Manafonistas

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Archives: Oktober 2022

2022 29 Okt.

Ein Joint mit Joni

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„We used to get our kicks reading surfing magazines / Wake up on the morning and the waves are clean / Standing on the headland taking in the scene / Just like they do it … In surfing magazines“

(The Go-Betweens)

 

Nein, Matala ist kein Raum für Surfer. Ich trank in einem bizarren Traum Kaffee mit Joni Mitchell, die hier ihren Song „Carey“ schrieb, zumindest flogen ihr ein paar Zeilen zu, mit dem Wind aus Afrika. Ein Joint machte später die Runde, der von Surfbrett zu Surfbrett gereicht wurde, auf windstilller See, und ehe ich mit zarten fünfzehn Lenzen (so alt war ich wohl in der Traumzeit), ihr ein paar Fragen über das Leben stellen konnte (wohl recht absurde, stoned, wie ich war),  wachte ich mit Meersalzgeschmack im Mund auf, und begrub den Traum von der grossen Welle einmal mehr. Immerhin, Joni einmal so blutjung und hautnah zu erleben, das war es wert. „Blue“ ist eine Jahrhundertplatte.

Wieviele Surfer kenne ich eigentlich? Klaus S. aus meiner alten Schulklasse spielte nicht nur am besten Akustikgitarre, er ist, glaube ich, auch öfter zur holländischen Küste zum Surfen gefahren. Aber wie weit war Scheweningen von Santa Monica entfernt, über die Wellen sprechen wir erst gar nicht. Es waren eher symbolische Akte, aber überall lief die gleiche Musik, Underground und Overground. Mit ein paar folks aus meiner Traumgruppe teile ich die Faszination an der Idee des Surfens: zu gerne würden wir eine kleine Zeitreise in die späten Sechziger antreten, und in einschlägigen kalifornischen Surfmekkas ein paar alternative Lebensläufe am Rande sechs Fuss hoher Brecher erproben, inklusive Wipeout. Und hawaianischem Brudaar! (Dreimal bin ich in luziden Träumen gesurft, himmlisch!)

Tja, „Wipeout“, ich bin etwas schlauer geworfen. Ich habe mir vor Jahren  ein Buch aus dem Mare-Verlag gegriffen, „Surferboy“, und das endet mit einem seitenlangen Glossar voller Fachausdrücke der Surfersprache. Hab ich sie noch alle? Aber ja, das war die Motivation, lass dir mal so eine kalifornische Jugend erzählen, in der die „big waves“ nur so krachen. Surfin‘ USA. So the wind won’t blow it all away. (Und hilfreich für unsere nächtlichen Exkursionen im Land der Klarträume!)

Interessanterweise bin ich vor Jahren nicht nur beim Surfen gelandet, sondern auch beim Wrestling, so ungefähr die uninteressanteste Sportart, die ich mir vorstellen kann. Aber John Darnielle von den Mountain Goats ist in seiner Kindheit vom Wrestling-Virus infiziert worden, und in seinem in jeder Hinsicht umwerfenden Konzeptalbum „Beat The Champ“ verwandelte er diese bizarre Welt in einen hinreissenden Songreigen, in dem das Abseitige seine menschlich-allzumenschliche Strahlkraft freilegt. Texte wie geschliffenes Glas, Verwundbarkeit, trostlose Motels, Blut, und die Einsamkeit von Kindern in der Vorstadt. Aber ich schweife ab.

Amerikanische Kids träumten vom Surfen, weil sie genau in dem Biotop lebten, wo Dick Dale den Ur-Sound des Surfens prägte, wo die Beach Boys die nächste hippieske Welle ins Rollen brachten – selbst introvertierte Träumer wie Jackson Browne machten sich bei diversen „Roadtrips“ auf die Suche nach „moments of excellence“ – „Surfari“ war das Zauberwort. „Too late for the sky?“ Na ja, irgendwann schon.

