Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2022 11 Juli

Daughters of Darkness

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 15 Comments

 

Das Cover ist eine Katastrophe, zugegeben; dergleichen lief früher in den Bahnhofskinos – aber wer auch immer sich da was auch immer dabei hoffentlich gedacht hat – ich denke, Michael irrt sich, wenn er von einem B-Movie spricht, bei derlei hätte sicher auch Delphine Seyrig nicht mitgemacht, die hatte andere Angebote, zumindest seit LETZTES JAHR IN MARIENBAD.

Der Film (klassifiziert sich als Erotik-Horror, 1971 aus Belgien) repetiert nicht den gängigen Vampirmodus (da wäre ein „Nicht-schon-wieder-ein-Vampirfilm“-Stöhnen des Twilight-gequälten Cineasten durchaus angebracht), sondern stellt das gesamte Genre quietschvergnügt auf den Kopf.

Die Vampirin tötet nicht (zumindest nicht in erster Linie), sie verführt. Für die Protagonistin, die junge Frau, Valerie, scheint die Gefahr eher in ihrem zunehmend gewalttätigen Partner zu drohen, als von der reizvollen Gräfin Bathóry auszugehen, einer historischen Figur die angeblich das Blut von Jungfrauen trank, um selbst jung zu bleiben. Schon hier ist die Vampirbedrohung umgelagert. In Deutschland erschien der Film unter dem Titel „Blut an den Lippen“, dankenswerterweise verzichtet der Regisseur aber auf dergleichen, sowie auch auf spitze Eckzähne, Beissereien und andere Klischees und Versatzstücke.

Die Gräfin als Vampir ist hier nicht die Gefahr, gegen die sich das Heteropaar zur Wehr setzen muss, diese scheint vielmehr in die heterosexuelle Beziehung eingeschrieben. Der Zuschauer kann sich dem Charme der Gräfin schwer entziehen, Valerie ebenso. Der Partner Valeries mutiert dagegen zum Ekelpaket und man nimmt es den beiden Frauen kaum übel, als sie ihn schliesslich um die Ecke bringen.

Damit hat sich der Film zu den erotischen Wurzeln des Vampirmythos bekannt. Medienwissenschaftler (u.a. der von mir präferierte Georg Seeßlen) sahen als treibende Kraft die kollektive Angst des American Cowboy (der sich vielleicht besser aufs Pferdezureiten verstand) vor den Verführungskünsten des europäischen Adligen, ebenso wie sich die Angst vor der Kraft und Potenz des schwarzen und versklavten Anteils der amerikanischen Bevölkerung bei KING KONG spiegelt, in dessen behaarten Armen ja ständig eine weisse, völlig hingegebene und hingegossene Frau post-orgiastisch vor sich hin ohnmächtelt. Schuldgefühle gegenüber einer unterdrückten Minderheit gebären gern rächende Monster, die meistens allen Grund zur Rache haben.

Der klassische Vampir ist ja ein Graf samt ganzem Zubehör, schwarzer Seidenrobe, Burgen, Katakomben und Schlössern sowie anderen Insignien einer überkommenen Herrschaftsarchitektur. Er ist ein Halbwesen: Nicht ganz Mensch, nicht Tier, nicht ganz in dieser Welt beheimatet, aber auch nicht ganz in der Anderswelt, nicht tot aber auch nicht ganz lebendig, die Hälfte der Zeit liegt er ja im Sarg und langweilt sich vermutlich höllisch.

Auch Burgen und Schlösser sind Halbwesen: Oben verrottet und zerfallen, bergen sie im unteren Teil Verliese und Katakomben, Schätze und wertvolle Geheimnisse. Diese kränkelnden und zerstörten Abbilder drücken das Schweben der Halbwesen zwischen Existenz und Nichtexistenz aus, Leben und Nichtleben, Lieben und Zerstören. King Kong war ja durchaus der Liebe fähig und erweckte mit seinem tragischen Ende schliesslich unser aller Mitleid. Die Gräfin Bathóry kennt diese Tragik, Getriebenheit und Melancholie nicht. Sie agiert entspannt, lustvoll und mit sich im Reinen. Wo Erotik offen thematisiert wird – so wie hier – erübrigen sich phallische und erotische Symbole die durch Triebverdrängung verschlüsselt und symbolisiert werden: Eckzähne, Pfähle, Kreuze … und letztlich auch Blut, das ja mit Sex und Fortpflanzung ebenfalls eng verwoben ist. Das hat hier etwas Befreiendes. Das Auspressen und Aussaugen der Untertanbevölkerung bis aufs Blut war eine Domäne des europäischen Adels – soweit die sich mit dem Oralen beschäftigende Lesart neben der erotisch akzentuierten Interpretation von Vampir-Narrativen. Schaurige Elemente und entsprechende Ornamentik fehlen in diesem Film jetzt völlig, abgesehen von der gruseligen Wellenreiter-Perücke der Gräfin die förmlich nach Heruntergerissenwerden, somit nach Entblössung schreit. Auch in MARIENBAD hatte sie schon eine ausgesprochen doofe Frisur, by the way. Diese Frau hätte Besseres verdient.

