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2022 24 Aug

Die Geschichte mit der Farbenfrau (3/3)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 7 Comments

„What is the colour when black is burned“ 

– Neil Young 

 

Mit nichts gilt es so sachlich umzugehen wie mit dem Material des Fantastischen, und Träume gehören allemal dazu. Und so ist es nur der Ehrlichkeit geschuldet, zuzugeben, dass das Transkript meines Serientraums eine Version ist. Nach vielen Umzügen hatte ich das Original verloren, und die sich stetig wiederholende Sequenz aus „Swimmingpool (Ort) und Initiation (Ritual)“ lediglich aus der Erinnerung neu notiert. Die allnächtlichen Begegnungen mit der „Farbenfrau“ hatten einen Einfluss auf manches, was später kam. Love, Devotion, Surrender. Am Tag nach der Tranceinduktion gingen Erika und ich durch unser Würzburg, das sich seit den Siebzigern erheblich gewandelt hatte. Aber wir blieben dran, und suchten alte Orte aus, ob sie nun unkenntlich geworden waren oder beharrlich ihr Revier verteidigt hatten. Sie zeigte mir den kleinen Park, in dem sie Ellen Rabner zum ersten Mal geküsst hatte („im Bett war diese Traumfrau ein Sub, Micha, sie hasste die ewig anhimmelnden Blicke der Jungs, die sie stets ziemlich dumm umschmeichelt hätten), und es war der gleiche Park, mit dem ich einst mit meiner Verlobten lustwandelte, zwischen Audimax und Studentenwohnheim. Dort, in der Friedenstrasse, fuhren wir in dem „internationalen“ Gemäuer mit dem alten Fahrstuhl in den siebten Stock hoch – was für ein sentimentaler Reflex – wo ich (lange vor Erikas Fesselungen), ein Kopfkissen mit C. teilte und die glückseligsten Monate der Siebziger Jahre verbrachte. Sie führte mich auf die Alte Mainbrücke, und liess uns das Spiel spielen, alle jene mit Namen (und die exakten Stellen dazu) zu benennen, die wir dort geküsst hatten. Erika gewann 5:2 – selbst im Fussball fast eine Klatsche. Wir kamen in jenen Spielmodus von Erwachsenen, die Witterung aufnahmen und alte Leidenschaften Revue passieren liessen – Nostalgie schwang überall mit. Obwohl, bei Erika wusste ich das nicht so genau, sie fasste mir auf der Brücke en passant in den Schritt, gab mir einen rasanten Zungenkuss und vermerkte: „6:3, Schätzchen!“ – und weiter ging es. Hier der Plattenladen von Recommended Records, wo ich die erste und beste Platte der Violent Femmes gekauft hatte. Da die Treppe zur Festung, wo sie zum ersten Mal und ohne Vorlauf eine unbekannte Schöne um einen Kuss gebeten und überrumpelt hatte, in freier Wildbahn. Ich zeigte ihr den Ort, an dem meine Lieblingsbuchhandlung war (die auch Erikas Lieblingsbuchhandlung war), wo ich Italo Calvinos „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ erstand. „Ich kenne so viele Menschen, Erika, die immer alles vom Ende her begreifen wollen, Italo aber bastelte seinen Roman aus lauter Kapiteln, die den Anfang einer Geschichte erzählen, der dann einfach abreisst, und anderen Anfängen Platz macht.“ Das erzählte ich ihr, als ich sie mit meinem VW Bulli nach Veitshöchheim fuhr. „Noch ein Kaffee, Süsser? Wir können heute etwas zuende bringen.“ Das zweite Endspiel. Nach jener Nacht sah ich sie nie wieder. Sie starb fünf Jahre später auf einer Autobahn im Süden Frankreichs. (an dieser Stelle die kurze Notiz, dass ich einen einzigen Ort erfunden habe in dieser Geschichte, sowie alle Namen, aus Respekt vor den Lebenden und den Toten. Und das wird auch der Fall sein, sollte ich den kleinen Roman „Der schwarze Hund von Bergeinöden“ fertigstellen, anno 2024.)