Es gab damals eine Serie, die wirklich Kult war, und nie zu uns nach Europa rüberschwappte: „The Endless Summer“, zwei „Helden“ suchten nach der perfekten Welle, überall auf der Welt. Und sie fanden diese Riesendinger auch. In diese Welt taucht das alter ego des Schriftstellers Kevin McAleer ein. Am Anfang ist man ein „Kook“, ein Dilettant, ein Greenhorn, das im Wind schnüffelt. Man macht sich leicht lächerlich, Die Cracks ziehen die Show ab, selbst die sog. besten Zeiten taugen als Studienobjekt für dahinsiechende Mythen.

Julia Ritter versucht erst gar nicht, die Welt des Surfens nahtlos ins Deutsche zu übertragen, überall stolpern wir über unübersetzte idiomatische Sprache, aus dem Kontext ergibt sich Sinn, zumindest bruchstückhaft. Eine Verfremdung, die uns gar nicht erst „the real thing“ vorgaukelt. Mit der Zeit kommt das richtig gut. Von wegen: „go with the flow“. Sog und Widerhaken halten die Balance. Das Buch ist klug gebaut. Was anfänglich wie schlichter Stoff für Surfromantiker wirkt, geht dann aber so richtig Bach und Welle runter.

Das wird von Episode zu Episode fesselnder, surreal, witzig, gefährlich, und das Ende von allem: die Moden und der Fundamentalismus. Im schlimmsten Fall toben Machtkämpfe, Freundschaften zerbrechen, aber, fuck, ich hätte zu gerne einmal im Leben die perfekte Welle erlebt, 68, in Malibu Beach.

Stattdessen habe ich heute noch eine genaue Erinnerung daran, wie ich, als Dick Dale an der West Coast tourte, auf dem Schulhof der Brüder Grimm-Schule einen Lederball mit der Brust annahm, und volley ins Tor schoss, knapp neben der rechten Tormarkierung, die durch einen Tornister markiert war. Ein Glücksgefühl ohnegleichen. Mein Held war Reinhold Wosab, der machte es beim BVB im Stadion Rote Erde ganz ähnlich. Echte Liebe.

Die perfekte Welle hat viele Gesichter, der Gitarrist Fennesz ist, auf seinem frühen Album, „Endless Summer“, diesem Feeling nachgegangen, und neben „sweet fragments“ mit Beach Boys-Flair entwickelte er ein Stück Chaostheorie für die elektrische Gitarre.

In jedem Land hat die perfekte Welle andere Gesichter, und manche zeigte sich kurz vor Einbruch der Nacht, wenn man in einem Spiel, das nur noch der Erschöpfung und einer gewissen Traumlogik folgte, einen Fussball aus dem fahlen Laternenlicht auftauchen sieht, schemenhaft, und ihn vollkommen sinnlos in den Himmel bolzt. Wir sind alle Sternschnuppen, voller Elan. Aus dem Nichts geschöpft, erfüllte Momente & Wipeout. Und irgendwann singt immer jemand an einem Lagerfeuer in San Diego, gegenüber der Eisdiele am Leicester Square, oder auf dem Kopfsteinpflaster des Westenhellwegs, Neil Youngs „Heart of Gold“.

Klaus hat übrigens Ernst gemacht. Er hat die weiten Räume aufgesucht, und sie sich mit Frau, Hund und Bären geteilt. Es gab auch, ganz früh, einen Abstecher in die Mohave-Wüste. In Las Vegas hat der letzte Hippie der OIc geheiratet, und auf der Bühne standen die legendären „Highwaymen“ der Countrymusik, Johnny Cash, Willie Nelson, Kris Kristoffersen, und einen vergesse ich immer. Das grosse Nordamerika hat Klaus nie losgelassen, (sie brechen 2023 wieder auf, nach Kanada, für lange, lange Zeit), ihm und Babsi widme ich diese kleinen Abschweifungen, mit Gedanken zum „Surferboy“, entrückten Erinnerungen, Evergreens, und jenen perfekten Tagen, die uns keiner mehr rauben wird. Die Erinnerung kennt keine Tagediebe, höchstens ganz am Schluss, wenn die Endspiele kommen, und die Tränen von einem zum andern wandern. „Tell me why“, Klaus, komm, nimm die Gitarre, spiel es noch einmal, ich singe mit.