Handlung: eine Frau verführt eine Frau und bringt damit einen Mann zum Ausrasten. Filme in den 70ern stehen oft stark unter dem Eindruck der über Europa hereinbrechenden (klingt nach Tsunami, ein aggressiv getöntes Bild von mir) Frauenbewegung und den darin wurzelnden realen und phantasierten Gefahren für Männer- und Frauenwelt und das künftige Miteinander der Geschlechter. Dazu braucht es kein stilisiertes Grauen, das war damals für viele Grauen genug, heute haben wir uns langsam daran gewöhnt. Die Frau im Film wendet sich der Frau und ihrer verfeinerten Erotik zu, der reichlich grobschlächtige Mann droht sie zu verlieren, schläft mit der Sekretärin der Gräfin, wird dieser gegenüber gewalttätig, akzeptiert ihr „Nein“ nicht und sie kommt dabei zu Tode. Nun gibt es für das knisternde Frauenpärchen Grund zur Rache.

Damit hat die weibliche Verführungskraft der Gräfin über die Heterobeziehung gesiegt, aber ist auch gleichzeitig die Diffamierung weiblicher Erotik als aggressiv-rivalisierend und todbringend erfolgt. Die Strafe folgt auf dem Fusse: Die Gräfin und Valerie (am Steuer) kommen bei einer Autofahrt, die ebenfalls durch das begeisterte Anfeuern der Gräfin („Faster, faster!“) eine sexuelle Konnotation bekommt, von der Strasse ab, das Auto überschlägt sich und die Gräfin hängt in bizarrer Pose aufgespiesst an einem dürren Baum: Vampire werden gepfählt, nur so kann man vor ihnen sicher sein. Oder nicht?

Ein neues junges Paar kommt vor dem Hotel an, Valerie (hat offenbar den Unfall überlebt) erscheint und wird sich liebevoll der jungen Frau annehmen. Weibliche Zerstörungskraft ist scheinbar nicht totzukriegen, die junge kontaminierte Frau übernimmt die Stafette, der gängige Topos in Vampirfilmen – wer es noch nicht wusste, weiss es jetzt. We shall overcome

 

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15 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Und, wie gerufen: dieser feine Film ist den ganzen Juli über zu sehen, in der arte Mediathek, unter dem deutschen Titel „Blut an den Lippen“.

  2. Ursula Mayr:

    Und was gefällt Dir daran so? Ausser den Damen natürlich?

  3. Michael Engelbrecht:

    Gute Frage.

    Die beiden Frauen, natürlich! Ihre Nähe/Distanz/„Tänze“.

    Ich mag es, wenn so ein Film wie dieser es schafft, bei allem Trash und Theater, mich in seine Story hineinzuziehen – das ist auch ein Akt der Verführung.

    Und da ist sicher noch mehr, was, unter der Haut, mitschwingt.

  4. Michael Engelbrecht:

    Also ich würde das schon als B Movie bezeichnen. Und vor allem: sie haben oft viel mehr künstlerische Qualität als anfangs geahnt. Die sog. B MOVIE Experten hatten oft ein Gespür für Subversives, Gegen Den Strich Inszeniertes (ob Corman, Carpenter oder Kümel).

    „Heute versteht man unter einem B-Movie meist allgemein einen zweitklassigen Film mit in der Regel geringem Filmbudget und zumeist niedrigem künstlerischen Anspruch. Filme dieser Art sind meistens im Horror- bzw. Splatter-, Science-Fiction- oder Actiongenre angesiedelt.“ (Wiki)

    Wobei mir etliche B Movies besser gefallen als bestimmte A Movies😉

    Also lieber BLUT AN DEN LIPPEN und TARANTULA als DIE LINKSHÄNDIGE FRAU und DER HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN.

  5. Lajla:

    Schade, dass gar nichts über die Musik in diesem Film gesagt wird.

    Ich habe mit meiner Tochter The Lost Daughter („Frau im Dunkeln“) angesehen.

    Sehenswert. Netflix. Tindersticks. Googeln.

  6. Michael Engelbrecht:

    Der Soundtrack wurde von François de Roubaix komponiert und ist seit ein paar Jahren zum ersten Mal auf Vinyl und CD erhältlich.

    Etliche Zeit nach der Veröffentlichung des Films entdeckte die New Yorker Hip-Hop-Szene Elemente des Soundtracks und begann, Samples aus dem Soundtrack in ihren Songs zu verwenden, z. B. von Lil Wayne.

