Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 

Für unser „Album des Monats“ kommt dies leider ein wenig zu spät… aber ich würde diesem vor wenigen Tagen (Ende letzter Woche) veröffentlichten Album dennoch sehr gern gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wissen. „Kotra“ ist eines von mehreren Pseudonymen des ukrainischen Musikers Dmytro Fedorenko, auf dessen Schaffen ich vor einiger Zeit bereits im Kontext eines Interview-Portraits mit seiner Partnerin Kateryna Zavoloka und ihrer gemeinsamen Projekte hingewiesen habe. Nach dem Abschluss eines Kunststudiums in Wien haben sich die Beiden in Berlin angesiedelt, wo im letzten Jahr u.a. auch dieses Album „Radness Methods“ entstand. Fedorenko sagt, die Musik entstand aus „altertümlichen Konzepten ritueller Trommelmusik und rhythmischer Meditationstechniken“:

 

a ritual sound performance appears as a series of abstract sonic actions, rather than musical events, provoking a journey to non-ordinary states and realities, drumming a way into silence. [die rituelle Klangperformance erscheint eher als eine Folge abstrakter Klangaktionen denn als musikalische Ereignisse, wodurch eine Reise in nicht-alltägliche Zustände und Realitäten provoziert wird und ein Weg in die Stille gebahnt wird.]

 

Richard Allen von der immer interessierten, auf innovative instrumentale Musik spezialisierten Website A Closer Listen schreibt, Radness Methods sei das richtige Album zur richtigen Zeit, auch wenn das so nicht beabsichtigt war. Den vorab veröffentlichten elfeinhalbminütigen Track Phase Transitions beschreibt Allen als einen musikalischen Molotow-Cocktail, und er fasst zusammen: „While the album was not intended as a battle cry, it works as such, and we’re glad that it’s here, and angry, and now.“ [„Auch wenn das Album nicht als Schlachtruf gedacht war, so dient es doch als solcher, und wir sind froh, dass es da ist, und zwar wütend – und genau jetzt.“] Die Musik klinge wie „ein Ausdruck des Widerstands, ein Standhalten, ein Soundtrack zu einem tatsächlichen Konflikt.“ Mit ungelenker, passend zum Genre „Industrial“ geradezu grober Poesie stellt Dmytro Fedorenko vor:

 

„Radness Methods“ is a shamanic ritual for the sorcerers of concrete and asphalt, an ecstatic hymn for the philosopher warriors debating the power over life and death. Blazing anthem of excellence for the no one who is just anything. [„Radness Methods“ ist ein schamanisches Ritual für die Magier von Beton und Asphalt, eine ekstatische Hymne für die Philosophenkrieger, die über die Macht über Leben und Tod debattieren. Ein flammendes Loblied für den Nobody, der eben doch alles Mögliche und Unmögliche zu leisten imstande ist.]

 

Auf das dunkel Ekstatische weist auch Richard Allen hin, zumal die Stücke jeweils sieben bis eben über elf Minuten lang dauern und so eine „psychedelische Wirkung ohne halluzinogene Drogen“ erschaffen, die uns als Hörende vereinnahmt, jedoch ohne die in vergleichbarer elektronischer Musik üblichen, „Minimal Music“-Wiederholungen, sondern durch geschickte dramaturgischen Aufbau mit sich aufschichtenden Soundelementen. Mit diesen Aspekten erinnert Kotra an die kraftvollsten Werke etwa von Mika Vainio oder Franck Vigroux.

Die CD kann man  günstig über die Bandcamp-Webseite bestellen (wo man natürlich auch die übrigen empfehlenswerten Alben von Fedorenko und Zavoloka erwerben kann, etwa sein voriges Album Namir), und ich finde das grafische Artwork ganz fantastisch. Beim Online-Magazin CDM gibt es ein aktuelles, ausführliches Gespräch mit Fedorenko, wo er über die Ukraine und Politik spricht, über Meditation und über seine Arbeitsprozesse und auch Film- und Musikempfehlungen parat hat. Er erzählt, dass, nachdem er für das vorherige, komplexe und vielschichtige Album fast zwei Jahre gebraucht habe, dieses neue sehr schnell entstanden sei, minimalistisch, rituell, meditativ: „At the very beginning, I was not sure how it would go. And these rhythmic things, they just took me.“ Der Entstehungsprozess dieses Albums sei wie eine Meditation gewesen, als ob er tagelang eine Trommel schlage, aber eben mit einer „Groovebox“.

 

„And when I performed it live – it was a bit unexpected, but people started to dance to it. It was not these normal mechanical techno moves, as you can see anywhere, but it was like an explosion of devils, from the inside. When I saw this video, somehow I realized, I guess it worked.“

This entry was posted on Dienstag, 12. April 2022 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

1 Comment

  1. Lajla:

    Danke Ingo- interessant und wichtig. Je lauter es knallt, desto stiller die Musik? Das wäre der John Cage Weg. Auf mich wirkt die Musik nicht meditativ, ich nenne sie Maschinengewehrmusik. Das Interview mit Federenko ist sehr stark. Er fragt immer wieder, auch vorwurfsvoll: warum melden sich meine russischen Künstlerfreunde nicht mehr? Die Antwort ist bitter und traurig: es ist Krieg.


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