 

 


 
 

 
 

 
 
©️FoBo_

Die Pianistas Craig Taborn und Kris Davis sind neben Sylvie Courvoisier Leuchtfeuer im gegenwärtigen Impro-Geschehen. Sobald dieser Satz gelesen ist, ertönen die ersten Zurufe: ja und die, und der und der und die und sowieso die und der! Genau! So kann schön etwas zusammenkommen, aber verfügbar sind die und der eben nicht jederzeit. Aber ich vernehme gerne Zurufe! Was ist Ihr/Dein kürzliches Piano-Erlebnis?

 

Zurück aber erst zu aktuell Berlin (und diesmal keine Bilder zu den Namen (vielleicht später mal)), es ist alles auch reichlich weiblich.

 

Donnerstag 3.11. : 

CRAIG TABORN, Mat Maneri (Bratsche), Nick Dunston (Kontrabass), Sofia Borges  (Perkussion)                                    

ALEXANDER v. SCHLIPPENBACH spielt in der Gruppe von Rodrigo Amado 

         

JAMIE SAFT spielt in Hamid Drake’s TURIYA 

 

Freitag 4.11.: 

KIRKE KARJA, Etienne Rennrad (Kontrabass), Ludwig Wandinger (Schlagzeug)   
         

LISA ULLÉN, Elsa Bergmann (Kontrabass), Anna Lund (Schlagzeug)

 

KATERYNA ZIABLIUK spielt in SHADOWS OF FORGOTTEN ANCESTORS

 

Samstag 5.11.: 

LUCIAN BAN, Mat Maneri (Bratsche), John Surman (Saxofon)

                                     

KATERYNA ZIABLIUK spielt in KOMPUSSALA

                                  

CHAERIN IM spielt im Sun-Mi Hong Quintet 

 

Sonntag 6.11.

KRIS DAVIS BORDERLAND 3_o: Stephan Crumb (Kontrabass), Eric McPherson (Schlagzeug)

                                    

2022 28 Okt.

Aktuelle Wolkenbilder

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2022 27 Okt.

Kirke – something mind boggling happened

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dieses 3_o ist …. andere Kost, könnte fast als Soundtrack für Zeitenwende dienen

 

dieses 3_o, das sind … KIRKE KARJA (p), LUDWIG WANDINGER (dr), ETIENNE RENARD (b) 

 
 

It happened last year September 18 in Vaba Laba of Tallinn’s Creative District TELLISKIVI, a former Soviet industrial zone of the Estonian capital. There was a big European meeting and it was freezing cold, even for Tallinn’s conditions. Then this 3_o blew everybody out of their jackets. How did these young aces meet, come together, create and threw out this music, now in album size of THE WRONG NEEDLE ? Something truly Uro-p-an.

 
 
 

VIDEO 

 
 
 

I know Kirke quite some time and appreciated her as a musician and a very active organizer. I knew that she was capable of doing banging things but this was a knock against the wall beyond expectation that blew everybody’s mind. The three (still young) musicians were invited to the Paris Son d’Hiver festival, to Punkt Festival in Kristiansand, November 3 in Rotterdam AND will be live in the spotlight of JAZZFEST BERLIN, Friday, November 4 in a program together with Sven-Åke Johansson’s “Ouvertüre für 15 Handfeuerlöscher” and another 3_o to look back and forward to: Peter Brötzmann, Majid Bekkas, Hamid Drake. In short, the future lasts, will last.

 
 
 


 

2022 27 Okt.