    Die Vinyl- und CD-Verpackung enthält ein exklusives Poster und ein bedrucktes Innersleeve mit Linernotes in Englisch und Französisch vom Sohn von Francois, Benjamin de Roubaix.
    Um die Wiederentdeckung dieses Albums zu feiern, werden 666 nummerierte Exemplare auf blutrotem Vinyl erhältlich sein.

    Die Musik fügt sich gut in die Stimmungen des Films ein, finde ich, und die Platte läuft bei meinem kleinen Privatfilmfestival:)

    Jetzt wird es bald Zeit, uns mal einen film des B MOVIE MAESTROS Jess Franco anzunehmen, der von Peter Strickland sehr geschätzt wird. Zum Beispiel VAMPYROS LESBOS.

    Kann man auf youtube sehen, mit deutscher Synchro:

    https://www.youtube.com/watch?v=OdaL_F8Gk44&t=3719s

    Auch Jess Franco benutzt da einen speziellen Soundtrack, voller psyxhedelischer Elemente. Der Film kommt aus dem Jahre 1971 oder 73. Und beim Anschauen fragte ich mich schon, wer da alles was genascht hat…

  7. Michael Engelbrecht:

    P.S. zu VAMPYROS LESBOS:

    1971 West German-Spanish horror film directed and co-written by Jesús Franco. The film stars Ewa Strömberg as Linda Westinghouse, an American who works in a Turkish legal firm. Westinghouse has a series of erotic dreams that involve a mysterious vampire woman who seduces her before feeding on her blood. When she travels to an island to settle an inheritance, Linda recognizes a woman as the vampire from her dreams.

    The film was shot in 1970 in Turkey. It was a popular success in theaters in Europe on its release and was the first film to have a more psychedelic score for a Franco film and the first to have a lesbian theme as a prominent feature of the film.

    The film’s score became popular in the mid-1990s when it was included on the compilation Vampyros Lesbos: Sexadelic Dance Party, an album that became a top ten hit on the British Alternative charts.

    Der bekannte deutsche Gitarrist Siggi Schwab war wohl wesentlich am Soundtrack beteiligt.

    Masterpiece by Director Jesus Franco. (Taken from Wikipedia)

  8. Uwe Hörster:

    Wunderbar. Danke für diese Interpretation eines besonderen Films, habe ich gestern auf arte gesehen. Das hat was!!! Europäisches Underground Kino sozusagen.

  9. Michael Engelbrecht:

    Indiewire on hot lesbian vampire movies:

    Bloodlust and lesbians — what could be a more winning combination? In honor of Halloween month, the programmers at New York arthouse cinema The Quad are showcasing 12 staples of the lesbian vampire genre, because who doesn’t love a broad with bite?

    Titled

    A Woman’s Bite: Cinema’s Sapphic Vampires,”

    the series also complements an excellent Jean Rollin retrospective, Très Outré: The Sinister Visions of Jean Rollin, the French horror auteur who put women at the center of his lush, gothic cinema. “A Woman’s Bite”…

    EIN PAAR ALTE BEKANNTE TAUCHEN AUF:

    https://www.indiewire.com/gallery/lesbian-vampire-movies-halloween/

    Ich suche Blood and Roses (1960)

  10. Michael Engelbrecht:

    @ Uschi: ich könnte noch konkreter werden, was mich so gaaaaaanz besonders fesselt an DAUGHTERS OF DARKNESS. Es wird wohl reinfliessen in meine Kurzgeschichte DIE FARBENFRAU.. someday here and somewhere else…

  11. Ursula Mayr:

    Okay! Irgendeiner wartet immer … womit wir beim nächsten Film wären.

    Das Besprechen des Soundtracks überlasse ich gerne den anderen Manas, bin nicht sehr musikaffin, habe ein Ohrenproblem und bin meistens von den Bildern und den unterschwelligen Botschaften so gefesselt, dass ich die Musik gar nicht wahrnehme, da müsste ich dann zweimal gucken und da habe ich oft nicht die Geduld. Das kann der Micha besser, wie man sieht.

  12. Ursula MayrU:

    Underground triffts besser als B-Movie. Das ist was anderes …

    Sartre guckte sich am liebsten „gute schlechte Filme“ an, lieber als gute oder schlechte gute. Vielleicht triffts das.

  13. Jörg R.:

    Ich freue mich auch über die Filmbesprechungen, vor allem in Bezug zu gesellschaftlichen Prozessen.

  14. Michael Engelbrecht:

    Ja, bei Underground schwingt viel mehr mit, was Sinn macht.

  15. Anonymous:

    https://www.youtube.com/watch?v=uryRdqFdvhw


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