„Strangers to Ourselves ist ein mitfühlender, mutiger und gründlich recherchierter Blick auf die Art und Weise, wie wir in Zeiten von Krisen und Not über uns selbst sprechen und uns selbst verstehen. Auf der Grundlage von Gesprächen sowie unveröffentlichten Tagebüchern und Memoiren folgt sie Menschen, die festgestellt haben, dass die psychiatrische Sprache ihre Grenzen hat, wenn es darum geht, zu erklären, wer sie sind, oder dass eine Diagnose, die ihren Erfahrungen einen Namen gibt, ein Gefühl für ein zukünftiges Leben schafft, das sie in Frage stellen oder dem sie widerstehen möchten.
Rachel Aviv ist bekannt für ihr radikales Einfühlungsvermögen: Sie versteht es hervorragend, die Welt mit den Augen ihrer Mitmenschen zu sehen. Sie schreibt zunächst über ihre eigene Erfahrung, als sie im Alter von sechs Jahren in eine Anstalt eingewiesen wurde, und stellt dann unter anderem eine Mutter vor, die sich von einer Psychose erholt und die Beziehung zu ihren Kindern wieder aufbaut; eine Frau, die in heilenden Tempeln in Kerala lebt, wo sie als Heilige gefeiert wird; und eine junge Frau, die nach einem Jahrzehnt, in dem sie sich über ihre Diagnose definiert hat, beschließt, ihre Medikamente abzusetzen, weil sie nicht weiß, wer sie ohne sie ist.
Durch verblüffende Zusammenhänge, intime Zeugnisse und unterschiedliche kulturelle Perspektiven eröffnet Aviv neue Wege, um über Krankheit und den Geist nachzudenken, in einem Buch, das vor allem zutiefst menschlich ist.“
Manchmal ist auch ein Verlagstext informativ. Das Thema hat mich immer, und nicht nur beruflich, im Feld Klinischer Psychologie, interessiert. Ich durfte zweimal erfahren, welchen mächtigen impact komplett falsche Diagnose auf die Selbstwahrnehmung haben, selbst wenn sie sich nach Wochen bzw. Monaten als komplett falsch erwiesen. Wie aber geht es Menschen, die mit Diagnosen chronisch stigmatisiert werden, deren Lebenshorizont durch sog. wissenschaftlich oder theologisch „fundierte“ Zuschreibungen eben keinen Weg der Heilung antreten (oder innerer Gelassenheit), sondern einen steinigen Weg zunehmender Selbstentfremdung. Die NYT wählte das Buch zu den zehn besten Büchern des Jahres, und nachdem ich ein einleitendes Kapitel las, kam es sofort auf meine Einkaufsliste. Übrigens: die ungewöhnliche Spionage-Thriller Serie „The Old Man“ (Disney +) (mit Jeff Bridges und Amy Brenneman) bietet zum Thema Identität und Identitäts-Auflösung eine herausragend inszenierte Story, die durchaus auch, würde sie auf realen Ereignissen basieren, Eingang in dieses Buch hätte finden können. (m.e.)