Manafonistas

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2022 21 Mrz

„Der mit den Tönen tanzt“ (Jan Bang) – aus dem Manuskript einer Radiosendung von 2011

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

Als der Norweger Jan Bang sein erstes Sololabum „…and Poppies from Kandahar“ 2010 auf David Sylvians Label Samadhisound veröffentlichte, galt er bereits seit Jahren als innovative Figur der norwegischen Musikszene:  nach den aufregenden 70er Jahren, nach den Garbareks und Rypdals,  ist in dem Land der geringen Bevölkerungsdichte und weiten Räume eine junge Generation herangewachsen, die das typisch skandinavische Raumgefühl und altehrwürdige Ausschläge auf der Melancholieskala fortentwickelt.

Diese Kreise sind durch das von Erik Honore und Jan Bang 2005 begründete Punktfestival von Kristiansand extrem gut verbunden: Künstler wie Arve Herniksen, Eivind Aarset, Stian Westerhus, Sidsel Endresen (als Dienstälteste dieses erlesenen Zirkels) haben kein Interesse daran, Musikgeschichte zu recyceln, sie brechen spielend mit Konventionen. Auf der Bühne und im Studio agiert Jan Bang mit selbst verfertigten Feldaufnahmen aus diversen Erdgegenden, vor allem aber mit dem Material, das ihm seine Mitspieler liefern. Man hat ihn schon als „Schattenspieler“ bezeichnet, wenn er Trompetensounds von Arve Henriksen, Jon Hassell oder Nils Petter Molvaer klanglich modifiziert und in das musikalische Geschehen einschleust.

 

 

Jan:  “Das Instrument, das ich benutze, ist ein alter Sampler, der auf floppy-discs läuft, er stammt aus dem Jahre 1996. Weil das Gerät nur in Verbindung mit einer floppy disc funktioniert, werden die meisten Klangdaten,  die ich sammle, hinterher sofort entfernt. Nur sehr selten speichere ich Klänge. Sound ist für mich etwas, das einfach vorüberzieht, diese Flüchtigkeit der Töne ist Teil der Faszination. Ich verwandle die Sounds beim Sampeln nach meinen Vorstellungen. Wenn ich zum Beispiel mit Jon Hassell und seinem Trompetenspiel arbeite, dann sample ich etwas, das mir gefällt. Und ich mache aus seinem Sound meinen eigenen. Im Ton des anderen meinen  eigenen zu finden, das ist mein Interesse. Ich halte Ausschau nach den passenden Tonhöhen; welche Akkorde kann ich entstehen lassen, welche Verfremdungen –  das alles hat einen starken emotionalen Anteil! Denn diese Verwandlungsarbeit geschieht in wenigen Sekunden. Alles passiert im Nu und instinktiv, das entspricht der Natur meines Instruments, und der Art, wie ich arbeite.“

 

Ein Ausschnitt aus der CD „Live Remixes Vol. 1“, von Punkt, mit Aufnahmen von Jon Hassell und Sidsel Endresen. Mal hört man die  originalen Klänge, mal das, was Jan Bang mit ihnen anstellt, geisterhafte Echos, kleinste Loops, die als diskretes Rhythmus- oder Klangfarbenenangebot wahrgenommen werden können: nicht selten singt dann die  Norwegerin mit ihrer verwandelten Stimme im Duett, und  der alte Magier des Trompetenspiels, Jon Hassell, fast schon Stammast beim Punktfestival, merkte rasch, das auch ein Vierteljahrhundert nach seinen Pionierarbeiten, „Possible Musics“ und „Dream Theory In Malaya“, sein alter Traum einer Vierten-Welt-Musik immer noch zukunftsträchtig ist. Zum Beispiel hier in der südnorwegischen Küstenstadt.

Diese Live-Remixe sind programmatisch für das Punktfestival; nach den Konzerten auf der großen Bühne des Agden Theaters strömen die Zuhörer in den Keller, in den „Alpha-Room“, wo andere Musiker nun, mit ausgewählten Samples des vorangegangenen Konzerts, etwas Neues auf den Weg bringen.


