Was für eine Enttäuschung, in die alte BRD zurückzureisen, und vollkommen ernüchtert Wim Wenders zweiten oder dritten Teil seiner Road Movie-Trilogie zu erleben! Ich werde es nicht schönerzählen. In Jahr 1975 sah ich „Falsche Bewegung“ zweimal, einmal war ich verliebt, und lud die noch unbekannte Schöne ins City-Kino von Würzburg ein, um den Film mit mir zu sehen, das andere Mal hatte ich das Herz von C. vorübergehend erobert, weiterhin full in love, und Wim Wenders antworte, im Rahmen eines kleinen Würzburger Filmfests, auf die Fragen der Studentenschaft.
– Herr Wenders, warum haben Sie das leere Rauschen des Fernsehers eingesetzt, als die Reisegruppe Ivan Desny in seinem Schloss aufsuchte. Hatte das eine Bedeutung?
– Der stand da einfach. (Geschmunzel allseits)
Ich werde mich hier nicht gross aufhalten, bei der literarischen Vorlage von Goethe, die Drehbuchschreiber Peter Handke bruchstückhaft aufgreift, um seine subdepressive Reisetruppe vom Norden Deutschlands runter zur Zugspitze zu schleusen. Herr Handke war schlecht drauf, nach dem Suizid seiner Mutter, und liess eine Weltschmerztirade nach der anderen vom Stapel. Das alter ego von Handke / Wenders, Rüdiger Vogler (ach, wie gerne sah ich ihn einst – er war älter als ich, und trug ziemlich beeindruckende Melancholiewerte in seiner aufgeräumten Gesichtslandschaft umher!), hatte am Anfang einen Wutmoment und legte in seiner Dachstubenwohnung im hohen Norden eine Single von den Troggs auf.
Etwas mehr Rock der alten Schule hätte dem Film gut getan, aber was dann abging, in dieser Reisegesellschaft, mit der gedankenvoll-abwesenden Schygulla, der jungen Kinski (14 Jahre, und fast schon gruselig sexualisiert in Wenders tendenziell komplett unerotischem Kino), einem Kriegsverbrecher (grosser alter deutscher Schauspieler, Jahre später stand er direkt vor mir bei den Berliner Filmfestspielen), dem, einen Vollidioten von Lyriker spielenden, Peter Kern (wohl eine Selbstparodie Handkes), geht kaum auf die berühmte Kuhhaut. In Handke‘schem Duktus reden selbst Zugschaffner, und klingen, als hätten sie gerade die falsche Tüte geraucht.
Was für einem seltsam überanstrengtem Mist war ich damals nur ergeben. Aber Wim Wenders‘ Kino wurde überall in Europa von den Künstlern geliebt, Brian Eno schätzte, was Wunder, die Langsamkeit, und erwärmte sich für die „Kings of the Road“. Peter Buchka war Wenders‘ Hofberichterstatter bei der Süddeutschen, und gierig verschlang ich seine Zeilen, sie verkürzten mir die Wartezeit aufs erste Sehen, und gaben keine Handlung preis, wie auch, wo es ja kaum Handlung gab.
Der von Peter Kern gespielte Vollpfosten bringt die Gruppe dazu, seinen reichen Onkel zu besuchen, der über das schwere Leben sinniert. Sie kommen gerade rechtzeitig, um seinen Selbstmord zu verhinden, und Peter Kern merkt an, das sei wohl gar nicht sein Onkel. Was für ein Quatsch.
Als sie dann allesamt gefühlte Stunden auf einem Weinberg rumkraxelten und sich wenig wärmende Selbstgespräche an die Köpfe warfen (immerhin hatte Rüdiger die helle Idee, er solle das mit den politischen Kommentaren besser lassen – Peter hätte besser mal zuhören sollen!), war es dann um meine Chronistenpflicht geschehen. Ich stoppte diese weitgehend uninspirierte phlegmatische Filmerzählung, an der ich rückblickend wenigestens ein paar gute Haare lasse. Die Kameraarbeit von Robby Müller beeindruckt, wenn Bewegung ins erstarrte Gruppenleben kommt. Sie kreiert flüchtige Illusionen des Vorwärtsdrangs, und lässt den Zuschauer hier und da Frischluft schnuppern. Auch die Hauptmelodie des Films geht unter die Haut, mehr, als das Gewicht der Welt, an dem hier alle in unterschiedlichen Aggregatzuständen der Schwermut zu tragen haben.
In einem sehr langen Essay, der sich in englischer Sprache im Netz findet, erzählt uns ein sanft berauschter Filmkritiker für die „Criterion“-Ausgabe seine Sicht von „Wrong Movement“, erkennt eine Studie über die Unmöglichkeit von Kommunikation (na, ist das grossartig!!), und preist den Film für seine konstante Vorwärtsbewegung, allen Wirrnissen zum Trotz. Natürlich erkennt er auch einen Finsterblick auf die BRD anno 75, wobei ich aber nicht mehr mitmache. Ich wollte wirklich bis zum Ende aushalten, da sollte die Truppe schliesslich die Zugspitze erreichen: ob damals schon das Wirtshaus existierte, auf dem ich mir vor sieben Jahren eine Mass Weizenbier gönnte? Ob der Kamera von Robby ein paar Bergdohlen vor die Linse kamen? Hat die junge Kinski ein Rad geschlagen auf dem höchsten deutschen Berg? Fragen über Fragen.
Ähem, die Siebziger Jahre waren ein magisches Jahrzehnt – in diesem massiv überschätzten Film merkt man nichts davon. „Falsche Bewegung“ ist womöglich als Fallstudie zu gebrauchen über mehr oder weniger kaschierte Depressionen.
Alle Abenteuer sind daraus verschwunden.