Mein Bücherherbst

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Es wird ein Text benötigt als Abstandhalter zwischen Fotos. Hier springe ich doch gerne ein, nehme dies als Anlass, um ein paar Worte zu verlieren über Bücher, die mich gerade interessieren, hoffend, dass Gedanken in die Tasten fallen wie die Blätter in diesen Tagen von den Bäumen. Eines vorweg: ein Ehrgeiz hat mich gepackt, mir das Lesen offline mühsam („kleine Schritte“) wieder anzutrainieren, in guter alter Weise Gedrucktes in den Händen und vor Augen haltend. Nicht, dass mit dem Bargeld schleichend auch die Bücherlust verschwindet. Ein Werk, auf das ich sehr gespannt bin, heisst Das Ende des Kapitalismus und ist von der Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann, deren Artikel in der Taz ich seit Jahren, ja Jahrzehnten schätze. Kernaussage: „Grünes Wachstum? Nee, das wird nichts!“ Dann liegt ein Buch auf dem Lesetisch, das ich zwecks oben genannten Ehrgeizes mit Neugier in Angriff nehme: Richard David Prechts Freiheit für Alle, in dem er das Ende der Arbeit, wie wir sie kannten, voraussagt beziehungsweise diagnostiziert. Auch nennt er Argumente für das bedingungslose Grundeinkommen, denen Frau Herrmann wahrscheinlich widersprechen würde. Neulich gab es in der abendlichen Talkshow bei Markus Lanz ein theaterreifes, sehenswertes Schauspiel. Die Philosophen Precht und Harald Welzer stritten mit zwei namhaften Journalist:innen über ihr Buch Die vierte Macht, das die Frage aufwirft, inwieweit die Medien, gerade jetzt in hitzigen Zeiten (Krieg, Corona etc) ihrer Aufgabe nach objektiver Berichterstattung gerecht werden. Eine lohnende Fragestellung, jenseits jeden verschwörungstheoretischen „Lügenpresse“-Schwachsinns. In dem Buch Sensibel, das über moderne Empfindlichkeiten und die Grenzen des Zumutbaren berichtet und sich stellenweise wie ein Krimi liest, wird von der Philosophin Svenja Flasspöhler das Spannungsverhältnis zwischen Sensibilität und Resilienz klug ausgelotet. Beim Lesen ereignet sich, wie in einst besten Lektüre-Zeiten und den heutigen Fernseh-Flows, ein wünschenswerter Sog, der fesselt und in die Tiefe zieht.

 

 

 

Nach der Heimkehr aus Kreta fanden sich einige neue Alben ein: statt das eine und andere davon streamweise über blutooth und in-ear-buds auf stiller See zu Sonnenuntergangszeiten zu hören (The Unthanks, Bill Callahan), was mitunter überwältgend ist – stuff to surrender at Komos beach – hörte ich nun zum ersten Mal Brians Surround-Mix von „Foreverandevernomore“ in meiner elektrischen Höhle, und entgegen meiner Gewohnheiten für solche Klänge, in strahlendem Sonnenlicht. Wow-Faktor 10 (allein, anders als auf Cd und Vinyl, die Stimme vorrangig aus den „back rears“ zu vernehmen, ist etwas gewöhnungsbedürftig). Wundervoll, mein Album des Jahres 2022 auch mal so erleben zu können. Ein Sammlerstück zudem, 2500 Exemplare nur wurden angefertigt, angeblich (but, imagine some of his ambient works in surround & surrender-mixes, Apollo, Music For Airports, Thursday Afternoon, The Shutov Assembly, Reflection, wouldn‘t that be quite something?). Mittlerweile kann Eno auf meine launige Empfehlung hin, doch endlich, vierzig Jahre nach 1982, die Masterbänder von „On Land“ hervorzukramen, und eine 5:1-Fassung in Angriff zu nehmen, kaum noch gute Argumente dagegen sprechen lassen. 😉 „I think I know where the tapes are“, schrieb er mir vor Wochen. Mit dabei – just click on the photo – Jan Bang, Arild Andersen, Evgueni Alperine, Jakob Bro, The Unthanks, und Bill Callahan. Will send Alperine‘s album to Brian, „in my ears a decoffeinated quantum of post-electro-classical-under-the-skin-music“.

 

2022 27 Okt.

Zeitenwende(n)

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Wann begann die Zeitenwende in den 60ern des letzten Jahrhunderts eigentlich? Wann fing die Zukunft an? Und wann endete sie?

 
 

 
 

VIDEO

 

Ach, und was ist davon geblieben?  Ein weites Feld …  Stichworte?

Ach, und was wirklich eine Zeitenwende ist, weiss man ja erst nach einiger Dauer!

 

2022 26 Okt.