Fast ein Evergreen des Festivals, und doch unberechenbar, sind die Alpha-Room-Auftritte des Trios Jan Bang – Erik Honore – Sidsel Endresen. Die Sängerin verweigert sich jeder traditionellen Gesangssprache,  Erik Honore arbeitet als stille Präsenz im Hintergrund an Synthesizern und Computern – und Jan Bang ist der Irrwisch, der um seinen  Sampler herum tanzt, mit schnellen wirbelnden Bewegungen, die aber nie hektisch wirken. Dabei erprobt er kleinste Sequenzen auf ihre Tauglichkeit, verwirft oder verwertet das Material. Etwa bei dem folgenden Stück, „Residue“, aus der erste Studioabeit von „Punkt“, dem Album „Crime Scenes“.

 

 

Jan:  Erik Honore und ich benötigten drei oder vier Jahre, um die CD “Crime Scenes” von “Punkt” fertigzustellen. Das ganze Album entstand in meinem Punkt-Studio in Kristiansand. Ein sehr  kleiner Raum;   die Musik basierte ganz und gar auf den guten Samples, denen, die auf eine floppy disc passten (lacht).  Wenn ich mit Musikern auf Reisen bin, archiviere ich Soundsequenzen ja so gut wie nie. Aber wenn zum Beispiel der Schlagzeuger Audun Kleive eine kleine Figur spielte, die mir unheimlich gut gefiel, dann sagte ich mir, das ist so gut, das speichere ich jetzt. Wenn solche magischen Momente auftauchten, bei Sidsel Endresen, bei Arve Henriksen, war es gut. Hinzu kam die Musik,  die um diese Samples herum entstand. Das Gute daran war, es forderte neben den Samples auch die live agierenden Musiker. Auf „Crime Scenes“  war die Balance von live gespielter Musik, nachfolgender Bearbeitung  und Sampling gut ausgewogen. All diese Dinge hatte ich vom Programmieren von Sounds gelernt, in meinen frühen Jahren, als ich Teil der elektronischen Dancefloor-Szene in Norwegen war. Mit der Zeit entstand daraus  eine neue „Sprache“, die Erik Honore und ich zusammen mit unseren Musikerfreunden entwickelt haben.“

 

„Comfort“, ein weiteres Stück aus  der CD „Crime Scenes“ von Punkt. Bei dem von Jan Bang und Erik Honore betreuten Punktfestival lässt sich seit den Anfängen erkennen, in welchem Ausmass seelenverwandte Künstler und Querdenker eingebunden werden, die durch ihre Innovationen abseits wohldefinierter Genregrenzen die Grundidee eines solchen musikalischen Konzepts subtil mitgetragen haben.

 

Zuletzt war, im Herbst 2011,  David Sylvian Kurator eines Festivaltages, und der gebürtige Brite  sorgte dafür, dass neben Altmeistern der Jazzavantgarde aus England, John Tilbury, Evan Parker und  John Russell, auch der japanische Komponist Daj Fujikura Gehör fand: dessen Kompositionen für Solo-Violine oder Solo-Klarinette wirkten zwar für manche  kühl,  hermetisch, einer in die Jahre gekommenen Avantgarde verhaftet, aber als  Jan Bang unten im Alpha-Room einzelne dieser Klänge sampelte, gewannen auch diese  Töne ein neues Eigenleben.

 

Und das ist ein wesentliches Moment der Punkt-Ästhetik von Jan Bang und Erik Honore:  man löst Sounds aus angestammten Traditionen und vitalisiert sie in neuen Zusammenhängen; aus dem Remix wird – im besten Falle – eine Neuerfindung! Jon Hassell kam aus dem Staunen nicht mehr raus, als er erstmals den Gesang von Sidsel Endresen hörte.  Gerade bei  solchen Berührungspunkten des sonst kaum je in einem Raum Zusammenkommenden eröffnen sich Möglichkeiten.

 

Da verlieren törichte Abgrenzungen von E- und U-Msik genauso an Berechtigung wie sattsam bekannte Vorurtiel: ein Musiker kann auch archaische Klänge produzieren, wenn nicht viel mehr als ein Laptop auf der Bühne steht. Und elektronische Sounds tragen durchaus nicht stets   ihr  Verfallsdatum mit sich herum.  Wie  organisch das Zusammenspiel von Live-Auftritt, Live-Sampling und Studiobearbeitung sein kann, belegte schon  im Jahre 2004, ein Jahr vor dem ersten Punktfestival, die CD „Chiaroscuro“ des Trompeters und Sängers Arve Henriksen. Ein Trio –  an Henriksens  Seite Jan Bang und der Trommler Audun Kleive. David Sylvian wurde nicht zuletzt durch seine Begeisterung für dieses Werk, dem Jan Bang mit Schmunzeln ein „südamerikanisches, tropisches Flair“ attestiert,  zum künftigen Kollaborateur von Jan Bang.

