presseecho des Zeitgeistes festmacht (und kanonisch orientierten Rückblicken) sondern offen ist für die Ränder, die „far out areas“ der „Zeitgenössischen Musik“ (dieser Begriff verdient einen „Linksruck“, raus aus dem Elitären!), zählen diese beiden Klassealben von Cluster & Eno sowie Brötzmann & Bennink gewiss zu den aussergewöhnlichen Schallplatten jenes Jahres einfach dazu.

Und, wie trefflich, beide Werke öffnen sich für Naturklänge als Inspirationsquelle – die beiden Cover mit den Mikrofonen in der Landschaft sprechen Bände. Die Schubladen, wenn wir sie denn öffnen wollen: Free Jazz und Ambient Music. Aber keines dieser Werke folgte einem Formular, oder den Gesetzen eines Genres: diese „Landschaftsmusiker“ folgten den Geschenken des Augemblicks, liessen sich treiben, drifteten seitwärts, drifteten horizontal, und schufen zwei Alben (für Sky Records und FMP), die ein Fest für offene Ohren sind. Und, um in den Bildern zu bleiben: man sollte die Ohren bei Lauschen so weit aufsperren wie Scheunentore.

Brian Eno tauchte in eine Luftblase, in den sechs Wochen, die er in Forst im Weserbergland erlebte. Pures Hinterland. Brian, das Duo von Cluster, und Michael Rother lebten in einem Bauernhof. „Die Weser war dort ein schneller, fast rasender Fluß. Mir kam er vor wie ein Bild für die ungeheuer schnell verrinnende Zeit. Demgegenüber wirkte das Leben in dem alten Haus noch ruhiger!“ So erzählte es mir Brian Eno vor Jahren, und auch von dem Kunststück, wie aus fast nichts doch noch etwas, und zwar etwas Besonderes, wurde. Die Musik bekam, wenig später, in Conny Plancks Studio nahe Köln zusätzlichen Feinschliff.

“In the spring of 1977, two musicians – Han Bennink and Peter Brötzmann – disappeared into the depths of a German deity named Dark Forest…” So beginnt  David Keenans Text, welcher der herausragenden Foto-Buch-Cd-Edition aus dem Hause Trost Records beiliegt. Naturklanginspiratiomen verbindet man normalerweise eher nocht mit dem einstigen Berliner hard core-Label FMP für freien Jazz (Stichwort „Machine Gun“). Und so wurde diese Reise, die, wie mir Karl Lippegaus erzählte, von seinem ersten Redakteur beim SWF, von Achim Hebgen, auf den Weg gebracht wurde, zu einem Abenteuertrip in den Schwarzwald. Die Edition von Trost umfasst 1000 Exemplare, danach verwandelt sich dieses kleine Gesamtkunstwerk in ein Sammlerstück.

Sollten wenigstens noch gut hundert Exemplare übrig sein, wenn ich am 12. Januar 2023, „meine“ Ausgabe des JazzFacts-Magazins im Deutschlandfunk produziere, werde ich die „Schwarzwaldfahrt“ noch etwas detaillierter vorstellen. Und erklingen lassen. Aber, wie bei allen Abenteuern, sollte man zuvor nicht zuviel verraten. Karl stellt in der Sendung übrigens (das passt doch) eine neue Biografie über das Leben und den Tod von Albert Ayler vor. Es wird, auch das eine Parallele zu diesem beiden „Klassikern der besonderen Art“ 55 Minuten lang, abends um 21.05 Uhr, eine Art „sound trip“ angboten, die den Zuhörer von den meditativen Klängen des Drummers und Komponisten Sebastian Rochford über das archaische Duo der Schwarzwaldfahrer, bis hin zu den Exstasen eines amerikanischen Free Jazz-Pioniers entführt, der im Hudson River zu Tode kam. Safe Journey!

 

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