Manafonistas

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2022 10 Mai

Die Runde am Blaubergsee (Teil 5)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 

Als diverse Pollen im Wald ringsum explodierten, legte sich auf die Autos am Gasthof ein gelb-grünlicher Schleier, wie eine hartnäckige Flechte. Es fiel mir ein, dass ich meinen VW damals, 1982, Jackson Pollock-artig in wildem Gelb und Grün besprühte, was mir deutlich zu viele Polizeikontrollen einbrachte. Am Morgen war der Abschied der grossen Runde gekommen, Uwe und ich blieben noch einen Tag länger in unserer ersten „Wohngemeinschaft“. Mit Petra und Willi ging es dann zum Blaubergsee, an den ich mich nur dunkel erinnerte. Nahe der Ortschaft Runding (wo wir damals, nach einem furiosen Finale gegen die französische Garnison, knapp verloren, und immerhin die Silbermedaille des Rundinger Wanderpokals mit nach Hause nahmen).

 

Ich machte den Driver für Uwe und legte „On The Beach“ von Neil Young in den Cd-Player. Der See stellte sich als recht verlassener Teich heraus, und unser kleiner Rundweg war nicht länger als gute tausend Schritte, rauf und runter. Der Grillplatz sah so verrottet aus, als wäre er seit den Achtziger Jahren nicht mehr in Gebrauch gewesen. Der running gag mit Willi war die Sache mit den Holzhäusern (ich gehe nicht ins Detail). Petra hatte mich mal ausfindig gemacht, ohne mich zu suchen. „Diese Stimme kenn ich doch“, dachte sie auf einer ihrer Nachtfahrten, und seitdem hörten Petra und Willi die eine oder andere meiner Sendungen im Deutschlandfunk. Was aus alter Zeit so alles hängen bleibt – Stories, Erlebnisse, zuweile einzelne Sätze, die sich in den Winkeln des Hinterkopfes herumtreiben und gelegentlich an die Oberfläche drängen.

 

Nach dem Ereignis sagte Petra mal zu mir: „Dieses Jahr kann dir keiner nehmen.“ Innerlich widersprach ich: ein Traum hatte sich in Luft aufgelöst, und Zeit sowieso die dezente Tendenz, sich zu verflüchtigen. Dennoch hallte der Satz nach. 1982 war ein „Schlüsseljahr“ auf allen Ebenen, an „Ereignisdichte“ kaum zu überbieten. Ich hätte daraus daraus einen kleinen Roman machen können, oder ein  „Mixtape“, mit  „Come On, Eileen“ von Dexy‘s Midnight Runners, „Abracadabra“ von der Steve Miller Band, „Eisbär“ von „Grauzone“, „Ashes to Ashes“ von David Bowie, „Listening Wind“ von den Talking Heads, „See The Sky About To Rain“ von Neil Young, und diesem einen Song (wie heisst er noch gleich, er liegt mir auf der Zunge). Als alles zuende war, hockte ich in Cham, in einem Café, in dem noch der Muff einer viel älteren Zeit und ein heruntergekommener, müde glitzernder Kronleuchter hingen, während aus dem Radio die weich, wie in Seide eingewickelten, Worte „words, they don‘t come easy“, oder so ähnlich, tönten. Petras Worte kamen, in all ihrer Einfachheit, nicht aus der Schule des Positiven Denkens, sie kamen aus dem Herzen.

 

 

Auf dem Balkon, vorgestern, an dem Tag, an dem so etwas wie Sommer endlich in die Gänge kam, kurz vor der Explosion der Pollen, erzählten sich Uwe und ich unsere Würzburger Geschichten. Verblüffend, was wir alles gar nicht voneinander wussten! Wir schwelgten aber nicht in Sentimentalität – einige Erinnerungen führten, ratzfatz, in die Gegenwart, zu einem weiten Feld nächster Schritte, anstehender Entscheidungen. Zum Schmunzeln – auf  der Rückfahrt trafen wir Zwei uns nochmal auf einem Rastplatz, er erzählte mir von einer schottischen Segelroute, ich ihm, beim Blick zum Himmel, von Wilcos feinem Album „Sky Blue Sky“,  und kurz darauf leuchtete mir auf der A3 ein Strassenschild entgegen, eine Abzweigung nach „Schlüsselfeld“.

 

The future ist now“, sagte mir Robert Wyatt mal während eines Interviews in London (es drehte sich um sein Album „Shleep“ von 1997) mit Hinblick auf die veränderte Perspektive, wenn Zeiträume kein unendlich zu bespielendes Terrain mehr sind. (Wieder so ein unspektakulärer Satz aus der Ferne.) Ich hatte inzwischen zwei Stücke Zwetschgenstreusel aus der Gaststube besorgt. Uwe notierte sich meine Lektüre, „4000 Wochen“ von Oliver Burkeman. Das Buch lag später im Koffer neben Ralfs „Suchtfibel“ – und meinem Leseexemplar von „City On Fire“, von Don Winslow (erscheint Ende Mai bei dem deutschen Verlagszweig von Harper & Collins). Alles Zeitreisen.

 

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