 

 

 

Jan:  “Chiaroscuro entstand während unserer Tournee durch Norwegen. In einigen Clubs waren vielleicht 20, manchmal  50 Zuhörer dabei. Ich erinnere mich, das erste Stück, „Opening Image“, wurde auf einer Mini-Disc aufgenommen. Es wurde so leise aufgenommen, das du das Rauschen hören konntest. Das Rauschen war übermächtig, wir mussten was damit machen. Und Erik Honore, nun, er ist der perfekte Produzent, ein  Meister der Töne, er findet stets auf kreative Art Lösungen für ein Klangproblem. Er schlug vor, den Synthesizer einzusetzen, um noch mehr Rauschen zu erzeugen, das neue Rauschen zum alten hinzuzufügen, und mit dieser Dynamik des Rauschens zu arbeiten, so dass das Rauschen selbst eine Art Instrument wird.“

 

Jan: „Die Musik, die du als Teenager für dich entdeckst, hat einen enormen Einfluss auf die Dinge, die du später in der Musik suchst.  Bestimmte Elemente einer Ästhetik des Hörens, die man in jungen Jahren unbewusst ausbildet, bleiben ein Leben lang erhalten.  Die erste Musik, die mich immens berührte, lag  abseits der Soulmusik und der Schwarzen Musik, die viel bei uns in Norwegen zu hören war –  es war  Musik von David Sylvian, sein Song „Red Guitar“ schlug mich vollkommen in Bann. Es befindet sich auf seinem ersten Soloalbum „Brilliant Trees“. Da waren  auch Klänge zu hören von Holger Czukay,  Jon Hassell und Danny Thompson. Die Musiker, die  Sylvian immer wieder zusammenbrachte, inspirierten mich, eine neue Musik zu erträumen, die ein europäisches Erbe fortführte. So öffneten sich Türen. Die Tatsache, wie ich seit Jahren akustische Instrumente in mein Sampling einbaue, etwa auf Arve Henriksens Album „Cartography“ hat vielleicht  etwas zu tun mit diesen  alten, so  geliebten Bassklängen eines Danny Thomson auf  „Brilliant Trees“ –  und immer wenn ich heutzutage mit hervorragenden  Musikern arbeite, kann ich Sampling und Live-Spiel kombinieren.  Da bildet sich in vielen Dinge, die wir seit dem Beginn des Punktfestivals machen, eine neue  Balance, zwischen Klänge, die elektronisch sind und sehr abstrakt – und den organischen  Klängen frei improvisierender Musiker.“

 

So bahnt sich lange an, was schliesslich zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit wird; erst waren es Remixe, die Jan Bang mit Erik honore anfertigte, für David Sylvians Opus „Blemish“, in dem die sperrigen Gitarrenklänge eines Derek Bailey das  Schönklangfeld mächtig umpflügten und manche Fans des kammermusikalischen Pop-Elegikers in die Flucht trieben. Dann verstörte Sylvian noch weitaus mehr, als er auf der CD MANAFON seine auf Breitwandformate angelegten Gesänge grundierte mit einer fein organsierten Klangsprache radikal freier Improvisationsmusik aus Japan, Österreich und England.

 

 

 

 

 

David Sylvian und Jan Bang  sind keine Jazzmusiker sind, aber sie kommunizieren gerne mit dieser Welt. Das kann auch mal schief gehen: so traf Jan Bang vor Jahren beim Festival Jazzbaltica  auf die Jazzgruppe des amerikanischen Trompeters Dave Douglas, und  eine Musik,  die so hochorganisiert und in sich geschlossen ist, dass Bangs  Live-Samples wie seltsame Fremdkörper wirken mussten, denen jeder Zugang unmöglich war.  Jan Bang braucht  eine offene, vorzugsweise aus kleinen kompositorischen Kernen entwickelte Musik voller Zwischenräume und Zugänge, eine Musik, die im besten Sinne unfertige Elemente enthält, nicht gänzlich Ausformuliertes. Deshalb seien Vorliebe für ausgeruhte Klangtexturen, für ausschweifende Bordunklänge.  Für jan Bang bedeutet Minimalismus, kleinsten Details zu maximalem emotionalen Ausdruck zu verhelfen!   Dennoch war es nicht ganz einfach für ihn, einen Songs von David Sylvians sperrigem Meisterwerk „Manafon“  neu zu formen –  im Hintergrund ertönen schon Klänge aus dem Original des Liedes…

