Auf dem Weg zum nördlichsten Punkt des Landes stoppten mich, es ist nun auch schon länger her, ein paar Schafe auf dem holprigen Weg, die aber nichts am Fluss der Gedanken änderten. Ich liess ihnen alle Zeit der Welt und dachte über die Umstände des Suizids von Ulrich Wildgruber nach, dessen Leiche vor Ewigkeiten morgens am Strand von Westerland gefunden wurde. Ich hatte ihn, etliche Jahre zuvor, in dem Film „Die Hamburger Krankheit“ gesehen, in dem die BRD von einer todbringenden Seuche heimgesucht wurde. Am Vorabend war mir der Tod des Schauspielers zum ersten Mal durch den Kopf gegangen, als ich allein in einer Sauna am Meer war und später im Stockdunklen ins Wasser ging, aber nicht weit, aus Respekt vor den Buhnenresten. Schliesslich trotteten die Schafe dahin, wohin sie gehörten, auf ihre Weide, und ich fuhr weiter, schön langsam.
Das Radio blieb, während meiner Tage auf der Insel, weitgehend aus dem Spiel, aber in diesem Moment hatte ich das dringende Bedürfnis, irgendeinen alten, gut abgehangenen Song zu hören. Ich zappte mich durch die Sender, und, hey, da war er, ein „fucking golden oldie“, und ein altmodischer Schauer des Glücks durchfuhr mich. „Sunny Afternoon“. Wir haben das schon auf dem Schulhof gesungen. Ich sang die paar Zeilen lauthals mit, die mir besonders gern im Kopf rumschwirren. Und ich imitierte die absteigende Basslinie.
Selten habe ich in einer Radiostunde langsamer gesprochen, zumindest stellenweise. Das war die Zeit des ersten knallharten Lockdowns, und nachdem ich zuvor auf Lanzarote schon in den Mauern der Hotelanlage bleiben musste, besorgte ich mir nun über die Pressereferentin der Kieler Landesregierung (mir der ich bis heute Krimitipps austausche) eine Akkreditierung für eine Inselreportage. Unvergessen der kauzige Polizist, der in Hörnum jeden Fremden in Empfang nahm, bevor der Blaue Autozug bestiegen werdem konnte. Zu dem Zeitpunkt mussten auch alle Zweitwohnungsbesitzer Sylt verlassen. Als ich da einmal eine frende blonde Frau traf, auf einem Parkplatz, sie in ihrem Sportwagen, ich ein meinem Toyata, kurbelten wir die Scheiben runter, und wir wechselten Worte miteinander geradezu wie alte Freunde am Ende der Welt.
Gestern fiel mir die neue HörZu in die Hände, mit einer Coverstory über die Lieblingsinsel der Deutschen, und ich konnte an dem Luftbild so ungefähr erkennen, wo ich mich in jenen Tagen rumgetrieben hatte. Was ich erlebte, war eine kleine Sylter „Gespenstergeschichte“, und alles, was ich erzähle, ist wirklich passiert. Aus Braderup machte ich Brederup, so what! Wenn man so seltsam allein über eine ansonsten hypertouristische Trauminsel stromert, werden manche Dinge von allein etwas dunkler, und in die Reportage des Aussen spielt immerzu das Innen hinein. Die Zeitzonen verschieben sich. Auch die Räume. (Eine kleine mp3-Aufzeichnung. Alles live, deshalb die kleinen Pausen, wenn etwas nicht gleich anspringt wie es sollte, und ab und zu liess ich dem Reden freien Lauf, verliess die Notizen und das Skript. Dass es nachts Räume gibt, solche Stimmungen entstehen zu lassen, weg von den genormten Empfindsamkeitsstandards, rechne ich dem Deutschlandfunk hoch an.)