„We used to get our kicks reading surfing magazines / Wake up on the morning and the waves are clean / Standing on the headland taking in the scene / Just like they do it … In surfing magazines“
(The Go-Betweens)
Nein, Matala ist kein Raum für Surfer. Ich trank in einem bizarren Traum Kaffee mit Joni Mitchell, die hier ihren Song „Carey“ schrieb, zumindest flogen ihr ein paar Zeilen zu, mit dem Wind aus Afrika. Ein Joint machte später die Runde, der von Surfbrett zu Surfbrett gereicht wurde, auf windstilller See, und ehe ich mit zarten fünfzehn Lenzen (so alt war ich wohl in der Traumzeit), ihr ein paar Fragen über das Leben stellen konnte (wohl recht absurde, stoned, wie ich war), wachte ich mit Meersalzgeschmack im Mund auf, und begrub den Traum von der grossen Welle einmal mehr. Immerhin, Joni einmal so blutjung und hautnah zu erleben, das war es wert. „Blue“ ist eine Jahrhundertplatte.
Wieviele Surfer kenne ich eigentlich? Klaus S. aus meiner alten Schulklasse spielte nicht nur am besten Akustikgitarre, er ist, glaube ich, auch öfter zur holländischen Küste zum Surfen gefahren. Aber wie weit war Scheweningen von Santa Monica entfernt, über die Wellen sprechen wir erst gar nicht. Es waren eher symbolische Akte, aber überall lief die gleiche Musik, Underground und Overground. Mit ein paar folks aus meiner Traumgruppe teile ich die Faszination an der Idee des Surfens: zu gerne würden wir eine kleine Zeitreise in die späten Sechziger antreten, und in einschlägigen kalifornischen Surfmekkas ein paar alternative Lebensläufe am Rande sechs Fuss hoher Brecher erproben, inklusive Wipeout. Und hawaianischem Brudaar! (Dreimal bin ich in luziden Träumen gesurft, himmlisch!)
Tja, „Wipeout“, ich bin etwas schlauer geworfen. Ich habe mir vor Jahren ein Buch aus dem Mare-Verlag gegriffen, „Surferboy“, und das endet mit einem seitenlangen Glossar voller Fachausdrücke der Surfersprache. Hab ich sie noch alle? Aber ja, das war die Motivation, lass dir mal so eine kalifornische Jugend erzählen, in der die „big waves“ nur so krachen. Surfin‘ USA. So the wind won’t blow it all away. (Und hilfreich für unsere nächtlichen Exkursionen im Land der Klarträume!)
Interessanterweise bin ich vor Jahren nicht nur beim Surfen gelandet, sondern auch beim Wrestling, so ungefähr die uninteressanteste Sportart, die ich mir vorstellen kann. Aber John Darnielle von den Mountain Goats ist in seiner Kindheit vom Wrestling-Virus infiziert worden, und in seinem in jeder Hinsicht umwerfenden Konzeptalbum „Beat The Champ“ verwandelte er diese bizarre Welt in einen hinreissenden Songreigen, in dem das Abseitige seine menschlich-allzumenschliche Strahlkraft freilegt. Texte wie geschliffenes Glas, Verwundbarkeit, trostlose Motels, Blut, und die Einsamkeit von Kindern in der Vorstadt. Aber ich schweife ab.
Amerikanische Kids träumten vom Surfen, weil sie genau in dem Biotop lebten, wo Dick Dale den Ur-Sound des Surfens prägte, wo die Beach Boys die nächste hippieske Welle ins Rollen brachten – selbst introvertierte Träumer wie Jackson Browne machten sich bei diversen „Roadtrips“ auf die Suche nach „moments of excellence“ – „Surfari“ war das Zauberwort. „Too late for the sky?“ Na ja, irgendwann schon.