 

Jan: „Ich habe mit David Sylvian an seinem neuen Doppelalbum “Died In The Wool” gearbeitet. Einige Stücke sind  neu, einige Variationen von „Manafon“, auf dem er mit alten und jungen Meistern der frei improvisierenden Musik zusammenarbeitete. Evan Parker und John Tilbury spielten da etwa mit. Und ich hatte Zweifel: wie sollte ich mit dem Start eines Remixes des Songs „Emily Dickinson“ beginnen? Für mich war es eines der emotionalsten Stücke des Albums, nicht zuletzt wegen Evans Saxofonlinien und Johns Spiel in den Tiefen Lagen des Pianos. Ihre Sounds waren so fein ziseliert, dazu Davids Stimme, der Chor, ein vollkommenes Stück Musik mit einem Hauch von Jazz und so vielen anderen Quellen. Ich dachte nur: wie um Himmels willen soll ich mich auf diesem Level bewegen? Und ich sagte das David, und er meinte:   – warum machst du mit dem Stück nicht etwas ganz anderes, anstatt es auf den Elementen basieren zu lassen die du so magst. Also löschte ich nahezu alles, was ich in der Tat liebte, und begann bei Null. Ich beliess es bei Davids Stimme, und bettete sie in ein weites Feld winziger kleiner Samples. Es war ein sehr intuitiver Prozess, da entstand gewiss eine andere Welt, aber ich denke, ich zollte dem ursprünglichen Stück genug Respekt.

 

Jan:  “Ich kann mich glücklich schätzen, über die Jahre mit vielen phantastischen Trompetern gespielt zu haben. Mit Arve Henriksen ist die Verbindung am engsten.   Seit Jahren spielen wir auch als reines Duo. Er hört nicht auf, mich zu überraschen. Er möchte die Musik vorantreiben, ich möchte die Musik an andere Orte transportieren, und das ergänzt sich  Wir kopieren einander auf kreative Art; ich kopiere seinen Sound, er kopiert meinen Sound. Akustische Musiker  können, wenn sie so gut sind wie Arve, etwas Elektronisches hören, und dann diesen Sound ihrem Spiel anverwandeln. Die Elektronik versucht eben nicht nur, sich in die akustische Sphäre einzufühlen, es funktioniert in beide Richtungen. Das ist so interessant, weil du dann etwas machst, was du zuvor noch nicht gehört hast.“ 

 

 

Das gerade gehörte  Stück, “From Birth” stammt von Arve Henriksens vielgerühmtem Album „Cartography“, das beim 7. Punktfestival Anfang 2011 live  aufgeführt wurde. Auch  an weiteren  Highlights war Jan Bang beteiligt: z.B. an einem Trio mit dem Trompeter und Sänger Per Jorgensen und der Perkussionistin Marilyn Mazur. Von Jan Bangs Ideen und den Soundforschungen seiner „Punkt-Familie“ Ideen können Jazzmusiker, Elektronik-Spezialisten, Singer/Songwriter und Vertreter Zeitgenössischer Klassik gleichermassen  profitieren. Wo sonst als bei diesem kühnen Kollaborateur könnten sich z.B. Jon Hassell und das Kammerflimmer Kollektief in einem Klang-Raum bewegen?! Aus scheinbar unscheinbaren Momenten, kaum klar zu umreissenden Texturen und fragmentierten Melodien entwickelt  Jan Bang seine Stücke auf seinem Soloalbum „…and Poppies from Kandahar“: luftige fragile  Gebilde, die ein skandinavisches Erbe fortführen – aus drr Magie flüchtiger Momente entstehen  leise Intensiäten.


JazzFacts im Deutschlandfunk – Sie hörten: „Der mit den Tönen tanzt“ – ein Porträt des Elektronikmusikers und Sample-Spezialisten Jan Bang, von Michael Engelbrecht. Seit dem ersten Jahr des Punktfestivals sendet der Deutschlandfunk Konzerte aus der südnorwegischen Küstenstadt. Im nächsten Jahr zieht das Punktfestival innerhalb von Kristiansand um, in ein architektonisch faszinierendes, direkt am Meer gelegenes Konzerthaus. Brian Eno wird Kurator des Punktfestivals 2012 sein.   

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