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2022 22 Juni

Wann sind wir wirklich zuhause? Eine aktuelle Buchbesprechung

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 9 Comments

Den ungeheuren Vorwurf des ukrainischen Botschafters Melnyk, dass sich die Ukrainer von den Deutschen nicht willkommen geheißen fühlen, hat nun Peter Sloterdijk entschieden öffentlich zurückgewiesen. Auch aus meinem Umfeld kann ich berichten, dass die aufgenommenen Ukrainer dankbar sind und sich aufgenommen fühlen.

Die französische Philosophin Barbara Cassin hat ein Buch zu diesem Thema vorgelegt. NOSTALGIE. Es beschäftigt sich mit der Frage: Wann sind wir wirklich Zuhause? Sie definiert Nostalgie mit den deutschen Wörtern „Heimweh“ und „Sehnsucht“. Heimweh ist der Wunsch zurückzukehren. Sehnsucht ist das Begehren, der Trieb, überall und nirgends zuhause zu sein. „Ein solcher Trieb kann Philosophie nur sein, wenn wir, die philosophieren, überall nicht zuhause sind. Überall zu Hause sein heißt: jederzeit und zumal im Ganzen sein.“ (Heidegger / S. 99)

Barbara Cassin schreibt über Hannah Arendt, dass trotz wechselnder Wohnorte in verschiedenen Ländern, Arendt immer auf die deutsche Sprache geachtet hat. Sie verstand sie als ihr Zuhause.

Das lesenswerte Buch endet mit der schon erwähnten Frage: „Wann sind wir wirklich zuhause? Wenn wir selbst, unsere Nächsten und unsere Sprache willkommen sind.“

 

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9 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Anders als einige andere hier, bin ich ein Sympathisant von Joe Biden. Nur er konnte die Tyrannei des Soziopathen Trump brechen, und die US und A werden einen hohen Preis zahlen, wenn sie in Kürze die Demokraten weiter entmachten, und Trump (oder einer seiner elenden Gesinnungsart) bei den nächsten Präsidentschaftswahlen wieder an die Macht kommen lassen. Dann wird die USA ein faschistisches Land wie Russland. Wie China.

    So weit, so schlecht. Es gibt übrigens unter den Flüchtlingen aus der Ukraine, ganz sicher eine Minderheit, unfassbare assholes, die selbst luxuriöse neue Umgebungen zurückweisen, und mit einer deplatzierten Anmassung ihre Masslosigkeiten formulieren, und grusslos verschwinden, wenn man nicht nach ihrer Pfeife tanzt. Wie gesagt, eine Minderheit. Ich kenne Fälle.

    Bei Gost Books, London, ist ein Buch erschienen, Fotos und Gedichte, und da spüren wir, was diese kranke Drecksau Putin und sein innerer Kreis von menschlichem Abschaum (Lawrow / Medwedew und Co.) in diesem wundervollen Land mit so vielen wundervollen Menschen anrichten.

    Yelena Yemchuk: Odesa. Mit Gedichten von Ilya Kaminski. Heute in der SZ die Besprechung unter dem Titel: „Und das war Odessa. Das war wild“. Zum Heulen.

  2. Ursula Mayr:

    Dass Asshole – Syndrom dürfte kein rein ukrainisches Phänomen sein. Eher ubiquitär.

    Zum Heimatgefühl mache ich hier in der Chiemgauer Landbevölkerung – wo die Heimat- und Brauchtumspflege eine grosse Rolle spielt – dass es oft eine Angstbindung bedeutet. Viele trauen sich geradezu nirgends anders hin, Grosstadt ist ein Schreckensbild, Urlaub wird nicht gemacht – man wohnt ja in der Urlaubsregion – und wenn doch einmal dann Südtirol oder der Bodensee. Also Gleiches zu Gleichem.

    War mir als Münchnerin ganz neu.

  3. Lajla:

    In meiner Buchvorstellung geht es weder um Trump noch um Heimat. Es geht um Heimweh, Sehnsucht und ob wir uns in unserer Muttersprache zuhause fühlen.

  4. Michael Engelbrecht:

    Da bin ich mir sicher. Ich habe den ersten Absatz kommentiert, und dann doch noch die Wendung zur nun kolossal bedrohten Heimat gezogen, mit dem Buch der Fotografin, bei dem, wenn man die Bilder auf sich wirken lässt, und die Gedichte, eine schmerzhafte Form von Nostalgie / Sehnsucht entsteht. Unausweichlich.

  5. Littlejack:

    Die Verbindung von Heimat und Sprache leuchtet mir ein, ich würde hier auch die Rolle des Dialekts mit ins Spiel bringen wollen, kann auch Heimatgefühl erzeugen.

    Man spricht ja nicht umsonst von Muttersprache. Ohne das Buch gelesen zu haben. Das „im Ganzen sein“ – schwer vorstellbar – eben so ein philosophischer Terminus in der gewohnten Unschärfe.

  6. Lajla:

    Heidegger meint mit „im Ganzen“ die Welt. Ich habe z.B. immer Heimweh nach Norwegen. Roger Willemsen fuhr vor seinem Tod nochmal nach Norwegen. Er wollte nochmal die Schönheit der Fjorde sehen. Danach hatte er Heimweh.

    Heidegger reiste nach Griechenland, der griechischen Sprache wegen. Es hat also nichts mit Heimat zu tun, sondern mit „unterwegs“ sein.

  7. Jochen:

    Verstehe – ich hatte bereits Heimweh nach Brasilien, bevor ich überhaupt dort war.

    „Saudade“ trifft es vielleicht auch, das Heimweh.

  8. Michael Engelbrecht:

    Ich hatte Zeit meines Lebens (ab 17) eine enorme Sehnsucht nach England, nach London, nach Cornwall, nach Kent. Ich könnte Seiten vollschreiben, über die Ränder hinaus, wie meine Glücksgefühle dort wieder und wieder anwesend waren – als ich meine erste Pfeife an den Docks von Torquay rauchte, als ich im Liebeskummer wie ein Geist durch Hampstead Heath im September wanderte und doch völlig durchströmt wurde von Lebendigkeit (nicht erst, als mich eine aparte ältere Lady mit zwei Wundhunden in ein Gespräch verwickelte) , wie ich, immer wieder gerne, aus der Ubahn kam und von den blinkenden Werbetafeln von Piccadilly begrüsst werde:

    Babyboomer’s dream😉

    Wie ich, auf einem Friedhof bei Earl’s Court, meine damalig Fotografin davon überzeugen konnte, mit mir einen Woche berauschenden Sex zu haben (ich zitierte Sonnet 18, und sang ihr Youngs Tell Me Why vor). London war ein Versprechen, und meist hat es genau das gehalten. Auf dem Land in Dorset schlief ich in dem Himmelbett von Daphne Du Maurier, aber nicht Daphne lag an meiner Seite, als ich zum Morgen hin, ohne Plattenspieler, das Cover der gerade frisch in Portsmouth auf den Markt gekommenen Schallplatte Time Out Of Mind von Bob Dylan beguckte. Und die sad eyed lady of the lowlands uns den Tee ans Bett brachte.

    Soviel zu „schwimmenden Wurzeln“ …

    Habe den Anfang probegelesen, unsonst auf meinem Kindle. Muss meinen ersten flüchtigen falschen Eindruck korrigieren: promising!!!

  9. Lajla:

    @ Jochen.

    Ja, Saudade ist ein schönes Wort dafür.


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