Das Cover ist eine Katastrophe, zugegeben; dergleichen lief früher in den Bahnhofskinos – aber wer auch immer sich da was auch immer dabei hoffentlich gedacht hat – ich denke, Michael irrt sich, wenn er von einem B-Movie spricht, bei derlei hätte sicher auch Delphine Seyrig nicht mitgemacht, die hatte andere Angebote, zumindest seit LETZTES JAHR IN MARIENBAD.
Der Film (klassifiziert sich als Erotik-Horror, 1971 aus Belgien) repetiert nicht den gängigen Vampirmodus (da wäre ein „Nicht-schon-wieder-ein-Vampirfilm“-Stöhnen des Twilight-gequälten Cineasten durchaus angebracht), sondern stellt das gesamte Genre quietschvergnügt auf den Kopf.
Die Vampirin tötet nicht (zumindest nicht in erster Linie), sie verführt. Für die Protagonistin, die junge Frau, Valerie, scheint die Gefahr eher in ihrem zunehmend gewalttätigen Partner zu drohen, als von der reizvollen Gräfin Bathóry auszugehen, einer historischen Figur die angeblich das Blut von Jungfrauen trank, um selbst jung zu bleiben. Schon hier ist die Vampirbedrohung umgelagert. In Deutschland erschien der Film unter dem Titel „Blut an den Lippen“, dankenswerterweise verzichtet der Regisseur aber auf dergleichen, sowie auch auf spitze Eckzähne, Beissereien und andere Klischees und Versatzstücke.
Die Gräfin als Vampir ist hier nicht die Gefahr, gegen die sich das Heteropaar zur Wehr setzen muss, diese scheint vielmehr in die heterosexuelle Beziehung eingeschrieben. Der Zuschauer kann sich dem Charme der Gräfin schwer entziehen, Valerie ebenso. Der Partner Valeries mutiert dagegen zum Ekelpaket und man nimmt es den beiden Frauen kaum übel, als sie ihn schliesslich um die Ecke bringen.
Damit hat sich der Film zu den erotischen Wurzeln des Vampirmythos bekannt. Medienwissenschaftler (u.a. der von mir präferierte Georg Seeßlen) sahen als treibende Kraft die kollektive Angst des American Cowboy (der sich vielleicht besser aufs Pferdezureiten verstand) vor den Verführungskünsten des europäischen Adligen, ebenso wie sich die Angst vor der Kraft und Potenz des schwarzen und versklavten Anteils der amerikanischen Bevölkerung bei KING KONG spiegelt, in dessen behaarten Armen ja ständig eine weisse, völlig hingegebene und hingegossene Frau post-orgiastisch vor sich hin ohnmächtelt. Schuldgefühle gegenüber einer unterdrückten Minderheit gebären gern rächende Monster, die meistens allen Grund zur Rache haben.
Der klassische Vampir ist ja ein Graf samt ganzem Zubehör, schwarzer Seidenrobe, Burgen, Katakomben und Schlössern sowie anderen Insignien einer überkommenen Herrschaftsarchitektur. Er ist ein Halbwesen: Nicht ganz Mensch, nicht Tier, nicht ganz in dieser Welt beheimatet, aber auch nicht ganz in der Anderswelt, nicht tot aber auch nicht ganz lebendig, die Hälfte der Zeit liegt er ja im Sarg und langweilt sich vermutlich höllisch.
Auch Burgen und Schlösser sind Halbwesen: Oben verrottet und zerfallen, bergen sie im unteren Teil Verliese und Katakomben, Schätze und wertvolle Geheimnisse. Diese kränkelnden und zerstörten Abbilder drücken das Schweben der Halbwesen zwischen Existenz und Nichtexistenz aus, Leben und Nichtleben, Lieben und Zerstören. King Kong war ja durchaus der Liebe fähig und erweckte mit seinem tragischen Ende schliesslich unser aller Mitleid. Die Gräfin Bathóry kennt diese Tragik, Getriebenheit und Melancholie nicht. Sie agiert entspannt, lustvoll und mit sich im Reinen. Wo Erotik offen thematisiert wird – so wie hier – erübrigen sich phallische und erotische Symbole die durch Triebverdrängung verschlüsselt und symbolisiert werden: Eckzähne, Pfähle, Kreuze … und letztlich auch Blut, das ja mit Sex und Fortpflanzung ebenfalls eng verwoben ist. Das hat hier etwas Befreiendes. Das Auspressen und Aussaugen der Untertanbevölkerung bis aufs Blut war eine Domäne des europäischen Adels – soweit die sich mit dem Oralen beschäftigende Lesart neben der erotisch akzentuierten Interpretation von Vampir-Narrativen. Schaurige Elemente und entsprechende Ornamentik fehlen in diesem Film jetzt völlig, abgesehen von der gruseligen Wellenreiter-Perücke der Gräfin die förmlich nach Heruntergerissenwerden, somit nach Entblössung schreit. Auch in MARIENBAD hatte sie schon eine ausgesprochen doofe Frisur, by the way. Diese Frau hätte Besseres verdient.
Handlung: eine Frau verführt eine Frau und bringt damit einen Mann zum Ausrasten. Filme in den 70ern stehen oft stark unter dem Eindruck der über Europa hereinbrechenden (klingt nach Tsunami, ein aggressiv getöntes Bild von mir) Frauenbewegung und den darin wurzelnden realen und phantasierten Gefahren für Männer- und Frauenwelt und das künftige Miteinander der Geschlechter. Dazu braucht es kein stilisiertes Grauen, das war damals für viele Grauen genug, heute haben wir uns langsam daran gewöhnt. Die Frau im Film wendet sich der Frau und ihrer verfeinerten Erotik zu, der reichlich grobschlächtige Mann droht sie zu verlieren, schläft mit der Sekretärin der Gräfin, wird dieser gegenüber gewalttätig, akzeptiert ihr „Nein“ nicht und sie kommt dabei zu Tode. Nun gibt es für das knisternde Frauenpärchen Grund zur Rache.
Damit hat die weibliche Verführungskraft der Gräfin über die Heterobeziehung gesiegt, aber ist auch gleichzeitig die Diffamierung weiblicher Erotik als aggressiv-rivalisierend und todbringend erfolgt. Die Strafe folgt auf dem Fusse: Die Gräfin und Valerie (am Steuer) kommen bei einer Autofahrt, die ebenfalls durch das begeisterte Anfeuern der Gräfin („Faster, faster!“) eine sexuelle Konnotation bekommt, von der Strasse ab, das Auto überschlägt sich und die Gräfin hängt in bizarrer Pose aufgespiesst an einem dürren Baum: Vampire werden gepfählt, nur so kann man vor ihnen sicher sein. Oder nicht?
Ein neues junges Paar kommt vor dem Hotel an, Valerie (hat offenbar den Unfall überlebt) erscheint und wird sich liebevoll der jungen Frau annehmen. Weibliche Zerstörungskraft ist scheinbar nicht totzukriegen, die junge kontaminierte Frau übernimmt die Stafette, der gängige Topos in Vampirfilmen – wer es noch nicht wusste, weiss es jetzt. We shall overcome …