Diese Frage – meist gestellt von einer Frau mit unruhig umherirrenden Augen – gerade eine leere Wohnung oder ein Haus betretend – ist ein häufiges visuelles Motiv, das die Erfahrung des Unheimlichen im Film einleitet. Dazu wehen Vorhänge im Wind, ein geöffnetes Fenster schlägt, ein herumhängendes Kleidungsstück erweckt eine heftige, aber kurze Beunruhigung, und wenn der Regisseur noch eins drauflegt, klappt noch eine Tür, und draussen in der unvermeidlichen Dunkelheit, im Nirgendwo, schreit ein Käuzchen. Und dergleichen … – meistens tobt auch noch ein Gewitter. Und der erfahrene Betrachter hält Ausschau nach den unvermeidlichen Schuhspitzen unter der Vorhangkante. Klischees, die ihren Zweck nicht verfehlen, wenn sie dezent aber eindrucksvoll in Szene gesetzt werden.
Die Auslösereize des Gefühles von Unheimlichkeit sind individuell sehr unterschiedlich – das habe ich inzwischen gelernt – aber bei oben Beschriebenem spannt sich doch so manche Saite im Zuschauerbauch etwas straffer, das Unheimliche wird oft sehr leibnah empfunden. Ein Gefühl, dass etwas nicht stimmt – Hitchcock nannte es suspense, Spannung – aber nicht die positive Spannung vor einem ersehnten Date, eher ein Gruseln, eine Angstspannung nebst der Vorfreude, dass es jetzt endlich losgeht. Und wir selbst nicht bedroht sind. Angstlust nannte es Balint. Die Lust dabei besteht aus dem Spannungsbogen zwischen dem Gefühl der Gefährdung des anderen und dem Bewusstsein im Fernsehsessel von Bedrohungen frei zu sein, vulgo den eigenen Hintern sicher im Warmen zu haben, während es anderen an den Kragen geht.
Die Gelegenheit zum wohligen Grusel ist verschenkt, wenn diese Spannung nicht lange genug gehalten wird, plötzlich eine Splatterszenerie entsteht, ein Alien durchs Fenster schiesst oder zwei Hände sich um den Hals der schönen Frau legen. Die Ungewissheit muss gehalten werden, muss sich vielleicht sogar wieder kurz und befristet in Erleichterung auflösen, wenn die Katze auftaucht, die die Geräusche verursacht hat und die Protagonistin unendlich erleichtert ist. Dann auf ein Neues: wir haben noch eine Stunde Film vor uns und der erste Stachel ist gesetzt, es wird schon wieder gruselig werden. Im 1990 erschienenen „Blair Witch Project“ hält der Film diese Spannung bis über das Ende hinaus durch – was ihm viele übelnahmen – es bleibt letztlich unklar, wer oder was, warum und auf welche Weise das Studententrio in den Wäldern verfolgt hat und ob sie überleben werden. Das Kopfkino läuft heiss, wer Gewissheit will, wird hier schlecht versorgt. Love it. Im Netz existierten sogar filmspezifische Verschwörungstheorien.
Ein zentrales Element des Unheimlichen ist also die Ungewissheit – ob jemand anwesend ist oder nicht, ob dieser jemand positive Absichten hat oder eben nicht, ob er lebendig ist oder tot, es könnte ja auch ein Geschöpf der Anderswelt sein. Viele finden Roboter aus diesem Grund unheimlich und würden sich nur ungern davon operieren lassen, sie sind nicht lebendig und menschlich nicht anrührbar, wirken aber so. Sehr unheimlich fand ich einmal eine verwesende Kröte am Strassenrand, deren Körper sich plötzlich bewegte – ein grosser Schreck. Somit ist das Unheimliche also an eine Präsenz gebunden, die aber nicht sichtbar und deren Absichten unklar sind, das heisst eine Präsenz in der Superposition. Und damit sind wir bei der Quantenphysik – Schrödingers Katze ist ebenfalls in der Superposition, man weiss nicht, ob sie lebendig oder tot ist. Subatomare Teilchen können sich wie Teilchen, aber auch wie eine Welle verhalten. Teilchen können an 2 Orten zugleich sein. Teilchen haben keinen bestimmten Aufenthaltsort, sondern nur eine Wahrscheinlichkeitsfunktion, die ihre Anwesenheit diffus erfasst. Wir müssen ertragen, dass wir nicht genau wissen, wo sie sind und für welche Daseinsform sie sich spontan entscheiden werden. Das hassen viele Anhänger der klar darstellbaren und somit intellektuell erholsamen Newtonschen Physik an der Quantenphysik.
Auch der Mensch ist entwicklungspsychologisch mit Bezugspersonen in einer Superposition konfrontiert – er muss erst herausbekommen, ob diese gut oder böse sind, ob sie ihm wohltun oder schaden werden. Es dauert ab Geburt Monate, bis sich ein hinreichend konstantes Bild im Inneren entwickelt, Enttäuschungen oder Traumata können es wieder zerstören. Auch Erwachsene sind bei neuen Kontakten mit Superpositionen zum Aushalten dieser Spannung verurteilt – ob der Herr auf nächtlicher Strasse eine reizvolle Begegnung ist oder anderes im Schilde führt. Populärwissenschaftlich heisst es „Vertrauen entwickeln“.
Eine gute Filmregie macht sich dieses Geschehen zunutze. Sie hält die Spannung so lange wie möglich aufrecht und lässt den Zuschauer in der Anspannung – er soll ja gerade kein Vertrauen entwickeln, sondern alles Denkbare für möglich halten, wenn noch etwas Undenkbares dazukommt – umso besser. Bei Ingrid Bergmann (s.o. in „Gaslight“) ist der geldgierige Ehemann leider so unsympathisch mit Charles Boyer besetzt, dass man dergleichen schon vorher ahnt. Deborah Kerr (s.o. in „The turning of the screw“) wird von Gespenstern verfolgt, letztlich von bedrängenden und deshalb abgedrängten Anteilen ihres eigenen Innenlebens. Bei Doris Day in Mitternachtsspitzen ist ebenfalls der Ehemann der Garstige, mit Rex Harrison nicht gegen den Strich besetzt, man ahnt lange nichts, weil er so brav und fürsorglich wirkt. Ein schöner Twist …
Diese Kunst, Spannungsbögen aufzubauen und die Spannung bis zum Schluss zu halten, geht den Regisseuren der Jetztzeit zunehmend verloren, man greift lieber zu special effects (deren Häufigkeit ist immer umgekehrt proportional zur Qualität des Films), zu Avataren und anderem was gerade en vogue ist. Ich nenne das immer „emmerichern“.
Soweit erstmal gut! Falls jetzt im geschätzten Auditorium ein Quantenphysiker sitzen sollte: bitte ich mich nicht mit virtuellen Tomaten zu bewerfen wegen meines physikalischen Bodenturnens. Ich lerne noch! Aus Interesse am Thema würde ich mich freuen über Kommentare, wie das Unheimliche im Film vom einzelnen und individuell erlebt wird. Danke!