In dem kürzlich erschienenen Prosadebüt von David Emling geht es um Existenzielles: das Leben, das man sich innig wünscht, oder „diese kleine Stimme in uns, die uns auffordert, unserer Bestimmung nachzugehen“. Und um das, was dazwischengekommen ist, etwa ein Beruf, der dem Lebenstraum nicht entspricht, zum Beispiel in einer Beratungsagentur. Und es geht um das, was einen jeden Tag davon abhält, das Eigentliche zu tun. „Daniels Hang“, veröffentlicht im Freiburger Verlag NeuWerk, ist eine Novelle und diese Gattung verlangt einige Strukturelemente. Zunächst ein besonderes Ereignis, das sich auf den Protagonisten auswirkt. In diesem Fall ist es: „alles, denn es ist nichts okay“, wie Daniel eines Nachts nach einem fantastischen Abendessen und wildem Sex verzweifelt seiner Freundin Jana erklärt: „die Arbeit, der Kurs, all die kleinen Enttäuschungen“. Mit dem Kurs ist Daniels Philosophiekurs gemeint. Foucault, kritische Theorie, Existenzialismus, Heidegger. Essays über philosophische Themen zu schreiben und damit zu zeigen, über diese Welt nachdenken zu können, das ist Daniels Ziel. Texte zu schreiben, die aber nur leben, wenn andere sie lesen – davon ist Daniel überzeugt. Das Dingsymbol für sein Schreiben ist sein charmant aus der Zeit gefallenes rotes Notizbuch. Daniel ist Sympathieträger: Auf der Zugfahrt zu Freunden sitzt er neben einer als unangenehm beschriebenen älteren Frau, die so korpulent ist, dass er neben ihr nicht einmal sein mitgebrachtes Buch aufschlagen kann; und doch: Als er aussteigt, „wünscht er der Frau in seinen Gedanken alles Gute“ – ein ziemlich ungewöhnliches Verhalten für einen jungen Mann. Der Held einer Novelle lässt sich treiben, er reagiert eher als dass er agiert, und so kann man das Buch auch unter den Aspekt lesen, auf welche Weise sich entscheidende Weichenstellungen in Daniels Leben ergeben, immerhin ein Zeitraum von sechs bis sieben Jahren in einem Alter von vielleicht den späten Zwanzigern bis in die Dreißiger hinein. Daniel ist ein empfindsamer, reflektierender Mann, er wird als Figur sehr anschaulich, weil er in verschiedenen Umfeldern agiert: seinem Zuhause mit Jana, seinem Arbeitsplatz, dem Philosophiekurs, dem neuen Nachbarn, mit Freunden von früher, mit seinen Eltern. Sehr stark ist die Szene, in der Daniel auf dem Nachhauseweg, mit Einkaufstaschen für ein genussvolles Abendessen bepackt, einem Mädchen, das auf dem Balkon eines billigen Wohnkomplexes steht, begegnet. Kaum spürbar finden Verschiebungen statt; manchmal genügt dafür ein Vergleich. So wirkt Toby, Daniels Chef, auf einer Geburtstagsfeier auf Daniel plötzlich „wie ein Künstler auf der Bühne“. Vor viereinhalb Jahren habe ich hier mit David Emling ein Parallel Reading über Richard Fords „Der Sportreporter“ gemacht, und David sagte, wenn schon das Leben unvorhersehbar sei, solle wenigstens die Erzählstruktur verlässlich sein, und so hat er es in „Daniels Hang“ gehandhabt. Es ist ein Buch, das für „die kleine Stimme in uns“ sensibilisiert – und für die Überraschungen, die sie bereithält.