… dann hör ich auf mit dem Abgründigen – versprochen!
Das zu Granit erstarrte Gesicht des Mannes – bzw der beiden Männer (man sieht nur nicht beide) signalisiert dramatische Schwere, einen fast tödlichen Ernst. Die Balz ist ein tiefernstes Geschäft offenbar – was uns auch manche lateinamerikanischen Werbungstänze suggerieren wollen, bei denen man einen möglichst finsteren Gesichtsausdruck annehmen muss. Es geht auch hier um Sex and Crime, genauer gesagt um die SM-Szene im Schwulenmilieu in Greenwich Village. Dort treibt ein Serienkiller sein Unwesen, Steve Burns, ein New Yorker Streifenpolizist aka ein furios aufspielender Al Pacino (eine Sahneschnitte, würden die Schwulen ihn nennen) ermittelt undercover in den Lederbars. Unnötig zu erwähnen, dass er heterosexuell ist, unnötig zu erwähnen dass er sich hinterher dessen nicht mehr so ganz sicher ist. Und natürlich den Mörder schnappt, der aus „Küchenpsychologie-Motiven“ gemordet hat, wie Micha sagen würde (Milchbubi mit schlimmem Vater!). Steve Burns geht also „cruisen“ (= umherstreifen an ausgewählten Örtlichkeiten auf der Suche nach schnellem Sex).
Der Killer wird gefasst – so weit so schlecht – allerdings gibt es am Ende noch einen Twist der eine ganz andere Deutung nahelegt, weswegen ich den Film sehr schätze – but no spoilers. Der Film floppte 1980, damals fand ein Wechsel von einem demokratischen (Carter) zu einem republikanischen Präsidenten (Reagan) statt, mit einer entsprechenden Hinwendung zu einem rechtslastigen und klerikalen Wertekanon. Aber auch die Schwulen selbst wandten sich gegen diesen Film, in dem erstmals das SM-Milieu dargestellt wurde – allerdings in Verbindung mit blutiger Gewaltkriminalität. Das nahm man ihm übel. Die SM-Szene ist gewaltfrei – es existieren verbale und gestische Codes über die das „Opfer“ dem „Quäler“, im Jargon der Passive dem Aktiven mitteilen kann, wenn es zuviel wird oder gar lebensbedrohlich, etwa beim Spiel mit der Breath-Control-Mask, bei dem der Passive eine schwarze Ledermaske trägt mit einem Ventil an der Nase über die der Aktive die Luftzufuhr regelt. Das Ziel ist Lust zu bereiten und zu empfinden, für beide oder auch mehrere (Gang-Bang-Parties).
Der Film zeigt eine harte Männerwelt mit vielen Ingredienzien der SM – Welt von der ganze Industrien leben (Fetische, Uniformen, ein Sling, Gummiknüppel, Masken, Bareback-Hosen, Bondage-Accessoires, die bunten Tüchlein in der hinteren Jeanstasche als Code für sexuelle Vorlieben). Tunten gibt es hier nicht. Das Weibliche ist aber ständig anwesend in Form eines Five-letter-words, das mit F beginnt und eine Abwertung des weiblichen Genitales darstellt und das man unliebsamen Zeitgenossen in der Szene entgegenschleudert. Auf englisch fand man den freundlicheren Ausdruck „Pussy“, auch für Feiglinge und Weicheier verwendet, im Süddeutschen das warmwollige „Muschi“, im Rheinland gibt es offenbar in der Schwulenszene den Begriff „Quarktasche“. Der weibliche Körper als etwas zutiefst Verachtenswertes? Hassen Schwule Frauen?
Zu Anfang treten zwei Stricher auf – transsexuell verkleidet in Polizeiuniformen, mit blonder Wallemähne, stark geschminkt und mit klirrenden Sporen an den Stiefeln. Was suchen ihre Freier? Die Frau als Karikatur? Als Mischwesen? Als androgyne Domina? Als jemand der schlechthin alle denkbaren Bedürfnisse zu befriedigen vermag? Ladyboys die beide Möglichkeiten bieten?? Nach einigen Besuchen im Lederclub beginnt sich Steve Burns vor dem Ausgehen zu schminken wie ein Teenie. Lässt sich beim Kennenlernen die Brust befühlen wie eine Frau. Der Mann als gefallsüchtiges Weibchen? Welcher Teufel fährt hier in den rechtstreuen New Yorker Cop? Nur wird der Teufel diesmal nicht ausgetrieben, er bleibt in seinem Wirtskörper bis zur letzten Konsequenz – geht also einen Schritt weiter als der „Exorzist“, ebenfalls von Friedkin.
1970 fand der erste Christopher Street Liberation Day statt. 1972 schwappte der Brauch nach Deutschland. Hat Friedkin den Schwulen einen Gefallen getan indem er die Szene als Folie für das Treiben eines sadistischen Killers benützte? Schwulenverbände demonstrierten öffentlich gegen den Film. Der Film strotzt nur geradeso vor machtvoller Männlichkeit. Und doch wird auch in dieser Szene aktiv penetriert und passiv weiblich empfangen, die Mann-Frau-Polarität nicht aufgehoben, im Film angedeutet in einer Szene von fistfucking oder kurz „fisten“.
In einem Seminar, in dem ich den Film zeigte (die Wirkung eines Films erschliesst sich am präzisesten in der Beobachtung des Publikums) gerieten die weiblichen Teilnehmer in Unruhe bzw den Zustand einer Regression ins Orale, sie suchten häufig den Tisch mit den Knabbereien auf bis alles verputzt war und konsultierten den Kaffeeautomaten. Sie fühlten sich nicht wohl konnten ihre Affekte aber schwer versprachlichen. Die Herren (alle hoffnungslos hetero) bewahrten die Ruhe und knabberten nicht, die dargestellte Sexualität brachte sie nicht in affektive Schwingungen, vermutlich schafft es der Film hier nicht erotische Stimmung zu erzeugen, eher Schwere und Beängstigung. Klar, ist ja auch ein Killer anwesend. Später klärte sich diese Spaltung. Die Botschaft des Filmes war für die Frauen: Der Mann in diesem Film ist sich selbst genug. Er kann aussehen wie eine Frau, bietet mehr sexuelle Variationen wie eine Frau, hat penetrierbare Öffnungen wie eine Frau, hat eine reizvolle Brust (insofern er ein Fitnesstudio besucht, wabbeln darf da nichts!), verachtet das Genitale der Frau. Und was noch alles …
Wozu noch Frauen? Auch wenn zwischen dem „Exorzist“ und „Cruising“ einige Jahre liegen, frage ich mich doch, ob hier nicht eine Antwort des Mannes als solchem auf den gefürchteten Feminismus gefunden wurde. Wenn Ihr Euch uns entzieht, brauchen wir Euch auch nicht! Wir können das alles nämlich selbst! Vielleicht noch besser und befriedigender! Fuck off!