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7 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Empfehlung:

    Neil Young: Citizen Kane Jr. Blues 1974 (Live at the Bottom Line)

    Man muss es kein break up Album nennen, aber es ist eins.

    By the way, this is an official bootleg and it sounds like a quite bad booteleg, nevertheless in many ways it is a fascinating document. Audio verité, to say it with a smile.

  2. Ursula Mayr:

    Ha! Nächste Woche bin ich in Würzburg und werde Euren Pilgerweg nachschleichen: I – Haus, Mainbrücke, Cafe Immernochklug, Buchhandlung Neuer Weg – inzwischen “ Viele Wege“, der Rasen vor der Uni wo damals der Hungerstreik war wg Bossle und die Bäumchen noch frisch gepflanzt, Juliusspital, in dem ich damals ein paar Wochen auf der Unfallchirurgie verbrachte weil wir mit einem viel zu hohen Lastwagen gegen die viel zu niedrige Mainbrücke gerappelt sind. Im Krankenhaus nannten sie uns dann “ die Heiligenverrücker“. Stand in der Zeitung und sprach sich schnell rum. Ganz so fetzige Erinnerungen wie bei Dir sind das aber nicht…

  3. Michael Engelbrecht:

    Ich erinnere ich gut an die Action um den Hungerstreik wg. Bossle.

    So fetzig war es nun auch nicht, aber ein bisschen wild schon, und durchaus verdichtet.

  4. Anne und Wolf K.:

    Lieber Michael, wir sind bewegt, gerührt und geflasht von deiner Farbenfrau-Geschichte. Wir hatten vor ca. zehn Jahren miteinander zu tun wegen Green Gartside (du erinnerst dich?) in Berlin. Den Roman wollen wir lesen!!! Können wir dich über deine alte gmx-Adresse erreichen?

  5. Michael Engelbrecht:

    @ Anne

    Ja, die Mailadresse funktioniert noch. Ich schaue auch in der Spam nach. Danke für die „bewegenden“ Sätze. Wir beide haben viel über luzide Träume geredet, indisch gefuttert. Und du warst bei Scritti Politti dabei.

    Und, ich erinnere mich, du bist mit deinem Mann zu jedem The Cure Konzert gegangen. Und ich löcherte dich, was an dieser Band so toll sei. Ich liebte Seventeen Seconds, und danach kein einziges Album mehr. Ratlos hörte ich PORNOGRAPHY. In den Klanghorizonten spielte ich allein SEVENTEEN SECONDS. Ich sehe noch heute die Lobeshymne von Ingeborg Schober in der SZ vor mir.

  6. Martina Weber:

    Time to write a book, as Steve Tibbetts wrote. Dein Leben scheint sich spielerisch und leicht in einen Roman zu verwandeln. Es sind aber nicht nur die ungewöhnlichen Erlebnisse, es ist vor allem die Sprache und dein Umgang mit der Zeit und mit den Räumen, mit Zitaten, mit der Dramaturgie, dem Unheimlichen und der Magie.

    Von The Cure habe ich THE HEAD IN THE DOOR hier und eben ein paar Songs gehört, die mich an eine Zeit mit einem Freund erinnern, durch den ich diese Art von Musik kennengelernt habe, zu der wir wochenlang in unserem einzigen Sommer, den wir hatten, im Bett lagen oder einfach nichts Besonderes getan haben.
    Die Platte ist wilder als SEVENTEEN SECONDS.

  7. Claudia S.:

    Gefällt mir sehr. Schreib‘ bitte weiter. Auf deinen kleinen Roman „Der schwarze Hund von Bergeinöden“ bin ich gespannt. Um Erika traure ich ein wenig, auch wenn sie für mich nur fiktonal geblieben ist.


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