Manafonistas

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2022 17 Apr

„Wrecking Ball“ – eine Erinnerung

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags:  | 3 Comments

Einige Male traf ich Daniel Lanois, zuletzt auf einem der legendären Punktfestivals in Kristiansand. In einem Interview sprach er, über sein Soloinstrumentalalbum „Belladonna“ („a quiet burner“), und über seine Produktion von Emmylou Harris‘ Album „Wrecking Ball“, das Mitte der Neunziger in Dans mexikanischem Studio „Teatro“ entstand, das zuvor ein wunderbares Kino am Ende der Welt war. Heute erinnerte ich mich daran, als ich bei den „Sunday Reviews“ von „pitchfork“ eine lange Hymne auf dieses „country noir“-Meisterstück las. Das damals kommerziell alles andere als erfolgreich war, aber in den Klanghorizonten „high on rotation“. Und das erzählte er mir dazu – eine Metamorphose der besonderen Art (ganz verstanden habe ich den hier geschilderten Ablauf bis heute nicht):

 

„Wir brachten für die Aufnahme von »Wrecking Ball« ein sehr gemischtes Team zusammen. Der Mix der Charaktere hat viel mit dem Resultat zu tun. Ich mochte es immer, verzweifelte Seelen einer bestimmten Sorte einzuladen. Larry Mullen am Schlagzeug wirkt hier recht überraschend, aber ich kenne seine Faszination für Country; hier fand er eine Gelegenheit, diese Leidenschaft auszuleben – an den dunklen Rändern von Country – und einmal aus dem »System« U2 auszusteigen. Der Bassist kam vom Funk. Keine homogene Einheit, und doch konnte man bald die Logik hinter dem Wahnsinn erkennen.

Ziemlich früh stießen wir auf einen aufregenden Sound, Ich nannte ihn den »Sound der Crystals«. Die Crystals waren eine Vokalgruppe aus den frühen 60ern mit einem mysteriösen und energetischen Sound. Mir war nie klar, wie sie diesen Sound hinbekamen, vielleicht war es sogar eine Phil-Spector-Produktion. Ich stieß zufällig darauf, hatte die Kopfhörer auf, war mit Emmylou im Studio, sie sang, und am Ende des Liedes sagte ich zum Toningenieur Malcolm Burn: »Berühre nichts, nimm deine Hände vom Mischpult, ich will analysieren, was wir da haben!« – es war etwas Besonderes, ich wollte diesen Sound nicht einfach festlegen, ich wollte ihn betonen, gestalten, verstärken. Und es war auf einmal gleichsam der „Sound der Crystals“, der sich in Emmylous Mikrofon hineinschlängelte; zwischen ihren Gesangslinien und all der Kompression, die wir benutzten, entfalteten sich die Instrumente wie in einem Riesenpilz. Ich entschied, dass die Musiker ganz nah bei Emmylou spielen sollten.“

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3 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    „Sound der Crystals“

    https://www.youtube.com/watch?v=MSkum4B162M

  2. Jan Reetze:

    Na selbstverständlich ist die Crystals-Nummer eine Phil-Spector-Produktion, und wie der diesen Sound hinbekommen hat — na ja, so geheimnisvoll ist das nun auch nicht. Daniel weiß wie, da bin ich sicher.

    Der Pitchfork-Artikel ist hier: https://pitchfork.com/reviews/albums/emmylou-harris-wrecking-ball/ , sehr lesenswert.

    Emmylou Harris habe ich vor einigen Jahren hier live vor ausverkauftem Haus erleben können — sehr beeindruckend, desgleichen ihre Band (Spyboy war es wohl nicht mehr, aber sicher bin ich mir nicht.) Verblüfft hat mich nicht zuletzt die enorme Lautstärke, mit der ich nicht gerechnet hatte und die für Country ganz sicher unüblich gewesen wäre — das hier war Rock. Zur zweiten Zugabe brachte sie dann noch ihre beiden Hunde mit auf die Bühne und machte eine Runde Reklame für PETA und vegetarische Ernährung. Die Reaktionen waren gemischt. However, ein schöner Abend.

  3. Michael Engelbrecht:

    Auf dem Konzert wäre ich gern dabei gewesen, Jan. Zeitsprung. Als ich 1990 mit John McLaughlin über den Dächern von Nizza getrüffelte Pasta verspeiste, die Älterem unter euch werden sich vielleicht an meinen 5-Teiler erinnern im NDR, und wir über die Geheimnisse Klassischer Indischer Muik sprachen, musste die Rede kommen auf Ravi Shankar und seine ersten Tage mit George Harrison. Das ist natürlich herrlicher Unsinn, aber so mag es sich anhören, wenn ein Musijournalist mal die eine und andere Reisestory mit Interview erzählt. Wenn man über drei Jahrzehnte in vielen Begegnungen mit eigenen Favoriten den Betriebsgeheimnissen von Musik nachgegangen ist, könnte sich das schon mal so anhören, nach alten Stories, am besten zu bündeln in Gesammelten Kurzgeschichten (alle wahr), so käme bestimmt ein Büchlein zusammen. Aber auch wenn hier und da Geschichten zu erzählen sind, und als Storyteller kam ich mir nachts in den Klanghorizonten schon vor, letztlich kann die Faszination des ganz eigenen Hörens durch nichts ersetzt werden. Und da hat jedes Paar Ohren seine eigenen Pforten der Wahrnehmung. Das sind humane Ressourcen, die tiefere Erfahrungsräume öffnen, die keineswegs gleich mit Göttern oder Jenseitigem anbandeln. Aber, gottogott, nein, Spass, yupppeeeyeah (kanadisch, nicht redneckisch), obwohl nicht alles Gold wurde, was er anfasste, kann ich bei Dan Lanois immer wieder vertauensvoll ins Regal greifen, und was seine Produktionen angeht, da werden bei mir Emmylou Harris‘ Wrecking Ball, Willie Nelsons Teatro, und Yellow Moon von den Neville Brothers, nie historisch, und immer DA sein. Oberstes Regal, eine Armlänge entfernt. Schade dass es nie zur Zusammenarbeit mit Cassandra Wilson gekommen ist, sie wollte es, aber, tja, und dass ist dann die Geschichte der great imaginary albums. Das ist meine kleine Ostermontagsrede gewesen, good morning, and good day sunshine!


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