Manafonistas

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2022 24 Apr

„Trilogie der Langeweile“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 12 Comments

 

Oh nein, alle scheinen diese zwei Filme zu lieben, ich erinnere mich an glückliche Gesichter, an intelligente Frauen, die die Geschichten erzählen, an die kostbaren Momente des Staunens, ich erinnere mich an Filmkritiker, die verzweifelt nach Worten suchten, um all die Feinheiten zu beschreiben. Ich kann nur sagen, dass diese beiden „Filme zu den langweiligsten Erfahrungen gehören, die ich je im Kino gemacht habe. 1995: Before Sunrise. 2004: Before Sunset. Teenagerfilme, getarnt als dialogbesessene Liebesgeschichten für Jung und Alt. Den ersten Film habe ich gesehen, weil ich einem Schwarmgeist folgte. Den zweiten Film sah ich, weil ich von der Frau an meiner Seite geknallt werden wollte. A propos Paris: Ich bin wirklich dankbar für viele Filme der „Nouvelle Vague“; für Teenager, die in den 60er und 70er Jahren aufgewachsen sind, waren sie großartige Lektionen, um auf die Achterbahn namens Liebe und Desaster vorbereitet zu sein. Ich wollte mit Stéphane Audran schlafen, ich hatte Lust, durch die Pariser Traumlandschaften von Jacques Rivette schlendern, ein Boot mit Celine und Julie teilen, aber schon in diesen frühen Jahren sah ich einen Film, der die zwei Linklater-Langweile-Lektionen noch übertraf: „Claires Knie“ von Eric Rohmer. Eine blasse Erinnerung: Jean Louis Trintignant ist besessen von, nun ja, Claires Knie. Die Dialoge  hölzern, der Charme abwesend, der Ton todernst, und die Moral sauer. Ich könnte mir nur zwei Möglichkeiten vorstellen, mir diese Zumutungen noch einmal anzusehen: ein Zeitreiseticket in die Carnaby Street 1972, oder ein psychoanalytisches Filmseminar über diese „Trilogie“ mit unserer Dunkelzifferexpertin! Übrigens bin ich im Rahmen eines Interviews über eine französische Komödie, in der die Delpy eine Hauptrolle spielte, mit ihr mal durch den Dortmunder Westfalenpark spaziert, und sie war sehr erbost, dass die erste Interviewerin den Film überhaupt nicht gesehen hatte. Um die Situation nicht völlig in den Sand zu setzen, teilte ich ihr nicht mit, dass auch ich den Film im Vorfeld nicht habe sehen können, und stellte ihr (aufgrund einer immerhin gelesenen Inhaltsangabe) kunstvoll vage Fragen. Nun, zum Ende dieser Kurzgeschichte einer wiederholten Ernüchterung, noch dies: ich bin ein grosser Fan der Serie „Call My Agent“, über die Irrungen und Wirrungen einer Pariser Filmagentur. Merveilleux! Wenn das eine „soap opera“ ist, dann so ziemlich die beste, die ich je sah!

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12 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Micha, das istn Frauenfim, da hast Du auch nichts drin zu suchen, genau wie in Twilight. Ich habe die erste Folge vor Ewigkeiten gesehen, er missfiel mir nicht gerade aber es blieb auch bei der einen Folge, vor allem wegen der Schwierigkeiten mit der Betitelung – das ganze before und after und sunset und sundown und vorher und nachher und währenddessen und zwischendrin machte es mir schwer herauszukriegen welche Folge ich schon gesehen hatte.Das fand ich ärgerlich.Zudem bekomme ich Pickel wenn in der Vorankündigung das Wort “ kammerspielartig “ auftaucht. Habe fast die kompletten “ Hateful eight“ selig verpennt. Kann also nicht mit einem Seminar darüber dienen. Aber mir ist nachvollziehbar dass gerade Frauen, die das Wolkenschweben wohl mehr geniessen als Männer, die gern schneller zur Sache kämen diesen langsamen Prozess des Verliebens gern beobachten und goutieren. Habe der gleichen erlebt bei “ Shakespeare in love“ , auch ein Frauenfilm, in dem die Damen dann einräumten diesen Rausch gern noch einmal erleben zu wollen, wobei es hier auch wesentlich feuriger zuging.
    Bei Claires Knie habe ich das Gewese um ein normales Knie auch nie begriffen, aber über die nouvelle vague durfte man ja damals nix sagen, das war sakrosankt, da galt man gleich als Kulturbanause. Waren halt auch alle froh den alten Helden- und Noir – Filmen zu entkommen, da musste sich Rohmer nicht mehr sonderlich anstrengen. Und gutes Lehrmaterial für das weite Feld der Erotik waren sie allemal.

  2. Michael Engelbrecht:

    Also. Ich kenne auch Männer, die diese Filme toll fanden :)

  3. Ursula Mayr:

    Also ich nicht. Was waren das für Herrschaften?

  4. Michael Engelbrecht:

    Lange her.
    Unklare Erinnerung.

    Allerdings, in der serlösen Filmkriktik, gab es auch Männer (oder grosse Jungs), die diese Linklaters mochten.

    Zum Beispiel den ersten, hier:
    https://www.rottentomatoes.com/m/before_sunrise

    Während ich bei diesem Film vom Rohmer sehr sicher bin, dass ich ihn auch heute überhaupt nicht mag, kann ich nicht ausschliessen, dass ich bei den beiden Linklaters nicht in der passenden Stimmung war… beim zweiten Film hatte ich ja ein klar sexuelles Interesse an der Frau neben mir, „Zur Sache, Schätzchen“ wäre da – auf der Leinwand – hilfreicher gewesen:)

    Nouvelle Vague, klar, galt als nahezu unantastbar für uns, aber Rohmer, wenngleich etwas zu dezidiert katholisch, wurde ja auch zu der Bande gezählt.