MAP 1 Jazzfest Berlin

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Ich komme nochmal zurück auf das Jazzfest Berlin, das am ersten Novemberwochenende im Berliner Festspielhaus und mehreren anderen Spielstätten wie Clubs (aber auch Galerien, Friseursalons und Privatwohnungen) und in der Gedächtniskirche (Konzert von Lucian Ban/Mat Maneri/John Surman wie Konzert des Gurdjieff Ensembles aus Yerevan) stattfindet. 

 

Häutungen

 

Das Programmieren des Festivals ist ein komplexer Prozess mit vielen Häutungen. Die Realisierung des Programms ist eine ebenfalls komplexe Angelegenheit, dann aber in Kürzestzeit. Ich habe viele Seiten aus der Innensicht in den letzten fünf Ausgaben mitwirkend kennengelernt.

 

Fünf immer wieder unterschiedliche Inszenierungen 

 

Jede der letzten fünf Ausgaben war eingreifend anders als die jeweils Vorherige in den Formaten und Inszenierungen. Und das nicht einfach nur in der Auswahl, Anordnung und Präsentation der Musiker/Gruppen. Es ging immer um neue Wirklichkeitsbezüge, Organisationsformen, thematische Beziehungen und Präsentationsformen (wo Bühnenräume und Publikumsbeweglichkeit aufgebrochen wurden), die sich, vorangetrieben von der künstlerischen Leiterin Nadin Deventer, im Zuge des Programmierungs- und Planungsprozesses herausschälen. Ein wichtiges Element unter ihrer Ägide sind Teamgeist und die frühe Beteiligung von Musikern bei der Programmgestaltung.

 

Und realisierbar müssen alle wilden Ideen und kühnen Vorstellungen dann auch noch gemacht werden. Beispiele demnächst mal in einem weiteren Beitrag. Kurzum, es ist weit mehr als das Auswählen und Verteilen/Anordnen von tollen, vorwärtspreschenden, provokanten, mitreissenden etc Acts. Weiteres dazu in einem Gespräch mit Nadin Deventer HIER. 

 

Tiefenblick in regionale kulturelle Räume

 

Die Ausgabe dieses Jahres blickt, getriggerd durch den Krieg, weiter und tiefer in Kulturen des osteuropäischen Raum. Dabei geht es auch um die Beziehung von bodenständigen, indigenen Musiktraditionen und Jazz im weiteren Sinne. Anknüpfungen an solche finden sich im Programm nicht nur in der osteuropäischen Blickrichtung. Äthiopien, Südafrika oder Brasilien finden ebenso Eingang und Anklang. 

 

 

 

Aus der Tiefe der Zeit, Querverbindungen, Überlagerungen

 

Diese Ausgabe blickt auch zurück auf die wilden Zeiten der Herausbildung eigenständiger europäischer Spielarten und Linien, die sich von da aus in die Gegenwart ziehen. An bestimmten Knotenpunkten laufen beide Linien zusammen, etwa in der jüngeren offenen Improvisationsgruppe Die Hochstapler oder dem Veteranentrio von Peter Brötzmann, Hamid Drake und dem marokkanischen Guimbrispieler Majid Bekkas. Hamid Drake ist eine wichtige Verbindungsfigur zwischen US-amerikanischem Jazz, orientalischerMusik und Free Jazz.

 

Solche Mehrseitigkeit findet sich bei einer ganzen Reihe von teilnehmenden Musikern. Sie spielen in unterschiedlichen Feldern, nehmen aber auch immer etwas aus dem jeweils anderen Feld (bei)m Spielen mit. Hamid Drake steht mit seiner eigenen Gruppe TURIYA am ersten Abend auf der Hauptbühne, die sich dem musikalischen Erbe von Alice Coltrane widmet. Hier wirken musikalische Kräfte wie Punkt-Oberhaupt Jan Bang oder die französisch-syrische Flötistin Naïsam Jalal mit. 

 

 

 

Kompussula 

 

Eine Keimzelle bildet das KOMПOUSSULĂ-Projekt, in dem MusikerInnen mit ukrainischem, polnischen, rumänischem, türkischem, französischem und  belgischem Hintergrund mitwirken und von wo aus es weiter ausstrahlt in den Schwarzmeerraum, nach Armenien, Transsylvanien, Bulgarien und Italien.