Es gab damals eine Serie, die wirklich Kult war, und nie zu uns nach Europa rüberschwappte: „The Endless Summer“, zwei „Helden“ suchten nach der perfekten Welle, überall auf der Welt. Und sie fanden diese Riesendinger auch. In diese Welt taucht das alter ego des Schriftstellers Kevin McAleer ein. Am Anfang ist man ein „Kook“, ein Dilettant, ein Greenhorn, das im Wind schnüffelt. Man macht sich leicht lächerlich, Die Cracks ziehen die Show ab, selbst die sog. besten Zeiten taugen als Studienobjekt für dahinsiechende Mythen.
Julia Ritter versucht erst gar nicht, die Welt des Surfens nahtlos ins Deutsche zu übertragen, überall stolpern wir über unübersetzte idiomatische Sprache, aus dem Kontext ergibt sich Sinn, zumindest bruchstückhaft. Eine Verfremdung, die uns gar nicht erst „the real thing“ vorgaukelt. Mit der Zeit kommt das richtig gut. Von wegen: „go with the flow“. Sog und Widerhaken halten die Balance. Das Buch ist klug gebaut. Was anfänglich wie schlichter Stoff für Surfromantiker wirkt, geht dann aber so richtig Bach und Welle runter.
Das wird von Episode zu Episode fesselnder, surreal, witzig, gefährlich, und das Ende von allem: die Moden und der Fundamentalismus. Im schlimmsten Fall toben Machtkämpfe, Freundschaften zerbrechen, aber, fuck, ich hätte zu gerne einmal im Leben die perfekte Welle erlebt, 68, in Malibu Beach.
Stattdessen habe ich heute noch eine genaue Erinnerung daran, wie ich, als Dick Dale an der West Coast tourte, auf dem Schulhof der Brüder Grimm-Schule einen Lederball mit der Brust annahm, und volley ins Tor schoss, knapp neben der rechten Tormarkierung, die durch einen Tornister markiert war. Ein Glücksgefühl ohnegleichen. Mein Held war Reinhold Wosab, der machte es beim BVB im Stadion Rote Erde ganz ähnlich. Echte Liebe.
Die perfekte Welle hat viele Gesichter, der Gitarrist Fennesz ist, auf seinem frühen Album, „Endless Summer“, diesem Feeling nachgegangen, und neben „sweet fragments“ mit Beach Boys-Flair entwickelte er ein Stück Chaostheorie für die elektrische Gitarre.
In jedem Land hat die perfekte Welle andere Gesichter, und manche zeigte sich kurz vor Einbruch der Nacht, wenn man in einem Spiel, das nur noch der Erschöpfung und einer gewissen Traumlogik folgte, einen Fussball aus dem fahlen Laternenlicht auftauchen sieht, schemenhaft, und ihn vollkommen sinnlos in den Himmel bolzt. Wir sind alle Sternschnuppen, voller Elan. Aus dem Nichts geschöpft, erfüllte Momente & Wipeout. Und irgendwann singt immer jemand an einem Lagerfeuer in San Diego, gegenüber der Eisdiele am Leicester Square, oder auf dem Kopfsteinpflaster des Westenhellwegs, Neil Youngs „Heart of Gold“.
Klaus hat übrigens Ernst gemacht. Er hat die weiten Räume aufgesucht, und sie sich mit Frau, Hund und Bären geteilt. Es gab auch, ganz früh, einen Abstecher in die Mohave-Wüste. In Las Vegas hat der letzte Hippie der OIc geheiratet, und auf der Bühne standen die legendären „Highwaymen“ der Countrymusik, Johnny Cash, Willie Nelson, Kris Kristoffersen, und einen vergesse ich immer. Das grosse Nordamerika hat Klaus nie losgelassen, (sie brechen 2023 wieder auf, nach Kanada, für lange, lange Zeit), ihm und Babsi widme ich diese kleinen Abschweifungen, mit Gedanken zum „Surferboy“, entrückten Erinnerungen, Evergreens, und jenen perfekten Tagen, die uns keiner mehr rauben wird. Die Erinnerung kennt keine Tagediebe, höchstens ganz am Schluss, wenn die Endspiele kommen, und die Tränen von einem zum andern wandern. „Tell me why“, Klaus, komm, nimm die Gitarre, spiel es noch einmal, ich singe mit.