  5. Ursula Mayr:

    Filmkritiker sind nochmal ein anderes Kaliber. Also in meinem Dunstkreis spielten die Before – Filme keine grosse Rolle.
    Anders wars mit dem Geschwärme über “ In the mood for love“ – von Damen. Man flippte schier aus… Ich habs kaum ausgehalten – schlimmer als Claires sämtliche Körperteile zusammen.
    Wong Kar Wai scheint eine Offenbarung zu sein und mir fehlen mal wieder die richtigen Synapsen.

  6. Michael Engelbrecht:

    Bin kein Wong Kar Wei-Experte, und denke, diese Filme wie mood for love und 2046 sind wie Tranceinduktionen, und wer nach 15 Minuten nicht im Sog dieser gesammelten Lagsamkeiten ist, kommt nimmer rein. Bei mir klappte es ganz gut damals, glaube ich, aber die Erinnerungen sind einmal mehr verschwommen…

    … ich habe später auch seinen weniger gelobten und viel verrissenen Film My Blueberry Nights gerne gesehen – perhaps my weak spot for Cat Power aka Chan Marshall (die eine Hauptrolle spielte).

    Aber da ich Werner Enke und May Spils erwähnte, stiess ich im Blog auf ein Zitat, dass diese Schmankerl einen Hauch von nouvelle vague verbreiten täten:) – schräges Deutsch, aber guck mal:

    https://www.manafonistas.de/2021/04/23/werner-enke-wird-80/

  7. Ursula Mayr:

    In den Blaubeernächten war aber wesentlich mehr Pep als in dieser zen – buddhistischen Erstarrung im chinesischen Seiden – Etui.
    „Nicht fummeln“ hatten wir neulich im Filmseminar – Kindergartenanarchismus und der Witz zündet nicht mehr, aber durchaus wertvolles Zeitdokument einer Generation die erst lernen musste wie man etwas anpackt.

  8. Michael Engelbrecht:

    Einspruch, Eure Durchleucht, z.B. in folgendem:

    Sicher ist ZUR SACHE SCHÄTZCHEN voller angeheiterter Regressionen, ABER, der da sich Bahn brechende Spieltrieb, das Aushebeln von Autoritätsfiguren (auf dem Polizeirevier und anderswo) – all das und mehr liefern auch heute noch Anregungen (role models) gegen allumgreifende Ernüchterung (allzu ernüchtertes Denken) …

    Werner Enkes Querfühlerei und -denkerei ist seltsam erfrischend, wenn man sie den ja nun nicht gerade wenigen Verbissenen / Verbitterten / Humorlosen hierzulande gegenüberstellt …

    Ergo: etwas von diesen „anarchistischen“ Elementen wirkt heute noch gut gegen sprödes, verkrustetes Empfinden – Wiederanschauen allseits empfohlen (und rezeptfrei)!

  9. Ursula Mayr:

    Es war nicht das Schätzchen sondern das Nichtfummeln – wir wollten halt um Uschi Glas rumkommen und lieber Gila von Weitershausen gucken. Die Einführung des Verspielten, harmlos – Anarchischen war uns mittlerweile dann doch etwas zu harmlos , wie ich auch denke dass die gesamte 68- Bewegung damals sehr lange nicht aus der Spielkiste rauskam – so wichtig das Ganze auch war. Ich hatte damals eine Zwischenposition: Ich war in Lohn und Brot in einer staatlichen Einrichtung, normales bürgerliches Leben mit 8.00 – 17.00 Job für DM 800,- mtl und Einschlafen bei der Tagesschau, nix für den Spieltrieb, und über meinen Studentenfreund aber auch bei den Demos und anderen Aktionen dabei, natürlich Revolution nur am Wochenende, man muss ja früh aufstehen wochentags. Das verhalf mir zu einer gewissen Bodenständigkeit bei gleichzeitigem Offfenbleiben für Progression und auf der Basis beurteile ich noch heute solche Dinge. Und die Realitätsferne der Bewegung schreckt mich noch heute.

  10. Michael Engelbrecht:

    Wie gesagt, etwas mehr „Spiel mit Wirklichkeiten“ kann sehr erfrischend sein, und gerade dafür bietet Schätzchen inspirierenden Stoff. Man kann – da bin ich mir absolut sicher – aus jenen Jahren – gute Stoffe filtern… muss ja nicht alles so zeitlos sein wie Ambient Music, die Beatles, und ECM Records in den Siebzigern… ich vertraue da auch manchen Rändern wie hier … und sowieso war das die beste Uschi Glas, die es je gab … love it.

    Etwas zum Erschrecken hat jeder Generation rückblickend im Gepäck, aber bei dieser hier (the wilder part of the 60’s and the 70’s) gab es jede Menge Wunderbares (die, die im Sandkasten hocken bleiben oder früh verhärten, gibt es in jeder Generation).

  11. Ursula Mayr:

    Gut, überredet, ich guck nochmal das Schätzchen – wobei ich meine Mannschaft da sicher nicht zu überreden kann – die sind Team Weitershausen. Hab ich jetzt zu tun … von Dir kommt ja auch noch was mit Blümchen drauf …

  12. Michael Engelbrecht:

    Direkt von San Francisco zum Chiemsee.

    Wear flowers in your hair.

    Die Gewitter kommen von ganz alleine.


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