Vor etwa sechs Wochen hatte ich mir in der Stadtbibliothek ein Buch von Andreas Reckwitz vormerken lassen, das nun zur Abholung bereit stand. Lajla erwähnte es einmal hier auf dem Blog, so wurde ich darauf aufmerksam: „Die Gesellschaft der Singularitäten – zum Strukturwandel der Moderne“, erschienen bei Suhrkamp. Ich zögerte zunächst, es abzuholen, da sich meiner Vermutung nach durch den Kriegsbeginn etwas grundlegend verändert hatte: wen interessierten denn jetzt noch die Befindlichkeiten kulturell überzüchteter Individuen, wie sie in der langen Friedensblase meiner Zeit entstehen konnten? Aber man soll ja nicht nur dem Frieden eine Chance geben, wie einst John und Yoko sangen, sondern auch einem Autor, von dem man schon viel Gutes hörte und auf YouTube gar sah. Seit ich Bücher nur noch sehr selten konzentriert von vorne bis hinten durchlese, meistens, wie eine Freundin neulich bemerkte, auf der dritten Seite schon vergessen habe, was auf der ersten Seite stand, hat sich eine neue Technik durchgesetzt: ich stöbere im Buch herum, schlage blindlings eine Seite auf, wie ein Adler auf die Zeilen stürzend, um Beute zu machen. Sätze und Gedanken, die zum Weiterdenken Anlass geben oder längst Geahntes explizieren, wie ein Messerwetzer wirken für den Geist. Beispiel: der Autor bezeichnet Internet und Computer als eine „Kulturmaschine“, was mich gleich an die Wunschmaschine von Gilles Deleuze erinnerte, die ich allerdings nie verstand, wie so Vieles im sprachverliebten Raum französischer Philosophen. Ganz anders Andreas Reckwitz: konkret und nachvollziehbar statt im Ungefähren herumzuraunen. Er fragt sich beispielsweise, inwieweit die Kunst die Vormachtstellung des Besonderen verloren habe angesichts der Schwemme individualistischer und idiosynkratischer Singularitäten. Und alles sei doch heute Kunst, jedes banale Gebrauchsding, jede Colaflasche. In diesem Sinne ist dies vorerst keine Rezension, sondern bestenfalls eine recht flapsig skizzierte Prezension: Ausdruck reiner Freude über einen Beutezug.