 

Kateryna Ziabliuk piano, prepared piano, vocals
Samuel Hall drums, electronic, percussions
Maryana Golovchenko vocals
Louis Laurain trumpet, cornet
Pierre Borel alto saxophone
Olga Kozieł vocals, traditional polish percussions
Sébastien Beliah double bass
Sanem Kalfa vocals
Joachim Badenhorst clarinet, live electronics
George Dumitriu acoustic & electric guitars, viola, effects

 

Hier ist die Perspektive teilweise eine andere als oft in Jazz, der östliche Elemente inkorporiert. Musiker ‘östlicher Herkunft’, die in westlichen Metropolen durch die Kreativschule von Jazz gegangen sind, greifen von dort aus ihr indigenes musikalisches Erbe auf.  

 

 

 

Das KOMПOUSSULĂ-Projekt ist am Samstagabend (5.November) zudem eingebettet, gesandwiched, in einem südafrikanischem Teil “Dialectic Soul” von Schlagzeuger Asher Gamedze und einem neuen Teil “Memphis” von Matana Roberts’ afro-amerikanischem Epos “Coin Coin”. Dies ist eben mehr als die Aufeinanderfolge verschiedener interessanter Gruppen. 

 

KOMПOUSSULĂ ist ein Beispiel für die Kooperation mit Musikern, zu denen aus früheren Jahren etwa das Berliner KIM Collective, das T(R)OPIC Projekt von Julien Desprez’ CoCo/Rob Mazurek’s São Paulo Underground, die sechsstündige Totalmusik von Anthony Braxton’s SONIC GENOME, das CAIRO Projekt und einige mehr gehörten. Man muss wohl lange suchen, um ein Jazzfestival von dieser inszenatorischen Macht zu finden.

 

Reiche Wechselbeziehungen freilegen 

 

Dabei ergeben sich auch innerhalb dieses Raumes interessante Wechselbeziehungen. Etwa in dem Teil SHADOWS OF FORGOTTEN ANCESTORS, in dem Maryana Golovchenko, Kateryna Ziabliuk und Anna Antypova Musik zu diesem Schlüssel-/Meisterwerk ukrainischer Filmkunst von 1964 bringen, ein Film von Sergej Parajanov (1924-1990), einem in Georgien geborenem Armenier, der in Sowjetzeiten wegen ukrainischem Nationalismus im Gefängnis landete. Es war der einzige Film in Sowjetzeiten, der nicht russisch synchronisiert wurde, sondern in der indigenen ukrainischen Sprachvariante lief (und läuft). 

 

Parajanov, der lange in der Ukraine lebte und wirkte,  ist auch der Regisseur von THE COLORS OF POMMEGRANATES (1968), einem der zehn wichtigsten Werke der Filmkunst, das bis heute vielfach ausstrahlt (ua bis in Lady Gaga Videos). THE COLORS OF POMMEGRANATES  (Musik von Tigran Mansurian) bezieht sich auf Leben und Werk des armenischen Dichters und Musikers Sayat-Nova (1712-1795), das auch Eingang in das Konzert des Gurdjieff Ensembles findet.

 

Vom Gurdjieff Ensemble weist auch wieder eine Linie zu Bela Bartók, der in Nachfolge von Komitas und Gurdjieff in Armenien, bodenständige indigene Musik in Transsylvanien und anderen Balkanregionen bis hin  Ägypten sammelte, Feldaufnahmen machte und Elemente in seinen eigenen zeitgenössischen Werken verarbeitete. Pianist Lucian Ban, Bratschist Mat Maneri und Saxophonist John Surman reimaginieren Bartóks Feldaufnahmen in ihrem Konzert in der Gedächtniskirche. Und so kann man noch mehr Linien ziehen und ihnen im Konzertbesuch folgen. Mehr dazu für Interessierte in meinem Essay im Digital Guide des Festivals.

 

Als Orientierung zu den Feldern und Linien siehe auch die MAP 1 oben

 

2022 26 Okt.

canção do dia

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